Ehrlichkeit wäre das Ende der Energiewende gewesen

Windrad Foto: CarstenE Lizenz: CC BY-SA 3.0


Sinkt die Zustimmung zur Energiewende und zur Klimapolitik, weil die Politik nicht ehrlich über die Folgen aufgeklärt hat? Das Gegenteil ist richtig: Nur durch Verschweigen konnten die notwendigen Mehrheiten gesichert werden.

Im Januar dieses Jahres berichtete die Süddeutsche Zeitung über das Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen. Für 48 Prozent der Deutschen gehörte die Wirtschaftslage zu den größten Problemen des Landes, für 42 Prozent war es Migration, für 18 Prozent das Klima. Preise und Löhne (acht Prozent), Renten (sieben Prozent) und das soziale Gefälle (sechs Prozent) spielten kurz vor der Bundestagswahl kaum eine Rolle. Vier Jahre zuvor sah das noch anders aus. Im September 2021 sagten 51 Prozent, Klima sei ein großes Problem. Die wirtschaftliche Lage war kein großes Thema, Migration auch nicht, aber die gestiegenen Preise sorgten viele.

Kaum ein Thema stand in den vergangenen Jahren so sehr im Zentrum wie das Klima. Die Klimaaktivistin Greta Thunberg wurde von Berlins katholischem Bischof Heiner Koch mit Jesus Christus verglichen, und die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel traf Thunberg mitten in der Pandemie zum Klimagespräch. Dass Hunderttausende dem Unterricht fernblieben und lieber für das Klima demonstrierten, als Mathematik, Geschichte und Biologie zu lernen, störte kaum jemanden. Diese Zeiten sind vorbei. Die Hauptsorge der Menschen ist die Wirtschaft. Die täglichen Meldungen über Stellenabbau, Deindustrialisierung und die spürbaren Wohlstandsverluste in der ersten Hälfte der 20er-Jahre haben Spuren hinterlassen.

In der FAZ ist Andreas Nefzger nun der Frage nachgegangen, warum sich zurzeit kaum jemand für das Klima interessiert. Auf seiner Reise durch die Republik traf er in Frankfurt auf Dennis Eversberg, Professor für Umweltsoziologie an der Goethe-Universität Frankfurt: „Fragt man Eversberg nach politischen Fehlern, die zu der Abwehrhaltung geführt haben, dann redet er nicht etwa über das Heizungsgesetz, sondern über Angela Merkel und ihre Art, Politik zu machen. ‚Der große Fehler war, den Leuten zu sagen: Der Klimaschutz stellt uns vor riesige Herausforderungen, aber wir managen das für euch, an eurer Lebensweise muss sich nichts ändern‘, sagt Eversberg. ‚Dieses Versprechen ist das, was die Leute jetzt einklagen.‘“

Aber wäre die Lage heute anders, wenn die Politik ehrlich gewesen wäre, statt die Probleme der Energiewende kleinzureden? „Passt auf, Leute, wir müssen dringend etwas für das Klima tun. Wir müssen möglichst schnell aus der Kohle aussteigen, und weil wir auch keine Kernkraft wollen, setzen wir jetzt auf Energiesparen und Strom, der mit Solarkollektoren und Windkraft hergestellt wird. Klar, der Strom, den eine Solaranlage liefert, ist wirklich billig, aber wir sollten uns nichts vormachen: Wir müssen unser gesamtes Stromnetz umbauen – das betrifft die großen Leitungen, aber auch die in der Straße vor euren Häusern – und das wird wirklich sehr teuer. Und da, wie ihr ja alle wisst, der Wind nicht immer weht und die Sonne nicht immer scheint, brauchen wir auch noch Kraftwerke, die im Notfall einspringen. Auch das kostet wirklich viel Geld – und wird noch teurer, wenn wir statt Erdgas grünen Wasserstoff nehmen. Und um ganz ehrlich zu sein: Für die Industrie, die günstige Energie braucht, wird das bitter. Und es wird Arbeitsplätze kosten. Viele Arbeitsplätze. Wir werden nicht mehr so weiterleben können, wie wir es gewohnt waren, und auf vieles verzichten müssen. Seid ihr damit einverstanden?“

Die meisten hätten, vielleicht nach einem kurzen Nachdenken, „nein“ gesagt. Sie hätten die Politik aufgefordert, nach Wegen zu suchen, mit denen das Klima geschützt und der Wohlstand gewahrt werden kann. So wie es übrigens fast alle anderen Staaten machen. Deutschlands Ausstieg aus Kohle und klimaneutraler Kernkraft ist ein Sonderweg, dem aus guten Gründen niemand folgt. Nur mit Strom aus Sonne und Wind wird Deutschland kein reiches Land bleiben können – die Menschen werden verarmen, denn nichts anderes bedeutet Verzicht.

Auch wenn die meisten Politiker sich davor scheuten, diese Wahrheit auszusprechen, gab es Ausnahmen. Als Patrick Graichen (Grüne) noch Staatssekretär im von Robert Habeck (Grüne) geführten Wirtschaftsministerium war, sagte er 2022 im Gespräch mit dem britischen Klimalobbyisten Michael Liebreich, dass energieintensive Industriezweige wegen der hohen Energiepreise in Deutschland keine Zukunft hätten: „Nun, das ist in der Tat eine große Herausforderung, und zwar nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa“, sagte er. Natürlich gäbe es Orte auf der Welt, wo man Strom für ein bis zwei Cent pro Kilowattstunde bekomme. Und damit ließe sich dann preiswert Wasserstoff erzeugen. Aber Deutschland, das ist klar, ist keiner dieser Orte. „Was bedeutet das nun für uns? Im Wesentlichen wird es wahrscheinlich bedeuten, dass energieintensive Industriezweige – die Produkte, die man auch an anderen Orten einfach herstellen könnte – dorthin gehen, wo es den Strom für ein bis zwei Cent gibt.“ Man müsse sich bei den energieintensiven Industrien auf diejenigen spezialisieren, deren Produkte viel Know-how und eine enge Kundenbindung benötigen.

