Haftbefehl und die Rothschild-Theorie

Rapper_Haftbefehl
„Rapper Haftbefehl“ von g.thomas15 – Haftbefehl. Lizenziert unter CC BY 2.0 über Wikimedia Commons – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rapper_Haftbefehl.jpg#/media/File:Rapper_Haftbefehl.jpg

Mit seinem neuen Album „Unzensiert“ wird der deutsch-kurdische Rapper Haftbefehl nicht nur das Lob der Musik-Journalisten der Republik ernten. Mit Anspielungen auf eine jüdische Finanzherrschaft durch die Bankiersfamilie Rothschild kündigt sich auch eine neue Debatte über Antisemitismus und Verschwörungsdenken im deutschen Hip Hop an.

Um eines vorwegzunehmen: Mit „Unzensiert“ liefert Haftbefehl ein hervorragendes Album ab. Haftbefehl rappt gekonnt über Drogensucht und Polizeigewalt, Kriminalität und Armut.

Der rauhe Banlieue-Chic dürfte das Album zu einer, wenn nicht der interessantesten Veröffentlichung des Jahres 2015 machen. Haftbefehl kann mit „Unzensiert“ durchaus an die Tugenden von „Notorious Haft“ anknüpfen- jedoch nicht nur im Positiven.

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Storytelling und Narrative: Die Nato spricht über Kommunikation

General Frank Gorenc (Bild: JAPCC)
General Frank Gorenc (Bild: JAPCC)

Die Messe Essen war in den vergangenen Tagen Veranstaltungsort einer Militärkonferenz. Das „Joint Air Power Competence Center“ (JAPCC) hatte zu seiner jährlichen Konferenz geladen. Das JAPCC ist ein „Exzellenzentrum“ der NATO mit Sitz in Kalkar. Es bringt Denkschriften zur Zukunft des Luftkriegs heraus und arbeitet an technischen Problemen. Bei der diesjährigen Konferenz ging es um „strategische Kommunikation“, das Verhältnis zu Medien und um Desinformationskampagnen.

Als der zentrale Veranstaltungstag der JAPCC Konferenz am Dienstagmorgen begann, machte die Meldung vom Abschuss eines russischen Jets durch das NATO-Land Türkei unter den Militärs gerade die Runde. Viele starrten auf ihre Telefone, suchten bei Twitter nach Neuigkeiten und tuschelten miteinander. Immer wieder verließen einige der höheren Offizieren kurz den Raum. Ob sie mit ihren Zentralen sprechen mussten kann, nur gemutmaßt werden. Der Zwischenfall im türkisch-syrischen Luftraum beherrschte auf jeden Fall Gespräche auf der Konferenz. Man war sich weitgehend einig, dass sei eine „ernste Situation“, die Diplomaten hätten nun viel zu tun, aber dieser Vorfall ließe sich bestimmt lösen. Also wurde das normale Programm der Konferenz durchgezogen, dies lieferte schon genug Diskussionsstoff für die NATO-Offiziere, unter ihnen Frank Gorenc, der die US-Airforce in Europa und Afrika befehligt und gleichzeitig Direktor des JAPCC ist.

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Türkei im Krieg gegen die Kurden

Die PKK-Fahne vorm NRW Landtag, bei einer Demonstration im letzten Herbst.
Die PKK-Fahne vorm NRW Landtag, bei einer Demonstration im letzten Herbst.

Der Konflikt zwischen der Türkei und der als Terrororganisation geltenden PKK hat sich in dieser Woche drastisch zugespitzt. In der vergangenen Nacht griff die türkische Armee die Rückzugsgebiete der PKK an, auch von Angriffen auf kurdische Dörfer wird berichtet. Unter dem Vorwand, gegen den „Islamischen Staat“ vorzugehen, führt die Türkei nun eine groß angelegte Operation gegen ihren alten Feind, die Kurden, durch. Dies war schon gestern Morgen abzusehen. Über 200 Menschen wurden in der Türkei festgenommen, die Aktion wurde als Aktion gegen den IS gelabelt, bei einem Großteil der Verhafteten handelt es sich allerdings um Anhänger linker und pro-kurdischer Organisationen. Nach den Angriffen in der Nacht kündigte die PKK den Waffenstillstand mit der Türkei offiziell auf. Kurdische Jugendorganisationen rufen zur Revolte in der Türkei auf.

