Polemik und Morddrohungen: Erschütternde Reaktionen auf Gaza-Kommentar

Gaza 2023 Foto Fars Media Corporation Lizenz: CC BY 4.0 DEED


Viele Wochen ist es nun her, dass ich in meinem Kommentar „Die Menschen in Gaza“ für eine differenzierte, kritischere Sicht auf die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen plädiere, die man meiner Ansicht nach nicht einschränkungs- und vorbehaltlos und schon gar nicht ausnahmslos als unbeteiligte Leidtragende im wiederentflammten Nahost-Konflikt bezeichnen darf, so wie dies in den medialen Echokammern hierzulande oft der Fall ist. Von unserem Gastautor Tobias Huch.

In diesem Meinungsbeitrag stellte ich fest, dass die strikte und trennscharfe Unterscheidung zwischen „Zivilisten in Gaza” und der Terrororganisation Hamas, wie sie in der westlichen Öffentlichkeit praktiziert wird, leider zu naiv ist. Denn zur Wahrheit gehört, dass sich Zivilisten aus Gaza aktiv an den Morden, Vergewaltigungen und Entführungen der Hamas beteiligten, deren Zustimmung im Gazastreifen regelmäßig bei zwei Dritteln der Bevölkerung und mehr liegt. Dass diese Personen im Moment ihrer Beteiligung faktisch keine Zivilisten mehr sind, wird gerne zur Ablenkung von den Fakten angeführt – ein schmutziger Taschenspielertrick.

Im Lichte dieser bitteren Tatsachen stellte ich lediglich fest, dass es naiv wäre, alle Zivilisten in Gaza in Abgrenzung zur militärisch-aggressiven Hamas pauschal als friedfertig einzustufen. Beim Unterstützeranteil der Zivilisten in Gaza habe ich mich ausschließlich auf Zahlen der Agenturen Reuters und AP berufen, diese sogar zugunsten der Bevölkerung heruntergerechnet. Natürlich gibt es auch viele Bewohner Gazas, die den Terror ablehnen, doch die Mehrheit unterstützte ihn. Kinder spielen in diesen Umfragen selbstverständlich keine Rolle. Diese werden nicht gefragt. In keiner Umfrage dieser Art weltweit werden Kinder befragt. Kinder dann anzuführen, erinnert stark an Hamas-Propaganda-Taktik. Ich erlaubte mir daher die persönliche Schlussfolgerung, dass es natürlich keine Sippenhaftung und erst recht nicht Kollektivschuld, aber durchaus eine kollektive Verantwortung gibt, von der man die Bevölkerung von Gaza nicht einfach freisprechen könne.

Leider zeigen einige Reaktionen, die ich auf diesen Kommentar erhielt, und all das, was danach passierte, in welchem bestürzenden Ausmaß der öffentliche Diskurs in diesem Land verroht ist.

Es begann mit einer Replik Ronen Steinkes (bekannt von der „Süddeutschen Zeitung“) in der er mir vorsätzlich Worte in den Mund legte, die ich nie gebraucht habe, und meine Aussagen verdrehte. So unterstellte er mir, die „unausgesprochene Konsequenz“ meiner Ansichten sei es, „dass diese ganze Bevölkerung von mehr als zwei Millionen Menschen im Krieg ein legitimes Ziel sei“. Das ist schäbig und bösartig. Wer aus meinem Kommentar diese Schlussfolgerung zieht, hat ihn offenbar nicht verstanden (wenn überhaupt gelesen) und will auf einer billigen Empörungswelle reiten. Steinke warf mir ferner „menschenverachtende Polemik“ vor (ohne das Attribut „menschenverachtend“ darf jegliche Kritik an Was-auch-immer heute anscheinend nichts mehr daherkommen und dass ich den Unterschied zwischen Kombattanten und Zivilisten, der im Krieg „elementar“ sei, verwischen würde. Außerdem polemisierte er seinerseits mit der Frage: „Wie viel Lust an Provokation und wie wenig Neigung zu ernsthaftem Nachdenken muss man haben, um diesen Unterschied einfach wegzuwischen?“.

