Rechtsextremismus als Wohnungsannonce: Frauke Brosius-Gersdorf erklärt die AfD

Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe by Nicola Quartz 2023 cc 4.0

Warum haben rechtsextreme Konzepte „so einen enormen Zuspruch vor allem in den ostdeutschen Ländern“? Fragt Frauke Brosius-Gersdorf, Verfassungsrichterin in spe. Ihre Antwort: Sie referiert Konzepte der AfD. Zustimmend.

„Es geht mir darum, die Ursachen anzugehen, weshalb die rechen Parteien so einen Zuspruch haben“, erklärt Frauke Brosius-Gersdorf, Professorin für öffentliches Recht an der Universität Potsdam, im Juli vergangenen Jahres in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz. Sie sei dafür, dass ein Verbotsverfahren gegen die AfD beantragt werde, „wenn es genug Material gibt“, aber „die Anhänger der Parteien sind immer noch da, und die haben vielleicht immer noch ihre Gründe“, und da müsse sie „einen Appell an die Politik geben, dass sie die Probleme der Menschen ernst nimmt, dass sie die existenziellen Probleme wieder löst.“

Die AfD als politische Antwort auf existenzielle Probleme? „Wenn sie gucken“, so Brosius-Gersdorf weiter, „wo der Staat, seit er die Probleme nicht mehr löst, wo er nicht mehr Staat genug ist, da kann man auch verstehen, dass ein Stück des Vertrauens von einem Teil der Bevölkerung  –  so schlecht dann die Konsequenz ist, dass sie rechte Parteien wählen  –  verloren gegangen ist.“ Welche Probleme dies denn seien?

Die Frage stammt nicht von Lanz, Brosius-Gersdorf antwortet dennoch: „Gucken Sie mal die soziale Wohnungsnot in den Großstädten, schauen Sie, wie wenig der Staat seine eigenen Aufgaben löst wie die Digitalisierung der Verwaltung, wie die ländlichen Räume …“

Der Rest des Satzes geht im Stimmengewirr unter, dann weiter: „Und diese Ursachen müssen angegangen werden. Das heißt nicht, dass ein Parteienverbot oder die Verwirkung von Grundrechten, wenn genug Material vorläge, nicht ein guter Weg wäre.“ Aber, und das betont sie bei Lanz eine halbe Stunde später erneut, „aber man beseitigt nicht die Ursachen des Problems“.

Offenbar ist es ihr ernst mit den „Ursachen“, denen die AfD ihre Erfolge verdanke, hier ein paar Daten:

  • „Digitalisierung der Verwaltung“: Im Digitalranking der 16 Bundesländer, das der Branchenverband Bitkom für 2024 erstellt hat, liegt im Segment „Governance und Verwaltung“ das Bundesland Sachsen hinter Hamburg und Bayern auf Platz drei, Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt liegen auf den Plätzen sechs bis acht vor Nordrhein-Westfalen, Thüringen liegt vor Niedersachen und Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern vor Bremen und dem Saarland. Alles durchmischt, ganz anders bei der jüngsten Bundestagswahl, in den ostdeutschen Ländern hat die AfD, unabhängig vom Grad der Digitalisierung örtlicher Verwaltungen, durchweg knapp doppelt so viele Stimmenanteile gewonnen wie in den westdeutschen.
  • „Wohnungsnot in den Großstädten“: Von 80 Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern liegen lediglich neun in den neuen Bundesländern. Der Bedarf an Wohnungsneubau dort liegt wiederum –  den Daten des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zufolge  –  deutlich, teils drastisch unter dem in westdeutschen Ländern (ausgenommen Bremen und das Saarland). Legt man diesen Wohnungsneubau-Bedarf graphisch auf die Bundesrepublik um, wie es das BBSR getan hat, deckt sich das Bild weitgehend  –  Ausnahme: das Berliner Umland, also Brandenburg  –  mit dem der Wahlergebnisse der letzten Bundestagwahl (hier und hier): Die AfD ist am größten da, wo die Wohnungsnot am geringsten ist.
  • „Ländliche Räume“: Um welchen Zusammenhang mit der AfD es Brosius-Gersdorf hier im Lanz-Talk geht, bleibt ungesagt. Bekannt aber die Daten des Bundesforschungsinstituts für Ländliche Räume, für die Bundestagswahlen 2017 und 2021 zeigen sie, dass der Stimmenanteil der AfD in ländlichen oder eher ländlichen Gemeinden im Vergleich zu städtischen Regionen tendenziell höher liegt, dies gilt allerdings erneut eher für den Osten. In ländlichen Gemeinden West-Deutschlands liegt er nicht selten unterhalb der AfD-Gewinne in hiesigen Städten und Großstädten.

