Leningrad Cowboys, Freitag, 5. März, ab 20:00 Uhr, Matrix, Bochum
KreativQuartiere: Keine Ahnung, keine Antworten
Die Idee klingt gut: Die Ruhr2010 GmbH will Angebote von Vermietern sammeln, die an Unternehmen aus dem Bereich der Kreativwirtschaft vermieten wollen. Peinlich wird es, wenn ein Vermieter bei der Ruhr2010 GmbH anruft.
Viele Unternehmen der sagenumwobenen Kreativwirtschaft haben es nicht leicht, Räume zu finden. Ob Büros oder Ladenlokale – vielen mit einer neuen, ungewöhnlichen Geschäftsidee wird mulmig, wenn sie langfristige Mietverträge unterschreiben sollen. Vermieter indes bevorzugen häufig solvente Ketten als Mieter und fürchten bei Gründern, dass sie, wenn es dumm läuft, vielleicht schon nach ein paar Monaten Mietausfälle riskieren. Die Ruhr2010 GmbH will vor allem Immobilienbesitzer davon überzeugen, auch an unkonventionelle Gründer zu vermieten und Angebot und Nachfrage zusammen bringen.
Im Frühjahr soll es endlich losgehen, vorgestellt wurde die Idee von Bernd Fesel, dem Projektmanager Stadt der Kreativität bei der Ruhr2010 GmbH schon im Herbst vergangenen Jahres.
Mir gefiel die Idee gut, und als ich erfuhr, dass der Gemeinnützige Wohnungsverein Bochum, eine Wohnungsbaugenossenschaft in der ich Mitglied bin, zwei leerstehende, preiswerte Ladenlokale in der Nähe des Bermudadreiecks hatte, schlug ich Norbert Reitz, dem Vorstandsvorsitzenden der Genossenschaft, vor, die doch der Ruhr2010 GmbH anzubieten. Das Bermudadreieck heißt jetzt ja Viktoriaquartier und soll ein Kreativquartier werden.
Reitz gefiel die Idee, ich besorgte die Telefonnummer von Fesel, und er legte los. Vor ein paar Tagen bekam ich dann einen Anruf von Norbert Reitz: Die Genossenschaft hatte versucht, Fesel anzurufen – der war nicht da. Das kann schon einmal passieren. Etwas peinlich: Niemand bei der Ruhr2010 GmbH hatte von dem Projekt gehört. Nach einem langen Warten in der Telefonschleife gab es schließlich eine E-Mail Adresse. Ein Herr K. würde sich der Sache annehmen. Die Genossenschaft schrieb Anfang Februar daraufhin eine Mail an K. und wollte wissen, wie das so mit den Angeboten läuft, und welche Immobilien überhaupt interessant wären. Die üblichen Fragen, die man so stellt. Sie blieben unbeantwortet. Es gab auch keine Rückrufe. Der Gemeinnützige Wohnungsverein Bochum ist keine Klitsche: Er besitzt über 3.000 Wohnungen und etliche Ladenlokale. Für die Ruhr2010 GmbH offensichtlich kein Grund, sich zu einem Gespräch herabzulassen. Das Immobilienprojekt hat gute Chancen, der nächste Flop zu werden. Und eins der Ladenlokale ist auch schon wieder vermietet.
Ruhrpilot – Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet
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3 FÜR 7 – Drei Interventionsmöglichkeiten für die aktuelle Woche

Gestern im Lokalteil der Regionalzeitung: Populistischer Klassenkampf reinsten Wassers. Ein „Frei“-Bad in Essen soll geschlossen werden, und die Nutzer argwöhnen schon in der Überschrift, das Geld würde stattdessen bestimmt wieder irgendeinem Theater zukommen. Nun arbeiten einige Theatermenschen ja schon seit langem daran, sich durch Anpassung an den Massengeschmack oder Einbeziehung sozialer Aspekte etwas unangreifbarer zu machen, aber das wird in sozialen Brennpunkten wie dem Ruhrgebiet in Zukunft wahrscheinlich nicht genügen. Erst recht wenn ein Blatt wie die WAZ/NRZ das Match „Freibad vs. Theater“ in einer Überschrift überhaupt aufmacht.