Die Enthüllungen über die gesicherte Mitwirkung von UNRWA-Mitarbeitern und als Journalisten getarnte Hamas-Anhänger bei dem Terrorangriff vom 7. Oktober zeigen ja gerade, wie fließend die Übergänge zwischen vermeintlichen Zivilisten und Hilfskräften einerseits und Terroristen andererseits in diesem Konflikt sind. Vielleicht sollte Steinke darüber einmal anfangen nachzudenken.

Perfide Zuschreibungen waren aber nicht die einzigen Reaktionen auf meinen Text. Auch diverse Fake-News-Portale und vom Verfassungsschutz überwachte Islamisten nahmen diesen zum Anlass, Hass und Hetze zu verbreiten und schreckten dabei auch nicht vor justiziablen Falschbehauptungen zurück. Auch hier wurden mir nie getätigte Aussagen untergeschoben – wie etwa die, ich hätte eine „Kollektivbestrafung der Zivilbevölkerung Gazas verlangt, oder mir sei das Schicksal von „Tausenden von getöteten Kindern und Säuglingen in Gaza“ gleichgültig. Wer mir so etwas unterstellt, betreibt letztlich das Geschäft der Hamas und leistet der Täter-Opfer-Umkehr Vorschub.

Als Resultat dieser Hetze, dieses absichtlichen Missverstehens meiner Worte prasseln in den letzten Wochen wiederholte Morddrohungen nicht nur auf mich, sondern auch meine Eltern ein. Meine Familie musste durch den polizeilichen Staatsschutz betreut werden, weil ich – wohlgemerkt im Rahmen eines völlig zulässigen Kommentars, der detailreich und abwägenden abgefasst war – etwas ausgesprochen habe, was manchen Leuten nicht ins Weltbild passt. Dabei kann eigentlich kein intelligenter Mensch meine Worte dermaßen falsch verstehen – außer er wäre bösartig und will eine eigene Agenda durchsetzen.

Ich habe den Bürgern von Gaza keine Schuld zugewiesen, wohl aber eine Mitverantwortung. Zwischen Schuld und Verantwortung gibt es einen großen Unterschied. So tragen etwa die Deutschen der 1930 und 40er Jahre sicherlich keine kollektive Schuld am Holocaust, sehr wohl aber eine kollektive Verantwortung für das Geschehene.

Zu einem langfristigen Friedensprozess im Nahen Osten gehört auch Ehrlichkeit, denn jedes Fundament von Lügen wird unweigerlich zusammenbrechen. Die Menschen, die die Wahrheit offen aussprechen, sind diejenigen, die wirklich Frieden und Versöhnung wollen. Alles andere wäre Gratismut, Heuchelei und das Heischen nach billigem Zuspruch. Niemand will tote Zivilisten und schon gar keine Kinder. Dass man überhaupt ständig die „Kinder von Gaza“ in absichtsvoller Verklärung in die Diskussion einbezieht, dient allein einer plumpen Emotionalisierung und greift überdies direkt die Propagandamethoden der Hamas auf, die nicht einmal den Bezug zum jüdischen Ritualmord an Kindern („Kindermörder Israel“) scheut.

Während die Kollateralschäden im Zuge eines nicht nur legitimen, sondern erwartbaren (und sogar bewusst provozierten) israelischen Verteidigungskampfes als Kriegsverbrechen gewichtet oder gar zum „Genozid“ umgedeutet werden, werden umgekehrt die Verbrechen der Hamas und ihrer Komplizen permanent geleugnet, relativiert oder einfach verschwiegen, obwohl es für diese eindeutige Beweise gibt – im Gegensatz zu den gezielt verbreiteten Fake-News der Hamas oder auch der Senders Al-Jazeera und TRT zu Gaza (man denke nur an das frei erfundene israelische Bombardement des Al-Ahli-Krankenhauses).

Aus meiner Sicht liegt dieser verzerrten Darstellung nichts anderes zugrunde als ein latenter oder offener Israelhass mit teils antisemitischen Zügen. Man tut so, als agiere Israel aus blindwütiger Kriegslust mit zügelloser Brutalität, ohne den Grund für die Militäraktion zu erwähnen, der einzig und allein die Barbarei der Hamas ist. Wer so argumentiert, verfällt in das gleiche Muster wie die Relativierer der NS-Verbrechen, die stets nur die Opfer der alliierten Bombenangriffe aufzählen, dabei aber unterschlagen, dass diese eine direkte Folge des verbrecherischen Angriffskrieges der Nazis waren. Ursache und Wirkung werden so völlig voneinander getrennt.

