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„Wenn am nächsten Sonntag …“ – sozialdemokratische Phantasien

“Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären …”, dann haben wir es, weil ja am nächsten Sonntag keine sind, mit dem Beginn einer Frage zu tun, nämlich der Sonntagsfrage. Die fragt dann bekanntlich, weil es sich ja um mehrere handelt („Bundestagswahlen“), genau genommen um zwei, wenn sie denn am nächsten Sonntag wären, nicht etwa danach, wem wir unsere Erststimme gäben, genau unsere Erststimmen, weil es sich ja bei uns um mehrere handelt, genau genommen um mehr als sechzig Millionen Wahlberechtigte, sondern – keine Sorge: der Satz ist gleich zu Ende – danach, für welche Partei wir mit unserer Zweitstimme votieren. Und schon ist der Satz beendet.
Diese Sonntagsfrage stellen alle möglichen – also verschiedene – Sozial- bzw. Meinungsforschungsinstitute, allerdings nicht allen sechzig Millionen Wahlberechtigten, sondern nur so etwa tausend Leuten, wenn es hochkommt zweitausend. Diese wiederum sind schon vorher repräsentativ ausgewählt, und wenn die die Frage beantwortet haben, wird nochmal methodisch dies und das gemacht, und schon weiß man, wie die Bundestagswahl – jetzt nur eine, die mit den Zweitstimmen – ausginge, wenn denn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären.
Okay, da sind keine. Wissen wir. Aber diese Umfragen werden deshalb gemacht, damit wir immer wissen, wie es steht. Okay, das wussten Sie auch schon. Sorry, ich wollte Sie nicht aufhalten. Ich musste nur deshalb ein wenig Zeilen schinden, weil es im Grunde genommen nicht viel Neues zu erzählen gibt. Anders ausgedrückt: bei der Sonntagsfrage tut sich im Grunde nichts. Aber eine interessante – okay, das ist Geschmacksache – Sache gibt es doch zu berichten: diesmal erhalten wir bei ARD und ZDF punktgenau das gleiche Umfrageergebnis. Das hat man nicht oft; denn die diversen Institute suchen sich ja aus den über sechzig Millionen Wahlberechtigten nicht genau dieselben tausend oder zweitausend Leute heraus und werten deren Antworten auch nicht mit genau denselben Methoden aus. 

Doch diesmal kamen Infratest dimap für den ARD-Deutschlandtrend und die Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF-Politbarometer auf exakt die gleichen Werte.

CDU / CSU 35 %
SPD  26 %
Grüne  23 %
Linke   7 %
FDP   4 %
Sonstige  5 %

Linke und FDP haben – im Vergleich zum Vormonat – wieder ein Pünktchen abgegeben, womit die Liberalen vor ihrem Parteitag wieder unter die alles entscheidende Hürde gerutscht sind. Für die Union geht es leicht, für die Grünen umso kräftiger aufwärts und für die SPD mal wieder abwärts. 26 % plus 23 % – beim gegenwärtigen Stand der Dinge wäre eine rot-grüne Mehrheit eine klare Angelegenheit.
49 % für Rot-Grün – so sieht es auch bei Forsa aus, wo Stern und RTL die Umfrage in Auftrag geben. Grün-Rot müsste es allerdings laut Forsa heißen; denn das Institut des Sozialdemokraten Manfred Güllner erwartet für die Grünen 28 %, für die SPD jedoch nur 21 %. Dass die Grünen bei Forsa deutlich besser, die Sozialdemokraten dagegen deutlich schlechter abschneiden als bei den anderen Instituten, ist nun auch nicht neu.
Die Genossen sind daher verständlicherweise nicht besonders gut auf Güllner zu sprechen; schließlich spiegelt – so der Wortsinn – in der modernen Mediengesellschaft die Demoskopie nicht nur die Demokratie. Sie nimmt mit ihren steten Veröffentlichungen auch selbst Einfluss auf die Stimmung im Volk, die sie doch eigentlich als gleichsam unbeteiligte Beobachterin nur messen sollte. 

Wie dem auch sei: alle anderen Institute veröffentlichen auch. Und wichtiger als die absolute Höhe ist der Trend, den die Parteien den Umfragen zufolge nehmen. Der allerdings sieht in allen Forschungsinstituten gleich aus. So sehr sich auch die Sozialdemokraten darüber ärgern mögen, dass die Grünen bei Forsa vor ihnen rangieren: bei Emnid liegen Grüne und Rote gleichauf, und die drei Punkte, die die „kleinen“ Grünen noch von den „großen“ Sozialdemokraten trennen, lassen jegliche Kritik an Güllner als fragwürdig erscheinen. Zumal: bei der letzten Bundestagswahl lag er besser als gar mancher Konkurrent.
Letztlich ist die Frage zum gegenwärtigen Zeitpunkt müßig. Ob die Grünen nun die SPD nur fast oder tatsächlich eingeholt oder gar schon überholt haben, spielt – jedenfalls auf der Bundesebene – gut zwei Jahre, bevor die Sonntagsfrage tatsächlich den gut sechzig Millionen Wahlberechtigten gestellt wird, im Grunde keine Rolle. Auch der dargelegte propagandistische Effekt der Demoskopie ist, so fern ab vom realen Ereignis, nicht allzu bedeutsam. Der richtige Wahlkampf geht erst in zwei Jahren richtig los.
Heute vermag niemand zu sagen, ob Rot-Grün bzw. Grün-Rot mit einem satten Vorsprung von 49 % der abgegebenen Zweitstimmen werden ins Rennen gehen können. Dass es für Schwarz-Gelb noch einmal reichen könnte, ist aus heutiger Sicht unvorstellbar. Dass es für Schwarz-Grün nicht reichen könnte, ist ausgeschlossen. Die Linkspartei wird ganz sicher wieder in den Bundestag einziehen, und die FDP vermutlich auch. Dies alles in Rechnung gestellt, ist der „satte“ 49-Prozent-Vorsprung für Rot-Grün so satt nun auch wieder nicht. 

Es ist offensichtlich: bliebe es bei den jetzt für ARD und ZDF ermittelten Umfragewerten, wäre Merkels Kanzlerschaft im Herbst 2013 beendet. Doch auch wenn sich bei den Umfragewerten seit Monaten kaum etwas bewegt hat: dies wird nicht so bleiben. Wie sich das Gefüge des deutschen Parteiensystems in den nächsten zwei Jahren entwickeln wird, hängt in hohem Maße davon ab, ob es der SPD gelingt, sich von ihrer desaströsen Niederlage bei der letzten Bundestagswahl zu erholen oder nicht. Eine Diskussion über die sog. „K-Frage“ wird den Sozialdemokraten dabei kaum helfen können, im Gegenteil: eine solche Scheindebatte könnte den Weg zu einer dringend gebotenen, substantiellen Erneuerung der Partei verstellen. Eine nicht regierungsfähige SPD braucht jedoch gar keinen Kanzlerkandidaten.

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