Ruhr oder Berlin ? Eine Serie für Kreative und die sich dafür halten Teil1: Inspiration

Ich bin in der "Kultstadt" Wanne-Eickel mitten im tiefsten Ruhrgebiet geboren, bin dort zur Schule gegangen und habe in Dortmund studiert. Meinen ersten Job hatte ich an der Technischen Universität in West-Berlin  (damals noch „Frontstadt“) bekommen, ging aber danach wieder zurück ins Ruhrgebiet. Meinen engen persönlichen Kontakt zur Spreemetropole  habe ich jedoch weiter bewahrt. Seit fast  10 Jahren lebe ich sowohl in der Ruhr- als auch in der Hauptstadt und möchte auf beide nicht mehr verzichten, so lange ich noch mobil genug fürs regelmäßige Pendeln bin.

Ruhrgebiet bei Nacht: Schwerstintellektuelle lassen sich bei einem Dialog über Wittgenstein von Pils- und Weizenbier inspirieren.

Mag sein dass mir niemand glaubt. Aber Ruhr kann inspirierender  sein als  Berlin. Ich z.B. brauche dafür Abwechslung und Ungewohntes, neue Gesichter wie neue Gegenden.  Im direkten sinnlichen Austausch.  Sie bringen mir neue Gedanken und Ideen.  Es nützt mir nichts regelmäßig da zu sein, wo angeblich was los ist. Weder in Berlin noch in Ruhr. „Was los“- Orte gibt es in Berlin sehr viel mehr als in Ruhr. Ganze  Stadtbezirke haben sich zu dem gemausert, was man heute Szeneviertel nennt. Nach Prenzlauer Berg („Prenzelberg“), Kreuzberg und Friedrichshain ist jetzt wahrscheinlich der Wedding dran. Zumindest sind erste Anzeichen dafür vorhanden.

 Der dazugehörige Szenetourismus ist gewaltig. Immer noch mehr  schlacksige  dünne Männchen mit großen Brillen und auf wild geföhnten und gelegten Haaren mit  darauf drapierten  kleinen Hütchen. Immer noch mehr  weißhäutig Mädchen mit  ebenso  großen Brillen, dafür aber umso kleineren Hund(ch)en,  deren Frau(ch)en ihren nichtssagenden  Gesichter mit  Amy-Winehouse –Frisurvariationen  Authentizität verleihen.  Das ist im ersten Moment ganz spannend, wird  aber sehr schnell langweilig. Da siehst du in jeder S-Bahn im Ruhrgebiet  zwar nicht so gestylte, dafür aber wesentliche interessantere Menschen.  Ihre Unterhaltungen,  vertont in babylonischer Sprachverwirrrung, drehen sich nur sehr selten um die Szenenstandards  Kunst, Kultur und neue Medien, dafür jedoch umso mehr um das, was man das reale Leben nennt.

Bei den „Skinny People“  (nicht nur) in Berlin geht es  dagegen in der Hauptsache um verbale Selbstinszenierung. Ihre  Internationalität demonstrieren sie dabei  mit (schlechtem) Englisch und dieses  möglichst in der amerikanischen Fassung, denn dann könnten die Zuhörer meinen, dass man/frau aus New York wäre.  Es gibt nämlich mehr New Yorker in  Berlin als in sonst einer deutschen Stadt. Ihre Zahl ist allerdings lächerlich klein gegenüber der Menge von Leuten, die so tun als ob und deren krampfhafte Intonation  sie in jeder Sekunde dafür Lügen straft. Dann lieber Kanak-Deutsch  vermischt mit Ruhrslang.

So halte ich mich in Berlin sehr wenig in den sogenannten Vierteln der „Kreativen“ auf. Nicht nur das man die Miete für ein Loft oder auch nur ein kleineres Apartment dort nicht mehr bezahlen kann.  Es ist die besondere Art von Menschen die mich (und nicht nur mich) dort zunehmend nervt. Ihre  ständigen Versuche  anders zu sein als alle anderen, ihre angestrengten Bemühungen immer cool zu wirken, haben etwas tief Vergebliches und damit äußerst  Lächerliches an sich. Als „boringly different”  werden sie  in  New York selbst bezeichnet.  „From being cool to being a fool it´s only a little step”. Stimmt!

Ich suche in Berlin sowie in Ruhr  deswegen ganz bewusst die weniger „szenigen“  Orte auf um mich inspirieren zu lassen. Und dazu benutze ich das urbanste aller Fahrzeuge: das Fahrrad. Der 3D-Film den ich dann jedoch jeweils zu sehen bekomme, könnte unterschiedlicher nicht sein. In Berlin die fast immer währende Dichte und Höhe der kompakten großen Stadt, in Ruhr das nicht enden wollende Straßendorf mit Einsprengsel von etwas, dass man landläufig City nennt. Ja, und Stadtteilzentren gibt es auch. Hunderte. Viel mehr als in Berlin. Dafür aber kleiner und umso weniger frequentiert. Abends und nachts häufig komplett tot. Solche Gegenden gibt’s natürlich auch in Berlin. Mehr als die meisten denken. Aber der größte Teil des innerstädtischen Bereichs ist auf Grund eben dieser baulichen Hochstapelung  und der Zuwanderung vieler junger Leute auch nach 20 Uhr flächendeckend belebt.

Das vermisse ich manchmal in Ruhr. Dieses räumlich breit gestreute und durchaus juvenile urbane Leben. Da muss ich dann doch regelmäßig ins Bermudadreieck nach Bochum um mir in der Ruhrstadt genügend Kompensation für die sonstige Leere  zu holen. Wobei Leere nicht das wirklich trifft, was diesen zweifellos überwiegenden, wenn nicht dominanten Teil dieser ehemaligen Industrieagglomeration ausmacht.  Es gibt sehr wohl Fülle in dieser Leere. Man muss sie nur entdecken wollen. Sie ist nicht offensichtlich, liegt nicht auf der Straße. Sie hat etwas Melancholisches, Verlorenes. Eine Urbanität die  hinter den Kulissen stattfindet.
 Sie hat, was die kreativen Menschen  die (auch) dort leben, betrifft, etwas Dissidentenhaftes.

Ihre Protagonisten verweigern sich nämlich den dröhnenden Treffpunkten der Selbst- und Fremdinszenierung. Des ständigen Sehen und Gesehen-Werdens. Zum einen weil sie es nicht nötig haben, weil ihre Selbstvermarktung  auch ohne das gelingt. Zum anderen weil es die Inspiration des verschworenen kleinen aber feinen Kreises gibt, der vertrauten Gruppe, die sich in der urbanen Diaspora in eben ihrer Distanz zur „Szene“ heimisch fühlt.  Die nur ab und zu die Impulse großer Gruppen und einer Menge fremder Gesichter braucht. 

 Besucht man diese Leute, sofern man von ihnen überhaupt weiß, ja sie sogar kennt,  in der urbanen „Wüste“ der Ruhrstadt, so springt einem im selben Moment der Begriff der „Oase“ an. Ein gerade in seiner Abgelegenheit inspirierender Ort, der allerdings auch von seinen ständigen Besuchern lebt.  Diese wiederum müssen in der Ruhrstadt – im Gegensatz zu Berlin – jedoch, wie die urbanen Wüstenkamele, bereit sein, längere Durststrecken der augenscheinlichen Leere zu überstehen.

Aber wie die Leere  der Wüste eben selbst eine eigene sehr wohl inspirierende  ästhetische Qualität hat,  so hat diese auch das nicht endende Straßendorf namens Ruhr, die sogenannte größte Kleinstadt der Welt. Denn sie enthält  im Gegensatz zu provinziellen Ordnung üblicher ländlicher Kleinorte so viele Brüche,  Verschachtelungen und Fragmentierungen, dass auch der Weg zu den Oasen selten langweilig wird. Zumindest am Tag und in den frühen Abendstunden.  Wer Gespräche führen will, kann das während dessen alle Nase lang tun. Er muss sich nur hinsetzen. Pause machen. Oder von sich aus Jemanden ansprechen. Selbst die schlichte Frage nach dem Weg kann hier ohne Weiteres zu einem überraschend langen Gespräch werden, dem sich in kürzester Zeit weitere (auf den Fremden) Neugierige  anschließen.

Wer hoch interessante bisweilen sogar ausgesprochen schöne Gebäude bzw. Gebäudekomplexe sehen möchte kommt ebenfalls auf seine  Kosten, sofern er die sonstige Banalität der Zwischenstadt nicht als Augenbeleidigung sondern  als  Ausdruck von Normalität auffasst. Auch Berlin ist in seiner Peripherie voll davon und nicht nur da. Wie alle Vorstädte dieser Welt. Die alte europäische Stadt, für die gerade aktuell wieder so viele der „Kreativen“ Schwärmen, macht nun mal auch in Europa nur noch einen Anteil von unter einem Prozent der städtischen Flächen  aus. Das kann man bedauern und/oder sich in ihren letzten vorhandenen Enklaven ein mehr oder weniger teures Plätzchen sichern. Oder man kann sich dem stellen und auf Entdeckungsreise gehen. Im Emschertal  zum Beispiel.

Gäbe es allerdings das B3E nicht, dann würde ich mich in Ruhr als Urbanaut , der ich nun einmal bin, nicht mehr so oft aufhalten. Dann wäre für mich Berlin eindeutig die erste Wahl in Deutschland.  Egal wie viele tolle Museen, Theater, Konzerthäuser usw. usw. es in Ruhr gibt und noch geben wird. Egal wie viele kreative Oasen und Dissidenten sich im Ruhrstadtdschungel verstecken. Egal ob sich das ganze zu einer Stadt mit einer Verwaltung zusammenfindet oder weiter im Klein-Klein der Stadtfürstentümer verharrt.

Ich brauche auch die Impulse durch die dichte Menge der Unterschiede. Ich brauche auch das Schaulaufen der Vielen, die Selbstinszenierung der anderen, und sei es nur als Zuschauer.  Ich brauche klassische sinnlich-interaktive Urbanität durch Menschendichte.  Und da  ist das sogenannte   B3E im Ruhrgebiet (immer noch) nicht zu toppen. Und auch an diesem Ort –an dem es natürlich auch ein paar „Skinnys“ gibt – ist der Unterschied zu Berlin sichtbar. Nicht nur, dass es diese  wenn auch nur städtisch punktuelle Dichte an so vielen Restaurants, Kneipen, Kinos usw. auf engstem Raum selbst in Berlin (noch) nicht gibt.

Hier begegnen sich in der Regel  andere Leute. Sie sind bodenständiger und ihre Unterschiedlichkeit und Vielfalt  ist real größer als in den meisten Szenevierteln Berlins. Dort  werden sie in der Mehrzahl sowohl vom Outfit als auch vom Szene-Sprech  von der mittlerweile weltweit  recht einheitlichen Style- und Face-Book-Generation bestimmt. Und natürlich von ein paar echten und erfolgreichen „Kreativen“ die ihren Epigonen als umschwärmte Vorbilder  gelten. Vielfältigkeit aus dem Worldwide Copyshop mit anschließender (Selbst-)Bildbearbeitung zwecks individueller Note.   Nicht wirklich inspirierend eben.

Scharfes aus der Welt des Tangos

Ich glaube, ich bin der einzige Ruhrbaron, der dem Tango Argentino frönt. Die dazu notwendigen Fähigkeiten habe ich mir vor über zehn Jahren in mehreren Kursen in der Tanzschule La Boca in der Ruhrstadt Bochum angeeignet. Seitdem gehe ich regelmäßig dieser weltweit schönsten Form der  Nachtarbeit nach. Aber Tango ist nicht nur Tanz sondern eine Reise durch eine eigene Kultur aus Musik, Geschichte, Events, Kunst, Philosophie und Literatur. Vor kurzem bekam ich dabei dieses kleine, fast quadratische, geradezu niedliche Büchlein in die Hand. Mit dem eher romantisch-harmlos daherkommend Titel: Der Tangoengel.

Aber  das Ding enthält hochexplosiven Stoff. Nicht nur für Tangotänzer. Es geht im Kern um das Verhältnis von Tanz und Sex. Ich habe noch nie so viel, so ausschweifend und gleichzeitig so genau darüber gelesen wie in diesem 124  Seiten starken Parforceritt in Sachen erotischer Physik. Die Autorin, die aus gutem Grund einen Decknamen gewählt hat und über die der Verleger nicht mehr zu sagen bereit ist, als dass sie weiblich ist, nimmt kein Blatt vor den Mund. Im Gegenteil! Und doch ist der Text an keiner Stelle pornographisch. Er ist vielmehr grundehrlich, direkt bis zur Provokation, hintergründig und – sofern es das Thema überhaupt zulässt –  sogar ironisch und witzig. Mit einem Satz: Er ist im positiven Sinne verdorben, ist von geradezu praller Lasterhaftigkeit.
 
Die Story selbst ist dagegen eher traurig und bitter. Zumindest gibt es kein Happyend. Sie hat eigentlich überhaupt kein richtiges Ende, denn man fängt nach dem letzten Satz fast automatisch an, die Geschichte erneut von vorne zu lesen. Wieso? Weil sie mit dem Abend danach beginnt, um dann die Nacht davor zu beschreiben. Die Sache wird sozusagen von hinten aufgerollt, aus dem Rückspiegel betrachtet. Die beiden Hauptfiguren befinden sich dabei auf der Milonga (so nennt man beim Tango die Tanz-Location) , die der Ausgangspunkt der Nachtgeschichte ist. Der räumliche und soziale zumindest. Der emotionale Ausgangspunkt ist der Tanz, das gemeinsame Tanzen zur Tangomusik. Die Begegnung in der Bewegung, die zu einer Bewegung in der Begegnung geführt hat. Zu einer Dynamik, die am Ende keiner der beiden Beteiligten mehr kontrollieren konnte und wollte. Die irgendwie überraschend und doch unausweichlich von der Vertikalen in die Horizontale führte, und (wie so oft bei Tango-Affären) zu einem bösen Erwachen.
Das in der Tangoliteratur immer wieder thematisierte Begehren wird hier zu Ende gedacht, phantasiert, erzählt. Rein literarisch gesehen an machen Stellen noch verbesserungsfähig, aber nichtsdestotrotz und meines Wissens erstmalig in solch einer   inneren Konsequenz, mutigen Offenheit und  im wahrsten Sinne des Wortes eindringlichen Körperlichkeit. Und zwar aus der Sicht beider Protagonisten, das heißt in diesem Fall aus der weiblichen und der männlichen, was der Leser angenehmerweise am diesbezüglich wechselnden Schrifttypus gut nachverfolgen kann. Es war für mich immer wieder erstaunlich, wie sehr sich die Autorin dabei auch in der männlichen Seele auskennt, beziehungsweise sich in diese hineinzuversetzen in der Lage ist.
 
Hinter der manchmal beängstigend materialistischen Beschreibung der körperlichen Vorgänge lässt die Autorin in den ebenso niedergeschriebenen Gedanken der „Matadore“ immer wieder deren emotionale Betroffenheit aufscheinen und stellt dabei Stück für Stück die Motive und (Hinter)Gründe ihres Handelns vor. Tanz wird dabei, im immer schneller werdenden Wechsel, zu Sex – und umgekehrt, bis das eine vom anderen nicht mehr zu unterscheiden ist. Zumindest nicht für die beiden Akteure. Ihre Erinnerungen vermischen sich zusehends mit der Gegenwart. Ihre Wünsche und vor allem ihre Ängste werden eins mit der Realität, oder genauer mit der Wahrnehmung ihrer jeweiligen Realität. Lust wird zur Last, Träume zu Alpträumen. Dazwischen immer wieder der Versuch, Sex und Liebe zu verbinden, Leidenschaft und Zärtlichkeit miteinander zu versöhnen. Aber es gelingt nicht. Keinem von beiden. Wenn auch aus ganz verschiedenen Gründen.
 
So wird ganz nebenbei die diesbezügliche emotionale und soziale Ambivalenz des Tango und insbesondere der Tangoszene abgehandelt, ohne die Freuden und die Glücksgefühle beim Tanzen dabei aus den Augen zu verlieren. Totale Einsamkeit und totale Nähe liegen hier nämlich genauso nahe beieinander wie Schein und Sein. Und Sex löst bekanntlich keine Probleme. Er kann sie sogar – wie wir alle wissen – noch potenzieren. Hier treibt er sie auf die Spitze, ist tragender Teil der Dramaturgie.

Das Büchlein wird übrigens in der Ruhrstadt Herne beim Frisch-Texte-Verlag produziert : Klack
 

Wie real ist die Ruhrstadt?

Wie real ist die Ruhrstadt – neue Umsetzungschancen einer alten Vision .  Der Text erschien bereits 2002 unter marabo.de und waz.de, wurde 2007 überarbeitet und ist immer noch sehr lesenswert.

 Foto: mupfl.com

Ruhrstadt – Eine Vision mit Tradition
 
Die Entstehung des Ruhrgebietes enthielt  von Anfang an die Eine-Stadt-Perspektive. Zum einen, weil die  industriellen Wachstumspole von vorne herein auf die Fläche gerichtet waren, bzw. sich auf Grund der  geologisch-geographischen Struktur der Kohlevorkommen relativ gleichmäßig entlang der Ost-West- Achse der Region, sprich entlang der Flüsse Ruhr und Emscher verteilten .Zum anderen weil sie auf Grund der enormen Wachstumsschübe sehr schnell eine hohe Arbeitsplatz- und damit auch eine exorbitante Wohndichte produzierten. Das unausweichliche räumliche Zusammenwachsen der Siedlungsgebiete war von daher nur eine Frage der Zeit und deren infrastrukturelle Integration trotz der dezentralen und häufig konkurrierenden Investitionen mittel- bis langfristig eine ökonomische  Notwendigkeit. 
 
Zugleich gab es schon von Anfang an 4 städtische Anker- bzw. Mittelpunkte entlang der Ost-West-Achse, die durch dieräumlich relativ gleich verteilte und zugleich massive Zuwanderung von Arbeitskräften und der Notwendigkeit ihrer materiellen, sozialen und kulturellen Versorgung auch in ihrem Stadtcharakter gestärkt wurden, bzw. diesen in kürzester Zeit erreichten. Aus ihnen sind die vier „Hauptstädte" des heutigen Ruhrgebietes entstanden. Von Ost nach West: Dortmund, Bochum, Essen und Duisburg. Jede für sich erfüllte schon sehr früh Großstadtformat, verfügte über entsprechende Einrichtungen und eine auf das Zentrum ausgerichtete städtebauliche Struktur. Hinzu kommt bei Dortmund und Duisburg ein Jahrhunderte alte  Tradition als ehemalige Hansestadt und bei Essen die über tausendjährige Geschichte als Abteiensitz und klerikales Zentrum des Umlandes. Selbst Bochum als das kleinste der vier
Ruhrgebietsoberzentren  kann auf eine mittelalterliche Stadtgeschichte zurückblicken.
 
Diese vier sogenannten Hellwegzonenstädte verfügten zugleich durch den ihnen den Namen gebenden Hellweg über eine uralte und überregional eingebundene Verbindungsstraße, die zuerst als Bundesstraße und später als  4-6-spurige Autobahn ausgebaut wurde. Ihr Breitenwachstum einschließlich der immer wiederkehrenden Engpasssituationen ist bis heute der lineare Ausdruck des Flächen- und Dichtewachstums der Gesamtregion und ihrer vier ebenso linear angeordneten Oberzentren. Das gilt erst Recht für die ihre Citys verbindende Eisenbahnstrecke, die nicht nur eine zweite Beschleunigungsachse durch diesen Südteil der Region bildet, sondern diese auch sehr schnell und durchgehend mit der Landeshauptstadt Düsseldorf und der ehemaligen und neuerlichen  Nationalhauptstadt Berlin verbindet. Ihre Gesamtlänge reichte im übrigen schon seit den 20er Jahren durchgehend von Paris bis Moskau . 
 
