
Am kommenden Freitag um 19.30 Uhr stellt Philipp Peyman Engel, Chefredakteur des Jahres 2023, Ricarda Huch Preisträger und Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, im Oval Office des Schauspielhaus Bochum sein autobiografisch geprägtes Buch „Deutsche Lebenslügen: Der Antisemitismus, wieder und immer noch vor.“ Mit den Ruhrbaronen sprach Philipp Peyman Engel über Antisemitismus in Deutschland, sein Verhältnis zum Schauspielhaus und die neue Bundesregierung.
Ruhrbarone: Vor etwas mehr als einem Jahr erschien dein Buch „Deutsche Lebenslügen: Der Antisemitismus, wieder und immer noch“. Darin beschreibst du nicht nur deine ganz persönlichen Erfahrungen mit Antisemitismus, sondern auch die Bedrohungen, denen Juden in Deutschland ausgesetzt sind. Es war geprägt von den Reaktionen auf den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Würdest du es heute noch genauso schreiben?
Philipp Peyman Engel: Die Beschreibung der unheiligen Allianz von linksorientierten und muslimischen Antisemiten ist erschreckend aktuell. Nach wie vor erleben wir, wie Menschen aus linken und migrantischen Milieus ihren Hass auf den jüdischen Staat und jüdische Menschen ganz unverhohlen auf die Straße tragen. Insofern müsste ich diesen Teil des Buches heute genau so schreiben wie vor rund anderthalb Jahren. Nur dass ich nicht mehr von „pro palästinensischen“ Kundgebungen sprechen würde. Das war schon damals – ungewollt – eine Verzerrung der Wirklichkeit.
Ruhrbarone: Inwiefern?
Philipp Peymann Engel: Auf den betreffenden Kundgebungen wird nahezu immer gegen Israel und Juden gehetzt, Sympathien für den Terror der Hamas bekundet und ganz offen zu Gewalt aufgerufen. Das ist nicht „pro palästinensisch“, sondern schlicht israelfeindlich und antisemitisch. Demonstrationen der NPD würden wir Journalisten – mit gutem Grund – ja auch nicht als „pro Deutsch“ bezeichnen.
Ruhrbarone: Wirst du auf diesen Kundgebungen erkannt?
Philipp Peyman Engel: Ja.
Ruhrbarone: Wie muss man sich die Begegnungen mit den Demonstranten vorstellen?
Philipp Peyman Engel: Dort treffe ich die Menschen, die mir sonst nur anonym per Mail oder Social Media schreiben, dass ich bald für den –angeblichen – Völkermord der Israelis an den Palästinensern zur Rechenschaft gezogen werde, Blut an meinen Händen kleben würde und ich „folgerichtig“ bald sterben werde. Im Sommer letzten Jahres hat mich ein Reporter der Tageszeitung „Welt“ zu einer israelfeindlichen Demo nach Neukölln begleitet. Zusammen mit mehreren Security-Kräften von Springer. Die Stimmung war ungemein aufgeheizt und aggressiv. Der Polizeischutz immens. Ich stelle mir in solchen Situationen immer die Frage, was passieren würde, wenn die Polizei nicht anwesend wäre. Würde es nur bei Worten bleiben? Ich bezweifle das stark.
Ruhrbarone: Ist es in Berlin schlimmer als in anderen Städten? Ist Berlin das Zentrum des antisemitischen Irrsinns in Deutschland?
Philipp Peymann Engel: Absolut! Berlin ist nach wie vor Hotspot der israelfeindlichen, antisemitischen und terrorverherrlichenden Szene. Das heißt aber nicht, dass es woanders keine antisemitischen Demonstrationen und keine Gefahr für jüdisches Leben geben würde. Ich war mir immer sicher, dass Bayern – insbesondere München – für deutsche Juden das gelobte Land sei. Nach dem 7. Oktober mussten wir uns von dieser Vorstellung verabschieden. Charlotte Knobloch, die Präsidentin der jüdischen Gemeinde in München, hat nach dem 7. Oktober ihren Gemeindemitgliedern dringend dazu geraten, in München öffentlich keine Kippa oder Davidsternkette mehr zu tragen, weil die Gefahr zu hoch ist, verbal oder körperlich attackiert zu werden. Diese Warnung gilt bis heute. Nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Städten herrscht nach wie vor der Ausnahmezustand.
Ruhrbarone: Was sich seit dem Erscheinen deines Buches auch geändert hat, ist der Aufstieg der AfD zur zweitstärksten Partei bei der Bundestagswahl. In Umfragen liegt sie manchmal sogar vorn. Wie erleben Juden den Aufstieg dieser rechtsradikalen Partei?
Philipp Peyman Engel: Mit der allergrößten Sorge. Man kann es gar nicht oft genug sagen: Die AfD ist keine Partei wie jede andere. Eine im Kern antidemokratische, rechtsextreme, geschichtsrevisionistische, Russland- und Chinanahe Partei, in der Judenhasser und Rassisten sich zu Hause fühlen, vertritt nicht bloß »polarisierende Positionen«. Sie ist brandgefährlich. Aber das heißt wohlgemerkt nicht, dass die jüdische Community in Deutschland nun sagen würde, es gebe nur eine Gefahr für jüdisches Leben – und das sei die AfD. Die jüdische Gemeinschaft ist nicht naiv. Sie sieht zugleich auch sehr deutlich die Gefahr, die von Muslimen in Deutschland und von Linksextremisten ausgeht. Das ist eine hochgefährliche Melange.