Das NATO-Land Türkei befindet sich im Krieg. Nicht etwa gegen den erklärten Feind „des Westens“, die Islamisten, sondern gegen den bisher effektivsten Gegner des IS, gegen die Kurden. Ja, ein paar Stellungen der Islamisten werden auch angegriffen, aber der Hauptfeldzug der Türkei richtet sich gegen die PKK und ihre Schwesterorganisationen jenseits der Grenze. Für die Türkei eine innen- wie außenpolitische Win-Win-Situation. Innerhalb der Türkei soll es so gelingen, die pro-kurdische Partei HDP zu schwächen, bei den letzen Wahlen hatte die Partei die 10-Prozent-Sperrklausel überwunden. Für die islamische AKP von Präsident Erdogan ist derzeit keine Regierungsbildung möglich. Bei wahrscheinlichen Neuwahlen könnte die HDP als Terrorpartei stigmatisiert oder sogar verboten werden. Außenpolitisch geht es der Türkei darum, das kurdische Autonomiegebiet in Syrien zu destabilisieren. Das Ansehen, dass die Kurden als Gegner des IS mittlerweile International genießen, stört die Machthaber in Ankara. Außerdem weckt das erfolgreiche Projekt Rojava auch bei den Kurden im Süden der Türkei den Wunsch nach mehr Autonomie.

Wenn der Konflikt zwischen der Türkei und der PKK nicht weiter eskalieren soll, braucht es jetzt eine kluge Politik „des Westens“. Die kurdischen Gruppen, die seit einem Jahr von den USA und europäischen Staaten unterstützt werden, benötigen weitere Unterstützung. Auf die Türkei muss Druck ausgeübt werden, gegen den „Islamischen Staat“ vorzugehen und nicht unter diesem Vorwand innenpolitische Probleme zu lösen. Aber auch die PKK und ihre Ableger müssen, bei aller berechtigter Wut und Verzweifelung, mit kühlem Kopf handeln. Morde an türkischen Polizisten sind nicht dazu geeigntet, große Sympathien zu erlangen.

Für heute rufen kurdische Gruppen zu Demonstrationen im ganzen Bundesgebiet auf. In Nordrhein-Westfalen wird um 14 Uhr am Düsseldorfer Hauptbahnhof protestiert.

Andere Demo-Termine: Frankfurt a.M., HBF, 15:00 – Berlin, Bernauerstr. 17:00 – Stuttgart, HBF, 16:30 – Hamburg, HBF, 16:00 – Ulm, Einsteindenkmal, 16:00 Uhr

Wer sind die Yeziden? – Telim Tolan vom Zentralrat der Yeziden in Deutschland im Gespräch

Demonstration gegen IS am Dienstag in Dortmund.
Demonstration gegen IS am Dienstag in Dortmund.

Am Dienstag berichteten wir über eine yezidische Demonstration in Dortmund, bei der es kurzzeitig zu Angriffen auf einen Islamisten kam, nachdem dieser die Demonstranten wüst beschimpf, und die Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS) gelobt hatte. Gestern eskalierte in Herford die Lage, dort hatten einige Salafisten Yeziden unter anderem mit einer Machete attackiert. Am Abend gab es eine wütende Demonstration der Yeziden. (Die Kollegen vom WDR berichten.)

Doch wer sind eigentlich die Yeziden? Warum werden sie vom „Islamischen Staat“ verfolgt? Und in welcher Form sind Yeziden in Deutschland präsent? Viele Fragen zu einer mit geschätzt einer Million Angehörigen weltweit doch sehr kleinen Religionsgemeinschaft. Wir haben mit Telim Tolan, dem Vorsitenden des Zentralrats der Yeziden in Deutschland, gesprochen.

 

Ruhrbarone: Wer sind die Yeziden?

Telim Tolan: Wir sind eine Religion, die 2000 Jahre zurück reicht, monotheistisch und waren lange Zeit die Religion aller Kurden. Durch die Zwangsislamisierung sind heute aber 80 Prozent der Kurden Muslime.

Ruhrbarone: Von wem wurden Yeziden in der Geschichte bedroht?