Es ist also nicht verwunderlich, dass der Gedanke, die gesamte Region als eine Stadt zu sehen, bislang  nicht  oder nur selten aus den eher kleinstädtisch und provinziell organisierten „Industriedörfern" der nördlichen Emscherzone vorgetragen wurde, sondern aus der Gedankenwelt der  ökonomischen, planerischen und politischen Eliten der vier großen Kernstädte erwuchs. Dies jedoch auch erst unter dem zunehmenden Druck gemeinsamer städteübergreifender Probleme. Konsequent und relativ geschlossen vorgetragen wurde er zum ersten Mal vom Essener Beigeordneten Robert Schmidt, dem Initiator und ersten Chef des 1919/20 gegründeten Siedlungsverbandes Ruhr-Kohlenbezirk, der dann auch in seiner Heimatstadt seinen Sitz bekam und ihn bis heute als Kommunalverband Ruhr dort behalten hat. 
 
Dieser weltweit erste regionale Planungsverband drückte jedoch in seiner Konstruktionsform das bis heute andauernde Grunddilemma der dahinter stehenden Gesamtstadtidee und ihrer Realisierungsmöglichkeiten aus. Die vier Kernstädte der Region waren nämlich zur Gründungszeit des Verbandes einerseits schon groß und  mächtig genug, einzelne der schwächeren, kleineren und unmittelbar anliegenden Kommunen Stück für Stück einzugemeinden und dadurch auch ohne Planungsverband unter ihren politischen Einfluss zu bekommen. Sie waren andererseits aus dem selben Grund aber auch nicht mehr in der Lage, über ihren eigenen Schatten zu springen und den weitergehenden Schritt zu einer gemeinsamen Stadtverwaltung zu tun. Schon damals hätte dann nämlich die Gretchenfrage der klassischen europäischen Stadtbildung angestanden: Wer bzw. wessen Stadtmitte wird das Zentrum dieser neuen einen Stadt?  
 
Wie sehr amerikanisiert die Stadtlandschaft der Region schon zum damaligen Zeitpunkt war, ging aber auch  den Eliten der Emscherzonengemeinden nicht in den Kopf. Dies ist insofern verständlich, als auch diese  zu jenem Zeitpunkt , an den Einwohnerzahlen gemessen, schon längst Großstädten vorstanden und mit Vehemenz mit der preußischen Regierung um ihre damit verbundenen Stadtrechte stritten, oder mehr oder weniger erfolgreich gestritten hatten.
 
So gab es bei allen Gemeindeeliten der Region, trotz des Bewusstseins der gemeinsamen sozial- und stadträumlichen Probleme, von Anfang an grundsätzliche Ängste gegenüber dem Eine-Stadt-Gedanken, die im wesentlichen mit dem damit verbundenen eigenen lokalen und regionalen Machtverlust zusammenhingen, und die sie zugleich dazu verführten, an ihrem europäischen Stadtverständnis fest zu halten. Als dann in den 60ger Jahren des letzten Jahrhunderts noch einmal diese Vision aus führenden Kreisen der Region formuliert wurde, verhallte sie erneut, bzw. ging sie im Kleinklein des kommunalpolitischen Alltags und der zu dieser Zeit erneut wieder einsetzenden Wachstumshoffnungen
unter.   
 
Anders bei der regionalen Industrie. Auch sie war auf Grund der vorgegebenen politischen Struktur der Region durchgängig an den kommunalen Grenzen orientiert, und hat diese zum Teil geschickt zur ihrem Vorteil ausgenutzt. Ihre materiellen Kooperationsprobleme durchbrachen jedoch mit ihrer eigenen, von Beginn an ungeheuren Wachstumsdynamik  schnell die lokalen Grenzen und Zuständigkeiten. Spätestens mit der Gründung der Emschergenossenschaft im Jahre 1899 sahen ihre Führer und ein Teil der technischen Stadteliten die Region als ein geschlossenes Produktions- und darauf bezogenes Infrastruktursystem und verstanden  es, dieses auch  konsequent als vernetzten Standort zu organisieren.
So setzte allein die ökonomisch-technische Elite der Region ihre, wenn auch durch ihre spezielle Sichtweise begrenzte,  Eine-Stadt-Auffassung frühzeitig  um und ergänzte sie intern durch Trustbildung und extern durch flächendeckende korporative Einflussnahme auf die Politik, die öffentliche Hand und nach dem zweiten Weltkrieg auch durchgängig auf die regionalen Großgewerkschaften. Die soziopolitische und soziokulturelle Vision der Ruhrstadt als zusammenhängendem Lebensort der Gesamtheit ihrer Bewohner blieb dabei eine Restgröße, die das schwerindustrielle Ruhrkapital und seine
technischen Handlanger nur dann ins Blickfeld nahmen, wenn die ökonomischen Interessen es dringend erforderlich machten.
 
Die Städte selbst fuhren mit diesem Konzept lange Zeit gut, denn es sorgte für anhaltenden und wachsenden Steuerzufluss und steigenden Wohlstand der Bevölkerung. Trotz der immer wiederkehrenden massiven Konflikte zwischen Arbeit und Kapital und der zunehmenden ökologischen Probleme führte dies, zusammen mit einer in diesen Auseinandersetzungen wachsenden Nachbarschaftstradition, zu einer insgesamt hohen Wohnzufriedenheit der jeweiligen Stadtbürger .
Begleitet wurde dieser Entwicklungsprozess von einem Planungsverband, der bis in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts seine regionalintegrativen Aufgaben im Großen und Ganzen zur Zufriedenheit seiner kommunaler Träger und der ansässigen Wirtschaft verrichtete. 
 
Die Ruhrstadt als politische Bedrohung
 
Zugleich kam dieses dezentrale regionalpolitische Entwicklungskonzept allen bisherigen nationalen Regierungen sehr entgegen, sorgte es doch trotz der grundsätzlich sehr konfliktträchtigen Ausbeutungsform von Mensch und Umwelt in dieser am dichtesten  besiedelten Arbeitsregion Europas für einen insgesamt und relativ zu den Umständen störungsfreien Wachstums- und Produktionsmotor, der für das gesamte Land von Anfang an von zentraler , ja phasenweise überlebenswichtiger Bedeutung war.
 
Die Vorstellung, dass die produktive und nachbarschaftlich wohl organisierte Ansammlung von Hunderttausenden  von für den Sozialismus anfälligen Arbeitnehmern im industriellen Kernbereich des deutschen Reiches zugleich die kulturellen und politischen Qualitäten einer Metropole entwickeln könnte, machte schon Kaiser Wilhelm aus verständlichen Gründen die größte Sorge. Für ihn wäre die Vision einer Ruhrstadt nichts anderes als ein Alptraum gewesen. Das gleiche galt aber – wenn auch abgeschwächt und aus anderen Motiven – auch für die faschistischen und demokratischen Nachfolgeregierungen. Der kollektive Druck der organisierten Masse, erst recht wenn sie zu einer soziokulturellen und  sozialräumlichen Identität findet und sich entsprechend politisch organisiert und vereinheitlicht, ist nämlich für jede Zentralregierung ein potentieller Instabilitätsfaktor. Ein "Erpressungspotential" ist er aber auf jeden
Fall, wie man an den von allen Nationalregierungen der Nachkriegszeit gewährleisteten gewaltigen und dauerhaften Subventionen und Strukturhilfen für das Ruhrgebiet ablesen kann.
 
Das galt und gilt trotz des verkleinerten Maßstabes um so stärker auf der Ebene des Bundeslandes NRW. Diese nach dem zweiten Weltkrieg neu gegründete föderale Gebietseinheit  wurde bevölkerungs- und arbeitsplatzmäßig vom Ruhrgebiet lange Zeit in einer Weise dominiert, dass dessen kommunale Vereinheitlichung die bisherige landesinterne Macht- und Einflussbalance komplett umstürzen hätte können. Dieser Bedrohungsfaktor zieht sich bis heute durch die gesamte Geschichte der Ruhrstadtdiskussion und ließ bis vor kurzem selbst die sozialdemokratischen Bundes- und  Landesregierungen bis zum heutigen Tag an der traditionellen Aufteilung der Region in drei Regierungsbezirke und Landschaftsverbänden festhalten. Auch die von der Landesregierung systematisch betriebene Schwächung und Entmachtung des kommunalen Planungsverbandes seit Beginn der 70er Jahre ist dieser Befürchtung geschuldet. Nach seiner Umbenennung vom Planungsverband Ruhr-Kohlenbezirk  in Kommunalverband Ruhr wurde nicht umsonst ein Teil seiner zentralen Planungskompetenz  den  jeweiligen den  Regierungsbezirken zugeteilten neuen Regionalbeiräten übertragen und so unter den direkten Einfluss der Landesregierung gebracht. 
 
Die Dominanz der „Großen Vier"
 
Die vier „Hauptstädte" der Region hätten diese Entmachtung ihres Planungsverbandes gemeinsam verhindern können. Sie meinten dies jedoch offensichtlich nicht nötig zu haben, weil es ihnen mit Hilfe der Landesregierung in weiteren Eingemeindungsschüben gelungen war, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg, je für sich allein eine Art Mini-Ruhrstadt zu realisieren. 
 
Am erfolgreichsten war die Stadt Dortmund, die sich dabei nicht nur zu einer der flächengrößten Städte Deutschlands gemausert hat, sondern als einzige der „Viererbande" die Region einmal fast komplett zwischen ihren Nord- und Südgrenzen verwaltungsmäßig vereinigen konnte. In diesem östlichen Teilstück der Region ist die Ruhrstadt insofern realisiert, als dass vor allem die Probleme, die sich durch das traditionelle Entwicklungsgefälle zwischen dem gut situierten Süden und dem immer weiter abfallenden Norden ergeben , im Dortmunder Raum nicht unbedingt lösbarer, aber doch besser und erfolgreicher handhabbar geworden sind.
 
Aber auch die Stadt Essen hat durch ihre, wenn auch nicht genauso weit reichenden, Eingemeindungen ihre schon immer starke wirtschaftliche und kulturelle Position  innerhalb der „großen Vier" und natürlich erst recht gegenüber dem Rest der Region weiter ausbauen können. Für  die Stadt Duisburg gilt bei ökonomisch insgesamt erheblich schwächerer Position und der Nichtvereinnahmung von Mühlheim, grundsätzlich das gleiche. Hier hat die Eingemeindung  nämlich die räumliche Nähe zur traditionell starken  Rheinschiene, und damit zu den führenden Landesstädten Düsseldorf und Köln mit ihren internationalen Flughäfen verstärkt, was die aktuellen Schwächen Duisburgs mittel- bis langfristig ausgleichen könnte . 
 
Nur der Stadt Bochum ist es bislang nicht gelungen, ihre strukturell  schwierige räumliche Lage direkt zwischen den beiden Muskelprotzen der  Hellwegzone, sprich zwischen Essen im Westen und Dortmund im Osten, zu verbessern. Sie führt auf Grund ihrer geringen Eingemeindungserfolge viel mehr als die anderen Mitglieder der „Großen Vier " ein Art „Zweifrontenkampf". Zum einen muss sie sich gegenüber zwei stärkeren Kernstädten als Oberzentrum behaupten und zum anderen liegt sie oder im Clinch mit den anliegenden Emscherzonengemeinden Herne, Gelsenkirchen und Castrop-Rauxel, die alle ihren Status als einwohnerstarke Mittelzentren verteidigen. Ebenso grenzen im Süden unmittelbar die selbständigen Städte Hattingen und Witten an. Trotz aller offiziellen Versicherungen gegenseitiger Unterstützung und Kooperation sind auf Grund des herrschenden Steuer- und Fördersystems hier wie überall die Arbeitsplätze, die Einwohnerzuzüge bzw. -verluste und die insgesamt sinkende Kaufkraft die bevorzugten
Streitpunkte und Kampfzonen.
 
Die in diesem Konkurrenzkampf  trotz zehnjähriger IBA-Förderung insgesamt immer weiter abgehängte Unterregion Emscher-Lippe hat sich auf  Druck und mit Förderung der Landesregierung zwar in den 90er Jahren zu einer eigenen Interessenvertretung  zusammen geschlossen. Aber letztlich krankt auch diese aus der Natur des Zusammenschlusses heraus an der ungenügenden Unterstützung durch die Hellwegzonenstädte, die sich nun erst recht in Konkurrenz zu diesem von ihnen noch nicht eingemeindeten Teil  der Region verstehen mussten. 
 
Zusätzlich  haben die „ Großen Vier" im auch national und international sich verschärfenden Konkurrenzkampf der Großstädte genug mit ihrem eigenen „Klassenerhalt" zu tun. Im Eifer dieses Gefechtes und in völligerSelbstüberschätzung ihre Möglichkeiten kokettieren sie jede für sich zunehmend mit dem „Metropolenstatus" und versteigen sich wie Dortmund und Essen werbemäßig sogar  jede für sich in die Kategorie „Weltstadt". 
 
Ruhrstadt als Weltstadt?
 
Nun ist die Kategorie „Weltstadt"  zumindest für das Ruhrgebiet als ganzes nicht völlig aus der Luft gegriffen. Der weltweit renommierte Stadtforscher Peter Hall zählte in seinen ersten großen Untersuchungen Anfang der sechziger Jahre das Ruhrgebiet in den Grenzen des Siedlungsverbandes Ruhr-Kohlenbezirk  ohne Einschränkung zu den „World Cities" dieser Zeit, d.h. er nannte diese Städteagglomeration trotz der fehlenden einheitlichen und zentralen Gesamtverwaltung in einem Atemzug u.a. mit New York, Paris , London und Moskau. Das Gleiche geschah noch einmal im Sommer 1980 bei  einer Konferenz zum selben Thema in Brighton, England. 
 
Der heutige Metropolenbegriff hat jedoch nicht nur eine Mindestgröße an Ballung, Infrastruktur , Technologie und Verkehrsanbindung sondern zunehmend eine weltweite Führungs- und Kontrollposition in Handel, Kultur, Wissenschaft, Kommunikation und Innovation in sich aufgenommen. Hinzu kommt als innere Voraussetzung ein soziokulturelles Milieu, das solche Führungsfunktion fördert und sie so auf Dauer zu sichern in der Lage ist. Es ist von daher nicht verwunderlich ,dass das Ruhrgebiet in den letzten 20 Jahren in keiner Metropolen-, geschweige den Global City – Liste mehr auftaucht. Selbst Berlin hat trotz neuer Hauptstadtfunktion in solchen Aufzählungen keinen unbestrittenen Platz, während New York,  London, Moskau und Paris diese Position wahrscheinlich auch noch die nächsten 50 Jahre problemlos halten werden. 
 
Aber auch im Ruhrgebiet selbst ist der zeitweise wissenschaftlich gesicherte Weltstadtstatus weder sonderlich wahrgenommen, geschweige den in die Ruhrstadtdiskussion aufgenommen worden. Solche globalen Einordnungen wurden in Anbetracht des Wiederaufbaubooms und der damit noch einmal verlängerten und allseits  anerkannten Rolle der Region als „Werkstatt" und „Kraftzentrale" der Nation, trotz erster Anzeichen struktureller Krisen, nicht für wichtig genommen. Erst recht nicht von den vier Kernstädten ,denen es in dieser Zeit  sogar besonders gut ging, weil nach der ersten Kohlenkrise der zweite allgemeine und dauerhafte Konjunkturaufschwung bei ihnen die nach Norden weiter wandernden Bergbauarbeitsplätze durch den  generell wachsenden Dienstleistungsbereich noch bis weit in die siebziger Jahre hinein mehr als ausgleichen konnte. Damit war zugleich – wenn auch zum großen Teil nicht gezielt gesteuert – nicht nur ihre Oberzentrenfunktion, sondern auch ihr langfristiger  relativer Wachstumsvorteil bei der zukünftig anstehenden Erneuerung der Gesamtregion gesichert.
 
Die in der Nachkriegsära in der Emscherzone noch einmal massiv wachsenden altindustriellen Arbeitsplätze stellten sich dagegen für diese auf längere Frist als schwerwiegender Strukturnachteil heraus, verhinderten sie doch dort nicht nur die rechtzeitige Ansiedlung von Dienstleistungsarbeitsplätzen.
Sie stärkten auch die in diesem Regionsteil immer noch vorhandenen Großstadtträume auf Grund prall gefüllter Stadtsäckel und damit problemlos finanzierbaren eigener Theater, Kulturzentren und Fußgängerzonen.
 
Alles in allem macht dies verständlich, das die Region in diesen Jahrzehnte weder für eine Weltstadt noch für eine Ruhrstadtdiskussion sonderlich empfänglich waren. Alles in allem ging es dem Ruhrgebiet in fast allen Regionsteilen zu schnell wieder zu gut, als dass es sich selbst und seine Stadt- und Verwaltungsstruktur in Frage zu stellen bereit war. Leute wie Dietrich Springorum, der in seiner programmatischen Schrift „So lasst uns denn den Kohlenpott umfunktionieren" , noch einmal Ende der 60er Jahre den Eine-Stadt-Gedanken formulierte, oder Martin Einsele, der nicht nur den Begriff der Ruhrstadt explizit benutzte sondern ihn 1963 in einem Vortrag auf der Tagung „Gesellschaft durch Dichte“ vor der Gelsenkirchener Architektenkammer auch räumlich ausarbeitete, bleiben einsame Rufer in der Wüste. Denn es fehlten schon damals das metropolitane Milieu, das auch in guten Zeiten schwierige Fragen stellt und „unzeitgemäße" Diskussionen anzettelt, sowie die entsprechenden regionalen Medien, die solche zu veröffentlichen bereit gewesen wären.
 
Trotzdem sind  an der verpassten Weltstadtdiskussion zwei Dinge  fest zu halten: 
 
• Das Ruhrgebiet wurde weniger  von „Innen", dafür aber um so mehr von „Außen" als eine
einheitliche Siedlungseinheit gesehen  
 
• Das Ruhrgebiet hätte eine Metropole  werden können, wenn dies nicht durch strukturbedingte
Ängste und Barrieren von außen und wie von innen systematisch verhindert worden wäre. 
 
Insofern ist die Verbindung von Ruhrstadt- und Metropolendiskussion nicht einfach von der Hand zu weisen. Allerdings darf sie nicht die Tatsache verdrängen, dass je länger Chancen nicht genutzt werden, unvermeidlich die Vorsprünge der anderen immer größer werden, bzw. im Falle des Ruhrgebietes wohlmöglich uneinholbar geworden sind.
 
Die Ruhrstadt als Metropole neuen Typs?
 
Dabei nutzt es auch nichts, wenn, wie in der wissenschaftlichen Diskussion der 90ger Jahre vorgeschlagen,  von einer Metropole „neuen Typs" zu sprechen und so die Chancen in gewisser Weise erneut  herbei zu definieren. Das Problem ist nicht nur , dass bis heute noch niemand genau weiß, was das sein und wie sie aussehen soll. Vielmehr ist dagegen fest zu halten, dass auch die neuen Technologien keineswegs grundsätzlich in der Lage sind, die Führungsfunktionen der alten Weltmetropolen in Frage zu stellen. Das Gegenteil scheint eher der Fall zu sein. Auch die weltweite  Stadtrandwanderung  und Suburbanisierung hat bislang die klassischen Metropolen nicht ernsthaft gefährdet. Der wesentliche Grund dafür, war und ist deren eigene Erneuerungsfähigkeit auf Grund ihres metropolitanen soziokulturellen Milieus, das sich schon zu Anfang ihrer Entwicklung in ihnen gesammelt hat und das sich bis heute im wechselseitigen Verhältnis mit ihnen immer wieder selbst erneuern und verändern konnte.
 