Von den „Ursachen“, die Brosius-Gersdorf nennt, greift mithin keine. Was sehr wohl greift: dass die AfD dieses „Ursachen“-Programm, das Brosius-Gersdorf im Lanz-Talk anführt, da schon längst zu ihrem eigenen gemacht hat: „Abschieben schafft Wohnraum!“ Dies die Formel, vom Kölner AfD-Mann Roger Beckamp am 13. Januar 2022 im Bundestag ausgegeben, noch ausnehmend plump. Weitergedacht der Antrag seiner Fraktion im Februar 2023: Wohnungsnot in Deutschland sei „durch die Massenzuwanderung verursacht“. Die konzentriere sich in Großstädten und Ballungsräumen, „einheimische Familien“ würden in ländliche Regionen verdrängt, die darum digital erschlossen werden müssten. Der strategische Gedanke dahinter: Migranten, die ihren Wohnort wählen können, ziehen  –  die Datenbasis dafür ist stabil  –  in westliche Bundesländer, die östlichen verfestigen sich zur Homebase der AfD. Voraussetzung dafür: über „Wohnungsnot“ lamentieren, schleppende „Digitalisierung“, abgehängte „ländliche Räume“.

Brosius-Gersdorf referiert diese Trias der AfD, sie stellt keinen Zusammenhang mit Migration her, wie die AfD es tut, betont aber ebenso, dass es „der Staat“ sei, der „die Probleme nicht mehr löst“. Und adaptiert damit eine fatale Gedankenfigur: Für sie ist, wer AfD anhängt, ein Protestwähler, der „uns“ auf seine „existenziellen Probleme“ hinweisen möchte, für die durchweg der Staat Verantwortung trage. AfD im Opfer-Status.

Der Gedanke dagegen, der naheliegend ist in einer Demokratie  –  dass, wer sich für AfD erwärmt, keine Wohnungsannonce aufgibt, sondern aus Überzeugung handeln und sich in freier Wahl für ein antisemitisches Weltbild entschieden haben könnte, für ein rassistisches Konzept, für eine sexistische Denke, für Putin-Philie und anti-westliche Wut, dieser Gedanke kommt ihr nicht in den Sinn.

Wäre aber entscheidend, würde sie, weiterhin nominiert für den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts, dort hinein gewählt. Es wäre dieser Senat, der über ein Verbotsverfahren befinden würde, käme es dazu. Und käme sie hinzu.

Noch irritierender, wie Hubertus Gersdorf, Jura-Professor an der Universität Leipzig, Ehemann und, Stichwort Plagiatsverdacht, wissenschaftlicher Partner von Frauke Brosius-Gersdorf  –  über AfD denkt. Wie der Tagesspiegel heute berichtet, hat Gersdorf der „Jungen Freiheit“, dem Zentralorgan der Neuen Rechten, Anfang Juni ein Interview gegeben, in dem er behauptet, dass ein „‚ethnisch-kultureller Volksbegriff‘ keineswegs verfassungsfeindlich“ sei. Damit argumentiere Gersdorf „völlig jenseits dessen, was in der deutschen Verfassungslehre noch seriös vertreten werden kann“, sagt dazu der Bremer Staatsrechtler Andreas Fischer-Lescano, vom Tagesspiegel befragt: Das Grundgesetz verbiete eine „ethnische Differenzierung innerhalb des Staatsvolks“, Gersdorf sei „in diesem Punkt rechtsextremer als Maximilian Krah“.

Was Gersdorf und Brosius-Gersdorf hier gemeinsam ist: dass sie, juristisch überbaut, politische Konzepte der AfD ins Denken einpflegen. Und, nimmt man Brosius-Gersdorfs Position zur Abtreibung hinzu: dass sie die Menschenwürde für antastbar halten. Brosius-Gersdorf will das Lebensrecht Ungeborener von der Menschenwürde „entkoppeln“, um es „abwägbar“ zu machen, Gersdorf das Staatsangehörigkeitsrecht. Im einen Fall geht es um Abtreibung, im anderen um „Remigration“.