Nochmals: Israel verfolgt definitiv nicht das Ziel, Zivilisten zu töten. Es geht allein darum, die terroristische Infrastruktur der Hamas zerstören, um zu verhindern, dass sich weitere Massaker wiederholen. Die Armee warnt die Bevölkerung von Gaza vor Bombenangriffen und verwehrt ihnen auch nicht die Rückkehr in ihre Heimat, wenn die Kampfhandlungen abgeschlossen sind. Vielmehr ist es umgekehrt die Hamas in ihrer Menschenverachtung, die die eigene Bevölkerung mit voller Absicht in militärischen Zielen unterbringt und die daraus unvermeidlich resultierenden Opfer dann skrupellos propagandistisch ausschlachtet. Wer das nicht sehen will und Israel zum Täter und Kriegsverbrecher erklärt, betreibt das Geschäft der Hamas.

Eine aktuelle Umfrage in 16 arabischen Ländern hat kürzlich ergeben, dass 67 Prozent der Araber in dem Hamas-Massaker eine legitime Widerstandsaktion sehen. Die Unterstützung Israels durch die USA und europäische Länder wie Frankreich, Deutschland oder Großbritannien wurde mit überwältigenden Mehrheiten abgelehnt. 92 Prozent der Befragten erklärten, dass die Palästina-Frage nicht nur die Palästinenser, sondern „alle Araber” betreffe. Der Rückhalt für den Terror gegen Israel wird also von weiten Teilen der arabischen Welt voll unterstützt. Das ist die Folge der Propaganda in diesem „Krieg der Bilder“.

Nicht einmal der Internationale Gerichtshof, von dem Südafrika als de facto Vertreter der Hamas und eine Reihe anderer israelfeindlicher Staaten einen „Völkermord“ in Gaza feststellen lassen wollten, wollte Israel das Recht auf militärische Selbstverteidigung absprechen, und forderte das Land eben nicht zum Ende seines Militäreinsatzes in Gaza auf. Stattdessen urteilte der IGH, dass die in Gaza befindlichen Geiseln (untergebracht bei Hamas, anderen Terrorgruppen und „Zivilisten“) sofort und bedingungslos freizulassen seien. Die Hamas verweigert sich diesem Urteil und Südafrika sieht sich auch nicht verpflichtet auf die Hamas einzuwirken. Es sind ja nur israelische Zivilisten.

Ein wenig Hoffnung gibt es aber auch, denn so ordnete vor wenigen Tagen der österreichische Journalist Simon Hadler für den ORF auch meine Sichtweise in einer sehr fairen, aber dennoch kritischen Form ein. Und im SPIEGEL-Spitzengespräch stellte der Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen Philipp Peyman Engel am Mittwoch klar, dass die von SPIEGEL-Redakteur Markus Feldkirchen kritisch gesehenen Textpassagen in meinem Kommentar schlicht der Wahrheit entsprechen und durch seriöse Quellen eindeutig zu belegen sind. Nicht alles, was als so genannte Extremposition wahrgenommen wird, muss falsch sein. Es kann auch schlicht und einfach extrem ehrlich sein.

Zusammenfassend kann man sagen: Vielleicht gibt es so etwas wie einen „gerechten Krieg“ nicht, aber es gibt das Recht auf die eigene Existenz, das Recht auf Selbstverteidigung. Israel hat die derzeitige Gewalteskalation nicht gewollt und nicht begonnen. Und wenn das Aussprechen all dieser unbequemen Fakten solche Reaktionen hervorruft, dann wird es auf lange Zeit keinen Frieden im Nahen Osten geben.

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CTemt
2 Monate zuvor

Ich stimme mit Ihrer Meinung überein, dass es so etwas wie „Kollektive Verantwortung“ auch für die Gazaner betreffs dem 7. Oktober gibt, aber leider war der erste Titel Ihres ausgezeichneten Artikels damals ziemlich reißerisch: „Es gibt keine unschuldigen Zivilisten“ und erst kurz später wurde er auf „Die Menschen in Gaza“ geändert. Leider haben viele nur auf diese erste Überschrift reagiert und nicht den erklärenden Text gelesen, aber Sie hätten in Ihrem Gastartikel hier auch ehrlich sein sollen und die Änderung der Überschrift erwähnen sollen!

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