Wer den bisherigen Strukturwandel des Ruhrgebietes selbst zur metropolitanen Eigenschaft dieser Region erklärt, der  verkennt dabei die Tatsache, das einige der klassischen Metropolen das Gleiche schon mehrfach hinter sich und in der Regel schneller vollzogen haben. Er verkennt zugleich die in der Ruhrkrise und erst recht in ihrer Bewältigung längst nachgewiesene strukturelle Innovationsfeindlichkeit der politischen und ökonomischen Führungskader der Region und die im Vergleich zu anderen ähnlichen Wandlungs- und Umbruchsprozessen geradezu unglaublichen Subventionsmengen, die hier zu ihrer  Unterstützung und Förderung notwendig waren.
 
Unter diesem Aspekt ist der „Strukturwandel  a la Ruhrgebiet" trotz der unter den gegebenen Bedingungen mit ihm verbundenen enormen Leistungen , bislang keineswegs nur vorbildlich gewesen, geschweige denn ist er umstandslos weltweit exportierbar. Das gilt im übrigen auch für die IBA- Emscherpark, denn auch hier waren die faktisch dafür mobilisierten staatlichen Geldmengen  – die hoch subventionierten Grundstücksvorleistungen durch den Grundstücksfonds Ruhr gar nicht eingerechnet – enorm. Zieht man zusätzlich in Betracht, wie viel an architektonischer und stadtgestalterischer Kompetenz von außerhalb der Region zum Gelingen der IBA als Bauausstellung beigetragen hat, bzw. beitragen musste, wird die relativ geringe „innere" Leistung der Region und ihres eigenen ästhetisch-kulturellen  Milieus deutlich. Das bedeutet umgekehrt nicht, dass diese inneren Kräfte auf diesem Gebiet gar nicht vorhanden wären und das sie zum Teil sogar erstaunliches zu leisten in der Lage sind.  Metropolitane Ansprüche lassen sich damit aber auf jeden Fall nicht umstandslos begründen.
 
Wenn überhaupt der Begriff Metropole sinnvoll mit der Ruhrstadtdiskussion verknüpft werden soll, dann  nur unter räumlichem Einbezug der Rheinschiene, d.h. mit der Anerkennung der nationalen und  internationalen Führungsrolle der Städte Köln und Düsseldorf und der dann umfassenderen Namengebung Rhein-Ruhr-Stadt. Wer dazu nicht bereit ist, und das gilt für die überwiegende Zahl der Ruhrgebietsgemeinden, kann die Ruhrstadtdiskussion realistisch nur unter der Leitlinie Regionalstadt bzw. Großstadtverbund führen, wobei zugleich klar gestellt werden muss, dass Düsseldorf umgekehrt nicht das geringste Interesse daran hat, von sich aus und freiwillig einer Rhein-Ruhr-Stadt, geschweige denn einem Ruhrstadtverbund beizutreten. Nicht einmal wenn der Landeshauptstadt bei Letzterem von den anderen Beteiligten ein privilegierter Platz zugesichert würde. Im übrigen rückten dadurch der Düsseldorfer Flughafen und der internationale Kölner Kunstmarkt, geschweige denn der Kölner Dom rein räumlich keinen Meter näher an Duisburg oder Dortmund heran.
 
Realistisch muss bezüglich der Metropolendiskussion zur Zeit vielmehr der Umkehrschluss gezogen werden: Gerade weil das Ruhrgebiet in absehbarer Zeit nur geringe Chancen hat, einen weltweit anerkannten Metropolenstatus zu erreichen, muss es sich zu einer Stadt zusammenschließen, um global als Ganzes wahrgenommen zu werden. Gerade weil wir keine Metropole sind müssen wir uns zusammenschließen bzw. viel mehr kooperieren als bisher. Ob sich dann über kurz oder lang ein realer Metropolenstatus einstellt, bleibt erst einmal offen. Gänzlich ausgeschlossen ist er allerdings bei
Bündelung aller Kräfte nicht.
 
Metropolregion Ruhr – ein Begriff mit vielen Tücken
 
Der neuste Stand der Begrifflichkeit heißt „Metropolregion Ruhr“. Die Landesregierung und der Regionalverband haben sich, wohl auch um die nach der IBA-Emscherpark neu aufkeimende Ruhrstadtdiskussion endlich zu beenden, auf dieses hybride Wortungetüm verständigt. In ihm finden sowohl der vom ehemaligen Landesminister und IBA-Initiator Christoph Zöpel vorgeschlagene und in seinem Buch zum gleichen Thema ausführlich begründete Terminus Weltstadt Ruhr als auch das in der neueren urbanitätstheoretischen Diskussion wiederentdeckte Konzept der Stadtregion zusammen. Metropolregion ist allerdings ein Terminus, der in der angelsächsischen und der angloamerikanischen Raumplanung als „Metropolitan Area“ oder Metropolitan Region“ schon seit der Jahrhundertwende ein feststehender Begriff ist. Er wurde zum ersten Mal von der Metropolitan Regional Association für das auf die Stadt New York bezogene und immer dichter  besiedelte Umland verwandt. Sie selbst war gegründet worden, weil die städtebaulichen, ökonomischen, sozialen und vor allem verkehrlichen Verflechtungen zwischen dem metropolitanen Kern („Core“), den die Stadt New York und insbesondere Manhattan bildete und noch bildet, und den umliegenden Städten und Counties von immer größerer Bedeutung für eine erfolgreiche Raum- und Stadtplanung wurden.
 
Der Begriff Metropolregion setzt die Metropole respektive die Weltstadt also voraus, bzw. bildet sich die Metropolregion um einen solchen dominierenden städtisch hoch verdichteten Kern. Dieses Zentrum aber hat es im Ruhrgebiet nie gegeben und wird es auch nie geben. Das Ruhrgebiet hat sich mit dem Pränomen Metropolregion in gewisser Weise selbst betrogen, sich den Metropolenstatus quasi angeklebt.
Nach dem Motto: Wenn wir schon keine Metropole sind, dann möchten wir wenigstens so heißen. Echte Metropolen haben das allerdings gar nicht nötig. Die Stadtregierungen von Paris, London, New York oder Moskau kämen nicht im Traum darauf, sich außerhalb fachlicher Diskussionen Metropolregion Paris, London usw. zu nennen, obwohl sie das alle sind, bzw. den Kern einer solchen bilden. New York heist ganz offiziell und banal City, respective New York City. Diese Metropole muss schon deswegen so heißen, weil sie sonst mit dem gleichnamigen Staat New York verwechselt würde. Niemand hat sich dort bisher ob dieser pragmatische Benennung  geschämt, nur eine Stadt zu sein bzw. so zu heißen, den selben Nachnahmen wie z.B. das kleine und unbekannte Neustadt oder aber auch das weltbekannte Kappstadt zu haben. Das Ruhrgebiet mit seinem immer noch tiefsitzenden Minderwertigkeitkomplex tut dies offensichtlich, kann eine solche Schlichtheit als Bezeichnung nicht vertragen. Ruhr-Stadt ist zumindest einem großen Teil der hier Verantwortlichen offensichtlich zu mickrig. Ruhr allein offensichtlich auch. Wobei in der Kürze hier sogar die Würze einer griffigen Namensgebung läge. New York City wird landläufig ja auch als New York abgekürzt.
 
Der Begriff Metropolregion hat aber noch einen weiteren psychologischen Vorteil oder Makel, je nachdem aus welcher Perspektive man es sieht. Er erleichtert das Verdrängen der Tatsache, dass das Ruhrgebiet nicht nur einen regionalen, sondern eben auch einen äußerst engen städtischen Zusammenhang bildet.
So eng, dass, wenn in einer Nacht- und Nebelaktion alle Stadtnamensschilder abgeschraubt würden, schon am nächsten Tag , spätestens aber nach ein paar Wochen außer den Mitarbeitern der städtischen Vermessungsämter niemand mehr genau wüsste, wo die dazugehörigen Grenzen genau liegen.
 

Ruhrbezirk und Ruhrstadtdiskussion

 
Aber zurück zur Geschichte des Eine-Stadt-Gedankens. Ein letzter Vorläufer und zugleich Katalysator der Ruhrstadtdiskussion war die Forderung nach einem eigenen Regierungsbezirk Ruhr am Ende der 90er Jahre, schon seit längerem vorgebracht durch die Landes- und Regions-CDU, die im Gegensatz zu allen anderen Parteien schon in den 80er Jahren einen den KVR-Grenzen entsprechenden Parteibezirk gegründet bzw. ihre vorherigen den anderen Parteien ähnlichen Landesbezirke entsprechend umorganisiert hatte. Spannend wurde die Sache jedoch erst, als auch die Grünen als Teil der Landesregierung sich diese Forderung zu eigen machten und in der Folge 1998 ähnlich der CDU einen Parteibezirk mit einem eigenen Ruhrgebietssprecher ausriefen, in dem sich gewählte Vertreter der grünen  Ruhrgebietsfraktionen, bzw. Kreisverbände regelmäßig zu politischen Absprachen trafen und treffen.

Damit war auf einmal eine politische Mehrheit für diesen, von der SPD-Mehrheit immer abgelehnten, Ruhrbezirk greifbar und wurde damit auch zum Thema für Presse, Funk und Fernsehen .
 
Im Mittelpunkt stand dabei strategisch nicht so sehr das innere Integrationskalkül und eine neue horizontale Kooperationswilligkeit der Ruhrgebietskommunen, sondern der Kampf gegen die Spaltung von „Außen", bzw. von „Oben". Es war deswegen nicht verwunderlich, dass auch die alten, fast schon traditionellen Ressentiments gegen ein vereinigtes Ruhrgebiet – was ein Ruhrbezirk im übrigen noch gar nicht bedeutet hätte – nach Art des pawlowschen Hundes von Seiten des Ministerpräsidenten und Teilen der Landes-SPD abgespult wurden: die Gefährdung der Einheit des Landes NRW, die unregierbare Megalopolis  und der zweifellos berechtigte Vorwurf, dass ein  Ruhrbezirk nicht automatisch die inneren Konflikte und Konkurrenzen zwischen den Ruhrgebietsgemeinden auflösen würde.
 
Diesmal jedoch führte die Abwehr von Oben trotz des zusätzlichen Einknickens der Grünen und der damit verbundenen faktischen Ablehnung nicht zum gewohnten Abflachen und Verschwinden der Diskussion. Das Ruhrgebiet versackte nicht einfach in das „business as usual" der alten Grabenkämpfe, sondern nahm die Argumente der Landesregierung zum ersten Mal zum Ausgangspunkt eines weiteren und vor allem internen Diskurses. Ein Ruhrbezirk ohne vertiefte sachliche Kooperation, ja Integration von unten, hätte , das mussten sich zumindest die wirklich daran Interessierten eingestehen, keine einschneidende Verbesserung mit sich gebracht. Damit stand aber die alte Frage wieder an, wie denn ein solcher Stadtmoloch wie das Ruhrgebiet  zu einem gemeinsamen Handeln in den schon seit langem eingeklagten Gebieten des Verkehrs, der Flächennutzung, der Wirtschaftsförderung, der  Kultur und neuerdings auch der Touristik kommen  könnte. Oder wie denn die allseits gewünschte schlanke Verwaltung auch durch verstärkte interkommunale Arbeitsteilung und Behördenzusammenlegung erreicht werden sollte.
 
Was von allem letztlich überblieb, ist die anstehende neue, von der aktuellen CDU-FDP Landesregierung forcierte, Aufteilung der Regierungsbezirke, die endlich einen Ruhrbezirk vorsieht, der deckungsgleich mit dem Verbandsgebiet des RVR ist. Ich kann nur hoffen, dass zumindest diese Entwicklung nicht mehr rückgängig gemacht wird, denn sie ist, wenn nicht die entscheidende, so jedoch eine der förderlichen Voraussetzungen zur Bildung der Ruhrstadt, in welcher konkreten Form und mit welcher endgültigen Namensgebung auch immer.
 
Die Schwäche des Kommunalverbandes Ruhr (KVR)
 
Der damalige Kommunalverband Ruhr, der eigentlich diesen innerregionalen Diskurs hätte an sich  reißen und offensiv anleiten müssen, war jedoch gerade erst knapp – dank der neuen kommunalen CDU- Mehrheiten und eines juristischen Verfahrensfehlers- der von der Landesregierung anvisierten endgültigen Auflösung entgangen. Obendrein stand er zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal in seiner Geschichte einem Konkurrenten gegenüber: der Projekt Ruhr GmbH. Eine mit reichlich Geld ausgestattete Organisation, die als Replik auf die Niederlage der Landesregierung von dieser handstreichartig  neu gegründet worden war, und der nichts ferner lag, als anstatt des KVR  die Ruhrbezirksdiskussion aufzunehmen. So war das Tor für ein neues, wenn auch erst einmal nur virtuelles, Subjekt der Integration von unten weit geöffnet. Wer dann den Begriff der Ruhrstadt zuerst in die öffentliche Debatte warf und ob es der passende war, darüber lässt sich trefflich streiten, nicht jedoch über seinen auch für seine Urheber verblüffenden Erfolg. 

Die Ironie der Geschichte traf dabei insbesondere den Kommunalverband Ruhr selbst, denn er hatte die nun der ominösen  Ruhrstadtverwaltung in der Mehrzahl angedienten stadtübergreifenden Aufgaben vor seiner systematischen Schwächung zum Teil schon einmal inne gehabt. Je mehr jedoch in den Wirtschaftswunderjahren nach dem Zweiten Weltkrieg die Konkurrenz der Ruhrgebietsgemeinden unter einander wieder zunahm, desto weniger war ihm darin Erfolge beschieden, denn auch im Parlament dieses Planungsverbandes spiegelten sich nicht nur die politischen Mehrheitsverhältnisse, sondern vor allem auch die unterschiedliche Größe der Städte und damit auch die Übermacht der Hellwegzonen- Kommunen wieder. Hinzu kam, dass auch der Rest der kleineren Mitglieder untereinander nicht immer zu  einem einheitlichen Interesse fand. So ist es nachzuvollziehen, dass die von der Landesregierung im eigenen Interesse vorangetriebene Schwächung des Planungsverbandes früher oder später auch Befürworter in den Reihen der Mitglieder fand, die sich zunehmend fragten, was die teure Zwangsmitgliedschaft in dieser Regionalorganisation neben dem Nachteil der partiellen Einschränkung ihrer kommunalen Planungshoheit noch an materiellen Vorteilen bot. Das Ergebnis war eine Art Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Aus Angst, ganz aufgelöst zu werden, akzeptierten die Verantwortlichen des Kommunalverbandes Stück für Stück eine Kompetenzreduktion, die dem Vorwurf seiner faktischen Wirkungslosigkeit immer noch mehr Nahrung geben musste. Dass in einer solchen Organisation dann auch die letzten innovativen Köpfe das Weite suchen ist nicht weiter verwunderlich.
 
Diese Problematik hat sich bis in den heutigen erneut reformierten und erneut umbenannten  „Regionalverband  Ruhr“ kurz genannt RVR fortgepflanzt, bzw. erlauben die ihm dadurch zurück gegeben Kompetenzen und Rechte (noch) nicht so zu agieren, wie es sich die neuen leitenden Verantwortlichen dort wünschen. Der inflexible Quasibeamtenstatus der dort Angestellten und die immer noch vorhandene Parteibuchorientierung tun das ihrige dazu . Aber dazu noch einmal weiter unten.

 
Die IBA-Emscherpark und die Ruhrstadtdiskussion

 
Die Internationale Bauausstellung Emscherpark war noch weniger als der Ruhrbezirk zur Vorbereiterin der  Ruhrstadtdiskussion ausersehen, war sie doch bewusst als Gegenteil gesamtstädtischer oder gesamtregionaler Planung an Projekten orientiert. Sie waren zwar in Leitbilder eingefügt , verstanden sich jedoch eindeutig als innovative und temporäre Planungs- und Umsetzungsinseln im trägen Strom der permanenten und systematischen Raumplanung . Ganz besonders zeigte sich das am Umgang oder besser Nichtumgang der IBA mit dem Kommunalverband Ruhr. Er wurde von den Machern der IBA schlicht links liegen gelassen und, wenn man überhaupt mit ihm zusammenarbeitete, mehr oder weniger absichtlich als das vorgeführt, was er mittlerweile aus oben genannten Gründen auch geworden war: träge und ideenlos.
 
Nichtsdestotrotz hat die IBA, und das mit großem Erfolg, das Ruhrgebiet als Ganzes in ein neues, attraktiveres Licht gerückt. Dabei entzündete sie nicht nur an dem was sie tat, sondern auch an dem, was sie nicht tat, unausweichlich, und nicht  nur unter den Experten, eine neue gesamtregionale Debatte.

Zugleich übte sie systematisch etwas ein, was bis zu diesem Zeitpunkt im Ruhrgebiet äußerst ungewöhnlich war: die zwischengemeindliche Kooperation im gemeinsamen, weil stadtübergreifenden Projekt . 
 
Diese interkommunale Zusammenarbeit hat, gerade weil sie immer nur am einzelnen Projekt orientiert war, keineswegs, wie von einigen ihrer Matadore erhofft, die Planungskultur der Städte als Ganzes verändert. Aber sie hat bei einem, wenn auch kleinen, dafür aber sehr engagierten Teil der amtlichen Planung den Horizont für eine verstärkte zwischengemeindliche Kooperation im Allgemeinem und damit – wenn auch nicht beabsichtigt – ein weiteres Einfallstor für die kommende Ruhrstadtdiskussion geöffnet.
 
Zugleich hat das Ende der IBA ein Handlungs- und Diskussionsvakuum geschaffen, das, da es von Seiten der Landesregierung zu keiner vergleichbaren  Folgeeinrichtung kam , von unten gefüllt werden musste und gefüllt wurde. Und zwar zuerst durch die Ruhrbezirksdebatte und dann durch die Ruhrstadtdiskussion selbst. Beide Diskurse füllten aber nicht nur ein Vakuum sondern sie  entwickelten , im Gegensatz zur IBA ohne eine sie tragende Institution , eine unvorhersehbare Eigendynamik, denn sie erreichten und bewegten , und das flächendeckend, eine wesentlich größere Gruppe der Bevölkerung .

Insbesondere was die Ruhrstadtdiskussion betraf, lag dies nicht zuletzt auch an dem glücklichen Umstand, dass die die regionale Medienlandschaft beherrschenden Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) im Rahmen des schon länger fälligen Generationswechsel einen Chefredakteur ernannt hatte, der sich dieses Themas auch persönlich annahm und dann zum Programm erhob, bzw. in der Lage war, es in den Führungsetagen des Zeitungskonzerns durchzusetzen. 
 
