
Es gibt Tage, da könnte man an der Politik in diesem Land regelrecht verzweifeln. Der gestrige Sonntag war wieder so einer. Und damit meine ich gar nicht das NRW-weite Ergebnis mit dem erschreckend guten Abschneiden der AfD.
Auch bei mir vor der Haustür kam ein Resultat zustande, aus dem man als kritischer Bürger und langjähriger Beobachter der Szene nicht so recht schlau wird. In der Pleite-Stadt Waltrop (Kreis Recklinghausen) kehrte man trotz desaströser Finanzlage in der Stadtkasse mit einem gefühlten Salto rückwärts zu Verhältnissen zurück, wie man sie seit rund 30 Jahren nicht mehr gesehen hatte – und signalisierte damit nach außen, dass die Bürger vor Ort offenbar resigniert haben und sich mit einem fröhlichen „Weiter so“ in ihr trauriges Schicksal ergeben.
Es ist kaum zu erklären, dass die SPD in Waltrop nach Jahren der Misswirtschaft und Enttäuschungen, die sich in der großen Mehrheit der vergangenen 50 Jahre wiederholt haben, mit 48,07 Prozent fast zur absoluten Mehrheit im Rat zurückkehren konnte – wie es sie zuletzt in meiner Kindheit und Jugend in den 1970er- und 1980er-Jahren gab. Noch erstaunlicher: SPD-Bürgermeister Marcel Mittelbach wurde nach fünf unscheinbaren Jahren an der Spitze der Verwaltung (bei immerhin drei Gegenkandidaten) sogar mit unglaublichen 75,05 (!) Prozent der Stimmen im Amt bestätigt.
Von Wechselstimmung, von Protest gegen den ungebremst fortschreitenden Niedergang der Stadt (schon 2020 Platz 8 unter den Städten in NRW mit der höchsten Pro.Kopf-Verschuldung), war im Wahlergebnis nichts, aber auch rein gar nichts zu sehen. Ganz im Gegenteil: Die Waltroper zementierten an der Wahlurne die bestehenden Verhältnisse und ließen Mittelbachs Konkurrenz alt aussehen. Nur das erschreckend gute Ergebnis der AfD mit 16,19 Prozent ließ ein gewisses Frustpotenzial erkennen.
All das steht im krassen Widerspruch zur Stimmung in der Stadt. Menschen, mit denen man im Alltag spricht, geben sich zunehmend frustriert und verärgert über die Lokalpolitik im Rathaus. Im Wahlergebnis spiegelt sich das jedoch nicht wider. Das lässt am Tag nach der Wahl eigentlich nur einen erschreckenden Schluss zu: Die Bürger in Waltrop haben sich mit der schlechten Situation abgefunden und beim Kampf um eine bessere Zukunft ihres Wohnortes zu großen Teilen resigniert.
Wenn es inzwischen reicht, im Bürgermeisteramt keine gravierenden Fehler zu machen, alle paar Tage mal als netter „Grüßonkel“ in der Lokalzeitung aufzutauchen und auch sonst im Alltag ein freundlicher Kerl zu sein – so wie es Marcel Mittelbach offenbar zuletzt gelungen ist –, dann ist das aus meiner Sicht ein bitteres Armutszeugnis für den Zustand der politischen Szene vor Ort.
CDU-Bewerber Christian Hoppe kam lediglich auf peinliche 12,8 Prozent. Und das, obwohl die CDU noch bis vor fünf Jahren mit Nicole Moenickes den Chefsessel im Rathaus innehatte. Inzwischen ist die Partei in Waltrop, die es bei der Ratswahl immerhin noch auf 20,68 Prozent brachte, chancenlos, wie es scheint. Man mag sich gar nicht ausmalen, wie das Ergebnis der Christdemokraten ausgesehen hätte, wenn auch die AfD, die in Waltrop erstmals zur Kommunalwahl antrat, einen Bürgermeisterkandidaten nominiert hätte.
Das überraschende Fazit: Waltrop ist ab sofort, ganz gegen den Landestrend, wieder eine „rote Hochburg“ – und so recht weiß heute eigentlich keiner, warum. Mittelbach und seinen Mitstreitern wird es auf den ersten Blick natürlich sehr recht sein. Mit einem Triumph in dieser Deutlichkeit hätten wohl selbst sie nicht gerechnet.
Die Tatsache jedoch, dass die Bürger in Waltrop offenbar zu großen Teilen resigniert haben und nicht mehr an eine bessere Zukunft zu glauben scheinen, dürfte auch ihnen bei näherer Überlegung nicht gefallen.
Traurige Zeiten!