Warum nur? Weil die WAZ ja so der Anwalt der „Armen und Schwachen“ ist? Aber was macht ein Freibad sozialer als Kultur? Der hohe Grad an Elendsidylle? Wurde inzwischen locker vergessen, was diese Oase eben genau für ein Korruptionsding und Millionengrab war und ist, im Gegensatz zu vielen gut wirtschaftenden Kulturinstitutionen? Eines ist klar: Umso mehr Größenwahn sich die Kulturelite hier gönnt, desto schärfer schlägt der Backlash zu. Aufpassen, Ruhr2010. Und wehe, wenn nicht! (Aber dann sind die meisten ja wieder weg.) Nun zu: „Peer Gynt“, „Treffen außerirdischer DJs“, „2-3 Straßen“.
Öffentliche Probe und Premiere von „Peer Gynt“ (nach Henrik Ibsen, s. Foto) unter der Regie von Roger Vontobel (zuvor „Das Goldene Vlies“, „Die Orestie“) sind bereits ausverkauft – die Bewohner Essens scheinen sich nach wie vor nicht alle damit abgefunden zu haben, dass mensch doch gleich ins Stadion, den Puff oder die nächste Eckkneipe gehen kann. Und daran hat natürlich auch das Grillo unter Anselm Weber einen verdienstvollen Anteil. Mal schauen, ob die nächste Intendanz dann mehr „abschottet“ – dann können wir uns hier bald fragen, was nach den Zechen, Kirchen und Bädern denn mit all den leer stehenden Theatern passieren soll. Die Disco im Grillo läuft ja eh schon ganz passabel, und der sympathische Fußballverein von nebenan könnte auch mal mehr Geld bekommen – dann mucken seine Anhänger auch nicht auf. Vielleicht ein Thema für die WAZ?
Irgendwo lauern ja immer so ganz gescheit-verwirrte Leute und machen die Studierenden und ihr Umfeld nochmal richtig kirre, wo Luhmann, Chaos-Theorie, Habermas, Judith Butler und Genesis P. Orridge (haha, u.a. natürlich) schon genug für Verwirrung gesorgt haben. So ein Schlitzohr, irgendwo zwischen Anarcho-Songwriting und lebendem Interventionismus angesiedelt, ist Knarf Rellöm. Als irgendwann Chicks On Speed & Co. mit Sun Ra Namedropping angefangen haben, hat er sich direkt den Mantel des Psychedelic Free Jazz Mystikers übergeworfen (und nicht den von Sylvesterboy wie dereinst Schorsch Kamerun aus ähnlichem Umfeld) und so eine Art pseudo-metaphysischen Popart-Trash erfunden, der ihn anders als Tocotronic z.B., aber auch, weit vom üblichen „Glaubt mir, ich bin hier der Star“ weggeführt hat. Aus dieser Position heraus kann man denn auch mal einfach mit Mikro und Plattensammlung in der Goldkante auftauchen und als „King Fehler“ mit dem werten DiscoCaruso aus Essen … eine äh Post-Funpunk-Show abziehen. Inklusive all der handelsüblichen „White Nigger?, links oder nicht?, typisch Pudel, haha“-Doppelbödigkeiten, natürlich. (Bei Unverständnis bitte einfach „Hamburger Schule“ googlen und noch einmal Adorno vs. Habermas nachvollziehen. Buchtipp hier, Restexemplare gibt es bei der Mayerschen in Essen noch in geringer Stückzahl, aber immerhin. Scheint hier nicht allzu trendy zu sein.)