So kann man die IBA sehr wohl mit einem  gut gehüteten Feuer vergleichen, aus dessen verglimmender Glut unter Zufuhr von nicht vorhersehbarem  Wind ein Flächenbrand namens Ruhrstadt entstanden ist. Und zwar erst, nachdem  die, die das Feuer gezündet und 10 Jahre gehütet hatten, die Feuerstelle in Ermangelung neuen Feuerholzes längst hatten verlassen müssen. Von der Institution IBA selbst wäre, sofern sie zu diesem Zeitpunkt noch existiert hätte, jedoch für die Eine-Stadt-Idee keine Unterstützung zu erwarten gewesen. Zu sehr befand sie sich , trotz formaler Autonomie, politisch unter der Fuchtel der SPD und der Landesregierung. Aber auch der Chef und Hauptmatador der IBA , Karl Ganser, stand als Planungsexperte einer Metropolenperspektive für das Ruhrgebiet aus guten Gründen sehr skeptisch gegenüber . 
 
So ist es nicht verwunderlich, dass zu Anfang des neuen Jahrtausends viele Ruhrstadtbefürworter immer wieder auf die IBA rekurrieren, während ihre Macher selbst in dieser Debatte so gut wie überhaupt keine Rolle spielen. Sie haben den diesbezüglichen Stimmungswandel in der interessierten Bevölkerung anscheinend weder bemerkt, noch berücksichtigt.
 
Die Masterpläne Emscherlandschaftspark 2010 und Emscher:zukunft als Zwang zur über- und
zwischenstädtischen Gesamtsicht

 
Während der neue RVR immer noch stark mit seiner Reorganisation beschäftigt war  haben zwei andere Organisationen die Regionalplanung im Ruhrgebiet in die Hand genommen. Die neue Projekt Ruhr GmbH versuchte mit ihrem Masterplan Emscher Landschaftspark 2010 die Idee der IBA weiterzuführen und die „altgediente“ Emschergenossenschaft trieb das Jahrhundertprojekt Emscherumbau so voran, dass nicht nur für die Nebenflüsse und –bäche, sondern auch für den Hauptlauf dieses Abwasserflusses ein Masterplan erstellt wurde, in dem die neue Wasserlandschaft entlang der alten Emscher zum ersten Mal konkret sichtbar wird. Diese Masterpläne, die beide entlang der gesamten West-Ost-Achse der Ruhrstadt verlaufen und sich flächenmäßig stark überlagern und überschneiden, zwangen die betroffenen Städte erneut zu übergreifenden Diskussionen und Aktionen. Als dann die Projekt Ruhr GmbH aufgelöst und die weitere Planung des Emscherlandschaftsparks dem neuen RVR übertragen wurden, sah sich dieser  gezwungen, enger als bisher mit der Emschergenossenschaft zusammenzuarbeiten um die beiden Masterpläne auf deren Drängen zu einem abgestimmten Ganzen zusammenzufügen. 
 
Die öffentliche Ruhrstadtdebatte flachte zur selben Zeit jedoch wieder deutlich ab. Zum einen, weil die WAZ ihren neuen ruhstadtfreundlichen Chefredakteur durch einen diesem Thema eher reserviert gegenüberstehenden ersetze und zum anderen, weil die Oberbürgermeister und die verantwortlichen Planer des Ruhrgebietes mehr oder weniger überzeugend darauf verweisen konnten, dass es mit dem neuen RVR und der wieder zunehmenden zwischenstädtischen Kooperation keinen Grund mehr gäbe, über einen Stadtverbund, geschweige denn über eine Zusammenlegung der Gemeinden nachzudenken.
 
Bei näherer Betrachtung jedoch zeigte schon das Vorhandensein zweier fast gleichzeitig erstellter Masterpläne zu einem und dem selben Gebiet sehr deutlich, dass sich de facto gar nichts verändert hatte.
Erst recht wenn, man konstatiert, dass es zur gleichen Zeit drei weitere städteübergeifende Projekte gab: Land-Stadt-Fluß, Städteregion Ruhr 2030 und den Masterplan neues Ruhrtal. Das erste von den Planern der Stadt Dortmund initiierte Projekt umfasste räumlich einen Teil der Masterpläne Emscherlandschaftspark 2010 und Emscher:zukunft und nahm die dortige Wasserlandschaft ins Visier.
Das zweite, von der Universität Dortmund  gestartete und vom Bund geförderte, praxisorientierte Forschungsprojekt betraf einen großen Teil der Emscherzonengemeinden, die zugleich in die beiden in der Kapitelüberschrift genannten Vorhaben eingebunden waren, und sollte neue Formen zwischenstädtischer Kooperation erproben. Das dritte, von den Hellwegzonengemeinden vorangebrachte Projekt, betraf die beiden Masterpläne weniger räumlich als inhaltlich. Das jedoch um so heftiger, denn es trat mit der Parole „ Das Ruhrtal, die Sonnenseite des Reviers“ in die direkte Konkurrenz zur mit dem Emscherumbau geplanten neuen Wasser- und Freizeitlandschaft an der Emscher, dem sogenannten „neuen Emschertal“. Was sollte das neue Emschertal gegenüber der Sonnenseite der Ruhrstadt in diesem Bezugssystem  begrifflich anderes sein als die „Schattenseite“. Ob es den Werbefachleuten und Stadtplanern bei der Erfindung dieser Parole klar war oder nicht, damit ist die landschaftliche Benachteiligung der Emscherzone erneut auf den Punkt gebracht, denn selbst das neue vom offenen Abwasser befreite Emschertal kann nicht umstandslos mit dem Ruhrtal, geschweige mit dem neuen Ruhrtal mithalten.  
 
Verpasst wurde aber vor allem die Riesenchance aus der realen Vernetzung der aktuellen und zukünftigen Wasser- und Grünflächen des gesamten Ruhrgebietes, die das Emscher- und das Ruhrtal jetzt schon miteinander verbinden, ein großes Gesamtthema zumachen: den Ruhrstadtpark. Dabei wäre dieser durch Wasser- und Fahrradwege komplett vernetzbare Zwischenstadtpark auch weltweit eine städtebauliche Innovation und ein zusammen mit dem Emscherumbau internationales Vorzeigeprojekt.
 
 „Generation Ruhrstadt" oder: Die Ruhrstadt als alltägliche Erfahrung der jüngeren
Ruhrgebietsbewohner 

 
In der Bevölkerung jedoch ist das Bewusstsein für diesen städtischen Gesamtzusammenhang durch die oben genannten Maßnahmen weiter angestiegen. Hintergrund dieses anhaltenden, von dem Stadtvätern jedoch immer wieder kleingeredeten Stimmungswandels ist ein den soziokulturellen Veränderungen der Region geschuldeter neuer Blick der Bewohner auf die sie umgebende spezielle Stadtlandschaft namens Ruhrgebiet. In den letzten 20 Jahren gleichen sich nämlich die Außen- und Innenwahrnehmung der Region als einem zusammenhängenden Stadtraum zunehmend an, und dies aus verständlichen Gründen vor allem für die jüngeren Bewohner. Sie sind in der Mehrzahl nicht nur mobiler, sondern eben durch den mittlerweile weit fortgeschrittenen Strukturwandel auch zu häufigerem Orts- und Arbeitsplatzwechsel gezwungen. Ihr alltäglicher Aktionsradius, sowohl der Arbeits- als auch und vor allem der  Freizeittätigkeiten umfasst den größten Teil der Ruhrgebietskommunen ,wobei vor allem die vier Kernstädte und mit größeren Zeitabständen auch Köln und Düsseldorf zum regelmäßigen Aufenthaltsprogramm gehören.
 
Urbanität ist für diese Ruhrgebietsgeneration  eine Art alltägliches Puzzlespiel, in dem die Ruhrstadt aus je nach Bedürfniskonstellation immer wieder neu zusammengesetzten Stadtteilen besteht, die relativ selbstverständlich mit immer wieder hohem Verkehrsaufwand zu einer Art Erlebnispfad miteinander verbunden werden. Für die Menschen unter ihnen, die dabei freiwillig oder gezwungenermaßen den ÖNV benutzen, ist z.B. schon aus ganz praktischen Gründen nicht nachvollziehbar, wieso es immer noch mehrere Dutzend Verkehrsbetriebe gibt, deren Kooperationsprobleme auf ihre Kosten ungelöst bleiben.
 
Sie verstehen auch nicht, dass im Ruhrgebiet auf den Hauptstrecken nicht die ganze Nacht hindurch Züge, bzw. Busse und Straßenbahnen verkehren, wie z.B. in anderen Großstädten, die sie kennen, geschweige denn es kein einheitliches Tarif und Automatensystem der Verkehrsbetriebe gibt.  Als Autofahrer begreifen sie nicht, wieso ihr Verkehrsfluss durch umständlich umgelenkte, verschmälerte oder gar nicht weiter geführte Trassen gestört oder behindert wird, nur weil sie gerade eine Stadtgrenze überfahren, die außer durch das entsprechende Schild weder nachvollziehbar noch einsichtig ist. Praktisch existieren diese Grenzen für sie sowieso nicht.  
 
Die Gebildeten dieser Generation, und das sind mehr als je in der Geschichte der Ruhrgebietes, empfinden es als störend, dass die vielen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen, die Theater, die Bibliotheken und Museen nicht über zentrale Anlaufstellen (zumindest im Internet) verfügen, zumindest aber nutzerfreundlicher kooperieren, um ihnen unnötige Wege zu ersparen.
 
Für diese Generation ist die Ruhrstadt eine Lebenstatsache, auch wenn sie die Bezeichnung für ihren Lebensraum gar nicht benutzen, bzw. vor der neuerlichen Ruhrstadtdiskussion nicht benutzt haben. Verständlich ist auf jeden Fall, dass diese Menschen diesen Begriff umstandslos aufgreifen und die damit verbundene zwischengemeindliche Kooperation und Vernetzung einklagen. Es ist ja das, was sie selbst in ihrem individuellen Leben schon lange tun: Verbindungsarbeit leisten, um ihren Lebensort als Ganzen zu nutzen und wenn möglich sogar mitzugestalten .
 
Durch ihr sozialräumliches Verhalten sind im Übrigen in den letzten Jahrzehnten trotz der antiurbanen Tradition dieser Region und ihrer dispersen Raumstrukturen zentrale Treffpunkte entstanden, an denen nicht mehr nur die Szene einer Gemeinde, sondern Bewohner aller Ruhrgebietsstädte miteinander in Kontakt treten können. Das Bermuda-Dreieck in Bochum als zentrales Gastronomie- und Entertainmentviertel ist dafür nur ein ,wenn auch hervorgehobenes, Beispiel. Nach der nachholenden Verstädterung in den 60er und 70er Jahren hat in den 80er und vor allem in den 90er Jahren eine nachholende Urbanisierung stattgefunden, die zumindest in den vier Kernstädten der Region und vor allem in ihren Zentren Stadtviertel kreiert hat, die es sehr wohl auch jenseits des Einkaufens in der Angebotsvielfalt und Dichte mit traditionellen Großstädten aufnehmen können.
 
Dass damit zugleich ein soziokultureller Ausblutungsprozess der Emscherzonengemeinden einher gegangen ist, war in Anbetracht der insgesamt in der Region unterrepräsentierten neuen Mittelschichten, des gebildeten Großbürgertums und der kulturell engagierten Außenseiterszenen nicht verwunderlich. Erst recht nicht, wenn man mit bedenkt, dass diese Städte durch den Strukturwandel erheblich an ökonomischer Potenz verloren haben und sich in vielen ihrer Stadtteile aus diesem Grunde auch die Modernisierungsverlierer konzentrieren.
 
Die Generation der Lokalisten

 
Es gibt allerdings immer noch eine starke und vor allem ältere Generation der lokal ver- und eingebunden Ruhrgebietsbewohner, und zwar in allen sozialen Schichten. Sie spannt sich von den die immer noch vorhandenen Milieus der Arbeiterbewegung über die traditionellen Polbürger bis zu den gemeindlichen Eliten. Ihre grundsätzliche räumliche Mobilität hat sich zwar ebenfalls vergrößert, es fehlen ihnen allerdings in der Mehrzahl die sozialen und kommunikativen Motive, diese in der gleichen Form zu forcieren wie die „Generation Ruhrstadt“. Ihre Lebenswelten sind immer noch stark den jeweiligen Städten verhaftet, in denen sie wohnen und häufig auch arbeiten. Dies gilt erst recht für die GemeindevertreterInnen und BürgermeisterInnen unter ihnen. Ihr politische und soziale Biographie und vor allem auch ihr gesellschaftlicher Aufstieg und ihr persönliches Engagement sind eng und durchgängig mit den alten Gemeindegrenzen dieser Region verbunden. 
 
Trotz der mit ihren Aufgaben unausweichlich verknüpften interkommunalen Kooperation, die auch sie häufig und grundsätzlich für sinnvoll erachten, steht es außerhalb ihrer Vorstellungskraft, das Ruhrgebiet auch als gemeindliche Einheit zu sehen, in dem „ihre“ Städte „nur noch“ Stadtteile sind. Letztlich bedeutet dies nämlich nicht nur das mögliche Verschwinden ihrer Aufgabenfelder und Kompetenzen, mit denen einige von ihnen, vor allen Dingen wenn sie das Alter von 60 Jahren locker überschritten haben, vielleicht sogar noch leben könnten. Eine solche Entwicklung wäre zugleich und viel schlimmer auch eine Infragestellung ihres Lebenswerkes und damit ihrer persönlichen Identität. 
 
Bei den Menschen dieser Generation, die nicht zu den lokal Eliten welcher Art auch immer gehören, gilt, wenn auch abgeschwächt, jedoch das gleiche. Lebenslange räumliche Bindungen schaffen für jeden Menschen auch räumliche Identität. Städtenamen werden damit zu individuellen Bezugsgrößen, erwecken bei ihre Nennung Heimatgefühle, zumindest aber eine Menge örtlich gebundener Erinnerungen. Wer auf diese Gefühle, seinen sie objektiv noch so rückwärtsgewandt und idyllisch, keine Rücksicht nimmt, wird gerade im Ruhrgebiet bei dieser Gruppe der Bevölkerung unausweichlich und zur Recht auf Widerstand gegen  den „Eine Stadt Gedanken“ stoßen. Das Kleinstädtische und Provinzielle dieser Region und die damit verbunden spezielle Stadtlandschaft wurde und wird für viele ihrer Bewohner insbesondere aus dieser aber eben nicht aus nur dieser Generation nicht als Nach- sondern als Vorteil empfunden. 
 
Verpasste Chancen oder: Das stadtkulturelle Dilemma der Ruhrstadt

 
Die Großstädter unter den Einwohnern, d.h. die, die mit der alten Ruhrgebietsidylle nicht mehr sehr viel anfangen können, haben jedoch seit den 60 Jahren des letzten Jahrhunderts kontinuierlich zugenommen. Die kulturell Engagierten unter ihnen sahen sich allerdings auf Grund der fehlenden Medienkonzentration und der mit der Ruhrgebietsidylle eng verbundener strukturellen Biederkeit der herrschenden Eliten seit dem immer wieder gezwungen vor allem nach Köln, aber auch an Hamburg ,München und neuerdings auch an Berlin abzuwandern. Trotz dieser jahrzehntelangen soziokulturellen Auswanderungstendenz, die natürlich auch eine Folge verpasster metropolitaner Chancen der Vergangenheit war und umgekehrt wieder die Chancen auf eine Metropolisierung mit vereitelt hat, hat das Ruhrgebiet gegenüber anderen deutschen Kultur- und Medienmetropolen in den letzten zwei Jahrzehnten erheblich aufgeholt.
 
Leider hat in dieser Dekade der Reurbanisierung und Metropolisierung die zunehmend gnadenlose Konkurrenz vor allem der „Großen Vier" den erfolgreichen Endspurt zu einem der internationalen Spitzenplätze systematisch verhindert. Ohne dieses „ Was der Nachbar hat, möchte ich auch haben", gäbe es vielleicht  heute so etwas wie ein gemeinsames und sich gegenseitig befruchtendes Theater- bzw. Künstlerviertel, eine gemeinsame Ruhrstadtbibliothek und ein Ruhrgebietsmuseum, die es je für sich auf Grund der kollektiven Potentiale und Geldmittel ohne weiteres auf Weltstadtniveau hätte bringen können. Die gemeinsamen Nutzer für solche gemeinsamen kulturellen Zentren, die keineswegs alle in einer der vier Kernstädte hätten angesiedelt sein müssen, wären auf jeden Fall da gewesen und hätten es ihren Stadtvätern und -müttern gedankt.
 
Aber auch die Landesregierung hat vermittels zentral verteilter Fördergelder diese Konkurrenz systematisch gefördert und zugleich, was die Standorte der vor allem für die kulturelle Entwicklung so wichtigen öffentlichen und privaten Medienkomplexe betrifft, die Rheinschiene weiterhin bevorzugt und gestärkt. 
 
Trotzdem hat die Region in den letzten Jahrzehnten zum ersten Mal in ihrer langen Geschichte eine Reihe von Künstlern und Medienschaffenden von nationalem , ja im Einzelfall auch internationalem Rang und Wirkungsbereich hervorgebracht, die dieser Stadtlandschaft auch nach ihrem Durchbruch – wenn auch nicht immer räumlich – verbunden geblieben sind. Interessanterweise gehören sie in der Mehrzahl nicht zu den klassischen Bereichen der Hochkultur, sondern eher dem schrägen,  komödiantischen Bereich an, zumindest aber gehören sie trotz ihrer anerkannten Spitzenklasse eher zu den Außenseitern ihrer Branche. Genannt seien hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit: die Schriftstellerin, Dramaturgin, und „Literaturpäpstin“ Elke Heidenreich, alias die Wanne-Eickeler Metzgerfrau „Elke Strathmann“;  der Schauspieler Joachim Kroll; der Musiker, Schauspieler und Entertainer Helge Schneider; der Regisseur  und Dramaturg Christoph Schlingensief; der Popsänger, Komponist und Schauspieler Herbert Grönemeyer;  der Schauspieler, Autor und Dramaturg Willi Tomszcik; der Filmregisseur Söhnke Wortmann; der Fernsehmoderator und ehemalige Eislaufstar Rudi Cerne; das weibliche Comedy-Duo „Misfits"; der Independend und Undergroundstar  „Philipp Boa" ; die Jazzsängerin und Fernseh- Moderatorin Sylvia Droste; der Comiczeichner „Jamiri"; der Schriftsteller Frank Goosen ; der Journalist und Fernsehproduzent Friedrich Küppersbusch; und ,last but not least, der  Mundartkomödiant Uwe Lyko, alias „Herbert Knebel" auf den ich später noch einmal gesondert eingehen werde. Aber auch bei der Streetculture des Hip Hop und des Breakdance können sich Gruppen aus dem Ruhrgebiet mittlerweile auch international erfolgreich messen.
 
Unabhängig von der ganz individuellen und damit unvergleichlichen Biographie jedes einzelnen der hier genannten Personen entspricht die Sorte und Art dieser Künstler in gewisser Weise der speziellen stadtkulturellen Lage der Region zwischen überwundener Provinz und verhinderter Metropole. Wer an solch einem Ort kulturell durchhält, ja trotz aller Widerstände und schlechten Rahmenbedingungen zur Größe gelangt, ohne vorher zu fliehen, der muss jenseits seines künstlerischen Anspruchs im allgemeinen entweder in seiner Person oder in seiner Kunstsparte oder in beidem gewisse Außenseiterqualitäten mitbringen oder aufbauen. Vielleicht aber sozialisiert eine stadtkulturelle Außenseiterregion eben auch eher ihr künstlerisches Pendant .
 