Dass Brosius-Gersdorf sich dagegen wehrt, als links bezeichnet zu werden, klingt plausibel.

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Entitaet
Entitaet
3 Monate zuvor

Die im Beitrag beschriebenen Tatsachen kommen nur heraus, wenn man wie der Autor möglichst nüchtern-objektiv, sachlich und anhand von gesicherten empirischen Daten analysiert und argumentiert, anstatt wie Brosius-Gersdorf und ihr Ehemann mit vermeintlich fachlich belegten Behauptungen etwas zu überbauen, kurzum: einen Nebenschauplatz zu eröffnen, Nebelkerzen zu zünden etc.

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
3 Monate zuvor

Daß Brosius-Gersdorf nicht links ist, hat selbst ZON schon bemerkt:
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2025-07/frauke-brosius-gersdorf-richterkandidatin-links-spd
Abgesehen vom Genannten hat sie auch Probleme mit der Schulpflicht. Das wirkt heute doch ein wenig aus der Zeit gefallen und wenig „links“.
Es ist schon interessant zu sehen, von wem sich eine links gelesene Rest-SPD erhofft im Verfassungsgericht tendenziell gut repräsentiert zu werden.

Zur (vergeblichen) Ehrenrettung der AfD-Wähler. Im Osten lautet die Erzählung, mit der Afd sollen Verhältnisse wie im Westen vermieden werden. Es ist anzunehmen, die Erfahrungen zum Westen werden sich im wesentlichen auf Berlin beschränken. Da aber nunmal Deutschlands Mezzogiorno an der Spree liegt, kann man die Sorge nicht so ganz für absurd halten.
Aber wer war es noch mal, der festgestellt hatte, „lässt man im realexistierenden Sozialismus die Vergesellschaftung des Kapitals weg, bleibt der Faschismus übrig“? So gesehen bleiben sich die Einwohner dort lediglich, so weit es geht, selbst treu.

paule t.
paule t.
3 Monate zuvor

Ich bin wirklich überrascht, aus welchen Perspektiven sich immer neue Leute an die Kritik dieser Personalie dranhängen. Jetzt ist Brosius-Gersorf also nicht deswegen ein Problem, weil sie zu voreingenommen gegenüber der AfD wäre und deswegen in einem potentiellen Verbotsverfahren befangen (wie es AfD, rechte Konservative und rechte bis rechtsextreme Publizisten behaupten), jetzt ist sie es angeblich deswegen, weil sie „politische Konzepte der AfD ins Denken einpflegen“ würde. Wenn dass die AfD wüsste! Dann hätten sie und ihr politisches Vorfeld es sich mit der Kampagne gegen sie vielleicht noch einmal überlegt.

Der Autor räumt nun ein, dass Brosius-Gersdorf „keinen Zusammenhang mit Migration“ herstelle. Der aufmerksame Leser, der weiß, dass die AfD bei wirklich jedem Problem einen solchen Zusammenhang herstellt, fragt sich dann freilich, wie weit es mit diesem angeblichen Einpflegen „politische[r] Konzepte der AfD ins Denken“ her sein kann, wenn das zentrale Konzept der AfD schlechthin, nämlich Migration für alles verantwortlich zu machen, gerade nicht vorkommt.

Aber gut, dafür erfährt dieser Leser nun, dass Brosius-Gersdorf eine „Trias der AfD“ referiere, nämlich „über „Wohnungsnot“ lamentieren, schleppende „Digitalisierung“, abgehängte „ländliche Räume““. Dafür zitiert der Autor einen Antrag der AfD zur Wohnungspolitik. Aber wenn die AfD im angegebenen Monat nicht zwei solcher Anträge gestellt hat, dann kommen darin* weder die „Digitalisierung“ noch die „abgehängten ländlichen Räume“ vor (jedenfalls nach Überfliegen und Stichwortsuche), auch nicht im AfD-Redebeitrag zu diesem Antrag.** Da bleibt von der angeblich referierten Trias nicht mehr ganz so viel übrig.
* https://dserver.bundestag.de/btd/20/007/2000701.pdf
** https://dserver.bundestag.de/btp/20/20018.pdf#P.1310

