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Neugier? Rassismus? Oder wenn Menschen sich treffen …

Demonstration gegen Rassismus in St. Paul, Minnesota Foto: Fibonacci Blue CC BY 2.0

Unser Gastautor Horst Kläuser hat sich Gedanken über Rassismus gemacht.
Ich war ein paar Tage im Krankenhaus. Einer der behandelnden Ärzte  war besonders sympathisch, mir zugewandt, erklärungsbereit, humorvoll, geduldig und offensichtlich sehr kompetent. Das sind im Allgemeinen die Dinge, die man an Ärzten schätzt. Er war nicht mein Operateur, aber dabei. Seine Hautfarbe war dunkler als meine, seine Haarfarbe und -struktur anders als meine, er hatte einen kleinen Akzent, hinter der Maske sah ich nur seine lebendigen, dunklen Augen. [ich habe übrigens während “Corona” viel besser gelernt, Mimik an den Augen, den Lidern, den Fältchen herauszulesen und kann Lächeln ad hoc feststellen …]. Er war, so sagt man ebenso platt wie verständlich, ein netter Kerl. Und er kam “von woanders her”…
Geübt in anti-rassistischem Verhalten fragte ich ihn, ob er aus Solingen stamme. Nein, aus Bonn, sagte er, und sofort sprudelten noch eine ganze Reihe unerfragter, gleichwohl schöner Details aus seinem Privatleben hinterher, die ihn noch freundlicher und menschlicher werden ließen.

Schnitt. OP. Gut verlaufen. Tut hier aber weniger zur Sache. Mein weiter oben bereits vorgestellter Doktor kam oft ins Zimmer, immer waren die Gespräche angenehm.
Heute Abschied. Auch hier war er länger da, wünschte mir alles Gute, gab mir – fast “unerhört” in diesen Monaten, aber bei Dauerdesinfektion in der Klinik gewiss risikolos – die Hand. Und dann doch: beim Blick auf sein Namensschild, musste ich fragen, nicht als Journalist, als Mensch, als einer, der sich gern den guten Arzt merken wollte, der ein angenehmer Begleiter im Krankenhaus war. Vermutlich aus dem muslimischen Kulturkreis. “Türkisch” fragte ich fast zaghaft, weil ich ja weiß, dass man nicht nach der Herkunft von Menschen fragen sollte. “Nein” strahlte er mit den Augen: “Syrisch. Das heißt syrisch und amerikanisch.” Die weiteren Details sind hier nicht wichtig, außer, dass er in Syrien geboren wurde, lange in USA lebte und nun hier – ich kann es mir nicht verkneifen: Deutsche heilt.

So weit, so wenig berichtenswert.

Was mich umtreibt, ist die völlig entspannte Normalität unserer Begegnungen und die Selbstverständlichkeit sowohl meiner Fragen als auch seiner Antworten. Da frage ich nach Herkunft, Heimat, Wurzeln – was auch immer. Nicht um ihn einzuordnen und ihn in ethnische Schubladen zu stecken, sondern weil es mich interessiert. Weil da ein Mensch steht, über den ich mehr wissen möchte.

Ich bin kein Rassist.

In Sachen Hautfarben sogar farbenblind. Aber so wie ich natürlich auch Deutsche aus anderen Ecken unseres Landes frage, woher sie kommen (bisweilen verraten sie sich durch Dialekt), möchte ich auch Menschen von “Gott-weiß-woher” fragen dürfen, woher sie kommen. Warum? Weil ich mich für Menschen interessiere, weil ich dieses Interesse an meinem Gegenüber auch dokumentieren will. Mir sind Menschen nicht egal. Und die Frage nach dem Woher ist oft der Einstieg in wunderbare Unterhaltungen, eine Gelegenheit, Parallelen, Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Neues kennenzulernen. Um das zu Unerlebte erleben, das Wunder der menschlichen Vielfalt wahrzunehmen, fragt man, deshalb spricht man miteinander. ich jedenfalls.

Und ja. Ich verstehe den in Gelsenkirchen geborenen Schwarzen, der Tag für Tag gefragt wird, wo er den herkomme, obwohl er “dat” und “wat” sagt und nie in seinem Leben in Ghana war. Ich hake dann auch nicht nach, wenn ich den Eindruck habe, es störe ihn.
Meine Erfahrung lehrt aber – und das nicht nur in Deutschland – das viele, die meisten Menschen gern erzählen, wo sie herkommen, vielleicht auch auf Umwegen. Sie sind stolz auf sich, ihre Wurzeln, ihre Geschichte. Menschen wollen teilen: ihre Lebensgeschichten, ihre Probleme, ihr Glück. Diese Geschichten haben keine Hautfarbe, sie sind Teil von uns, Teil von dem, was uns ausmacht. Sie unterscheiden uns und können uns zusammenführen. Ich finde das schön.

