Weltbühne und Berliner Zeitung: Alternative Fakten aus Ost-Berlin

Die neue Weltbühne Foto: Laurin

Der Verleger Holger Friedrich stellt seine Medien für eine Rufmordkampagne gegen Philipp Peyman Engel, den Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, zur Verfügung. Der ehemalige IM „Peter Bernstein“ bedient sich dabei alter Stasi-Methoden.

Die Weltbühne war eine der wichtigsten deutschen Zeitschriften des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Gegründet von Siegfried Jacobsohn, schrieben für das Blatt herausragende Autoren wie Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky, die die Weltbühne zwischenzeitlich auch leiteten, Lion Feuchtwanger, Erich Mühsam, Else Lasker-Schüler und Carl Zuckmayer. Nach dem Krieg erschien sie in der Ostzone. Im wiedervereinigten Deutschland wurde der einst ruhmreiche Titel zu einem Wanderpokal, der von Verlag zu Verlag ging, immer mal wieder erschien, um bald eingestellt zu werden. In dieser Woche brachte der Berliner Verlag von Holger Friedrich eine Neuauflage der Weltbühne auf den Markt.

Herausgegeben wird sie von Thomas Fasbender, der früher oft auf Putins Propagandasender RT zu sehen war und zeitweise einen von Russland finanzierten Thinktank beriet, und dem Schriftsteller Behzad Karim Khani, über den Julia Encke in der FAZ schrieb: „Ein deutscher Sachbuchautor wurde von ihm, so schildern es Gäste, die dabei waren, in einem Berliner Restaurant wegen einer Israelaussage körperlich angegangen. Eine Literaturkritikerin wegen eines Textes über ihn wiederholt beleidigt. Und in seinen publizistischen Texten und Einträgen auf Social Media wütet Karim Khani. Wünscht sich ‚Krater‘ und ‚Gewalt‘ auf die ‚mal bewirteten, mal brachliegenden quadratischen Felder‘ in Deutschland, auf dass die Landschaft ‚eine andere, neue Geschichte erzähle‘ (‚taz‘). Besonders aggressiv tritt er seit dem 7. Oktober gegenüber jenen auf, die Solidarität mit Israel bekunden.“

Dazu passt der einzige der neun Texte, der in den vergangenen Tagen für Aufmerksamkeit sorgte. In ihm erweckte die Autorin Deborah Feldman in einem raunenden Text ohne Angabe überprüfbarer Quellen den Eindruck, dass die Mutter von Philipp Peyman Engel, dem Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, keine Jüdin gewesen sei, sondern vielleicht ein Mitglied der Bahai, einer im 19. Jahrhundert im Iran entstandenen Religion. Nach jüdischem Recht wäre er damit kein Jude. Seit Jahren arbeitet sich Feldman vor allem in den sozialen Medien an Philipp Peyman Engel ab. Dass er zu Israel steht, das Land verteidigt und – wie in der vergangenen Woche auch im Interview mit diesem Blog – die Gefahr beschreibt, die Juden von radikalen Muslimen und Linken in Deutschland ausgeht, kann das Postergirl der glühenden Berliner Israelkritikerszene nicht ertragen.

Schon gestern hat sich der Zentralrat der Juden in Deutschland, der die Jüdische Allgemeine herausgibt, hinter den Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen gestellt:
„In einem Artikel in der Zeitschrift Weltbühne und in Posts auf Social Media zieht sie seine jüdische Identität in Zweifel. Diese Zweifel entbehren jeder Grundlage. Es ist nicht das erste Mal, dass Feldman mit einer Diffamierungskampagne gegen Personen vorgeht, die ihr unliebsame Meinungen vertreten. Die jüdische Herkunft Engels und die seiner Mutter von Geburt an sind zweifelsfrei durch Unterlagen nachgewiesen – worüber Frau Feldmann vor Veröffentlichung informiert wurde. Der Zentralrat der Juden in Deutschland, als Herausgeber der Jüdischen Allgemeinen, steht zu 100 Prozent hinter Philipp Peyman Engel.“

In einem Artikel in der taz schreibt Nicholas Potter, der von Palästina-Aktivisten seit Langem verfolgt und bedroht wird, dass der Zeitung mehrere Dokumente vorliegen, die die jüdische Identität Philipp Peyman Engels und seiner Mutter belegen: „Die Israelitische Cultusgemeinde Zürich bestätigt in einem offiziellen Schreiben, ausgestellt im April 2025, dass beide nach orthodoxem Verständnis jüdisch durch Geburt sind. Auch die Konferenz Europäischer Rabbiner bestätigt mit einem undatierten Zertifikat, dass Engel Sohn einer jüdischen Mutter ist und deshalb als jüdisch anerkannt ist. Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz in Deutschland bestätigt in einem Schreiben, ebenfalls aus April 2025, dass Engel nach der Halacha, dem jüdischen Gesetz, jüdisch ist. Ein Dokument der Jüdischen Kultusgemeinde in Dortmund, datiert auf das Jahr 1998, bescheinigt, dass Engels Mutter seit 1994 Mitglied ist.“

Feldmans Geraune ist also haltlos und soll Engels Glaubwürdigkeit angreifen. Dass Friedrich ihr erst die Weltbühne und heute noch – ohne Paywall offen zu lesen – die Berliner Zeitung für ihre Kampagne zur Verfügung stellt, dürfte eher Taktik denn Zufall sein. Holger Friedrich war in der DDR als IM „Peter Bernstein“ für den Staatssicherheitsdienst tätig. In dem 2017 in der Zeit erschienenen Artikel „Alternative Fakten aus Ost-Berlin“ beschreibt die Historikerin Daniela Münkel die Arbeit des Zonen-Geheimdienstes: Zwischen 1950 und 1989 habe die Stasi gezielte Falsch- oder Halbinformationen gestreut, um Politiker, Journalisten und Unternehmen in der Bundesrepublik zu diskreditieren. Einmal Stasi, immer Stasi. Noch immer kommen alternative Fakten aus Ost-Berlin – nur nicht mehr aus der Stasi-Zentrale, sondern aus den Räumen des Berliner Verlags, in dem die Weltbühne und die Berliner Zeitung erscheinen.

Friedrich setzt in einem Text schon mal demokratische Parteien in Anführungszeichen, stellt gemeinsam mit dem wegen Totschlags verurteilten ehemaligen Generalsekretär des ZK der SED, Egon Krenz, den dritten Teil seiner ebenso wie sein Dasein überflüssigen Biografie vor und holt einen Redakteur der nationalbolschewistischen Jungen Welt in die Geopolitik-Redaktion seiner Zeitung – ein Ressort, das RT-Plauderer und Weltbühne-Herausgeber Fasbender leitet. Die Berliner Zeitung steht gegen die Ukraine, für Putin, schätzt Wagenknecht, verurteilt Israel, stellt die Ostdeutschen als ausgebeutete Minderheit dar und feiert Trump für seinen antiwestlichen Kurs.

Dass die FAZ die Berliner Zeitung zu Recht „Prawda“ nannte, belegt die Veröffentlichung von Feldmans Text. Sie dient der Denunziation politischer Gegner – und kennt dabei keine Grenzen.

 

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