Telim Tolan: Die Yeziden werden von fanatischen Moslems nicht als Religion anerkannt. Bei ihnen gilt das Gebot, dass wir konvertieren oder man uns tot schlägt. Solche Vorfälle gab es immer wieder in der Geschichte. Wichtig ist es dabei aber zu betonen, dass es sich um Fanatiker handelt die uns bedrohen, nicht um alle Muslime!

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Antisemitismus ist kein Import – Nicht alle Demos sind ein Skandal

Versuch (!) ohne Antisemitismus gegen den Gazakrieg zu demonstrieren
Versuch (!) ohne Antisemitismus gegen den Gazakrieg zu demonstrieren.

Wir haben bei den Ruhrbaronen in den letzten Wochen viel über antisemitische Demonstrationen berichtet. Viele Ekelhaftigkeiten sind uns aufgefallen. Die Demonstration am vorletzten Freitag in Essen und die Ereignisse in ihrem Umfeld können mit guten Gründen als ein (!) Höhepunkt antisemitischer Straßengewalt im Nachkriegsdeutschland bezeichnet werden. Auch ist es skandalös, wenn Politiker der Linkspartei zusammen mit Neonazis gegen Juden auf die Straße gehen. Jetzt ist aber der Augenblick gekommen, einmal inne zu halten, sich die Demonstrationen genauer anzuschauen und auch mal einen Blick auf „die Medien“ und ihre Reaktionen auf die letzten Demonstrationen zu werfen. Auch ein Blick auf vergangene Zuspitzungen des Nahost-Konflikts ist angebracht.

Die ersten pro-palästinensischen Demonstrationen vor zwei Wochen waren von großem Hass auf Israel und immer wieder auch auf „die Juden“ geprägt. In Gelsenkirchen wurde „Hamas, Hamas – Juden ab ins Gas“ gerufen, in Essen versuchte man bei einer spontanen Demonstration, vor die Alte Synagoge zu ziehen. In Dortmund waren diverse antisemitische Plakate auf einer Demonstration zu sehen. Doch nach den Ausschreitungen am 18. Juli in Essen, als mehrere Hundert propalästinensische Demonstranten versuchten, eine kleine proisraelische Kundgebung anzugreifen, wandelten sich die Demonstrationen im Ruhrgebiet. Schon einen Tag später in Dortmund war kaum direkter Antisemitismus auf einer Demonstration zu hören. Am letzten Freitag in Bochum fand wieder eine Demonstration mit ca. 400 Teilnehmern statt. Der Anmelder der Demonstration beschwor mehrmals, dass sich die Demonstration gegen Israel und nicht gegen Juden richtete. Und so verlief die Demonstration dann auch. „Tod und Hass den Zionisten“ wurde gerufen, und auch das unvermeidliche „Kindermörder Israel“ war immer wieder zu hören. Dass Antizionismus und Antisemitismus fließend ineinander übergehen, dürfte bekannt sein. Auch die Kindermörder-Parole hat – bedenkt man antijüdische Stereotype – einen deutlichen antisemitischen

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Europa darf nicht zerstört werden

Die Schuldenkrise ist ein Gift, das Europa zu zerstören droht. Dabei ist die Schaffung der Europäischen Union die größte politische Leistung, die dieser Kontinent je vollbracht hat.

Niemand weiß, wie sich Griechenland jemals wieder seine Schulden los werden kann. Und ich will mich hier auch gar nicht damit blamieren, dass ich dazu irgendwelche Vorschläge mache. Sicher, das Land wird sich neu erfinden müssen. Aber was das heißt, sich als Land neu erfinden müssen, kann ich mir nicht vorstellen. Klar ist aber: Die Schuldenkrise hat viele Väter un Mütter: Kaum ein europäisches Land, schon gar nicht Deutschland, hat seine Schulden im Griff. Die Mechanismen, die Schulden zu beschränken wurden systematisch ausgehöhlt. Ein großes Problem für mich ist, das Europa unfertig ist. Noch immer dominieren die Regierungen der Nationalstaaten. Das Parlament ist lächerlich schwach. Die EU-Kommission nicht ausreichend demokratisch legitimiert, es gibt eine europaweite Wirtschaftspolitik und Europa ist zu schnell gewachsen. Dazu kommen die seit die Finanzkrise offenen Probleme:  Die Macht der Rating-Agenturen und das Problem der Großbanken, viele davon staatlich, die nicht fallen dürfen, um das ganze System nicht zusammenbrechen zu lassen.