Und jetzt kommt’s. Hinter jeder Frage nach dem “Woher” gleich Rassismus zu vermuten, ist etwa so intelligent, wie hinter jedem freundlichen Kompliment einen Vergewaltigungsgedanken zu entdecken.

Ich gestehe, dass ich neugierig bin, beruflich als Journalist, aber 64 Jahre lang vor allem als Mensch. Und wer meint, ich sei Rassist, wenn ich Menschen frage, woher sie kommen, wird mich mal kennenlernen, als einen Typen mit einem gewaltigen Migrationshintergrund.

Übrigens: ich bin wirklich froh, dass so viele, viele Menschen aus anderen Teilen der Erde hier bei uns ihre neue Heimat gefunden haben.

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Helmut Junge
3 Jahre zuvor

In jedem Urlaubsland südlich der Alpen falle ich wegen meiner leicht helleren Haut auf. Deshalb bin ich etlichemal von dort einheimischen Menschen gefragt worden, woher ich komme. Das ist freundliche Neugierde. Wenn sich Leute, die sich selber als POC (people of color) verstehen, oder sich zu Anwälten dieser Personen ernennen, darüber empören, daß gefragt wird, weil das ja den so Gefragten immer wieder vor Augen halten würde, daß sie anders aussehen, als die Einheimischen, ist das unlogisch. Wer sich selber so nennt, oder sich zum Anwalt aufwirft, weiß es und bekennt sich zu seiner Migrationsgeschichte. Ich frage seit einiger Zeit aber nicht mehr danach, weil einige wenige Spinner das Netz mit Haßparolen vollpfropfen, falls jemand fragt. Eines Tages drehen die den Spieß womöglich um und werfen mir Desinteresse vor. Je nachdem, was besser ihrem Geltungsdrang entspricht. Ich fasse mal zusammen. Ich kenne weder einen POC persönlich, der sich jemals bei einer sochen Frage beleidigt gefühlt hätte, noch kenne ich einen der selbsternannten Anwälte persönlich, der auch noch offen auftreten würde. Beide kenn ich nur aus dem Netz. Zahlenmäßig dürften beide Personengruppen verschwindent klein sein, aber im Netz sind sie offenbar mächtig, wenn auch dort fast immer anonym.

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
3 Jahre zuvor

Ich halte die Aufregung um die Frage "Woher?" für künstlich, leicht durchschaubare Selbstbeweihräucherung von Antirassisten und Klickbiten bei der einschlägigen Community, die sich einmal mehr in völliger Gedankenlosigkeit selbst als besonders erleuchtet abfeiern will.

Die Frage "woher?" ist für jedermann und jede Frau in einer fremden Umgebung Alltag.
Zu trennen ist diese Alltagsfrage von einem rein wörtlich kaum zu differenzierenden Verhör-Woher, das nach der eigentlichen Herkunft fragt, um Distanz zu schaffen.
Selbst die Frage nach dem eigentlich-woher kommt meiner Erfahrung nach immer dann gut an, wenn dahinter ein Interesse an der Person und der Wunsch eines Kennen- und Lernenwollens erkennbar ist.

Menschen die eine grundsätzliche Angst vor einem "Woher? haben, so würde ich mit meiner persönlichen Erfahrung unterstellen wollen, wenig praktische Erfahrung in inhaltlich bereicherndem interkulturellen Dialogen.

Susanne Scheidle
Susanne Scheidle
3 Jahre zuvor

@ Helmut Junge
Ich denke, das kann man nicht ganz vergleichen. Am Urlaubsort fällst Du auf, weil Du eine andere Sprache sprichst bzw. die Landessprache wahrscheinlich mit einem Akzent und mit großer Wahrscheinlichkeit bist Du an einem Ort, wo üblicherweise viele andere Touristen sind.
Möglicherweise kommt es auch darauf an, wie die Frage formuliert wird. Nehmen wir mal an, ein POC spricht mich auf der Bahnhofstraße in Gelsenkirchen in breitestem Bayrisch an, dann wird die Frage: "Wie kommt denn ein Bayer ausgerechnet nach Gelsenkirchen?" vermutlich nicht übel genommen.
Anders die direkte Frage: "Wo kommen sie her?" Die könnte tatsächlich auch bedeuten, du bist ein Exot, vielleicht ganz nice, aber gehörst nicht eigentlich hier her… und ich kann schon verstehen, dass jemand, dem das dauernd passiert, irgendwann nur noch genervt ist.
Sich an das Thema rantasten ist wahrscheinlich der Königsweg.