Alle diese Personen und die regionalen Szenen , die sie verkörpern, würden, wenn sie  heute junge Talente wären, wesentlich stärker gefördert, als zu der Zeit, in der sie es wesentlich notwendiger gehabt hätten. Die von ihnen, die auf Dauer ihre „Heimat" verlassen haben, wären vielleicht noch hier, wenn dies rechtzeitig geschehen wäre. Ja, sie hätten womöglich andere ihrer Qualität auf Dauer ins Ruhrgebiet gelockt. Aktuell ist jedoch bei allen diesbezüglichen Verbesserungen  festzuhalten: Sie haben nach wie vor keinen triftigen Grund zurück zu kommen, denn noch immer fehlt das Maß an privatem Mäzenatentum, an öffentlichem Geld und vor allem an Metropolitanität , das ihnen genügende 
überregionale Ausstrahlung gewährleisten könnte.
 
Ruhrstadt und Ruhrsprache

 
Herbert Knebel alias Uwe Lyko spielt in diesem Zusammenhang eine ganz spezielle Rolle, weil er in Bezug auf die Ruhrstadt das alte und das neue Ruhrgebiet sprachlich verbindet. Er ist geradezu ein kulturelles Kind des Strukturwandels, der gerade für die jüngere Generation einen großen Bruch mit der Tradition und der Denkweise ihrer Eltern und Großeltern bedeutete. Der Mehrzahl seiner Fans ist sein Vorgänger Jürgen von Manger nur vom Hörensagen bekannt. Diese Ruhrstadtgeneration, aus der Uwe Lyko übrigens auch selber stammt, hat als einzige alltagskulturelle Kontinuität „nur" noch die Sprache ihrer Eltern übernommen und diese natürlich um die modischen Kürzel und Anglizismen jeder jüngeren Generation erweitert. Im Kern jedoch ist der regionale Dialekt komplett in die Alltagssprache dieser Generation eingegangen und das, wie bei ihren Eltern ,unabhängig von ihrem Bildungsgrad und ihrer
gesellschaftlicher Stellung.
 
Zugleich definiert diese sprachliche Kontinuität jenseits aller innerregionalen Städtekonkurrenz und einem zunehmendem ökonomischen und sozialen Gefälle bzw. objektiven regionalen Fragmentierungen den subjektiven Stadtraum der Ruhrstadt. Ruhrdeutsch hat bis heute eine relativ klare Raumgrenze, die sowohl von innen als auch von außen deutlich wahrgenommen wird. Diese gemeinsame Sprache wird jedoch um so bewusster, je mehr die alltägliche innerregionale Kooperation der Bewohner zunimmt. Ansonsten wurde sie natürlich immer schon in der Fremde deutlich, in der auch die älteren Ruhrgebietler auf die Frage ihrer räumlichen Herkunft zuerst mit dem Regionsnamen und nicht mit dem einzelnen
Stadtnamen reagierten und heute noch reagieren.
 
Die aktuelle und für viele erstaunlich dynamische Wirkung des Ruhrstadtbegriffs lässt sich jedoch nur aus dem stärkeren Innenbewusstsein, aus der stärkeren Selbstidentifizierung mit der Gesamtregion erklären, die mit diesem Kürzel erst einmal und vielleicht – in Ermangelung eines besseren oder treffenderen Begriffs – auch nur vorläufig auf den Punkt gebracht wird. Es ist jedoch jetzt schon abzusehen, das dabei der bislang oft gehörte Begriff des Ruhrpotts an Boden verlieren wird, weil er eine eher rückwärtsgewandte Assoziation repräsentiert, die immer noch den altindustriellen Kern und die damit verbundenen Stadtbilder vermittelt, die sich im Zeichen des Förderturms ikonographiert haben. Die Figur  des Herbert Knebel schließt sich künstlerisch an diese Ikonographie an, ohne jedoch den Bezug zum neuen Ruhrgebiet zu verlieren. Die Geschichten, die durch sie erzählt werden, nehmen zwar immer wieder die alte Ruhrgebietsidylle auf, nicht zuletzt, weil sie Knebel auch in seinem Outfit konsequent verkörpert. Sie werden aber von Uwe Lyko in die Jetztzeit gewendet und um ganz aktuelle Thematiken ergänzt. Zugleich profitiert er von der Tatsache, dass das Ruhrdeutsch auch in der überregionalen Öffentlichkeit nicht mehr den Geruch des schlechten , des proletenhaften „Gossendeutsches"  hat ,  sondern im Rahmen des zunehmenden nationalen und europäischen Regionsbewusstseins als Ausdruck  von Besonderheit und Eigenwilligkeit anerkannt wird. Der Ruhrgebietler schämt sich schon länger nicht mehr seiner Sprache und auch die türkischen Einwanderer der zweiten und dritten Generation, sofern sie nicht durch Ghettoisierung und/oder soziale Verelendung generell Sprachmängel aufweisen, verhalten sich ähnlich.
 
Die Sprache ist insofern ein wichtiges Integrationsmedium für die Ruhrstadtidee und ihre Realisierung, denn sie bindet nicht nur die älteren deutschen Generationen sondern auch die ausländischen Bürger , die hier nach einer Bleibeperspektive suchen, in diese Zukunftsvision ein. Dabei wird die „Generation Ruhrstadt" zweifellos eine führende Rolle einnehmen, nicht zuletzt auch, weil einige ihrer Vertreter mittlerweile in führende Position innerhalb der Region gekommen sind, wie z.B. Oliver Wittke als ehemaliger CDU-Bürgermeister von Gelsenkirchen und jetziger Städtebauminister, Burghard Drescher als  ehemaliger SPD-OB und neuerlicher Immobilienmanager . Auch Uwe Knüpfer mischt sich wieder mit der von ihm nach seiner Demissionierung bei der WAZ gegründeten regionalen Online-Zeitung  On-Ruhr wieder in die offizielle Debatte um die Zukunft des Ruhrgebietes ein, bzw. setzt er dieses Thema erneut
auf die öffentliche Tagesordnung. 
 
Diese Ruhrstadtpromotoren  werden unterstützt von einer kleinen Gruppe älterer, schon länger in Verantwortung stehender Ruhrstadtbefürworter, die auf Grund ihrer Weitsicht und ihrer direkten Konfrontation mit den problemverschärfenden Kooperationsmängeln der Ruhrgebietsgemeinden unter anderen Begriffen dasselbe wollten, jedoch bislang nie breitere Zustimmung dafür erhielten, wie z.B. die Führung des Kommunalverbandes Ruhr, des Vereins Pro-Ruhrgebiet und des Initiativkreises Ruhrgebiet. Ihr wichtigster Vertreter ist Christoph Zöpel, der nach einem längeren Ausflug in die Bundespolitik wieder ins Ruhrgebiet zurückgefunden hat und dort auch wieder öffentlich für die „Weltstadt Ruhr“ streitet.
 

Die räumlichen Grenzen der Ruhrstadt

 
Wenn diese Menschen und Institutionen jedoch die Mehrzahl der Durchschnittsbürger für ihre Idee mobilisieren wollen, werden sie neben den sachlichen Kooperationszwängen auch an die gemeinsame Sprache appellieren müssen, die die meisten Ruhrgebietsbewohner immer noch mehr verbindet als der gemeinsame Stadtraum. Insbesondere wenn es sich um die älteren von ihnen handelt, die nach wie vor ihre jeweiligen Städte und noch mehr – und da ähneln sie noch der „Generation Ruhrstadt" – ihre Stadtteile als Hauptbezugspunkt ihres Lebens sehen. 
 
Allerdings bedeutet dies auch, dass die Grenzen der Ruhrstadt diesbezüglich wesentlich enger gezogen  sind als die Fläche des Kommunalverbandes Ruhr und der ihm zugehörigen Gemeinden. Andererseits ist die Ruhrstadt in Anbetracht der obigen Konfliktlinien und Dilemmata erst einmal nur als  sozialräumliches Identitäts- und Identifikationsprojekt durchzusetzen und nicht einfach aus der objektiven Logik sachlicher Kooperationszwänge herbeizuführen. Danach hätte sie nämlich schon viel früher die Mehrzahl der politisch und planerisch Verantwortlichen begeistern müssen. Das tut sie jedoch nicht einmal heute, wo sie zumindest in der publizierten und medialen Öffentlichkeit in aller Munde ist.
 
Die mit der sprachlichen Identifizierung verbundene räumliche Reduzierung der Ruhrstadt auf das Kernruhrgebiet, sprich auf die rein städtischen und zugleich zusammenhängenden Siedlungsgebiete des KVR respektive RVR-Gebietes kommt aber nicht nur dem Begriff der Ruhrstadt als (Groß-)Stadt entgegen, sondern engt auch den sachlichen Problemzusammenhang auf das Wesentliche und zugleich Verbindende ein. Es mag soziopolitische und regionalökonomische Gründe geben, einer solchen Verkleinerung zu widersprechen. Die praktische Umsetzbarkeit der Ruhrstadt wird dadurch jedoch nicht nur erleichtert. Auch die für die alltägliche Identifikation so wichtige Erlebbarkeit ihres stadtkulturellen Zusammenhanges wird so auf Dauer besser gewährleistet. Städte wie Haltern oder Xanten sind nicht nur
sehr entfernt von den urbanen Zentren des Kernruhrgebietes, sie befinden sich auch in einem anderen Sprachraum und bilden einen deutlich differenten städtebaulichen und sozialräumlichen Verdichtungstypus aus . Vom viel stärker naturgeprägten  landschaftlichen Umfeld ganz zu schweigen.
 
Stadtkultur , Verdichtungstypus und idiomatische Integration können deswegen  nur im städtischen Kernruhrgebiet einen Identifikationszusammenhang aufbauen, der bei einer solch weitgehenden und langfristigen Umorganisation wie sie die Vision der Ruhrstadt nun mal bedeutet, auch von der Mehrheit der Bevölkerung mit getragen werden kann und auch muss. Das sollte Teile des Münster-, des Bergischen- und des Sauerlandes nicht daran hindern, sich der Ruhrstadt verbunden zu fühlen und umgekehrt, stellen die Gebiete und ihre Orte  doch die wichtigsten Naherholungsgebiete des Ruhrstädter da, so wie die Ruhrstadt umgekehrt bevorzugtes  Einkaufs- und Kulturziel für das Umland ist.
 
Die andere Urbanität der Ruhrstad
t
 
Jenseits der obigen sozialisationstheoretischen und sprachräumlichen  Vermutungen wird dieses Kernruhrgebiet im nationalen und europäischen Rahmen auch weiterhin  eine urbanistische Sonderrolle irgendwo zwischen den oder jenseits der Kategorien  Metropole und Provinz spielen. Wahrscheinlich helfen diese beiden Urbanitätsmaßstäbe aber im Falle dieser Art von Stadtlandschaft  überhaupt nicht weiter. Vielleicht trifft das sogar für den  Begriff der Urbanität überhaupt zu, wenn man über eine stadtkulturelle Gesamtzukunft dieser Region tiefer nachdenkt. Denn trotz nachholender soziokultureller Mittenbildung bleibt die Multipolarität ihrer Grundstruktur sehr wahrscheinlich auch die nächsten hundert Jahre erhalten. Zumindest was die vier „Hauptstädte" betrifft. Ebenso wird deren  bandartige  Aneinanderreihung unveränderlich bleiben. Einzig und allein ihr noch weiter gehendes Zusammenwachsen durch zusätzliche Bebauung ist – trotz wahrscheinlich abnehmender Bevölkerung – absehbar. Eine klassische Stadtmitte als urbanes Zentrum ist von daher selbst bei der verwaltungsmäßigen Zusammenführung aller Ruhrstädte zu einer Ruhrstadt  nicht realisierbar und, wenn man die Besonderheit dieser Stadtlandschaft berücksichtigt , auch gar nicht wünschenswert.
 
Die stadtkulturelle Parole kann also nur lauten: Weg von der konturlosen immer weiter zusammenwachsenden Bandstadt zu einem differenzierten und stadtkulturell klar profilierten Städteband,
in dem zumindest die vier „Hauptstädte" auch städtebaulich großstädtische Qualitäten sichern und ausbauen sollten. Diese müssten allerdings durch die Bildung der Ruhrstadt weniger  konkurrierend  und dafür mehr arbeitsteilig gestaltet werden.
 
Was jedoch heißt unter Urbanitätsgesichtspunkten arbeitsteilig, wenn sich Urbanität doch durch Mischung und Vielfalt an einem Ort  definiert? Und wo bleiben stadtkulturell die kleineren und unbedeutenderen Emscherzonengemeinden? Veröden sie in Anbetracht des prognostizierten massiven Bevölkerungsschwundes und des damit verbundenen Kaufkraftverlustes dann endgültig oder gibt es, trotz der unausweichlicher urbanen Schwächung der Unter- und Nebenzentren der Region stadtkulturelle Alternativen die das Nahbereichsleben auch in diesen Gemeinden soziokulturell erträglich oder sogar erneut attraktiv machen?
 
Hier würde – obwohl man ansonsten damit sehr vorsichtig sein muss – ein Blick nach New York, oder besser nach Manhattan weiterhelfen. Auch hier haben wir es nämlich grundsätzlich mit einer städtebaulichen Bandstruktur zu tun, die über  ein eher dezentrales stadtkulturelles Angebot verfügt und trotzdem als Ganzes auch von Europäern  als ausgesprochen urbaner Stadtraum empfunden wird.
Voraussetzung dafür ist aber eine flächendeckend wesentlich höhere bauliche Verdichtung als sie im Ruhrgebiet zu finden ist und ein automobiles und noch mehr ein öffentliches Nahverkehrssystem von überragender Schnelligkeit und Vernetzung.
 
"Puzzle-Urbanität" und Landmarken als städtebauliches und stadträumliches
Entwicklungskonzept

 
„Gestreute" Urbanität lässt sich dadurch zwar räumlich nicht beliebig zusammenfügen, zeitlich aber sehr wohl. Erst recht, wenn diese dezentralen urbanen „Cluster" selber zwar nicht über die Gesamtvielfalt, jedoch über eine ausreichende  Teilvielfalt und Mischung verfügen. Für das Ruhrgebiet könnte das heißen, daß über eine verkehrliche Erreichbarkeitsoptimierung einerseits und eine ergänzende Arrondierung und Verdichtung schon vorhandener urbaner Ankerpunkte andererseits das bisherige Puzzle vielfältiger wird und zeitlich leichter zusammenfügbar ist. Das Konzept der dezentralen Zentralisierung wäre speziell auf  stadtkulturelle Angebote der Ruhrstadt anzuwenden und jeweils um einen arbeitsteilig verteilten Hauptmagneten zu sortieren, bzw. wäre ein solcher in gemeinsamer Absprache einem der schon vorhandenen stadtkulturellen Wachstumspole hinzu zu fügen. Solche neuen Hauptmagneten könnten z.B. die besagte zentrale „Ruhrstadtbibliothek", eine große „Ruhrstadtfesthalle", ein „Ruhrstadtmuseum", eine Tourismuszentrale mit einem virtuell begeh -, und überfliegbaren dreidimensionalen Ruhrstadtmodell oder eine zentrale Mehrfachspielstätte (Multitheater) für die freien Kulturszenen sein.  
 
Das was ich oben begriffliche erst einmal etwas hemdsärmelig mit "Puzzle-Urbanität" bezeichnet habe, könnte so zu einem zukunftsträchtige und strategisch bewusst eingesetzten städtebaulichen Entwicklungskonzept der Ruhrstadt werden, dass sowohl ihrer dezentralen und multipolaren Grundprägung entspricht und diese zugleich durch nach- und hoch verdichtete attraktive Knotenpunkte in eine äußerst vitales städtischen Gesamterlebnisses überführt. Die Ruhrstadt bleibt dabei das, was das Ruhrgebiet wahrnehmungsmäßig immer schon war: Ein Roadmovie. Anders ausgedrückt, diese Stadtlandschaft lässt sich in ihrer Vielfalt auch in Zukunft nur dann erleben, wenn man sich in ihr immer wieder bewegt, bzw. in Bewegung bleibt. Der "Film", den man dabei erlebt, könnte durch dieses baulich- räumliche Umstrukturierung allerdings  erheblich spannender werden als bisher. Die städtebaulichen und stadtkulturellen Puzzle bilden dabei die Sequenzen dieses Films, den man sich entsprechend immer wieder neu und anders zusammen setzen kann. Das Ergebnis ist, um in der hier gewählten Begrifflichkeit zu bleiben, eine Art "Puzzle-Road-Movie", eine immer neue, individuell jedoch ganzheitliche Wahrnehmung der Ruhrstadt, wobei jedes Teil des Puzzles im Sinne der herkömmlichen
Urbanitätsvorstellungen eine zwar abgespeckte aber immer noch eigene und je besondere Aufenthalts- und Verweilqualität bieten sollte und könnte.
 
Die Weiterführung des von der IBA Emscherpark in die Region eingeführte Konzept der Landmarken würde sich mit dem hier erst einmal grob skizzierten städtebaulichen Konzept der "Puzzle-Urbanität" im übrigen bestens ergänzen, weil es auch den Fahrstrecken selbst, sprich dem reinen "Road-Sequenzen" des "Puzzle-Movies" eine zusätzliche vertikale Konturierung und räumliche Orientierung verleihen könnte. 
 

Puzzle-Urbanität und Ankerpunkte entstehen im Ruhrgebiet nicht ohne räumliche Arbeitsteilung 
 
Aber auch dieses Urbanitätskonzept bedarf der gebietlichen Arbeitsteilung. Auch großstädtische Ankerpunkte müssen einen bestimmten Grad an räumlicher Zentralität, an sozialer Dichte und an maßstäblicher Dominanz haben, um als Anziehungs- und Treffpunkte wirken zu können. Wenn allerdings jede Ruhrgebietsgemeinde, insbesondere aber die vier Großen, von allem alles haben wollen, also am Ende jeder Konkurrenzrunde jede das Gleiche hat, kann ein solches Konzept nicht funktionieren, bzw. kommt es gar nicht erst zu Stande, wie man an der letzten großen „Ich-will-das-auch-haben-Runde“ zum Thema Konzerthaus/Philharmonie erleben konnte. Nicht; dass das neue Konzerthaus in Dortmund unmittelbar und 1:1 mit  der neuen Philharmonie in Essen, mit der neuen Mercatorhalle („Stadtpalais“) zu Duisburg oder mit dem kommenden Musiktempel in Bochum zu vergleichen wäre. Architektonisch  machen die, die von ihnen schon gebaut sind, allesamt etwas her. Aber sie konkurrieren  alle mehr oder weniger um die selbe Art und die selbe Menge von Besuchern. Da helfen auch keine unterschiedlichen Programmschwerpunkte, die bei näherer Betrachtung dessen, was wirklich dort stattfindet, so unterschiedlich gar nicht sind und auch nicht sein können.
 
Aus der Ruhrstadtperspektive zeigte sich hier  (das wievielte Mal eigentlich?), dass mehr Quantität nicht  automatisch zu mehr Qualität führt. Eher im Gegenteil. Konkurrenz belebt hier auch keinesfalls das Geschäft, handelt es sich doch bei allen Einrichtungen um Subventionsbetriebe, die als die jeweiligen Gemeindehighlights einer echten Marktsituation gar nicht erst unterliegen. Es wird also nicht das beste, oder es werden nicht die zwei besten Konzerthäuser überbleiben, sondern alle vier wie auch immer weiter- oder besser überleben.
 