Also gut, jetzt „pflegt“ Brosius-Gersdorf zwar weder „politische Konzepte der AfD ins Denken ein“ noch „referiert [sie] diese Trias der AfD“, aber sie behauptet, dass bestimmte soziale/wirtschaftliche/infrastrukturelle Probleme Ursachen für eine Unzufriedenheit der Wähler der AfD mit der Politik wären; und bei den von ihr genannten Problemen könne das nicht zutreffen, sagt der Autor. Dem gehe ich mal nicht nach, das glaube ich einfach. Nur: Diese drei Probleme wirken hier in dem Artikel so, als würden sie bei Brosius-Gersdorf eine wichtige Rolle spielen. Das ist aber keinesfalls so; sie nennt nur, offenbar in diesem Punkt unvorbereitet, anscheinend drei Probleme, die ihr gerade einfallen – das dauert kaum 15 Sekunden.

Bleibt also der Vorwurf übrig, dass sie es AfD-Wählern zubilligen würde, dass diese aufgrund von realen, verständlichen Problemen unzufrieden seien und deswegen AfD wählen würden – und nicht etwa „aus Überzeugung handeln“ würden und „sich in freier Wahl für ein antisemitisches Weltbild entschieden haben“ könnten, „für ein rassistisches Konzept, für eine sexistische Denke, für Putin-Philie und anti-westliche Wut“.

Dieser Kritik an einer paternalistischen, verständnisheischenden Interpretation des Wahlverhaltens von AfD-Wählern kann ich einerseits nachvollziehen. Man kann und soll AfD-Wähler für ihre reale Entscheidung verantwortlich machen, da hat der Autor recht. (Die Frage ist aber, ob Brosius-Gersdorf das anders sieht oder ob sie auf diesen Aspekt bloß nicht eingeht.)

Nur: Der Gedankengang, dass man reale wirtschaftliche Probleme, die in der Bevölkerung für Frust sorgen, bekämpfen müsse, um einen Nährboden für solches Wahlverhalten auszutrockenen, ist doch andererseits auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Immerhin sind AfD-Ergebnisse in wirtschaftlich abgehängten Regionen tendenziell tatsächlich höher (auch wenn Brosius-Gersdorf mit der Benennung der korrelierenden Probleme vielleicht falsch liegt). Und dieser Gedankengang ist doch auch nicht eine Spezialität von Brosius-Gersdorf, sondern wirklich sehr, sehr weit verbreitet, geradezu ein Topos in politischen Kommentaren.

Ist diese Diskussion, ob reale wirtschaftliche Probleme oder echtsextremistische Überzeigungen nun bedeutender für AfD-Erfolge seien (mehr bleibt von den Vorwürfen mE nicht übrig), nun wirklich eine Rechtfertigung, Brosius-Gersdorf dermaßen an den Karren zu fahren? Zu behaupten, dass sie „politische Konzepte der AfD ins Denken einpflegen“ würde? Ich halte das für abwegig, nachgerade verleumdend, und frage mich wirklich, warum der Autor es für nötig hält, aus dieser schrägen Richtung noch auf den Zug der Kampagne gegen Brosius-Gersdorf aufzuspringen.

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Nur ganz nebenbei:
Dieser Gedanke, dass wirtschaftliche Probleme ein Nährboden für rechtsextreme Wahlentscheidungen sein könnten, ist doch auch ein Topos einer Vielzahl von Artikeln hier auf den Ruhrbaronen, die sich mit einem behaupteten/ prophezeiten wirtschaftlichen Niedergangs des Ruhrgebiets/NRWs und/oder mit den angeblichen ganz furchtbaren wirtschaftlichen Folgen der Energiewende/ der Umwelt- und Klimapolitik befassen.
Vielleicht findet der Autor ja da einen näherliegenden Diskussionspartner als Brosius-Gersdorf für die Frage, ob dieser Gedankengang ein „Einpflegen“ „politische[r] Konzepte der AfD ins Denken“ sei. Ich fände es ziemlich abwegig, das zu unterstellen.

Nur ein Beispiel, wo genau der Gedanke schon im Titel steht: „Grüne Wirtschaftspolitik macht braun“ vom 26. Juni 2025;
https://www.ruhrbarone.de/gruene-wirtschaftspolitik-macht-braun/248068/

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