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Horst Köhlers Kriegs-Erklärung

 

Sterben für den Außenhandel: Bundespräsident Köhler erklärt in einem bislang unbeachteten Interview auf Deutschlandradio den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Wörtlich sagt der frühere IWF-Mann dort: „Ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung muss wissen, dass auch militärischer Einsatz notwendig ist um unsere Interessen zu wahren. Zum Beispiel für freie Handelswege.“

Deutschlandradio, Agenturen und Zeitungen berichteten später nur noch in der gekürzten Fassung und ließen Köhlers schneidige Kriegs-Erklärung weg. Übrig blieb aus dem Interview nur noch sein Zitat, den deutschen Soldaten müsse Anerkennung gezollt werden. Nur im Blog der Wochenzeitung Freitag wurde darüber diskutiert – und der Ruhrbarone-Leser „68er“ machte uns darauf aufmerksam.

Köhler hatte am vergangenen Freitag auf der Rückkehr von seiner China-Reise überraschend das Feldlager Masar-i-Sharif bei den dort stationierten Bundeswehrtruppen besucht. Seit neun Jahren kämpfen deutsche Soldaten in dem geschundenen Land, haben Zivilisten erschossen und vermeintliche oder wahre Terroristen in die Luft gesprengt. Und haben selbst ihr Leben verloren. Erst im April waren innerhalb on zwei Wochen sieben deutsche Soldaten gestorben, viele andere schwer verletzt.

Nun wissen ihre Familien, wofür sie sich verstümmeln lassen und zu welchem Zweck sie selbst Familienväter und Schwangere töten. Für den Außenhandel. Blumige Reden von Brücken und Mädchenschulen, die die Deustchen dort aus angeblich humanitären Gründen aufbauen, sind eine glatte Lüge. Das ist schon lange durchschaubar, aber nun wurde diese Lüge vom höchsten Amtsträger im Staat blank gelegt. Jede moralische Begründung für diesen Krieg ist nun offiziell lächerlich. Es sei denn, jemand wolle tatsächlich Arbeitsplätze gegen Menschenleben aufrechnen.

Immerhin wissen die Soldaten jetzt, dass sie für den Export von Dax-Konzernen sterben. Denn auch da sind Köhlers Worte klar: „Niemand kann ausschließen dass wir weitere Verluste beklagen müssen. Es wird wieder Todesfälle geben. Nicht nur bei den Soldaten sondern auch bei den zivilen Aufbauopfern. Wir müssen uns dieser Realität stellen“

Konstantin Wecker über Krieg, Neoliberalismus und übers Einmischen


Er hat eine Meinung und die sagt er auch. Und das seit vierzig Jahren. Wo andere es sich irgendwann bequem machen, ist er lieber unbequem, singt gegen Krieg und Faschismus. Am 21. März tritt er in der Lichtburg Essen auf, gemeinsam unter anderem mit Stoppok und Bettina Wegner bei der Matinee „KünstlerInnen für den Frieden“. Wer ihn dort sehen und hören will, kann sich hier informieren.

Herr Wecker: Wo sehen Sie die Friedensbewegung heute?

„Nie wieder Auschwitz“ – diese unsägliche Begründung von Joschka Fischer für den Jugoslawienkrieg hat der Friedensbewegung den Rest gegeben. Als ich gegen diesen Krieg gesungen habe, habe ich selbst bei meinem Publikum gemerkt, dass plötzlich die Hälfte nicht mehr auf meiner Seite war. Jeder dachte: Schröder und Fischer, das sind doch unsere Leute. Wenn die für den Krieg sind, dann wird es wohl richtig so sein. Das hat viele so sehr überzeugt, dass nur noch ein kleiner Haufen Aufrechter übrig blieb.