Ein alter Schulkollege des Schreibers dieser Zeilen wohnt nun für genau ein Jahr in Dortmund, und zwar als einer der Bewohner von „2-3 Straßen“. Er wohnt dort mietfrei, schreibt hin und wieder etwas in eine Maschine, und der Künstler Jochen Gertz macht aus diesen Texten wie aus denen vieler anderer Bewohner dann am Ende etwas. Um zum Beginn dieses Textes hier zurück zu kommen: Das kostet wenig, bringt Menschen verschiedenster Art im Rahmen eines Kunstprojektes zusammen und interveniert so an drei „toten Punkten“ der Städte Dortmund, Duisburg und Mülheim. Überhaupt richten sich ja derzeit viele Kameras auf die Problemzonen der hiesigen Städte und tun den Standortpolitikern der Region eben nicht den Gefallen, auf die gewünschte „Heile Welt“-Show 2010 hereinzufallen – die mit dem tollen Tourismus- und Investorenanlock-Effekt, wir erinnern uns vage. Ist das nun eine Schweinerei der Metropolenkonkurrenz oder einfach ganz normaler Katastrophentourismus? Der Schreiber dieser Zeilen wird die „2-3 Straßen“ bzw. eine davon jedenfalls mal im Laufe des Jahres hin und wieder aufsuchen um zu sehen, was Kunst und Menschen in einem schwierigen Stadtteil leisten können – ganz ohne verspätetes Freibadlobbyistenfußvolk. Mal schauen, ob all die mehr oder minder „kreativen“ Mieter und ihre „prekären“ Nachbarn ganz neue „prä-revolutionäre“ Verbindungen eingehen (und wo die Gentrifizierungsdebatte dann ist).
(Erstaunlich viele Anführungszeichen diesmal, Verzeihung. Sind nicht Titel gemeint, so ist es wohl weil die gebräuchlichen Begriffe einfach … mies, aber gebräuchlich sind.)
„Peer Gynt“ u.a. am 27. und 31. Januar im Grillo.
„Treffen außerirdischer DJs“ am Freitag in der Goldkante.
„2-3 Straßen“ noch bis zum 31.12.2010.
Der ewige Opel-Patient

Bochum muss nach dem geplatzten Deal mal wieder um seine Jobs beim Autobauer bangen
Foto: Ruhrbarone
Bochum. Als sich morgens um kurz vor sechs Uhr die Kameras auf ihn richteten wusste Daniel Hadert sofort: Sein Job ist in Gefahr. „Es ist die fünfte Krise die ich durchmache“, sagt der 42-Jährige Bandarbeiter bei Opel. Aber diesmal sei alles noch viel schlimmer. In der ersten Schicht des Tages sei es still gewesen unter den Opelaner. „Was sollen wir denn noch sagen?“, fragt der schlaksige Mann.
Vielen Arbeitern scheinen am Tag nach der überraschenden Wende von General Motors die Worte zu fehlen. Beim Schichtwechsel rennen sie im Nieselregen zu ihren vorm Werkstor geparkten Astras und Omegas. Sie kennen die Rituale der Krise, die fragenden Reporter, die Kameras. Vor wenigen Monaten erst bangten sie um einen Milliardenkredit der Bundesregierung, dann hofften sie auf einen Verkauf an Magna. Nun beginnt das Spiel von vorne.
„Reine Veräppelung war alles“, sagt Ralf Beneke und setzt sich in seinen historischen und giftgrünen Ascona. Unter der Belegschaft blühen inzwischen ganz eigene Theorien über den geplatzten Deal. „Es ist doch sonnenklar, dass ein Amerikaner einem Russen nichts verkauft“, sagt Beneke. Und die Bundesregierung habe nur versucht, sich über die Wahl zu retten. „Das ist ein ganz übles Spiel“, sagt er und macht mit dem Zeigefinger das Kotzzeichen. Seiner Meinung nach sollte nun nicht mehr über Lohnzugeständnisse verhandelt werden. „Wir haben die letzten zehn Jahre verzichtet und gebracht hat das gar nichts“, sagt er aufgebracht. Am Ende würden alle nur weniger Arbeitslosengeld bekommen. Die Bochumer sind ausgelaugt. Sie haben das Gefühl, bei ihnen würde immer als erstes gespart, schlimmer als am Hauptwerk in Rüsselsheim. „Wir sind am Ende der Kette“, sagt Beneke.