Berthold Grabe
Berthold Grabe
3 Jahre zuvor

Ich möchte den Autor nur fragen wie er reagieren würde, wen nach den Vorfällen in Köln er abends einer Gruppe farbiger junger Männer begegnet wäre die zu laut sind und sich einer Frauengruppe nähern.
Gemäß Empörungsritutal ist eine ablehnende vorsichtige Haltung schon Rassismus.
Aber Menschen reagieren nun mal so auch dann, wenn noch Tage vorher der Arzt als Ausländer kaum wahrgenommen wurde.
Jetzt kommt eine damals noch ideologisch verursachte untätige Polizei hinzu und fehlende Konsequenzen.
Und eine paar Brandstifter hüben wie drüben, also Rassisten und Antirasssiten.
Nur das kriminelle Problem wird zumindest gefühlt nicht gelöst.

Helmut Junge
3 Jahre zuvor

@Susanne Scheidle "Ans Thema rantasten". ich bin als Mann über viele Betroffenheiten nicht so leicht zu erreichen wie die meisten Frauen, weil ich schlimmere Schicksale kenne und diese irgendwie sortieren muß.
Vielleicht ist das eine Erklärung. Denn als ich in Gelsenkirchen gewohnt habe, hab ich schon ähnlich gedacht wie jetzt. An Gelsenkirchen und der Bahnhofstraße, auf der ich vor unendlich langer Zeit viele Diskussionen über die Weltrevolution und andere wichtige Dinge, nur nicht über POC, geführt hatte, liegt es damit definitiv nicht.
Ich kenne übrigens nur eine POC persönlich. Das ist die Adoptivtochter unserer besten Freunde. Die ist aber psychisch so robust, daß sich niemand traut, ihr blöde zu kommen, hat sie mir jedenfalls mal gesagt.
Außerdem trägt sie manchmal Dirndl wie eine Bayerin. Aber vielleicht sind wir auf einer Linie, daß wir beide eingreifen würden, wenn wir Zeuge eines "Verhör-Woher" wie @Wolfram es formuliert hat, würden. Aber wie ich es oben schon gesagt habe, kenne ich solche Situationen nur aus der Literatur, bzw aus dem Netz. Auch deine Beispiele sind ja theoretische Konstruktionen.

Petra 42
Petra 42
3 Jahre zuvor

Viele Kulturen, viele "erste Fragen"…
Viele Latinos amüsieren sich, dass Europäer als eine der ersten Fragen beim kennenlernen haben "Was machst Du beruflich?!
Das würde man in Ihrer Mentalität und Kultur nie fragen und es wird FAST als unhöflich betrachtet.
In Europa ist das eine übliche Frage…

Ähnliche Phänomene USA vs. Europa. In den USA kann man unbefangen beim kennenlernen über sein Einkommen reden. In Europa eher unerwünscht und unüblich.

Die Frage "Woher kommst Du?" zeugt in erster Linie von Interesse und ist nichts schlimmes…

paule t.
paule t.
3 Jahre zuvor

Zitat: "Ich verstehe den in Gelsenkirchen geborenen Schwarzen, der Tag für Tag gefragt wird, wo er den herkomme, obwohl er “dat” und “wat” sagt und nie in seinem Leben in Ghana war. Ich hake dann auch nicht nach, wenn ich den Eindruck habe, es störe ihn."

Wenn Sie das verstehen und deswegen PoC tatsächlich nicht auf andere Art (penetranter, häufiger, früher, die Antwort nicht akzeptierend) fragen, als sie andere Leute fragen, ist doch alles gut, und kein vernünftiger Mensch wird etwas dagegen haben. Ich verstehe daher den Sinn des Artikels nicht.

Als Problem gesehen wird derlei doch idR nur, wenn die Art des Fragens erkennen lässt, dass die befragte Person hier nicht als gleichermaßen zugehörig betrachtet wird wie andere Leute. Und das erleben PoC nun mal tagtäglich. Ich erinnere nur an das kleine Mädchen bei Dieter Bohlen, dessen Antwort "aus Herne" (so meine ich mich zu erinnern) so penetrant nicht akzeptiert wurde, dass das Mädchen ganz verwirrt war und gar nicht wusste, warum der Mann ihr denn nicht glaubt …

Zitat: "In Sachen Hautfarben sogar farbenblind."

Ich halte das für eine Illusion. In unserer Gesellschaft gibt es nun einmal rassistische Vorstellungen, an denen niemand vorbeikommt und die dazu führen, dass man die rassistische Kategorisierung idR sehr wohl mitbekommt. Die Frage ist nur, ob man sich dessen bewusst ist und kritisch und selbstkritisch damit umgehen kann und will.

Ihr ganzer Artikel zeugt übrigens davon, dass Sie die Hautfarbe des gegenübers sehr wohl mitbekommen haben und deswegen über ihr Verhalten ganz anders nachgedacht haben, als sie es bei einer Begegnung mit einer weißen Person getan hätten.
Das ist kein Vorwurf (mir geht es oft genug genauso), aber es zeigt eben, dass man auch mit dem besten Willen, sich nicht rassistisch zu verhalten, nicht "farbenblind" sein kann.

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