Diese mit wenigen Ausnahmen permanente Durchsetzung des Mittelmaßes durch zu viele Gemeindegrenzen ist auch auf anderen Gebieten immer wieder zu besichtigen. Das Ruhrgebiet hat kein Mengen-, sondern ein Qualitätsproblem. Wir haben von allem (Theater, Bildungseinrichtungen, Industriekultur, Burgen, Diskotheken usw.) so viel, dass keiner mehr wirklich durchblickt, geschweige denn der Besucher, der eben auch nach Qualität sucht, und zwar, wenn möglich, nach der höchsten. Von der findet er, wenn wir den anvisierten Metropolenstatus mit einbeziehen, im damit gesetzten
internationalen Maßstab allerdings zu wenig vor.
 
Die Hoffnungen, dass sich das auf Grund vermehrter zwischengemeindlicher Kooperation und der damit verbundenen viel gerühmten Win-Win-Situationen ändern könnte, scheitern an der schlichten Tatsache, dass es beim zwischengemeindlichen Qualitätswettbewerb auf so engem Raum wie dem Ruhrgebiet – dazu noch im öffentlich subventionierten Bereich – keine echten Win-Win-Situationen gibt. Wie könnte eine Gemeinde die Nachbarin dazu zwingen, ihr Theater, ihr Museum, ihr Industriedenkmal usw. zu schließen oder anderen Nutzungen zuzuführen, weil es offensichtlich nicht dem angestrebten Qualitätsstandard entspricht bzw. auf absehbare Zeit nicht das Geld und das Personal da, ist um diesen herzustellen. Das geht, wenn überhaupt, nur im Rahmen einer gesamtstädtischen demokratischen Entscheidung und einer zentralen Institution, die diese auch gegen den Willen einzelner Stadtteile
durchzusetzen in der Lage ist. 
 
Das gilt letztlich auch für die hier angestrebten urbanen Ankerpunkte und stättebaulichen Landmarken, denn auch die bedürfen eines bestimmten ästhetischen und inhaltlichen Qualitätsstandards, um einerseits ihre Rolle in der Ruhrstadt einnehmen zu können und andererseits auch Besuchern von außerhalb anziehen und faszinieren zu können, wie z.B. die Zeche Zollverein. Aber selbst bei ihr muss noch am urbanen Umfeld  gearbeitet werden, um im hier gemeinten Sinne erfolgreich sein zu können. 
 
Ruhrstadtrepräsentation und Ruhrstadtzeichen
 
Soziokulturelle und politische Identifikationszusammenhänge, die sich als Stadt immer auch räumlich verstehen müssen, kommen ohne solche potentiell alle Bewohner anziehenden Magneten und Orientierungspunkte, wie sie das obige Urbanitätskonzept aufzuzeigen versuchte, nicht aus. Sie bedürfen obendrein und aus der Natur der Sache heraus baulich-räumlicher Wahrzeichen und Symbole, die alle diese gemeinschaftlichen Attraktoren überstrahlen, um auch nach außen das Besondere einer Stadt auf den visuellen Punkt zu bringen.  Auch gestreute Urbanität braucht eine unifizierende Bildpräsentation. 
 
 
Das Ruhrgebiet hatte damit von Anfang an ein großes Problem. Mit Ausnahme vielleicht des Förderturms gab es kein für alle Städte gemeinsam anerkanntes bauliches Zeichen und  selbst für ihn galt und gilt, daß er eher für eine bestimmte Art von Produktion oder besser Energiegewinnung denn eine Identitätsbestimmung für einen bestimmten Ort steht. Auch die Bergbaugebiet Frankreichs, Englands oder sonstiger kohlefördernder Nationen wurden von diesen Bauwerken flächendeckend gekrönt und führten es zu Recht als Ikone in ihren Stadt- bzw. Regionswappen und Vereinsfahnen. In der bauwerklichen Realität mag es dabei  für die Experten sehr wohl regionale Differenzen  geben, für den Rest der  Bevölkerung sind diese jedoch nicht wahrzunehmen. So fehlte dem Ruhrgebiet immer ein besonderes,   wiedererkennbares und zugleich einmaliges Zeichen , wie z.B. der Kölner Dom oder der Pariser Eifelturm.
 
 Trotzdem verfügt die Region und vor allem das Kernruhrgebiet über national und international bedeutsame und relativ einmalige Bauwerke, die für die Geschichte dieser besonderen Stadtlandschaft stehen. Die Route der Industriekultur böte hier einen großen Fundus . Es wäre allerdings eine zusätzliche Verständigungs- oder besser noch Selbstverständigungsleistung der Ruhrstadtbürger und ihrer Vertreter von Nöten, die nach dem Prinzip „Weniger ist Mehr" die alten Lokapatriotismen und Proporzkompromisse auch diesbezüglich zu überwinden sucht. Warum sollte die Ruhrstadt in Ermangelung einer eindeutigen städtebaulichen Mitte als Ausgleich nicht  zu einem einzigen eindeutigeren und damit weltweit wiedererkennbaren baulichen Zeichen mit hohem Symbolwert für die eigene Geschichte finden. Vielleicht wäre  aber auch eine Art Dreigestirn von Gebäuden sinnvoll, das wiederum mehr dem oben beschriebenen multipolaren Urbanitätskonzept der Ruhrstadt entspräche.
 
Für ein ebenso notwendiges Stadtsignum/Wappen gäbe es den letzteren Ausweg allerdings nicht. Schlussendlich käme man dabei wohl nicht um einen Volksentscheid nach klassischem Mehrheitsrecht herum. Zugleich aber würde der Vordiskurs über mögliche Alternativen und ihre Begründung zugleich einen wichtige Schub für eine sowieso notwendige kollektive Debatte bringen, die den Sinn und die Perspektive der Ruhrstadtvision fester denn je in den Köpfen der Bürger verankern könnte.
 
Der Stadtdschungel als reales Stadtbild
 
Ein anderes Wahrzeichen des Ruhrgebietes von ganz realer, dreidimensionaler stadtlandschaftlicher Natur ist – vor allem im Sommer – das „Grüne Meer“, in dem fast alle Einzelstädte des Ruhrgebietes und damit ein großer Teil ihrer Gebäude und Straßen verschwinden. Es gibt keine mir bekannte Agglomeration dieser Größenordnung auf der ganzen Welt, in dem Stadt und Land so eng ineinander verwoben und verschachtelt sind. D.h., es handelt sich bei der Ruhrstadt nicht um eine Stadtlandschaft im übertragenen, sondern im ganz realen Sinne. Das ist eine städtebauliche und vor allem sozialräumliche Qualität, nach der echte Metropolen dieser Welt trotz oder gerade wegen ihres andauernden
Bevölkerungs- und Publikumserfolgs händeringend suchen. Nur, dass sie sie aus dem selben Grunde auf niemals in diesem Maße erreichen können, ohne dabei ihre angestammten Urbanitätsvorteile durch Dichte zu verlieren.
 
Dieses für echte Metropolen letztlich unlösbare Dilemma ist die große Zukunftschance des Ruhrgebietes in der weltweiten Städtekonkurrenz. In diesem Gesamtdschungel hat nämlich das Ruhrgebiet in dem flächendeckend prägenden und an der Idee der Gartenstadt orientierten Arbeiterwohnungsbau eine nahräumliche Durchgrünungsqualität geschaffen, die sich nach entsprechender Anhebung der Ausstattungs- und Größenstandards ohne Weiteres mit den Toplagen des heutigen Wohnungsbaus messen kann. Aber auch die städtisch verdichteteren Flächen verfügen bis in die zentralen Citybereiche hinein fast überall über vielfältige Straßen- und Hofbegrünungen sowie über eine Vielzahl von für die europäischen Urbanitätsvorstellungen üblichen und teilweise sogar äußerst sehenswerten Stadtparks. Hinzu kommt eine lange und ebenfalls am Ausgleich für die körperliche Schwerarbeit orientierte Schrebergartenkultur, die auf ihre Art die Einwanderer angenommen und fortgeführt haben. Auch sie reicht räumlich bis tief in die städtischen Zentren hinein. 
 
Neben dieser starken Verwobenheit von Natur und Stadt, die selbst in Zentrennähe Bauernhöfe und Weizenfelder zu ihren Landschaftsformen zählt, ist in diesem Zusammenhang ein Landschaftselement besonders hervorzuheben, das dem Dschungelbild auch in der realen Botanik und Physis sehr nahe kommt: das der Wildnis. Sie findet sich zum einen in immer noch fast unberührter Weise in den nicht besiedelten und der graduellen Versumpfung anheim gestellten Teilen des Emscherbruchs und zum anderen als "Industrienatur" auf den von der Produktion verlassenen Gebieten sowie auf den renaturierten Waschberge- und Müllhalden. Letztere sowohl in der "kulturalisierten" Form des  Landschaftsparks als
auch als "verbotene" Stadt der ungestalteten Brache. Diese noch nicht als Erholungsraum domestizierten und landschaftsgestalterisch ästhetisierten Gebiete sind , ähnlich wie die Sumpfgebiete des Emscherbruchs, im wahrsten Sinne des Wortes Stadtdschungel, ohne feste Wege und zum Teil sogar undurchdringlich. 
 
Alles in allem ist der Begriff des „Stadtdschungels“ sowohl als Realmetapher als auch als physische  Ikonographie dieser Stadtlandschaft äußerst angemessen. Vornehmer und fachlich korrekter wäre der Begriff Parkstadt, der in der neueren Diskussion über das Stadtbild des Ruhrgebietes vermehrt zu hören ist. Er trifft jedoch nicht das im hohen Maße Wilde, Ungestaltete und zu einem Teil auch Wegelose, ja Verschlossene dieses Teils der Ruhrstadt. Ebenso wenig kann er das alles durchdringende respektive durchwachsende dieser Art der Frei- und Grünflächen beschreiben, in denen es zum Teil mehr Tier- und Pflanzenarten gibt als in den klassischen außerstädtischen Naturschutzgebieten.
 
Leider versuchen Stadt- und Landschaftsarchitekten auch diese ganz besondere und besonders typische Seite dieser Stadtregion in ihrem Gestaltungswahn zu domestizieren und, wenn auch ökologisch unterfüttert, in eine Parklandschaft zu überführen. Dem ist auch in Anbetracht der kommenden Bevölkerungsschrumpfung Einhalt zu gebieten, denn genau in diesem Zusammenhang ergeben sich neue städtebauliche Chancen, die diese besondere räumliche Qualität der Ruhrstadt weiter zu vergrößern in der Lage sind. Aber hierzu weiter in einem späteren Kapitel. 
 
Die zentripetalen und die zentrifugalen Kräfte der Ruhrstadt oder: wie steht es um ihre 
Umsetzungschancen?

 
Um diese zentrale Frage zu beantworten, sind zwei grundsätzliche Entwicklungstendenzen näher zu betrachten: Die ökonomischen Regionalkräfte, die stärker zentrifugal orientiert sind und von daher eine Tendenz zur Sprengung  und Nichtkooperation aufweisen, und die soziokulturellen Mächte, die eher zentripetal wirken, indem sie eine Tendenz zur Integration und verstärkter Kooperation zeigen. Die politischen Einflussmöglichkeiten  befinden sich zwischen diesen beiden Tendenzen und sind zugleich mit beiden personell und strategisch eng vernetzt. 
 
Die zentrifugalen Kräfte gehen dabei in vier unterschiedliche Richtungen, bzw. weisen sie räumlich zwei Haupttrennlinien auf. Zum ersten die  zwischen den östlichen und den westliche Städten der Region. Duisburg orientiert sich dabei eindeutig an der wirtschaftlich übervorteilten Rheinschiene und Dortmund versteht sich traditionell  mehr als eigenständige  „Westfalenmetropole", denn als Ruhrgebietsstadt.   
Die zweite Trennlinie ist regionalökonomisch gesehen wesentlich dramatischer. Sie verläuft schon immer, aber heute stärker denn je, zwischen dem Norden und dem Süden des Kernruhrgebietes. Ihre grobe Markierungslinie bildet der alte Hellweg, bzw. die heutige A40. Sie zeigt zugleich, dass die „großen Vier" der Region den größten Teil des immer noch relativ florierenden Südens zu ihren Stadtgebieten zählen, während die Emscherzone, selbst da wo sie durch Eingemeindung zum Teil der Hellwegzonenstädte geworden ist, fast komplett aus strukturschwachen Stadtarealen besteht. 
 
Sie werden zugleich im weiteren Norden vom Lipperaum begrenzt, der es zwar auch nicht mit den Wachstumspotentialen des Südens aufnehmen kann, dafür aber über eine erheblich bessere Wohn- und Wohnumfeldqualität als die Emscherzone verfügt und dadurch, wenn schon nicht von erheblichen Arbeitsplatzzuwächsen, so jedoch von einem dauerhaften Einwohnerzustrom profitiert.  
Zu diesem gehört wegen der zunehmenden Verarmung der Emscherzone und der damit einher gehenden Probleme im öffentlichen Raum immer mehr deren dort  noch verbliebene Mittelschicht. Diesem Regionsteil  werden auf diese Weise vom Norden die für die soziale Stabilisierung so wichtigen Mittelschichtsbewohner und vom Süden die Arbeitsplatze entzogen. Eine Entwicklung, die im übrigen in ihrer Dramatik von den meisten Regionsverantwortlichen immer noch zu wenig beachtet, bzw. unterschätzt wird. 
 
 
Bochum und Essen als Ausgangsorte der Ruhrstadtrealisierung
 
Eine besonders schwierige Lage ergibt sich daraus  für die Stadt Bochum, die sich regionalgeographisch genau im Kreuzungspunkt der regionalökonomisch auseinander driftenden Kräfte befindet. Da sie aus eigener Kraft diese zentrifugalen Entwicklungen nicht aufhalten, geschweige denn umkehren kann, verliert sie ihr förderndes Umfeld. Das Gleiche gilt, wenn auch in abgeschwächter Form für die unmittelbar angrenzende Stadt Essen, die sich ökonomisch  weder eindeutig zum Rhein hin orientiert wie Duisburg ,noch eindeutig von ihm weg  wie die Stadt Dortmund. Vom soziokulturellen Selbstverständnis zählt sie sich deswegen genauso wie Bochum schon immer zum zentralen Ruhrgebiet , ja sie definierte sich sogar lange Zeit, und nicht zu Unrecht, als die heimliche Mitte der Region.
 
 Auf Grund der schon so lange währenden Konkurrenz lag ihren Stadtvätern und Müttern jedoch bis heute die Idee fern, aus der Not ihrer gemeinsamen geographischen Mittellage eine Tugend zu machen, d.h. mit dem unmittelbar angrenzenden Nachbarn eine gemeinsame und starke Mitte zu bilden, die sich wie ein strategischen Innenmagnet gegen die regionalen Fliehkräfte des Ruhrgebietes stellt. 
 
Die oben beschriebenen soziokulturellen und urbanen Integrationskräfte einer zukünftigen Ruhrstadt ließen sich so in einem ersten Schritt gegen die zerstörerischen Zentripetalkräfte  in Stellung bringen.
Ökonomisch stark genug dazu wäre weder Essen noch Bochum alleine . Zusammen allerdings könnten sie den ökonomisch tragfähigen und soziokulturell und urban integrierbaren Kern einer Ruhrstadt ausbilden, der über kurz oder lang auch die umliegenden Städte Herne, Castrop-Rauxel, Recklinghausen, Gelsenkirchen, Gladbeck, Oberhausen, Witten, Hattingen, und Mülheim in seinen Bann ziehen würde.
 
Eine andere Konzeption könnte in einem freiwilligen Anschluss der Städte  Herne, Castrop-Rauxel, Recklinghausen, Hattingen, Witten und Gelsenkirchen an Bochum liegen, um eine zwar ohne Essen ökonomisch weniger potente Regionsmitte entstehen zu lassen, die dann aber zumindest besser in der Lage wäre, sich nicht völlig zwischen den großen Mühlsteinen Essen und Dortmund zerreiben bzw. von ihnen aus- und aufsaugen zu lassen. 
 
Dieser Städtezusammenschluss unter der Führung des Oberzentrums Bochum entspräche ungefähr dem IHK-Bezirk Bochum, bzw. Ruhrgebiet Mitte. Ergebnis wäre in diesem Falle eine ökonomisch relativ gleichberechtigte Zusammensetzung des Kernruhrgebietes aus vier bevölkerungsmäßig ähnlich großen und ökonomisch überlebensfähigen Kernstädten, in der sich Oberhausen, Gladbeck , Bottrop und Mühlheim dann entweder nach Essen oder Duisburg orientieren würden. Ein Modell, das so ähnlich übrigens schon bei der letzten großen Eingemeindungswelle im Jahre 1975 diskutiert, aber dann als politisch nicht durchsetzbar verworfen wurde.
 
Würde die letztere Konstellation  heute mit einer entsprechenden räumlichen Verkleinerung des KVR  und einer gleichzeitigen Vergrößerung seiner Kompetenzen  kombiniert, sozusagen als extern ergänzende Ost-West-Koordination zur internen Nord-Süd-Kooperation der  dann noch verbleibenden vier Mitgliederstädte Dortmund, Bochum, Essen und Duisburg, wäre die Idee der Ruhrstadt in ihrer Realisierung auch ein erhebliches Stück weiter gekommen. 
 
Vier mögliche Modelle der Ruhrstadtrealisierung
 
Aus den oben genannten strategischen Ausgangsbedingungen und daraus abgeleiteten Vorgehensweisen ergeben sich vier mögliche Zielmodelle der Ruhrstadtrealisierung:
 
• Das „Metropolenmodell"
 
Hierbei wird trotz eines stufenweisen Vorgehens das Ziel  der einen einheitlichen „Ruhrstadt" im Kernruhrgebiet mit einer einheitlichen Stadtverwaltung und Regierung beibehalten und umzusetzen versucht. Dazu gehören als zukünftige Stadtteile alle ehemaligen Städte der Hellweg- und der Emscherzone. 
 
• Das „Regionalkreismodell"
  
Hierbei werden in einem stufenweisen Vorgehen soviel Städte wie wollen zusammengebracht und verwaltungs- und regierungsmäßig zu einem Regionalkreis verknüpft, in dem sie als einzelne Kreisstädte weiter existieren, jedoch die gemeinsamen Aufgaben an den Regionalkreis „Ruhrstadt" übergeben. 
 
• Das „Vier-Städte-Modell"
 
Hier werden die vier großen Kernstädte der Region durch freiwillige Absprachen auch die restlichen Kommunen im engeren Verdichtungsraum des Ruhrgebietes südlich und nördlich von ihnen unter ihre jeweilige Ägide führen, so dass ein relativ gleichgewichtiges quatropolares Städteband im verdichteten Kernruhrgebiet entsteht. 
 
 
• Der „föderale Modell“ 
 
Die bisherigen Gemeinden der Hellweg- und Emscherzone schließen sich unter Beibehaltung ihrer lokalen Autonomie zu einem Städtebund Ruhrgebiet zusammen, der im wesentlichen die geschlossene Außenvertretung der ihm angeschlossenen Kommunen übernimmt.  
 
Alle diese Modelle sind in der bisherigen Diskussion mehr oder weniger präzise schon vorgeschlagen worden. Dabei sind, über die Zeitschiene gedacht, natürlich auch Kombinationsformen dieser vier Grundmodelle möglich. Das „Regionalkreismodell" kann, sofern es gelingt, stufenweise fast alle Ruhrgebietsgemeinden in den Regionalkreis einzugliedern, schlussendlich in einem gemeinsamen Kraftakt in das Metropolenmodell überführt werden. Das „Regionalkreismodell" kann aber auch Bestandteil des „Vier-Städte-Modells" werden, in dem diese sich in ihrer jeweiligen Erweiterung als Regionalkreise verstehen. Ebenso kann auch das „Vier-Städte-Modell" längerfristig in das  „Metropolenmodell" umgewandelt werden. Ebenso ließe sich das „Vier-Städte-Modell“ mit dem „föderalen Modell“ als Vier-Städte-Bund verknüpfen.
 