Die Friedensbewegung hat es in den letzten zwanzig Jahren in Deutschland nicht ganz leicht gehabt. Das liegt auch an den neoliberalen Think Tanks, die es geschickt geschafft haben, jede Form von Engagement zu desavouieren, ins Lächerliche zu ziehen. Leute wie ich werden zum Beispiel als Gutmenschen bezeichnet. Wenn heute ein paar Leute mit einem Schild dastehen und gegen den Krieg demonstrieren, wird das ins Lächerliche gezogen. Ich finde es bewundernswert, gerade in dieser Zeit, dass es noch Menschen gibt, die durchhalten und sich als Teil der Friedensbewegung betrachten.

Die Neoliberalen und ihre Think Tanks haben in den letzten zwanzig Jahren wahnsinnig viel erreicht und die gesamte Gesellschaft verändert. Sie haben sich Worte angeeignet. Zum Beispiel den Begriff „Reform“ – früher dienten Reformen einer gerechteren Gesellschaft, heute machen Reformen die Gesellschaft immer ungerechter. Es ist unglaublich, wie die Neoliberalen es geschafft haben, den Sinn dieses Begriffs umzudrehen.

Warum machen Sie mit bei „Künstler für den Frieden“?

2003 war ich im Irak. Ich wurde häufiger vorwurfsvoll gefragt, was ich denn da wolle, ich würde doch nicht glauben, dass ich den Krieg verhindern könne. Natürlich wusste ich, dass ich diesen Krieg nicht verhindern kann. Aber es war wichtig, ein Zeichen zu setzen. Seit ich denken, kann engagiere ich mich für den Frieden. Das hat auch mit meiner Familiengeschichte zu tun. Mein Vater hatte den verwegenen Mut, unter Hitler den Kriegsdienst zu verweigern. Er war Antimilitarist, und das hat sich in der Familie fortgesetzt. Ich bezeichne mich selbst als Pazifisten, ganz bewusst, weil ich meine, dass es nur mit dieser Utopie möglich ist, wirklich alle Formen des Kriegerischen und Militärischen zurückzudrängen.

Im Übrigen bin ich nach wie vor der Meinung, dass es zur Rolle und Aufgabe der Kunst und der Künstler gehört, sich politisch einzumischen. Nach Jahrzehnten der neoliberalen Gleichschaltung gehöre ich damit zu den letzten Mohikanern, aber das ist dann eben so. Ich bleibe bei meiner Auffassung: Kunst muss sich positionieren!

Im Mai findet die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag statt. Inwiefern sehen Sie Atomwaffen als konkrete Bedrohung?

Natürlich fühle ich mich bedroht von Atomwaffen, und zwar in erster Linie durch das einzige Land, das schon einmal Atombomben geworfen hat. Es sind die Vereinigten Staaten von Amerika, die die Katastrophen in Hiroshima und Nagasaki verursacht haben. Ich frage mich, warum das nie erwähnt wird. Heute wird so getan, als wären die USA die Retter dieser Welt, diejenigen, die uns vor dem Bösen bewahren. Alle Länder, die Atomwaffen besitzen, sind eine Bedrohung. Keines dieser Länder denkt doch ernsthaft daran, zunächst einmal vor allem die eigenen Atomwaffen zu vernichten. Es geht doch immer nur darum, dass die anderen keine haben sollen. Jede Atomwaffe ist eine zu viel.

In Afghanistan herrscht seit vielen Jahren Krieg, zurzeit gerät der Iran in den Fokus der internationalen Politik. Was macht für Sie das Wesen des Krieges aus?

Immer wenn die Kriegstrommel gerührt wird, wird gelogen. Es wurde bis jetzt in allen Kriegen gelogen. Es ist das Wesen des Krieges, dass er mit gigantischen Lügen eingeleitet wird. Kein Volk der Welt will gerne Krieg führen. Nur mit Propaganda und Lügen kriegt man die Menschen dahin, dass sie Krieg führen wollen. Ich glaube mittlerweile überhaupt nichts mehr. Ich bin damals in den Irak gefahren, weil ich vor Ort sehen wollte, was wirklich los ist. Viel habe ich darüber gelesen und geahnt, dass es Lügen sind. Als ich selbst dort war, habe ich ein ganz anderes Bild bekommen als das, was unsere Medien gezeichnet haben. Zu dieser Zeit habe ich deshalb auf meiner Internetseite den Bereich „Hinter den Schlagzeilen“ eingeführt. Bis heute veröffentlichte ich dort andere Meinungen als die gängigen und andere Sichtweisen als die vorherrschenden und mache sie den Menschen zugänglich.

