Humboldt-Uni: Jetzt Tacheles!

„Tacheles jetzt“: Humboldt-Uni Berlin | Foto Kjell Richard

„Solidarity does not need your antisemitism“ — das ist der Slogan der Hochschulgruppe „Tacheles“, die sich vor gut einem Jahr an der Berliner Humboldt-Universität gegründet hat. Sie wehrt sich gegen eine aggressive, auch intellektuelle Verwüstung der universitären Landschaft. Von unserem Gastautor Kjell Richard

„Solidarity does not need your antisemitism“ — so der Slogan der Hochschulgruppe „Tacheles“, Solidarität kommt auch ohne Judenhass aus. Auslöser der Initiative, vor gut einem Jahr an der Humboldt-Universität zu Berlin gegründet, war die Besetzung des Institutes für Sozialwissenschaften am 23. Mai 2024, die auch bundesweit durch die Medien ging. Nach der Räumung des Gebäudes zeigte sich das Ausmaß einer aggressiven, auch intellektuellen Verwüstung, gegen die „Tacheles“ angeht:

Diverse Schmierereien im ganzen Haus, darunter rote Dreiecke, die von der Terrororganisation Hamas genutzt werden, um die Ziele ihres Terrors zu markieren. Die Leitung der Universität bezifferte den Sachschaden auf rund 150.000 Euro. Unter anderem diese offenkundige Verharmlosung antisemitischer Gewalt  –  oder soll man sagen: Zuneigung zu ihr  –  gab den Ausschlag für die Gründung von „Tacheles“. Aber auch die fehlende Solidarität mit Jüdinnen und Juden bei Teilen des Lehrpersonals spielte eine Rolle.

Dass die Gruppe mit ihrem Standpunkt innerhalb der Humboldt-Universität allein auf weiter Flur ist, zeigten auch die sogenannten kritischen Orientierungswochen im vergangenen Herbst. Da „Tacheles“ auf dem Programm keine einzige antisemitismuskritische Veranstaltung fand und sich daher gerne entsprechend beteiligt hätte, wandte sich die Gruppe an die Organisation der KritOWo. Erst nach wiederholter Nachfrage bekam sie eine Rückmeldung   –  eine Absage. Begründung: die „bisher gemachte politische Arbeit“. Weitere Kontaktversuche seitens „Tacheles“ wurden in der Folge ignoriert. Dann der 7. Oktober 2024: Ein Jahr nach dem größten Massaker an Jüdinnen und Juden nach der Shoa starteten die KritOWo laut Programm mit einem Sektempfang um 12 Uhr. Der Programmpunkt wurde bei Instagram dann zwar wieder gelöscht, ist aber an Zynismus wohl nicht zu überbieten.

Wie es also innerhalb der organisierten Studentenschaft mit Antisemitismuskritik und Solidarität mit jüdischen Menschen aussieht, ist offenkundig. Auch sonst ein ähnliches Bild: An einem Strassenschild in der Nähe des Hauptgebäudes ist erkennbar ein „bring them home now“ Sticker von einem anderen verdeckt, auf dem „hier wurde genocide propaganda überklebt“ geschrieben steht. Vor allem im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, der Zentralbibliothek der Universität, bekommt man jeden Tag verschiedenste Menschen zu Gesicht, die aufdringlich ihr Pali-Tuch, die schwarzweiße Kufiya tragen. Das ist beinahe zur Normalität geworden und sorgt durchaus für eine unangenehme Grundstimmung. Hier fühlt man sich nicht sicher, wollte man offen jüdische Symbole tragen oder sich als israelsolidarisch outen. In der Bibliothek wäre das wohl auch kaum möglich. In der Nähe zu universitären Einrichtungen erst recht nicht, aber auch in großen Teilen des Berliner Stadtbildes halten sich israelsolidarische Sticker nicht lange. Vielmehr sind zerkratze oder übermalte Davidsterne gang und gäbe. Es geht so weit, dass auch das „israeli“ in „believe israeli women“ feinsäuberlich ausgeschabt wird.

Humboldt Universität Foto: Laurin

Diese Tatsache bringt einen zurück zum anfangs genannten Slogan „solidarity does not need your antisemitism“. So startete die Soliparty der Hoschulgruppe „Tacheles“ am vergangenen Samstag mit einem Podium zu Antisemitismus in queerfeministischen Diskursen. Die Antisemitismusforscherin Merle Stöver und die queer-jüdische Aktivistin Rosa Jellinek stellten dabei heraus, dass bei einem Großteil der vergangenen queerfeministischen Demos in Berlin der Grundsatz galt: „#metoo unless you’re a Jew“.[1] So sei die jüdische Frau in diesen Narrativen die weiße Siedlerfrau, die sexualisierte Gewalt am 7. Oktober erfunden habe, um den unterdrückten Mann anzuzählen. Exemplarisch wurde der Dyke* March aus dem Jahr 2024 erwähnt, bei dem teilweise mehr Palästinaflaggen als Regenbogenflaggen zu sehen waren. Stöver und Jellinek sprechen von „Gefahr für Leib und Leben, wenn man jüdisch, zionistisch oder antisemitismuskritisch ist.“ Und das ist eben auch im linken politischen Spektrum der Fall.

Umso wichtiger, dass sich mit Tacheles eine „emanzipatorische linke Gruppe“- wie sie sich selbst bezeichnen –  den „Kampf gegen Antisemitismus an der Universität“ auf die Fahnen geschrieben hat. Dabei wollen sie „Antisemitismus- und Rassismuskritik nicht gegeneinander ausspielen, sondern progressiv zusammen denken.“ Mittlerweile gibt es auch an der Freien Universität, der Technischen Universität und der Alice Salomon Hochschule jeweils einen Ableger der Gruppe. Es sind wenige, die sich an Universitäten gegen Antisemitismus engagieren, die anschließende Party war im engen Kreis, aber trotzdem richtig gut.
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Unser Autor, Kjell Richard, Jg 1997, studiert an der Humboldt-Universität zu Berlin

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