Ruhrstadt von unten – das Modell Städteregion 2030
 
Beim von der Bundesregierung geförderten Städtekooperationsprojekt 2030, um das sich neben anderen  auch die Abteilung Raumplanung der Universität Dortmund mit 8 direkt benachbarten Ruhrgebietstädten beworben hat, ist zwar der Begriff Ruhrstadt tunlichst vermieden worden, bzw. handelte es sich hier um einen von der Projektidee her grundsätzlich „verbotenen“ Gedanken. Aber obwohl hier zwischengemeindliche Kooperation bewusst und absichtlich  ohne Zusammenschluss konzipiert und in der Praxis evaluiert wurde, war hier im Kleinen der Eine-Stadt-Gedanke unvermeidlich und ständig präsent. Zeigte sich doch, dass die freiwillige zwischengemeindliche Win-Win-Situation den betroffenen Gemeinden im Einzelnen mehr Möglichkeiten eröffnete, als sie selbst und die Wissenschaftler für möglich  gehalten hatten. 
 
Dafür wurden jedoch die Probleme, die nicht durch dieses Handlungsmodell zu lösen waren, gar nicht erst angegangen, ja nicht einmal zum Thema gemacht. Das machte stattdessen ein von der Landes- und Bundesregierung nicht unterstütztes ganz normales Studentenprojekt, das sich ganz offensiv den Namen Ruhrstadt  2030 gab und genau in diese „Wunde“ des geförderten Projektes seine wissenschaftlichen Finger legte, bzw. begründete, wieso wesentliche Probleme der Region ohne einen Städtezusammenschluss nicht lösbar waren. Probleme, die weitaus schwerer wiegen als alles, was durch freiwillige Kooperation zum Besseren gewendet werden könnte. 
 
Das Ruhrstadt-Denkverbot, das bei Strafe des Förderungsverlustes durch Land und Bund und der  Teilnahmeverweigerung der betroffenen Ruhrkommunen bei dem einen Projekt durchgesetzt wurde, hatte trotzdem und indirekt genauso einen Vorteil für die Ruhrstadtdiskussion wie das diesbezüglich offene Studentenprojekt. Es zwang nämlich die Beteiligten erst einmal alle „erlaubten“ Möglichkeiten gänzlich auszureizen, zumindest aber auszudiskutieren, um zu zeigen, wie viel an Kooperation immer schon möglich war, aber aus verschiedenen Gründen trotzdem vermieden wurde. Das in der Begrenztheit der Zeit auch das nicht möglich war, spricht nicht gegen diesen Ansatz, erst recht, als sich die betroffenen Ruhrkommunen nach Ablauf der Förderzeit entschlossen, mit dem Projekt freiwillig weiterzumachen.

 
Wenn dies ohne ideologische Scheuklappen geschieht, wird hier in Zukunft nichts anderes als  die Ruhrstadt von unten praktiziert, und das ist immer noch besser als mit der Messlatte möglichst idealer Lösungen gar nichts zu tun. So notwendig wie die Vision des Studentenprojektes war, so sinnvoll ist es, die Ruhrstadt Stück für Stück auf den Handlungsfeldern voranzutreiben, wo sie ohne langwierige Strukturveränderung jetzt schon möglich ist. 
 
Die drei  notwendigen Ebenen der Ruhrstadtrealisierung

 
Die Realisierung der Ruhrstadt  lässt sich, egal welches Modell man in welcher Kombination verfolgt,  unter den oben beschriebenen Bedingungen nur als langfristiger Prozess  auffassen, der, wenn er erfolgreich verlaufen soll, auf mindestens drei Ebenen gleichzeitig verlaufen muss.   

• Die unterste Ebene ist der Ausbau interkommunaler Projektkooperation, d.h. das Wiederaufleben und Vertiefen der IBA-Methodik ohne die IBA sowie es z.B. die Projekt-Ruhr-GmbH und  das Städtemodell 2030 versucht haben bzw. noch versuchen. 
 
• Die mittlere Ebene bezieht sich auf die  interkommunale Dauerkooperation jenseits der herkömmlichen bzw. etablierten Verbünde und Vereinigungen zwecks Bildung einer Kern- oder Ausgangs-Ruhrstadt. Wobei unterschieden werden muss zwischen der sektoralen Dauerkooperation in sich anbietenden Verwaltungs- und Planungsbereichen zwischen zwei und mehr Gemeinden und dem kompletten Zusammenschluss von Kommunen und ihren Verwaltungen als neue und dauerhafte Stadtverbünde. 
 
• Die oberste Ebene ist das kontinuierliche Hoch- und Wachhalten der Ruhrstadtidee, bzw. der Ruhrstadt als Vision in den Köpfen der Bevölkerung und der Ruhrstadtmacher. Nur so geht diese nicht in den harten und konfliktreichen Auseinandersetzungen und Kompromisszwängen der ersten beiden Realisierungsebenen verloren. Sie besteht vor allem in einer langfristigen öffentlichen Leitbilddiskussion , die in ständiger und wechselseitiger Verbindung mit den praktischen Problemen der beiden anderen Ebenen stehen muss.
 
Als sich ergänzende Ziel- bzw. Ergebnisorientierung  kann man die unterste  Ebene auch als die kurzfristige, die mittlere als die mittelfristige und die oberste als die langfristige Ebene bezeichnen, obwohl sie , wenn die Ruhrstadt in welcher Form auch immer das Oberziel bleiben soll, parallel verfolgt werden müssen.
 
Nach dem „Regionalkreismodell" der Ruhrstadt, könnte dies z.B. für Bochum, Essen und Gelsenkirchen  bzw. erst einmal für Bochum, Herne, Castrop-Rauxel und Hattingen oder für alle gleichzeitig bedeuten, dass sie mit einer oder mehreren Projektkooperationen  (z.B. gemeinsam verwaltete Technologietransferstelle, Dezentralisierung der Universität Bochum, bzw. Essen ) beginnen und dann über stufenweise sektorale Kooperationen (z.B. Wirtschaftsförderung, Verkehrsplanung, Kultur u.ä.) zu einem neuen „Ruhrstadtkreis" zusammenfinden. Dabei könnten im Idealfall alle drei Kooperationsprozesse parallel verlaufen, wobei die Bildung des Regionalkreises das erfolgreiche Ende des Prozesses darstellen würde.
 
Parallel dazu könnten auch Projektkooperationen mit weiteren Städten versucht werden, die vorerst oder auch gar nicht an der zweiten und dritten Ebene der Ruhrstadtrealisierung interessiert sind. Das gilt im Prinzip auch für die zweite Ebene.
 
 
Der neue RVR und seine regionale Planungskompetenz als  Kristallisationspunkt und Katalysator.
 
Aber nicht nur im Rahmen des „Regionalkreismodells" sondern auch bei den anderen oben aufgezeigten, erst Recht aber bei ihrer zeitlichen Kombination, muss die zukünftige Rolle des RVR  mitbedacht werden. Hier liegen grundsätzlich zwei Zukunftsvorstellungen auf der Hand. Er könnte zum einen  als „neutraler Dritter" Prozessbegleiter, -berater und -moderator bei der Regionalkreisbildung sein und sich dann am Ende in die so gebildete Ruhrstadt und ihre gemeinsame Kreis- oder später auch Metropolenverwaltung  auflösen. Er könnte zum anderen aber auch, bei ihrer  nur teilweisen Realisierung  im Rahmen des „Vier- Städte-Modells" und/oder „föderalen Modells“,  weiter als Planungsverband existieren, ja sogar gestärkt werden, wenn er für seine dann noch verbliebenen Mitglieder sowohl Querschnittsaufgaben (z.B. Tourismus, Wirtschaftsförderung, Generalverkehrsplanung)  und hoch spezialisierte Dienstleistungen ( z.B. Vermessung, Kartographie, CAD ) übernehmen würde. Er könnte sogar letztlich selbst die Verwaltungseinheit des Stadtbundes Ruhrgebiet sein bzw. darin überführt werden. Ausgangspunkt für alle diese möglichen Schritte ist die „Regionalplanungshoheit“, die der in der Zwischenzeit ein weiteres Mal reformiert Verband seit neustem erhalten oder genauer gesagt wieder zurückbekommen hat. Ergänzend und unterstützend könnte hierfür auch der im Rahmen der gesamten Mittelbehördenreform von der jetzigen Landesregierung geplante Ruhrbezirk sein.   
 
 
Auf diese Weise wird der RVR, sofern er es auch selber will, zum unverzichtbarer Bestandteil der Ruhrstadtentwicklung und muss in diesem Sinne weiter gestärkt werden. Zugleich muss er verschlankt, flexibilisiert und entbürokratisiert werden um die oben aufgezeigten Rollen überhaupt erfolgreich wahrnehmen zu können. Entscheidend ist jedoch, das bis zur endgültige Realisierung der Eine-Stadt-Idee einzig und allein die personelle Spitze eines machtpolitisch gestärkten und organisatorisch und inhaltlich reformierten RVR die drängende Globalisierungsanforderung nach einem geschlossenen, d.h. mit einer einzigen Adresse und einem einzigen Gesicht versehenen Auftreten des Ruhrgebietes vor der restlichen
Welt erfüllen könnte.
 
Die Kulturhauptstadt als Durchlauferhitzer für die Ruhrstadt
 
Der „Sieg“ des Ruhrgebietes bei der Bewerbung um die europäische Kulturhauptstadt für das Jahr 2010 ist ohne Zweifel eine der größten Chancen, die diese Städteregion je hatte, sich auch nach außen als eine „Einheit mit vielen Qualitäten“ darzustellen und endlich auch weltweit so wahrgenommen zu werden. Die Ruhrstadt, respektive Weltstadt Ruhr, respektive Metropolregion Ruhr ist trotz der Führungsrolle von Essen damit, gewollt oder nicht, das zentrale räumliche Thema dieser Veranstaltung. Sie war es unvermeidlich schon im Vorlauf, musste doch die kulturelle Gesamtqualität aller Ruhrgebietsstädte in die Wagschale geworfen werden, um diesen Titel überhaupt erringen zu können. Die dazu notwendigen internen Vorentscheidungen, einschließlich des insgesamt fair ausgetragenen innerregionalen  Wettbewerbs um die beantragende Kommune, haben gezeigt, was an räumlichem Zusammenhalt möglich ist, wenn es alle Beteiligten nur wollen.
 
Der insgesamt eher peinliche Streit um den Intendanten, bzw. um das Intendantenteam, was am Ende dabei herauskam, machte jedoch schnell wieder deutlich, dass ein souveräner Umgang mit der neuen „Einheitlichkeit“ und vor allem mit ihrem neuen internationalen Status noch immer unter den zu vielen „Köchen“ zu leiden hatte. Ob eine aus solchen Kompromissen entstandene Leitungsstruktur wirklich in der Lage sein wird, ein solche großes und wichtiges Projekt erfolgreich zu stemmen, steht vorerst noch in den Sternen. Zu befürchten ist jedoch, dass räumlicher Proporz und politisches Kleinklein wieder einmal dem lokalen Mittelmaß in Kombination mit einigen international eingekauften „Highlights“ zum Durchbruch verhelfen. Hohe künstlerische und kulturelle Qualität kann nur ein begrenztes Maß an demokratischer Einflussnahme und dezentralen Egoismen vertragen. Zumindest aber erfordert sie auf Zeit eine starke
Hand und die schlichte Duldung der so herbeigeführten Entscheidungen durch die, die diesbezüglich über wenige bis gar keine Kompetenzen verfügen.
 
Die äußerst interessante Idee, bei den vorbereitenden Diskussionen von einem der hinzugezogenen Experten vorgeschlagen, einen überstädtischen Kulturrat zu bilden, der direkt vom „Ruhrvolk“ gewählt und unabhängig von den jeweiligen Einzelkommunen des Ruhrgebietes eine Art Kulturregierung auf Zeit für die gesamte Ruhrstadt bilden sollte, um der Intendantur beratend zur Seite zu stehen, musste beim bisherigen Proporzgerangel natürlich sang- und klanglos untergehen. Trotzdem wird die kommende Entscheidungspraxis der Kulturhauptstadtverantwortlichen der Frage nicht entkommen, was denn das Ruhrgebiet, respektive die Ruhrstadt jenseits der Stadtgrenzen kulturell ausmacht, was es als kulturelles Ganzes der Welt zu bieten hat. Davon wird abhängen, ob umgekehrt die Welt diese Stadtregion auch als
besonderes Ganzes wahrnimmt und vielleicht von ihr, jenseits einzelner spektakulärer Kunstaktionen, über den Tag oder besser das Kulturhauptstadtjahr hinaus fasziniert sein und bleiben wird.
 
Wer sich insbesondere die verschiedenen gemeindlichen Websites unterschiedlichster Initiativen anschaut, wird einerseits erfreut sein über so viele dezentrale Kulturhauptstadtaktivitäten. Andererseits zeigt sich dort auch, dass die Bereitschaft, über den lokalen Tellerrand zu schauen und/oder alte Konkurrenzen und Animositäten abzubauen, immer noch gering ist. Da wird immer wieder etwas für eine Stadt als kulturelle Besonderheit deklariert und proklamiert, was es bei überlokaler Betrachtung aus der Ruhrstadtperspektive nicht ist bzw. mehr oder weniger für alle Ruhrgebietsgemeinden gilt. Da, wo reale Entwicklungs- und Veränderungsvorsprünge im kulturellen und künstlerisch-kreativen Bereich zu verzeichnen sind, werden sie nicht als Motor und Nukleus für die gesamte Ruhrstadt betrachtet, sondern ausschließlich und ausdrücklich als lokale Gewinne verbucht.
 
Das Leitungs- und Intendantenteam wird alle politische Kraft und sachliche Autorität brauchen, um diesen vielstimmigen Chor zur Harmonie zu bringen, denn es wird nicht nur aus finanziellen Grünen nicht umhin können, zu vielen lokalen, aber auch überlokal entwickelten Projektideen ein deutliches Nein zu sagen. Diese Reduktion der Projekte ist als solche nichts Besonderes. Ihre jeweilige Begründung gegenüber den Betroffenen bedarf jedoch gerade im Ruhrgebiet einer klaren und auf das Ganze abgestimmten ästhetischen und künstlerische Position bzw. nachvollziehbarer Leitlinien. 
       
 
Die begründete Angst der kleinen Ruhrgebietsgemeinden vor der Ruhrstadt 
 
Was die kleineren Gemeinden des Ruhrgebiets betrifft, gilt für die reale Kulturhauptstadtkooperation das gleiche wie für die Ruhrstadtidee. Städte wie Herne, Castrop-Rauxel, Gladbeck aber auch größere wie Gelsenkirchen, Mühlheim und Oberhausen haben zum Teil aus Einsicht in ihre Strukturprobleme für auf dem Höhepunkt der Ruhrstadtdiskussion für die Ruhrstadtidee votiert. Sie hatten und haben aber nichtsdestotrotz in den Reihen ihrer Verantwortlichen und vor allem in der Bevölkerung Angst, in jedem größeren Zusammenschluss an Einfluss zu verlieren oder als gewachsene stadtkulturelle Identität ganz unter zu gehen.
 
Diese Ängste sind mit vielen Erfahrungen vor allem von schon eingemeindeten Kommunen belegt und erst recht nachvollziehbar, wenn die Ruhrstadtvision wirklich in letzter Konsequenz zu einer Mehrmillionenstadt mit metropolitanen Zügen führen würde. Vor allem der Erhalt der eigenen Stadtmitten und zentraler Versorgungseinrichtungen ist dann nicht mehr durch die eigenen nun relativ klein gewordenen Wählerzahlen und ihren Stimmeneinfluss zu sichern. Ebenso steht die berechtigte Frage im Raum, was mit dem bisherigen Namen der Stadt bzw. mit den Schildern und Autozeichen passiert, an die sich insbesondere die älteren Bewohner über viele Jahrzehnte gewöhnt haben und mit denen sie  zumindest symbolisch einen großen Teil ihrer eigenen Lebensgeschichte verbinden.
 
Der immer wiederkehrende Wunsch z.B. der Wattenscheider, wieder eine eigene unabhängige Gemeinde zu bilden, ist für beides ein schlagendes Beispiel. Die Erfahrungen der Wanne-Eickeler bezüglich ihrer alten Stadtmitte nach dem Zusammenschluss mit Herne sind sogar so negativ, dass einige der damals dafür Verantwortlichen sich heute fragen, ob es nicht schon 1975 besser gewesen wäre, gleich nach Bochum oder Gelsenkirchen eingemeindet worden zu sein, wenn schon die Autonomie nicht zu halten gewesen war.
 
Was jedoch ihren Stadtnamen betrifft, würde wahrscheinlich die Mehrzahl der Alt-Wanne-Eickeler auch heute noch das ehemalige Stadtschild und das „WAN" als Autozeichen wieder haben wollen, und ist froh, dass wenigsten ihr Bahnhof immer noch den Namen der alten Stadt trägt, weil die Deutsche Bahn AG  sich bislang einen feuchten Kehricht um den Zusammenschluss von Herne und Wanne-Eickel geschert hat. Am schlimmsten jedoch war für sie offensichtlich die erste Phase des Zusammenschlusses, in der ihr Stadtname im wahrsten Sinne des Wortes zu Herne 2 degradiert wurde. 
 
Namensfragen sind unter sozialräumlicher und soziokultureller Perspektive eben nicht nur formaler sondern äußerst substantieller Natur. Erst recht was sportliche und/oder kulturelle Vereinigungen betrifft, die den Namen ihres angestammten Ortes tragen. „Westfalia Herne", „Borussia Dortmund" „Gelsenkirchen Schalke 04", „Rot-Weiss-Essen„  u.a. sind hierfür gerade im Ruhrgebiet prototypische Beispiele, denn der Fußball als solcher ist für die Mehrzahl der Ruhrgebietsmenschen mindestens so identitätsstiftend wie die Zugehörigkeit zur Gesamtregion bzw. zur zukünftigen Ruhrstadt.

 
Zwei Schlussfolgerungen sind diesbezüglich für ihre Realisierung , egal in welcher Verwaltungsform, unumgänglich:
 
• Wer die Region in Form der Ruhrstadt zentralisiert, der muss zugleich seine dezentralen Einheiten fördern. 
 
• Wer einen neuen Namen über alle alten stülpt, der muss erst recht die alten Namen und Symbole bewahren und fördern. 
 
Das Verhältnis der Ruhrstadt zu ihren Stadtteilen

 
Der entscheidende Ansatzpunkt für die erste Schlussfolgerung  sind die gewachsenen Stadtteile der Region. Hier liegt nach wie vor die räumliche Hauptidentifikation der Ruhrgebietsbewohner und das Hauptgewicht ihres alltäglichen politischen und sozialen Engagements. Hier sind auch die besonderen Solidaritätstraditionen und die überdurchschnittlich ausgeprägte Nachbarschaftsorientierung nicht nur der älteren Ruhrgebietler bis heute verankert, und hier müssen sie deswegen auch weiterhin unterstützt werden.
 