Kriege wie in Afghanistan sind deswegen willkommen, wenn man weiß, dass sie endlos sind, und dass man sie nicht gewinnen kann. Was ist denn schon auch ein gewonnener Krieg? Man will Kriege gar nicht gewinnen, weil die Waffenindustrie nur am Leben erhalten werden kann, wenn es ständig Krieg gibt. In der Welt gibt es zwei ganz große Industriezweige: die Pharmaindustrie und die Waffenindustrie. Deutschland ist nach wie vor der drittgrößte Waffenexporteur der Welt, da kann man sich auf Dauer nicht aus den Kriegen heraushalten. Bis zum Irakkrieg galt Deutschland ja noch als Land des Friedens. Das geht jetzt nicht mehr. Das lassen die anderen Länder sich nicht mehr bieten, dass ein Land viel Geld mit Waffen verdient, aber bei den Kriegen nicht mitmacht. Ich finde es so ekelhaft, dass die Bellizisten wieder Wortführer sind, mit ihren scheinmoralischen Argumenten. Um es mit Bertolt Brecht sozusagen: „Krieg wird sein, solange auch nur ein Mensch am Krieg verdient“.

Viele Menschen haben die Hoffnung, dass sich mit Barack Obama die Rolle Amerikas in der Welt verändert. Wie sehen Sie das, nachdem er nun gut ein Jahr im Amt ist?

Obama verkörpert bis heute für viele Menschen Hoffnung. Auch weil er der erste schwarze Präsident ist. Das ist ein Schlag in die Magengrube jedes Republikaners, jedes aufrechten Rechten. Das allein schon ist ein Genuss. Aber man muss auch sehen, dass Obama in ein System eingebunden ist. Dass er kein Friedensfürst ist, war allen klar. In Amerika wird kein Pazifist zum Präsidenten gewählt. Aber es gibt viele Gründe, ihn nach wie vor zu mögen. Im Unterschied zu Bush kann er zum Beispiel ganze Sätze sprechen. Man muss dankbar sein, dass Obama gewählt wurde, und natürlich muss man ihm weiter den Rücken stärken.

Sie beziehen öffentlich und offensiv linke Positionen. Wie ist Ihr Verhältnis zu Parteien, zur Linken insbesondere?

Ich bin sehr froh, dass es die Linke gibt, keine Frage. Aber ich bin kein Mitglied und habe auch keinen Wahlkampf gemacht, das mache ich für niemanden mehr. Früher habe ich für die Grünen Wahlkampf gemacht, zu Petra Kellys Zeiten. Da ging es um die Bewegung und darum, Petra Kelly zu unterstützen. Aber die Grünen haben mich zu sehr enttäuscht. Heute bin ich froh, dass es die Linke gibt und ich bekenne mich auch dazu, sie zu wählen, weil ich keine Alternative sehe. Schon oft in der Geschichte war es so, dass von links wichtige Anstöße kamen, um bestimmte Ideen überhaupt populär zu machen. Aber ich bin auch ein Freund einiger aufrechter Sozialdemokraten. Wenn man irgendwo in die Provinz kommt und dort gibt es einen sozialdemokratischen Bürgermeister, dann muss man den natürlich unterstützen. In Bayern zum Beispiel ist so jemand ja praktisch ein Linksaußen.

Seit Kurzem gibt es das „Institut Solidarische Moderne“, in dem sich zahlreiche Einzelpersonen aus den drei Parteien SPD, Linke und Grüne sowie Gewerkschaften, Wissenschaft, Kultur und Kunst zusammengetan haben. Was halten Sie davon?

Ich werde mich demnächst mit Andrea Ypsilanti, einer der InitiatorInnen, treffen. Die Idee eines linken parteiübergreifenden Think Tanks, der das Ziel hat, der neoliberalen Ideologie etwas entgegenzusetzen, finde ich gut. Die Neoliberalen verkaufen ihre Politik immer als ideologiefrei und alternativlos, dabei sind genau sie es, die gezielte Ideologie betreiben. Ich muss mir diese neue Initiative erst genauer anschauen, um zu sehen, ob ich mich dort einbringen kann. Bisher erscheint mir das sehr soziologisch. Es müsste vielleicht eine Gruppe geben, die sich mit Kultur und Kunst beschäftigt, das fände ich wichtig. Es wurde auf jeden Fall Zeit, dass so etwas ins Leben gerufen wird, und vielleicht kann diese Initiative sich in die gesellschaftliche Meinungsbildung einmischen.