In der Krise sind die Opel-Arbeiter zwischenzeitlich immer mal wieder zu Konkurrenten geworden. Schon immer hat General Motors versucht die einzelnen Werke gegeneinander auszuspielen. Dabei hat bislang jedes Werk bluten müssen. Knapp 6000 Menschen arbeiten bei Opel in Bochum, 35 Betriebsräte wachen über die Löhne und Stellen. Früher eine dankbare Aufgabe: Die zu Spitzenzeiten rund 25 000 Arbeiter verdienten überdurchschnittlich, hatten viele Urlaubstage und jedes Jahr mehr Kollegen. Seit 15 Jahren kriselt es. Betriebsrätin Annegret Gärtner-Leymann fordert nun eine harte Reaktion. „Wir können nicht nur zwei Stunden lang die Arbeit nieder legen und dann wird alles gut“, sagt sie mit Blick auf die so genannten „Informationsveranstaltungen“, die am heutigen Donnerstag republikweit stattfinden sollen. Jetzt müssten alle Werke in Europa zusammen stehen. „Wir werden um wirklich jeden Arbeitsplatz kämpfen“, so die Betriebsrätin. Ein bloßer Erhalt der Standorte sage noch gar nichts aus. „Das kann auch heißen das nur noch der Pförtner dort rumsitzt.“ Jahrelanges Feilschen um Stellen und Geld haben die Arbeitnehmervertreterin misstrauisch gemacht.
Vor vier Jahren waren sie noch mächtiger. Mit ihrem wilden Streik hatten sie damals die Produktion in Europa lahm legen können. Diese Druckmittel sind nun verschwunden– General Motors hat nach dem eindrucksvollen Arbeitskampf die Produktion der Werke unabhängig gemacht. Aus Bochum kommen nur noch einige Pressteile für England und Antwerpen. Nun können die Bochumer nur noch ihre eigenen Bänder still legen.
Eine bedrohliche Situation in einer Stadt, die erst im vergangenen Jahr 2500 Jobs bei Nokia verloren hat. Opel ist – neben der Ruhruniversität- der größte Arbeitgeber der Ruhrgebietskommune. Das Opelwerk ist für das Ruhrgebiet nicht einfach nur eine Fabrik. Es war seit der Ansiedlung in den 1960er Jahren ein Symbol für den Strukturwandel, für eine Zukunft nach der Zeche, auf deren Grundstücken die Werke hochgezogen wurden.
Heute reisen Politiker nur noch zu Krisengifpel an. Am heutigen Donnerstag werden sie sich wieder am Werkstor drängeln. Wie vor einigen Monaten und wie vor einigen Jahren. Karina Pietrowska wird dieses Mal nicht dabei sein. Die Produktprüferin „kann nicht mehr.“ Die zierliche Frau mit den wasserstoffblonden kurzen Haaren arbeitet seit zwanzig Jahren bei Opel, auch ihr Schwager und ein Onkel stehen in Bochum am Band. „Wir stehen ständig kurz vor dem Tod“, sagt sie und schließt demonstrativ ihre Augen. An eine neuerliche Wiederbelebung glaubt Pietrowska nicht mehr.
Wäre Bochum Literatur…
Bochum führt bekanntlich ein Buch im Stadtwappen. Gerne möchte die etwas zu große, zu leere Stadt auch als Literaturhochburg punkten. Kein Wunder, dass Wahlkampf hier ein Krieg der Wörter ist. Genauer: der Wie-Wörter. Mit einem klaren Ergebnis: Schlechter Stil. Mit Adjektiven unbedingt sparsam umgehen.
