Merz-Drama: Der neue Bundeskanzler ist schon beschädigt

Friedrich Merz, CDU (Foto: Roland W. Waniek)

Skeptiker hatten es kommen sehen, aber man war geneigt, sie für Schwarzseher zu halten, wenn nicht sogar für Verschwörungstheoretiker. Aber nun ist es tatsächlich geschehen: Friedrich Merz ist im ersten Wahlgang gescheitert, Deutschland war nur einen kleinen Schritt entfernt von einer veritablen Staatskrise. Im zweiten Wahlgang hat es dann geklappt. Statt 310 Abgeordnete stimmten nun 325 für Friedrich Merz, der damit neuer Bundeskanzler ist.

Niemand weiß es natürlich genau, aber die 18 Stimmen-Spieler aus dem ersten Wahlgang dürften vermutlich mehrheitlich bei den SPD-Linken zu finden sein. Hier gibt es die größten Ressentiments gegen Merz, hier mag sich auch innerparteilich einiges an Enttäuschung angesammelt haben, nachdem SPD-Parteichefin Esken bei der Postenvergabe leer ausging. Aber wie auch immer: Im dritten Jahr der Wirtschaftskrise, in einer außen- und militärpolitischen Umbruchsituation ohne Beispiel war dies der falscheste Zeitpunkt, um sich unter dem Schutz der geheimen Wahl als Heckenschütze zu betätigen.

Friedrich Merz ist jedenfalls beschädigt, noch bevor die neue Regierung ihre Arbeit aufgenommen hat. Das gilt, obwohl die meisten Heckenschützen aus den eigenen Reihen offensichtlich nur einen Denkzettel verteilen wollten und im zweiten Wahlgang zur Vernunft zurückfanden. Der Schaden ist aber in jedem Fall angerichtet, das Signal ist fatal. Denn bei wichtigen und umstrittenen Abstimmungen muss die neue Bundesregierung auch künftig jederzeit mit einer Zitterpartie rechnen.

Dass dieser zweite Wahlgang möglichst noch am Dienstag (6.5.) stattfinden sollte, bestätigten am Mittag vertraulich mehrere Beteiligte in der CDU. „Wir bitten alle, unbedingt in fußläufiger Nähe des Reichstages zu bleiben, es kann binnen relativ kurzer Frist zu Sitzungen kommen“, bekamen die CDU-Bundestagsabgeordneten es von ihrer Fraktionsführung schriftlich. Gegen 14 Uhr folgte dann die Bestätigung: Um 15.15 Uhr wurde der zweite Wahlgang anberaumt. „Es wird vollständige Anwesenheit erwartet!“ Nun ja, was auch sonst.

Den zweiten Wahlgang beschließt der Bundestag einstimmig, mit den Stimmen auch der AfD. Damit ist mehr als nur die Zweidrittel-Mehrheit zusammengekommen, die nötig gewesen ist, um kurzfristig ein zweites Mal abstimmen zu können. Auf die Frage, ob er optimistisch ist, dass die Abweichler mit der ersten Runde ihr Mütchen gekühlt haben, sagt ein CDU-Abgeordneter.  „Ja. Aber sicher weiß man es ja nie…“

Nach einem erneuten Scheitern wäre ein Szenario denkbar gewesen, dass die CDU eiskalt ausgebootet wird – so wie manche Konservative bereits fanden, die CDU habe sich bei den Koalitionsverhandlungen hoffnungslos über den Tisch ziehen lassen. Wäre es tatsächlich zu einem dritten Wahlgang gekommen, wäre jedenfalls alles offen gewesen – und keinesfalls wäre dann sicher gewesen, dass der nächste Bundeskanzler ein Christdemokrat ist, geschweige denn, dass er Friedrich Merz hieße.

Es gab von den besagten Skeptikern schon länger Warnungen, dass sich SPD, Grüne und Linke in einem solchen Fall hinter den Kulissen auf einen Sozialdemokraten als Kanzlerkandidaten einigen könnten. Da in einem dritten Wahlgang eine einfache Mehrheit ausreicht, hätte ein solcher Kandidat eine reelle Chance gehabt, Bundeskanzler zu werden, selbst wenn CDU und AfD geschlossen gegen ihn oder sie stimmen würden. Da CDU und AfD bis auf weiteres aus den bekannten Gründen keine positive Mehrheit zustande brächten, wäre die Bahn frei gewesen.

Die dann zu bildende Bundesregierung hätte allerdings keine Mehrheit im Parlament gehabt, jede Abstimmung um Sachfragen könnte scheitern. Konnte man sich das vorstellen, in einer solchen weltpolitischen Situation? Schwerlich. Aber seit dem morgendlichen Desaster vom 6. Mai 2025, seit diesem historischen Tag erschien nichts mehr unmöglich – letztlich setzte sich aber dann doch so etwas wie staatspolitische Verantwortung durch.

 

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