Wie optimistisch sind Sie, dass Ihr Engagement Früchte trägt?

In einem Lied über die Weiße Rose habe ich einmal geschrieben, es geht ums Tun und nicht ums Siegen. Ich glaube nicht, dass ich auch nur annähernd eine friedliche Welt erleben werde, meine Kinder wahrscheinlich auch nicht. Das heißt aber nicht, dass wir diese Ideen nicht weiter tragen müssen. Als Künstler bin ich nichts weiter als ein Mosaiksteinchen. Das waren Künstler und andere engagierte Menschen schon immer. Wahrscheinlich wäre diese Welt aber noch viel schrecklicher, wenn es das über die Jahrtausende nicht immer gegeben hätte. In einem Konzert habe ich erzählt, „vor vierzig Jahren bin ich angetreten, um diese Welt mit meinen Liedern zu verändern. Wenn ich mir die Welt heute anschaue, kann ich nur sagen, ich war es nicht.“ Daraufhin haben mir ganz viele Leute geschrieben, ich hätte bei ihnen ganz persönlich etwas bewirkt, ihnen Kraft gegeben. Manche haben auch geschrieben, ich hätte sie politisiert, ihnen Mut gemacht, zu ihrer eigenen Meinung zu stehen. Und das ist doch schon mal was. Auch wenn ich weiß, dass ich nicht die Welt verändern kann, so ist es doch nicht sinnlos.

Wie viel Unterstützung haben Sie in Ihrem künstlerischen Umfeld?

Es machen nicht mehr sehr viele mit. Ich hoffe, dass sich bei der jungen Generation wieder etwas ändert. Durch die Proteste an den Hochschulen habe ich Kontakt bekommen zu einigen jungen LiedermacherInnen, die dort mitgemacht haben. Insofern habe ich die Hoffnung, dass es wieder mehr Leute gibt, die sich trauen, sich zu engagieren. Aber auch hier habe ich das Gefühl, die neoliberale Vorherrschaft hat einige Künstler abgehalten, sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Es ist erstaunlich, wie wenige sich insgesamt lautstark äußern und engagieren. Ich sage zwar meine Meinung und mische mich ein, aber eigentlich bin ich ja Künstler, und das will ich auch sein, kein Politiker. Nach wie vor glaube ich viel mehr an die Poesie als an die Politik.

Wo ist die Hoffnung für Sie?

Bei Erich Fromm habe ich den schönen Satz gelesen, „Hoffen heißt, auch an etwas weiter glauben, selbst wenn man es zu Lebzeiten nie verwirklichen kann“. Hoffnung hat nichts mit der eigenen Wunscherfüllung zu tun, sondern damit, daran zu glauben, dass eine Idee sich weiter tragen kann. Dazu gehören viele Menschen. Niemand ist alleine wirklich großartig. Das Jahrhundert der Diktatoren hat gezeigt, was einzelne Menschen, die die Welt beherrschen wollten, an Schrecken verbreiten und Katastrophen anrichten können. An einer neuen Idee und an einer neuen Gesellschaft müssen viele Menschen arbeiten. Ein einzelner kann eine Idee weiter befördern und in die Welt tragen, aber nie und nimmer ein System errichten, das ein gerechtes System wäre. Das geht nur durch die Arbeit und die lebendige Kraft vieler Menschen.