Fotos: ruhrbarone
Im Einzelnen:
"Menschlich" nennen sich sowohl CDU und SPD.
"Stark", SPD und FDP.
"Sozial", SPD und Soziale Liste.
"Mutig", CDU und SPD.
Als Alleinstellungsadjektive können wir nur "modern" für die CDU verzeichnen und "klug" für die SPD, bzw. "Dr." Ottilie Scholz.
Hamlet in Hamme

Wegen Peter Zadek kamen Leute wie meine Eltern nach Bochum. Zwei Stunden hin, zwei zurück, Welttheater im Ruhrgebiet gucken, Hamlet in Hamme. Damals war ich zu klein, aber seit Jahrzehnten wohne ich nur ein paar Meter entfernt von der Fabrik, in der wilde Gestalten wie aus dem Gestiefelten Kater nicht weniger als sechs Stunden lang den kompletten Hamlet auf die Rampe wuchteten.
Abbildungen: Gisela Schiedler, Zadeks Hamlet in Hamme, Bochum u. Frankfurt/M 1977.
Ich meinte ihre schweren Schritte immer noch zu hören, das Keuchen Ulrich Wildgrubers, das Getrippel von Eva Mattes, die schräge Rosel Zech, Hermann Lause, Magdalena Montezuma. Ich glaube, die war später auch mal bei uns zuhause, angetrunken.
So oder so: Die Aufführung in der leer stehenden Meier-Fabrik war Industriekultur, als es noch keine hochnäsigen Worte brauchte, um Leerstand wieder zu beleben.
Das Schauspielhaus blieb an der Haldenstraße, die Halle wurde zum Malersaal, bis sie 2001 Jahren einfach abbrannte. Heute ist hier nur noch Brache am Rande einer Grünanlage, die übrigens etwas später durch ihre seltsamen "Dogstoppsperren" auffällig wurde.
Zadek habe ich nicht im Ruhrgebiet erlebt – er nannte das hier "Kumpelland" – aber 1979 als Regisseur der "Dröhnland Symphonie"-Tour von Udo Lindenberg und später von "Ghetto" am Hamburger Thalia. Jetzt ist der große Zadek also gestorben. Aber was sagt der König zu Hamlet: "In Trauer zu beharren, verrät einen gottlosen Trotz. Es ist unmännlich!"

Live vom Bildungsstreik-Streik

Wer will, kann heute aufgebrachten Studenten im Web folgen, die sind im Ausstand, dem so genannten Bildungsstreik. Es gibt dafür tweets
und urls – in Bochum freuen sich die Aktivisten schon wie Bolle, dass Kamerateams von SAT1 und WDR vor Ort waren. Heute Abend, twittert der Protestmob deshalb an seine Onlinegemeinde, Fernsehen gucken, Lokalzeit. Das ist natürlich lustig.
Denn ich sehe sie vor mir, die Studenten des Ruhrgebiets, wie sie Streik hin, Streik her, wie immer um 16:54 die U35 Richtung Bochum Hauptbahnhof nehmen, dort den Zug nach Wanne, den Bus nach Recklinghausen. Um noch rechtzeitig im elterlichen Reihenhaus im Jugendzimmer den Fernseher anzuwerfen, Sat1, 17:30, um es bloß nicht zu verpassen. Ihren Streik an der Uni: "Komma kumma Mutti, da hinten, das bin ich." Dann Abendbrot. Schreibtisch, etwas Daddeln.
Nein, vielleicht ist es auch ganz anders, bin ja nicht dabei. Aber wenn ich lese von "kreativen" Aktionen, die heute morgen mit einem "Paukenschlag" eröffnet werden sollten, dann glaub ich nicht dran, nicht an Streik, nicht an Studentenbewegung.