Ruhrbarone: Bist du für ein Verbot der AfD?
Philipp Peymann Engel: Das ist mehr als überfällig. Die AfD gilt als gesichert rechtsextremistisch. Der Verdacht, dass die Partei Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verfolgt, hat sich bestätigt. Das Gutachten des Inlandsnachrichtendienstes umfasst über 1100 Seiten und enthält zahlreiche Belege, die den verfassungsfeindlichen Charakter und die Menschenwürde missachtende sowie die extremistische Prägung der Gesamtpartei untermauern. Warum sollte eine verfassungsfeindliche Partei die Demokratie nutzen dürfen, um sie Stück für Stück abzuschaffen? Zugleich ersetzt ein Verbotsverfahren nicht die Notwendigkeit, sich auch politisch mit der AfD auseinanderzusetzen.
Der AfD muss auch argumentativ und durch überzeugende Politik begegnet werden. Denn, und das ist eine unbequeme Wahrheit, nicht alle AfD-Wähler vertreten rechtsextreme Einstellungen. Nicht wenige von ihnen haben das Vertrauen in die demokratischen Parteien – Stichwort verfehlte Migrations-, Wirtschafs- und Sozialpolitik – verloren und machen aus Protest ihr Kreuz bei den blau-lackierten Braunen. Extremisten sind immer nur so stark, wie Demokraten sie werden lassen. Die neue schwarz-rote Koalition muss nun diszipliniert Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit finden. Sonst könnte es spätestens 2029 ein böses Erwachen mit einer noch stärkeren AfD geben, die spätestens dann auch in Regierungsverantwortung drängen wird.
Ruhrbarone: Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD klar gegen BDS positioniert und ihre Solidarität mit Juden in Deutschland und mit Israel betont. Glaubst du, dass Union und SPD ihr Versprechen halten?
Philipp Peyman Engel: Das ist zumindest die große Hoffnung. Die ersten Tage jedenfalls weisen in die richtige Richtung. Kulturstaatsminister Wolfram Weimers erste Amtshandlung war, das „Gehirn“ von seiner Amtsvorgängerin Claudia Roth (Die Grünen), zu feuern, und radikal mit der israelfeindlichen, Antisemitismus ignorierenden Politik Roths zu brechen. Für Kanzler Friedrich Merz ist es – anders als für den damaligen Kanzler Olaf Scholz oder die in Sachen Israel unerträglich inkompetente Annalena Baerbock – selbstverständlich, Israels Premier Netanjahu rechtssicher in Berlin zu empfangen und eben nicht verhaften zu lassen. Und die erste Reise des neuen Außenministers Wadephul außerhalb von Europa ging nach Israel, wo Wadephul ganz anders als seine Vorgängerin das richtige Maß zwischen Nähe und Kritik fand. Es deutet alles auf einen Kurswechsel hin – und der ist nach dem spektakulären Scheitern der Ampel auch dringend notwendig.
Ruhrbarone: Du wurdest um die Ecke in Herdecke geboren, bist in Witten aufgewachsen und hast in Bochum gelebt und studiert. Ist es für dich etwas Besonderes, nach Bochum zu kommen?
Philipp Peyman Engel: Etwas ganz Besonderes. Es mag komplett schräg klingen, aber wenn ich mit dem ICE in den Bochumer Hauptbahnhof einfahre, bin ich aufgeregter als zum Beispiel bei Reisen mit Mitgliedern der Bundesregierung ins Ausland, die ich gelegentlich als Journalist begleite. Ich bin und bleibe halt ein Kind des Ruhrgebiets.
Ruhrbarone: Welche Beziehung hast du zum Schauspielhaus?
Philipp Peymann Engel: Während des Studiums an der Ruhr-Universität Bochum habe ich mich immer unfassbar gelangweilt. Tagsüber habe ich die meiste Zeit in der Unibibliothek mit dem Lesen der FAZ, der Süddeutschen und anderer Zeitungen verbracht. Abends bin ich – rückblickend betrachtet – fast manisch oft ins Schauspielhaus gegangen. Burkard Klaußners Inszenierung von Thomas Bernhards „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ etwa mit Otto Sander und Marc Oliver Schulze in den Hauptrolle habe ich bestimmt zehn Mal gesehen. Ebenfalls Otto Sander in „Der Hauptmann von Köpenick“. Das Schauspielhaus hat mich ungemein geprägt – es war neben den Zeitungen und den Büchern mein Tor zur Welt.
Philipp Peyman Engel: „Deutsche Lebenslügen: Der Antisemitismus, wieder und immer noch“
Buchvorstellung und Gespräch mit Diaspora- und Genozidforscherin Prof. Dr. Kristin Platt
Freitag 16. Mai, 19:30, Oval Office, Schauspielhaus Bochum
Transparenzhinweis: Stefan Laurin ist freier Mitarbeiter der Jüdischen Allgemeinen
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