
Der ominöse Geheimbericht des Geheimdienstes, der sich auf nicht-geheime Quellen stützt, ist nicht mehr geheim. Was darin an Zitaten von AfD-Politikern aufgelistet wird, taugt dazu, die Partei als rechtsextrem einzustufen, nicht aber als verfassungsfeindlich.
Kurz vorm Amtsantritt der neuen Regierung und ihrem eigenen Abtritt ließ die bis dato SPD-Innenministerin Nancy Fieser mit Aplomb das lange zurückgehaltene Dossier des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu AfD veröffentlichen. Fazit der Behörde: Die Partei ist „gesichert rechtsextremistisch“ – und damit ein Fall für ein Verbot. Inzwischen zog das Amt die Einstufung vorläufig zurück, weil die AfD dagegen klagt. Die Wirkung jedoch bleibt. Nur der Bericht war bislang amtlich geheim: „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“.
Das ist seit Dienstag anders. Da veröffentlichte das Magazin „Cicero“ das gesamte Dossier – was linke Magazine in anderen Fällen auch gerne tun im Zeichen der Transparenz. Bekommen hat das Blatt wie auch andere rechte Medien das dicke Konvolut der fleißigen Verfassungsschützer wahrscheinlich von den Anwälten der AfD. Denn denen musste das Bundesamt im Rahmen des Einstweiligen Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht den Bericht zugänglich machen.
Die Kollegen der taz haben sich die Mühe gemacht, die Zitatensammlung zu lesen und ihrerseits eine Zusammenfassung zu veröffentlichen. Was man da an Äußerungen von AfD-Politikern aller Ebenen lesen kann, ist nicht wirklich überraschend. Schließlich waren und sind sie alle öffentlich gefallen. Also nichts, wofür man einen Geheimdienst bräuchte. Angaben über umstürzlerlische Aktivitäten, die sich auf V-Leute oder eigene Agenten stützen und die allein ein Verbot der AfD rechtfertigen würden, findet man hingegen nicht. Und nur solche vertraulichen Quellen hätten wiederum die Geheimhaltung des Dossiers gerechtfertigt.
Der Großteil des Berichts befasst sich mit dem „ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff“ der AfD, der darauf abziele, Deutsche mit Migrationsgeschichte „von der gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen“, sie einer „nicht verfassungskonformen Ungleichbehandlung auszusetzen“ sowie ihnen einen „rechtlich abgewerteten Status“ zuzuschreiben. Sie würden als „Passdeutsche“ und Bürger zweiter Klasse degradiert.
Gibt es ein deutsches Volk?
Das kann man in der Tat für einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes und die Menschenwürde und Menschenrechte halten. Allerdings unterscheidet das Grundgesetz sehr wohl zwischen Angehörigen des deutschen Volkes, also auch Eingebürgerten, und anderen. So haben z.B. nur Deutsche das Wahlrecht. Und nur die ihnen insofern gleichgestellten EU-Bürger haben die Niederlassungsfreiheit und das Recht auf Freizügigkeit, also in Deutschland ohne Arbeitsvisum zu arbeiten und geschäftlich tätig zu werden.
Bis zur Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts durch die rot-grüne Regierung Anfang des Jahrtausends galt zudem das alte Abstammungsprinzip. Danach war nur der automatisch Deutscher, der von Deutschen abstammt. Das entsprach für lange Zeit der Verfassung und war keineswegs „völkisch“. Gegen die Änderung kämpfte und klagte die Union, die nun den Kanzler stellt.
Sicher hat sich seitdem das allgemeine gesellschaftliche Verständnis davon gewandelt, wer alles zu diesem Land gehört und wie Ausländer und Migranten zu behandeln sind – nicht mehr als Fremde, die allenfalls geduldet werden. Ein erheblicher Teil der einheimischen Bevölkerung wehrt sich jedoch weiterhin dagegen. Die AfD gibt dem Ausdruck. Ob das allein schon verfassungswidrig ist, erscheint sehr fragwürdig. Schließlich ist es nicht verboten, gegen den Zuzug von Ausländern zu sein.
Die AfD hat zudem offiziell klargestellt, dass sie nicht generell Zugewanderte und deren Nachkommen „remigirieren“ will, schon gar nicht solche, die eingebürgert wurden. Das reicht den behördlichen Verfassungsschützen allerdings nicht. Die Erklärung sei zweideutig und wohl taktisch motiviert.
Das ist wahrscheinlich so. Schließlich hat die AfD-Co-Vorsitzende und Spitzenkandidatin Alice Weidel auf einem Parteitag sehr laut von „Remigration“ gesprochen. Dennoch ist unlogisch, dass die Verfassungsschützer zwar all die angeführten Zitate von AfD-Politiker für bare Münzen nehmen und gegen die Partei verwenden, nicht jedoch solche, die die Partei entlasten würden und die nicht in ihre eigene Lesart passen. Und derjenigen, die ihren Bericht begierig aufgenommen haben.
Politische Argumente von Rot-Grün
Vollends zur politischen Streitschrift wird der Bericht, wenn der AfD vorgehalten wird, sie vertrete „fremden- und minderheitenfeindliche Positionen“. Personengruppen würden pauschal diffamiert und verächtlich gemacht, um irrationale Ängste und Ablehnung gegenüber diesen zu schüren, etwa wenn AfD-Politiker von „Messerkriminalität“ sprechen. Abgesehen davon, dass diese Kritik der von rot-grünen Politikern und NGOs entspricht, aber nicht Sache des Verfassungsschutzes ist, ist nicht zu bestreiten, dass Messerangriffe überdurchschnittlich oft von Migranten und Geflüchteten verübt werden.
Das kann und darf man deshalb selbstverständlich als „Messerkriminalität“ bezeichnen, erst recht in politischen Auseinandersetzungen oder im Wahlkampf, ohne dass dies schon verfassungsfeindlich wäre. Das gleiche gilt für für angebliche pauschale Abwertung von Muslimen. (Vielsagend ist, dass die taz in dem Zusammenhang als „sacht entlastend“ für die AfD anführt, dass in dem Bericht auch antisemitische Anklänge in der AfD aufgeführt würden).
Gibt es aber in dem mehr 1108 Seiten umfassenden Dossier auch Beweise, dass die AfD tatsächlich darauf hinwirkt, die freiheitlich demokratische Grundordnung abzuschaffen? Nein. Bestrebungen gegen das Demokratieprinzip in der Partei hätten sich zwar verdichtet, wenn dort etwa der Bundesregierung oder den „demokratischen“ Parteien diktatorische Strukturen unterstellt würden. Quantitativ finde dies allerdings nicht in einem solchen Maße statt wie die Belege für ein ethnisches Volksverständnis. Gleiches gelte für die Verharmlosung von NS-Verbrechen, die vereinzelt in der Partei stattfinde, etwa mit Reden von einem „Schuldkult“ oder dem „Alles für Deutschland“-Ausruf von Björn Höcke, einer SA-Losung. Solche Positionen hätten sich aber noch nicht für die Gesamtpartei verdichtet. Es bleibe lediglich ein verfassungsfeindlicher Verdacht.
Fazit: Das Gutachten des Verfassungsschutzes ist eher ein Schlechtachten. Es bestätigt, was ohnehin bekannt ist über die AfD. Aber es liefert nichts, was ein Parteiverbot rechtfertigen würde. Die Veröffentlichung diente ganz offensichtlich einem politischen Ziel. Das allerdings ist nicht die Aufgabe des Verfassungsschutzes.