Ist vielleicht ohnehin ein Missverständnis: Studenten und Revolution. Erst Recht im Ruhrgebiet, wo sie sich wie Azubis fühlen und führen, schon immer. Mit Schnittchen aus Tupperdosen, Thermotassen und für Zwischendurch auch den Apfel nicht vergessen.
Als ich selbst noch studentenbewegt war, in Bochum, da wollte ich natürlich auch die agitieren, die partout nicht agitiert werden wollten. Mittlerweile mag ich die Ruhr-Unis wie sie sind: Ausbildungungsbetriebe mit gewissenhaften, aber nicht übereifrigen, und, ich sag Ja zum Klischeee: bodenständigen Studentinnen und Studenten. Was braucht es da Streiks?
Finale Trainerdiskussion

"Noch
zweiSiege, dann ist der Drops gelutscht."
(Felix Magath)
Ich mochte Schalkes Trainer Fred Rutten, das Rudi-Völler-Double, der sich nicht nur der Bundesliga übervorsichtig näherte. Ich habe mit ihm einmal in der Arena warme Curry-Suppe aus einem Glasfläschchen gesaugt, als er mich fragte, "waas is daas". Ich anwortete: "Suppe." Rutten: "Ah, Schuuppe." Es ist wirklich schade, dass er gehen musste – vor allem deshalb: Mein Lieblingstrainer war für einige Monate nicht mehr der farbloseste, vorsichtigste, ja, langweiligste seiner Zunft.
Bochum-Trainer Marcel Koller hat in dieser Saison nur zwei Fehler gemacht: Er hat sich nach Fankritik dazu breit schlagen lassen, einen Fanschal zu tragen, der nicht zu ihm passte. Wenigstens ließ er sich nicht auf den albernen Trainingsanzug und die Fußballschuh-Nummer ein! Und er hat nach der Genesung seiner Stamminnenverteidiger herum geeiert, um Anthar Yahia und Marcel Maltritz doch noch, irgendwie, in die Mannschaft zu kriegen. Weil das nur fast schief gegangen ist, wird der Schweizer wohl endgültig als Erfolgstrainer in die Bochumer Fußballgeschichte eingehen, der den Mythos der ewigen Abstiegskämpfer wieder aufleben lassen hat. Um nicht von "Unabsteigbar"keit zu reden; – als dieses Schlagwort in der Welt war, stieg der VfL auch schon das erste Mal ab. Das Kollers trockene, vorsichtige, ja: langweilige Art auch auf Spiele und Spieler abgefärbt hat, wird Koller oft vorgeworfen. Für mich beweist es nur, dass der Fußball-Existenzialist seine Mannschaft "hundertprozentig" erreicht.
Ich bin eigentlich kein Anhänger des Trainerfußballs. Ärgere mich bei TV-Übertragungen über jedes Bild von der Bank. So lange der Ball rollt, brauche ich keine brüllenden Mitfünfziger, interessiert es mich nicht, wie Sir Alex Ferguson (Man U) versucht sein Kaugummi zu zerstören. Das Spiel hat keine Nahaufnahmen von der Seitenlinie nötig, mir ist egal, wenn es Diskussionen mit dem vierten Offiziellen gibt, ob die Coaching Zone verlassen wird. Ich glaube, ich habe im Stadion während eines Spiels noch nie darauf geachtet, was gerade auf der Trainerbank vor sich geht außer bei den Aus- und Einwechslungen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es den Spielern groß anders geht.



Andererseits geht es bei den Trainerdiskussionen um etwas anderes, um Ideale. Fußball ist ein Mikrokosmos im Flutlicht, eine Scheinwelt, ein Olymp. So ähnlich wie Mode, wie Musik und Kunst, wie Second Life oder Casting Shows nehmen wir Anteil mit unseren Meinungen, Sympathien, Haltungen zum großen Spiel. Fußball ist ein Labor der Arbeit. Und die Trainer die Vorarbeiter, Vorzeigechefs.