Von den prominenten Publizisten des Landes machten vor allem Ulrike Herrmann (taz) und Bernd Ulrich (Zeit) in ihren Büchern und zahllosen Artikeln klar, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien mit einem Ende der Wachstumswirtschaft und Verzicht – das kuschelige Wort für Armut – einhergehen würde. Wenn man den Klimawandel aufhalten wolle, gäbe es dazu keine Alternative. Die Energiepolitik, deren Ziel es lange Zeit war, die Menschen und die Wirtschaft möglichst sicher und preiswert mit Strom und Wärme zu versorgen, wurde in Deutschland mit antikapitalistischen Visionen aufgeladen.

Innerhalb der grünen Blase bekamen Ulrich und Herrmann viel Applaus, ihre Bücher wurden Bestseller. Aber es war nicht so, dass sie die Mehrheit der Bevölkerung begeisterten. Denn viele wissen – oder, wenn nicht, ahnen sie es –, dass Wohlstandsverluste zu Konflikten und Verteilungskämpfen führen, dass  radikale mehr gewählt werden und viele beginnen werdfen, mit der Demokratie zu hadern. Denn das Erfolgsmodell besteht darin, zugleich Freiheit und Wohlstand zu versprechen. Und dieses Versprechen kann mit der deutschen Version der Energiewende nicht gehalten werden.

Wäre die Politik ehrlich gewesen, wären die Menschen ihr aus guten Gründen nicht gefolgt. Die Lüge, dass sich durch eine radikale Energiepolitik das Leben der Menschen nicht tiefgreifend verändern würde, war notwendig, um die für den Kurswechsel nötigen Mehrheiten zu gewinnen. Ehrlichkeit hätte bedeutet, den Menschen die Folgen der Energiewende deutlich zu machen und Alternativen zu diskutieren. Und gegen diesen Weg hatten sich nicht nur Politiker, sondern auch viele Journalisten – vor allem in den öffentlich-rechtlichen Medien –, Kirchen, Gewerkschaften und auch Unternehmerverbände entschieden.

Die nun sichtbaren wirtschaftlichen Folgen dieser Politik führen dazu, dass das Thema Klima an Bedeutung verliert. Aber folgenreicher dürfte der Vertrauensverlust sein: Zu viele – vor allem Angehörige privilegierter Schichten – haben die Folgen der Energiewende verschwiegen, sei es mit der Überzeugung, sonst keine Mehrheiten zu gewinnen, aus Opportunismus oder Dummheit. Dieses verspielte Vertrauen in den kommenden Jahren, die von Preissteigerungen, Deindustrialisierung und Verteilungskämpfen geprägt sein werden, wiederzugewinnen, wird schwierig. Gelingt es nicht, steht nicht weniger als die Stabilität der Demokratie in Deutschland auf dem Spiel.

Mehr zu dem Thema:

Bundesregierung will 500.000 Industriearbeitsplätze auf dem Altar der Energiewende opfern

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Matthias
Matthias
2 Tage zuvor

Erschütternd ist, dass es bereits damals etliche Fachstimmen gab, die prognostizierten, die deutsche Energiewende würde weit über die finanzielle Malaise und technische Nichtmachbarkeit hinaus den gesellschaftlichen Sprengstoff zünden, von dem Du hier schreibst.

Im konsens- und staatsgläubigen Deutschland wurden solche Stimmen selbstverständlich weitgehend medial abgedimmt. Stattdessen durfte eine Ethikkommission, besetzt ohne auch nur einen einzigen Ingenieur, den nötigen Feenstaub über den politisch gewollten und medial herbeigetrommelten Atomausstieg nebst Umbau der deutschen Energie-Infrastruktur streuen.

Max Planck meinte mal, die Wissenschaft schreite mit jedem Begräbnis voran. So wird es in dieser Frage wohl auch kommen: Erst wenn die Folgen unserer Energiepolitik nicht mehr kleinzureden sein werden, werden wir ein hektisches Umdenken in Medien und Politik bestaunen dürfen. Und viele Experten, die dann verkünden werden, schon immer Augenmaß angemahnt zu haben.

hase12
hase12
2 Tage zuvor

Bei den grünen Ökos und ihren publizistischen und anderen Mitstreitern kann man sich nicht des Eindruckes erwehren, dass es sich dabei um lutherisch-protestantische Fundamentalisten handelt. Auf der einen Seite die Bereitschaft zum Verzicht und zur Leistungserbringung ohne Klagen und Widerspruch und auf der anderen Seite jeden, der irgendetwas von der Energiewende in Frage stellt, niederzumachen, ins Abseits zu stellen. Ferner auch noch die Staatsanbetung, oder sollte man sagen Staatsvergötterung, wonach der Staat für alles in diese Richtung hin zuständig sei. Dies alles kombiniert mit dem Grundsatz allein der Glaube (sola fide) zählt. Offenbar handelt es sich hier also um (pseudo)religiösen Fundamentalismus deutscher Untertanen.

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