Foto: Richard Föhr

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New York, Rio, Kabul

Das Bild des Tages (klack) kommt vom Hindukusch. Neben Opel-Opa Jürgen Rüttgers ist Freiherr zu Guttenberg längst das Phänomen der Politik, ein neuer Phänotyp des Politischen. Ob am Times Square in der Krise (klick) oder in der Bundeswehrmaschine über Afghanistan, überall macht Gutte "bella figura". New York, Rio, Kabul. Vom Krisen- zum Kriegsminister. Hauptsache die Frisur stimmt.

 illu: ruhrbarone

Olympische Krieger

Ich boykottiere die Olympischen Spiele nicht. Ich glaube, es ist egal, ob ich mir um drei Uhr morgens den Wecker fürs Fernsehen stelle oder die Sache ignoriere. Ob ein bundesdeutscher Mediennutzer die Peking-Spiele Diktatur-Spiele sein lässt, global gesehen ist das ungefähr so wichtig, als wenn in China ein Sack Reis umfällt. Wie übersetzen sich das eigentlich die Chinesen? In Frankreich ein Sack Kartoffeln? In den USA ein Sack Mais? In Deutschland ein Fernseher?

Ich finde olympische Spiele, so staatsbefrachtet sie auch sein mögen, lehren Demut. Wie viele Menschen in der Welt die gleiche Sportart betreiben, wie jung und schön und gut gelaunt die sind, wie schnell, groß, geschickt, schlau. Und wie dumm der Beobachter bleibt, den nur interessiert, ob sein Land Bronze, Silber und Gold abräumt. Schön, dass es das digitale Fernsehen, dass es dafür Zattoo gibt, denn ZARDF zeigen wenigstens auf ihren digitalen Ablegern Wettkämpfe, ganz unabhängig davon ob nun ein deutscher Athlet dabei ist oder nicht.

Ohne das medienwissenschaftlich erhärten zu können, scheint es mir, dass es früher im kalten Krieg fairer zu ging. Da wurde moderner Fünfkampf gezeigt, obwohl immer ungarische Soldaten gewannen. Da lief Frauenturnen zur Primetime ohne FRA, oder Keirin ohne Brustring. Erst recht bei den Winterspielen, der DDR-Domäne. Die Welt mag globaler geworden sein, die Aufmerksamkeit hat sich verengt. Die USA haben mir das vorgemacht. Als ich dort in den Achtzigern ein Frühjahr verbrachte und wirklich sehr, sehr viel Fernsehen guckte, erinnere ich mich an zwei Meldungen aus Europa: eine Geiselnahme in einer Londoner Botschaft und einen Straßenlauf aus Paris, es siegte ein US-Amerikaner. Die einzigen beiden Deutschen, auf die ich angesprochen wurde, waren Hitler und "The Albatross" Michael Gross.

Demut lehrte dann auch die Eröffnungsfeier in Peking. Wie grandios die denken, wie anders, wie hypnotisierend und wie entlarvend die Trachtenkinder vorgeschickt wurden. Autokratische Systeme erkennt man an ihren Kindergesichtern. Immerhin, sie haben die Friedenstauben weggelassen. War es in Athen, als die Vögel in der olympischen Flamme geröstet wurden? Tauben waren gestern wirklich nicht angesagt. Ist es der erste vorolympische Krieg, der dort im Kaukasus, unweit des Austragungsortes der 22. Winterolympiade ausgebrochen ist?

Es ist natürlich kein Zufall, die Marschbefehle, Mobilmachungen, Maschinengewehrsalven ausgerechnet am Eröffnungstag. Es geht auch um Sotschi, um Putins-Gazproms-Olympiastadt 2014 an der Grenze zu Abchasien. Lang vor dem Krieg gab es in der Region ja schon einen Städtewettkampf. Georgien hatte sich mit Bordschomi auch um die Spiele 2014 beworben und war in der Vorschlussrunde ausgeschieden. Jetzt am 8.8.8 hat die georgische Regierung wohl darauf gesetzt, dass sich Russland als künftiger Gastgeber zurückhält, zurückhalten will oder muss; es galt ja mal Friedenspflicht, wenn das olympische Feuer brannte. Und Russland fördert die Separatisten von Südossetien, von Abchasien auf der anderen Seite der Grenze, auch weil es den Einfluss vergrößern würde, das Hinterland der Langlaufwettbewerbe.

Demut – und doch ein wenig Übermut: Warum Olympia auch Spaß macht? Im Ruhrgebiet? Wenn eine Fußballerin aus Wattenscheid für die ersten positiven Schlagzeilen sorgt. Wattenscheid, auch dass gibt es nur noch bei olympischen Spielen.