Auch Jürgen Klinsmann, den sie nun "Hi Hi" nennen. Mir ist dieser JK schon immer zu sektiererisch, zu beseelt, ein bisschen Tom Cruise an der Linie. Ob bei der Nationalelf oder den Bayern. Dieses jeden jeden Tag ein bisschen besser machen zu wollen – wer will so einen anstrengenden Chef haben? Außerdem: Was riskiert ein Coach, der nebenbei Vorstand seiner Firma "Soccer Solutions" bleibt, der auch als Bundestrainer konkurrierende Fußballverbände beriet, Verträge für Turnierbälle aushandelte, was riskiert der außer seine Glaubwürdigkeit? Als Geschäftsmann für Fußball und Motivation ist Klinsmann eben sehr erfolgreich, als Trainer war und ist er es nicht.
Andererseits – Klinsmann im Gespräch mit Günter Jauch zeigte auch, wofür der Schwabe auch steht: Für Wandel, Veränderungen, die immer neue Suche nach Tempo, Klasse, Begeisterung, Weltgewandheit im deutschen Fußball. Erst beim DFB – heute immerhin ein Verband, der sich gegen Rassismus, Homophobie und für Dribbelkünstler mit Migrationshintergrund stark macht – dann bei den Bayern. Klinsmann scheiterte natürlich an sich, seinem peinlichen Psychosprech, fehlender Authentizität und "Rüberkomme", wenig Gelassenheit und Erfahrung, aber eben auch an den eitlen Alten in der FCB-Chefetage, den Netzers des Blätterwaldes, den Beleidigten bei Springer, an bockigen Spielern, verwöhnten Zuschauern. Am Mittwoch hat er mich trotzdem fast überzeugt.
Übrigens steht der neue Bayerntrainer Louis van Gaal nur vordergründig für den alten Schleifer, das Fußballlehrer-Style, das Karl-Heinz Rummenigge vorschwebt: Van Gaal schreibt Gedichte, kleidet sich wie eine Gestalt aus Tim und Struppi, steht auf hypermodernistischen Fußball und kämpft gegen Homophobie.
Noch ein JK, vielleicht d e r JK, die zur Zeit angesagteste Mischung aus Wahnsinn, Kompetenz und Charme im Fußball. Mit Jürgen Klopp hat Dortmund den Coup des Jahres gelandet. Die Stadt ist aufgewacht, die Mannschaft geht lange Wege, spielt kurze Pässe, wird Rekordsieger. Und plötzlich steht – nach müden Jahren – wieder Fußball im Mittelpunkt, nicht die ökonomischen Aufräumarbeiten der überdrehten Neunziger Jahre, nicht der Präsident, sondern ein Trainer.
Das gleiche will Schalke auch. Ausgerechnet Clemens Tönnies. Dabei steht der vorlaute Aufsichtsratschef, der erst zum Schalker wurde, weil der Bruder starb, auf deftig, sich, labern. Auch bei der Trainersuche. Wie ein Sonnenkönig ließ er Muskeln und Moneten spielen, verhandelte mit Olli Kahn, kokettierte mit Rudi Völler, um dann doch den Dortmunder Coup vom vergangenen Sommer zu toppen: Ein Fast-Schon-Meistertrainer auf Schalke, dem VW-Wolfsburg wurde der zur Zeit erfolgreichste deutsche Fußballlehrer abgeworben.
Dass Felix Magath auf Schalke einschlägt wie ein Klopp ist nicht gesagt. Aber Magaths Motivation ist einfach: Welcher Club in der Bundesliga kann den Bayern zum wirklichen Konkurrenten werden? Wer hat die Fans, Begeisterung, Hinterland und Tradition, welches Stadion kann mithalten mit der Allianzarena an der Mülldeponie? Er hat die Frage mit Schalke beantwortet. Ich wär mir da nicht so sicher.
1986 revisited: Wie Bochum schrumpft
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Für eine andere Baustelle ist mir ein fast vergessenes Stück Stadtanalyse wieder in die Hände gefallen. 1986 erschien "Umbruch der Stadt. z.B. Bochum", drei Autoren, darunter Herausgeber Michael Krummacher. Ich habe es eher durchblättert, ein Geschenk zum Umzug, mochte die kargen Fotoaufnahmen aus Innenstadt und Vororten, aber weniger das in Thesen zugespitzte Bändchen aus dem Germinal-Verlag. Was da stand, war dem Neurevierbürger zu trist. Heute lese ich es mit anderen Augen.
Foto: ruhrbarone
Die Autoren beschrieben Bochum als eine "shrinking city", als eine typische Stadt mit altindustriellem Erbe, eine Stadt, die nicht nur altert, die auch von vielen jungen Menchen verlassen würde. Die Stadtoberen Bochums, seinerzeit Oberbürgermeister Heinz Eikelbeck, wollten von der anstehenenden Schrumpfkur oder einer sozial-tektonischen Plattenverschiebung in Bochum etwa zwischen Norden und Süden nichts hören. OB Eikelbeck kümmerte sich als Sanitärfachmann lieber um Spaßbäder, um Starlight, um mehr Stadtautobahnen und weniger besetzte Viertel. Ich weiß noch, wie verdattert Eikelbeck war, als eine Studentendemo vor seinem Rathaus stand und von ihm Solidarität gegen geplante Strellenstreichungen an der Ruhr-Universität einforderte. Die Uni hatte der OB weniger auf dem Plan (dass immerhin hat sich geändert).
Spannend sind die Aussagen des Buches zu Opel. Da hat sich seit 23 Jahren kaum was getan, nur die Zahl der Beschäftigten, die Krise um Krise weniger wurden. Nochmal, geschrieben 1986: Opel ziehe sein Management in der Schweiz zusammen, was einer Abkopplung von der Produktion gleichkomme. Die EDV werde zentral gesteuert, die Werke würden enthauptet. Bochum habe sehr schlechte Karten, weil anders als in Rüsselsheim keine Entwickler vor Ort sind, und natürlich würde GM sowieso keine Gewerbesteuer zahlen, weil die Gewinne in die Staaten flössen, wir kennen das Spiel.
Ich habe mit Krummacher, der seit 1989 Professor an der evangelischen FH in Bochum ist, über Buch und Bochum gesprochen. Bochum ("fühle mich hier urban gut aufgehoben") sei nicht nur sein Wohnort auch ein interessanter Forschungsgegenstand, weil die Stadt so typisch sei für Ruhrgebietsstädte, in den Statistiken meist den Durchschnittswert der Region abbilde. Diese Durchschnittstadt erlebe also weiterhin einen starken Umbruch, "keinen Wandel", so der Politologe. Die Stadt habe seit dem Buch enorm eingebüßt, von 420.000 nach der Eingemeindung von Wattenscheid auf nur noch 370.000. In guten wirtschaftlichen Zeiten erhole sich die Stadt ein wenig, doch gelinge es den Revierstädten nicht, sozial und wirtschaftlich zu anderen Großstädten in NRW aufzuschließen.
Es gibt auch gute Seiten: Seinerzeit habe die Stadt nichts von den Schrumpfungs-Thesen hören wollen, das sei jetzt ganz anders. Auch habe Bochum als Hochschulstandort, als Kultur- und Freizeitstadt viel zu bieten, auch Zukunft. Und doch macht die Wirtschaftskrise, vor allem die starken Konjunktureinbrüche im Stahl und das drohende Aus für Opel dem Wissenschaftler größte Sorgen. Industrielle Kernarbeitsplätze seien nicht mal so eben aufzufangen, sagt Krummacher: Der Umbruch der Stadt, Schrumpfung, soziale Spaltungen, das alles würde sich dadurch "dramatisch beschleunigen".