Das geht jedoch nur, wenn in der zukünftigen Ruhrstadt der politische Einfluss dieser untersten Stadteinheiten systematisch gefördert und letztlich auch vergrößert wird. Zu ventilieren wäre hier eine entsprechend geänderte Bezirksvertretungssatzung, deren räumliche Grenzen übrigens stärker als bisher  den gewachsenen und allseits geschichtlich und sozialräumlich  anerkannten Stadteilarrealen angepasst werden müssten.
 
Sollte es jedoch wirklich zu einem echten Ruhrstadtparlament kommen, sprich zu einer gemeinsamen und zentralen politischen Vertretung aller ihre angeschlossenen Stadtgebiete („Metropolenmodell") und sollten diese einmal das gesamte hier anvisierte Areal umschließen , wäre sogar über eine eigene Kammer der Stadtteile bzw. einem dem Bundesrat vergleichbaren „Stadtteilrat" nachzudenken, der in bestimmten Bereichen der Gesamtstadtentscheidungen extra zustimmungspflichtig ist. 
 
Der entscheidende Ansatzpunkt für die zweite Konklusion ist eine verstärkte Politik  der Tradition und des  Geschichtsbewusstseins im Vereins- und Vereinigungswesen jeder Art. Hierzu gehört, verbunden mit  ihrer erheblich größeren finanziellen Förderung, vor allem die Namenspflege und Namensforschung sowie der Erhalt  der dazugehörigen Bauwerke und Areale. Das durch die IBA eingerichtete Forum Geschichtskultur könnte hierbei  eine hervorgehobene Stellung einnehmen.
 
Aber auch die Betriebe und Konzerne der Region müssten für diese Vereins- und Traditionspflege in Form des Sponsoring stärker in die Pflicht genommen werden. Es kann nicht sein, dass der Initiativkreis Ruhrgebiet und andere vermögende Geldgeber sich nur an der Förderung der „Highlight-Kultur" und des „Highlight-Sports" beteiligen, während der Rest der öffentlichen Hand überlassen bleibt. Die allerdings hätte sich stärker als bisher im Rahmen der herkömmlichen Stadtplanung auch um den Erhalt der  noch vorhandenen  baulichen Symbole der gewachsenen Stadtteile zu kümmern. 
 
Wer die Ruhrstadt will, muss sie vor allem von unten wachsen lassen, bzw. ihr dortiges Wachstum systematisch fördern. Die Ruhrstadt muss im Alltag des Normalmenschen, des Durchschnittsbürgers spürbar sein. Nur dann wird sie auch von der Mehrzahl der Bevölkerung getragen werden.
 
Die strukturelle Opposition der „Großen Vier" gegen ihr mögliches Verschwinden in der Ruhrstadt

 
Die besondere Stadtgeschichte von Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund und ihr damit verbundener traditioneller „Großstadtimperialismus" innerhalb der Eingemeindungsgeschichte der Region , aber auch die räumliche Identifikation ihrer dadurch schon lange durchgängig in die mehrere Hunderttausend zählenden Einwohner lassen ihre Unterordnung und erst Recht ihre völlige Auflösung in eine einzige Ruhrstadt als eher unwahrscheinlich erscheinen. Erst recht werden ihre jeweiligen Stadteliten im Ernstfall nur geringe Bereitschaft zeigen, ihre jetzige, im innerregionalen Vergleich überdurchschnittliche Macht,  mit den jeweils anderen dreien zu teilen , bzw. sie unter einem einzigen Bürgermeister und einer einzigen Verwaltung ganz aufzugeben. Umgekehrt ist, wie oben schon gezeigt, ohne die Beteiligung von  mindestens Zweien von ihnen eine Ruhrstadt  als ernst zu nehmender dauerhafter Kooperationsverbund weder möglich noch sinnvoll.
 
Aber auch diese unabdingbaren Zwei aus der „Viererbande" werden dies nur tun, wenn ihre Eliten nicht zu viele Postenopfer und Einflusseinbußen hinnehmen müssen, und ihre jetzigen Einwohner werden nur mitspielen, wenn der Name und die Symbole ihrer jeweiligen Stadt nicht gänzlich von der Landkarte verschwinden .
 
Insofern kommt  das von Thomas Rommelspacher, dem jetzigen „Planungschef“ des RVR,  propagierte  „Regionalkreismodell" den realen Machtverhältnissen in der Region noch am meisten entgegen und scheint von daher am ehesten umsetzbar. Andererseits bedeutet es auch eine grundsätzliche Abschwächung der Ruhrstadtvision  als Eine-Stadt-Region, gegenüber dem „Metropolenmodell".  Aber selbst  beim Regionalkreis-Ansatz wird es noch auf der Symbolebene der Stadtnamen und deren geschichtlicher Bedeutungen und Identifikationspotentiale genug Barrieren geben, an dem auch dieser schnell scheitern könnte. Wie sollte denn ein Regionalkreis auch heißen, an dessen Spitze zwei Städte wie  Bochum und Essen ständen, bzw. der vielleicht erst einmal nur aus diesen beiden zusammengesetzt
wäre. 
 
Auf der Hand läge für die Ruhrstadtbefürworter natürlich: Regionalkreis „Ruhrstadt"  . Mal unabhängig davon, dass damit schon der Namen Ruhrstadt als solcher in einen anderen Begriff eingebunden und damit abgeschwächt  würde, es würden  damit vor allem beide Namen der den Kreis bildenden Städte im Kreisnamen selbst verschwinden. 
 
Andere traditionelle Kreisstädte wie z.B. Recklinghausen oder Aachen, konnten ihre Namen als eindeutige Zentren ihres Kreises auch diesem selbst geben. Ihr Name war damit in seinem Titel vorhanden und so konnte auch die eigene Wichtigkeit und Größe nach außen transportiert worden. Dieses verständliche Anliegen ließe sich aber bei mindestens zwei gleich starken Mitgliedern nicht realisieren. Es würde allein schon aus diesem Grunde eine für die betroffenen Gemeinden und ihre Bewohner in jeder Weise unzumutbare Situation entstehen.
 
Wenn schon diese Identitätsproblematik selbst bei den kleineren, schon länger eingemeindeten Ruhrgebietskommunen über viele Jahre virulent blieb, so ist erst recht von den vier Kernstädten der Region nicht zu erwarten, dass sie ihre noch viel älteren Namen in den nächsten Jahren, ja  den kommenden Jahrzehnten der Vision der Ruhrstadt opfern werden. Damit aber bleiben ihre alten Stadtgrenzen, so wenig sie auch zum alltäglichen Wahrnehmungskanon ihrer Bewohner gehören, weiterhin latente Gegebenheiten ihres Zusammenwachsens, die im Konfliktfall alte Konkurrenzen und  Differenzen ohne weiteres zu mobilisieren in der Lage sind . Aus diesem Dilemma hilft auch nicht die aktuelle Bereitschaft einiger Kommunen, ihrem bisherigem Namen als Phänomen  Ruhrstadt voranzustellen. Wenn ansonsten alles beim Alten bliebe, wäre dies einmal mehr eine Selbsttäuschung, die die dahinter stehende Vision schnell  zu Grabe tragen könnte.
 
Trotzdem muss man diese Bereitschaft positiv bewerten, ist sie doch der Ausdruck für eine bislang in der Breite nie da gewesene Zustimmung der verantwortlichen Parlamentarier, sich explizit und kontinuierlich als einzelne Stadt zur  regionalen Gemeinschaft zu bekennen und dies unter einem Begriff zu tun, der das damit bezeichnete zukünftige Ganze von vornherein nicht nur als Städteverbund sondern als Stadt kennzeichnet. Als eine Stadt der Städte, oder „Städtestadt" wie Dietrich Springorum in seiner Streitschrift das zukünftige Ruhrgebiet schon einmal kurz und knapp benannt hat. 
 
Wie eine Internetumfrage des Vereins Pro Ruhrgebiet und andere später folgende systematischere Befragungen gezeigt hat, steht auch ein großer Teil der Regionsbewohner der Vision Ruhrstadt positiv gegenüber , und von daher scheinen auch die  Betroffenen selbst  die mögliche Einschränkung oder sogar Aufgabe der zukünftigen Autonomie ihres Wohnortes nicht nur als Nachteil und Bedrohung sehen .
Zusammen mit der zunehmenden kollektiven Erkenntnis, dass eine Autonomie, die nichts mehr bewirkt, eigentlich auch keine (mehr) ist, sprich, dass es  gar nichts (mehr) gibt, was gegen eine „Übernahme" zu verteidigen wäre, wird es vor allem bei den Emscherzonengemeinden auch zu einer stärkeren inneren Bereitschaft kommen, die nur noch auf dem Papier stehende Entscheidungshoheit auch tatsächlich auf zu geben.
 
Bei den vier Großstädten der Hellwegzone wird dies jedoch in absehbarer Zeit nicht der Fall sein, denn hier gibt es auch bei der Mehrheit  der Bewohnerschaft noch das Bewusstsein der eigenen Stärke und Handlungsfähigkeit und damit auch einen größeren Stolz auf die diesbezüglichen Leistungen der Heimatstadt. Sie sind obendrein auch baulich und institutionell in der kollektiven Wahrnehmung verankert, denn in diesen Großkommunen gibt es noch florierende Innenstädte und viele markante Gebäude, Plätze und Parks, die das Wir und seine Geschichte überragend verkörpern. Hier gibt es auch noch neue Projekte, die diesen Stadtstolz in die Zukunft wenden wie z.B. das neue Konzerthaus in Dortmund und das geplante Museum in der Unionbrauerei,  die umgebaute Jahrhunderthalle in Bochum und das  geplante neue Konzerthaus, das „Eurogate" und das „Stadtpalais“ in Duisburg oder die neue Philharmonie und die Neubebauung des Berliner Platzes plus neuem Einkaufszentrum in Essen.

 
Aber auch die freie Kulturszene , die in diesen vier Städten sowieso schon viel stärker vertreten ist als in den anderen Ruhrgemeinden , hat trotz ihres gerne vor sich her getragenen überlokalen , ja internationalen Selbstverständnisses dort seit langem etablierte Treffpunkte, Spiel- und Produktionsstätten, die sich durch ihre eigene Geschichte und vor allem von der materiellen und ideellen Förderung her auch mit ihrer jeweiligen Stadt eng verbunden fühlen. Obendrein besteht für sie die ganz reale Gefahr, dass ihre Anliegen in der Ruhrstadt eher unter den Tisch fallen als die der Einrichtungen der  etablierten Hochkultur. Dabei wäre auch in diesem Bereich eine neue Arbeitsteilung, ja sogar ein Zentralisierung in einem neuen Off-Theaterviertel der Ruhrstadt sinnvoll.
 
Aber auch die Institutionen der Hoch- und Populärkultur der „Großen Vier" müssten sich bei einem ernst zu nehmenden Zusammenschluss zur Ruhrstadt fragen lassen, ob es denn unter knapperen finanziellen Bedingungen – aber auch wenn  mehr Geld vorhanden wäre – weiterhin noch nachvollziehbar ist, dass es von jeder Sparte vier Einrichtungen geben muss. 
 
So ist auch aus schlichtem Eigeninteresse und trotz der offiziell vorgetragenen Unterstützung von Seiten der gesamten Kulturszene der „Großen Vier" im Ernstfall nicht mit rasender Unterstützung für deren Integration zu einer Ruhrstadt zu rechnen.
 
Die Ruhrstadt als quatropolares Städteband 
 

Bei Abwägung aller oben aufgezeigten historischen, ökonomischen und soziokulturellen Tendenzen bleibt für mich nur ein realistisches Modell zur Umsetzung der Ruhrstadtvision übrig: Die Integration des gesamten Kernruhrgebietes zu vier soziokulturell und ökonomisch tragfähigen Großstädten, die diesen Namen auch unter Urbanitätsgesichtspunkten verdienen, und die durch einen entsprechend verkleinerten und erneut gestärkten regionalen Planungsverband zu einer gemeinsamen und kontinuierlich abgestimmten Planung in allen übergreifenden Sektoren der kommunalen Daseinsvorsorge finden. 
 
Dabei bilden die bisherigen Stadtzentren von Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund vier unterschiedlich profilierte urbane Hauptknotenpunkte, die in einem gemeinsamen finanziellen Kraftakt durch den Ausbau der vorhandenen Schienenverbindung mit einem Nahverkehrs-Express-System im 10- Minuten-Takt verbunden werden müssen . Gleichzeitig sollten diese vier Gemeinden dafür Sorge tragen, daß die überregionale Schienenverbindung von Dortmund über Essen nach Köln und zum Flughafen Düsseldorf ebenso massiv beschleunigt wird. 
 
Das Gleiche sollte für die zweite Ost-West-Schienenverbindung ,die zwischen Dortmund und Duisburg durch die Emscherzone führt, gelten. In einem weiteren gemeinsamen infrastrukturellen Kraftakt werden deren Bahnhöfe viel stärker als bisher in direkter und kurzer Nord-Süd-Verbindung mit den vier Hauptbahnhöfen der Hellwegzone verbunden.
 
Ein so geschaffenes hoch mobiles ÖNV-Raster entspräche nicht nur der bandförmigen Grundstruktur der Ruhrstadt, es würde bei den dann auch gegebenen Umstiegschancen vom Auto auf die Bahn und bei gleichzeitiger Verlagerung des Schwerlastverkehrs auf die Schiene auch die Mobilität des regionalen Individualverkehrs ohne weitere riesige Straßenbauinvestition erheblich erhöhen.  
Im Rahmen dieser städtebaulichen Vision der Ruhrstadt als quatropolares Städteband wäre auch die B1, respektive A40 als zentrale Autoader wieder stadt- und sozialräumlich stärker in die anliegenden vier Großstädte zu integrieren. Ihr trennende Funktion, die sie als stark befahrene Vierspurtrasse auch in Zukunft haben wird, könnte bei reduziertem Fahrzeugdurchlauf zumindest in Teilen aufgebrochen, zumindest aber so gestaltet werden, dass  die einzelnen Städte, die sie durchschneidet, auch vom Auto
her besser zu identifizieren wären.
 
Da aber mittlerweile an dieser Straße der großflächige innenstadtferne Einzelhandel der Region konzentriert ist, wäre auch zwischen dem Essener Hbf. und dem Dortmunder Westfalenpark an eine weitere, über die Autotrasse aufgeständerte ÖNV-Linie, z.B. als Schwebebahn zu denken, um auch die Arbeits-, Wohn-  und Einkaufsstädte entlang der B1 ökologischer miteinander zu verbinden. Eine Maßnahme, die nicht nur die Autotrasse entlastet, sondern für die Fußgänger unter ihren Anliegern an den Haltepunkten auch ihre Überquerbarkeit  erleichtern, bzw. überhaupt erst möglich machen würde.  
Dabei wären die notwendigen Umsteige- und Verbindungsstellen zum bestehenden ÖNV- und Schienennetz am Essen Hbf. , (Fernverkehr/Nahverkehr/Stadtverkehr)  am Bahnhof Wattenscheid (Nahverkehr)und am Westfalenpark in Dortmund (Stadtverkehr) gegeben. Ebenso ließe sich mit allen über die B1-Brücken querenden Nord-Süd-Linien per Haltestation eine Verknüpfung herstellen.  
 
Die neue "Puzzle-Urbanität" der zukünftigen Ruhrstadt wäre dann immer noch mit hoher Mobilität verbunden, sie wäre dann aber für die Mehrzahl ihrer Einwohner wesentlich leichter und zugleich ökologisch verträglicher zu realisieren. Die damit verbundene städtebauliche  Multipolarität würde den bisherigen Nachteil der überdezentralen Dispersion unter diesen neuen verkehrlichen und städtebaulichen Rahmenbedingungen in den Vorteil dezentral konzentrierter Vielfalt verwandeln können. 
 
Die Ruhrstadt hätte dann wirklich die Chance zusammen mit der Rheinschiene und vor allem mit den Städten Düsseldorf und Köln zu einer Metropole „neuen Typs" zusammen zu wachsen, ohne dabei nur eine Anhängsel zu bleiben. Sollte es jemals so weit kommen, wäre es sogar vorstellbar, dass auch der letzte Schritt zur Realisierung der Ruhrstadtvision ohne große Widerstände durchsetzbar wäre: Die Zusammenführung der alten „Viererbande" zu einer einzigen Stadt, mit einer Verwaltung und einem Oberbürgermeister und einem Stadtwappen. Der Streit um den Standort des Rathauses wird sich dann wahrscheinlich auch erübrigen, weil die Kommunikationstechnologie ein solches dann als Gebäude gänzlich erübrigt hat. Auch der gemeinsame Planungsverband könnte sich nach der Moderation dieses Zusammenschlusses  getrost auflösen, hätte er doch die Vision seines Gründers und ersten Chefs nach dann wahrscheinlich weit über hundert Jahren doch noch in die Tat umgesetzt 

 
Eine IBA-Innenstadt ist notwendig

 
Trotz des hier vorgeschlagenen Entwicklungskonzeptes der "Puzzle-Urbanität" und der Landmarken bleiben die traditionelle Innenstadtbereich auch in der zukünftigen Ruhrstadt von herausragender Bedeutung. Erst recht, wenn die Einwohnerzahlen weiter sinken. Allerdings ist auch hier genau aus diesem Grunde auch eine Rekonzentration geboten, und zwar auf die vier Citys von Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund. Nur sie werden die nächsten Jahrzehnte noch die Kaufkraft, Angebots- und Urbanitätspotentiale auf sich vereinigen können, die für eine Stadtmitte im europäischen Sinne notwendig sind. Diese klassischen Elemente der Stadtentwicklung sind zugleich einzigen die tragfähigen und  nachhaltigen Kontrapunkte zur allgemeinen und schon lange anhaltenden Amerikanisierung aller europäischen Städte, die im Ruhrgebiet jedoch überdurchschnittlich früh begann, ja schon in ihrer dispersen räumlichen Gründerstruktur, der rigorosen Interessendurchsetzung der hier sich niederlassenden Kapitalfraktionen und ihrer ungeheuren Wachstumsdynamik angelegt war.
 
Das grundsätzliche Nachlassen dieser Entwicklungstendenz und der damit sich durchsetzende Strukturwandel des Ruhrgebietes hat in der Nachkriegszeit eine weitere Phase der Amerikanisierung eröffnet, die die heutige Stadtlandschaft dieser Region mindestens so stark prägt wie die altindustriellen Infrastrukturen und ihrer Hinterlassenschaften. Schon in den sechziger Jahren, als die ersten Zechenschließungen große Brachen freilegten, begannen die in Ermangelung anderer Investoren dort zugelassenen Groß-SB-Märkte, massenhaft Kunden aus den Stadtteilzentren abzuziehen. Die öffentlich massiv geförderte und von der dispersen Raumstruktur unterstütze Automobilisierung erleichterte in den 70er und 80er Jahren die Etablierung von Einkaufszentren, die auf Grund ihrer Größe und Angebotsvielfalt den Stadtzentren Paroli bieten konnten.
 
Die Konkurrenz der Städte untereinander vereitelte jede Gegenstrategie. Statt gemeinsam weitere Einkaufsparks auf der grünen Wiese zu verhindern, passten die Städte umgekehrt ihre Zentren dem Autoverkehr an und uniformierten sie durch immer gleiche Fußgängerzonen und millionenteure Tiefgaragen – mit dem Effekt, dass die Autofahrer doch gleich in den Ruhrpark oder ins Rhein-Ruhr- Zentrum fuhren. Der weitere systematische Ausbau eines den ganzen Ballungsraum überziehenden Netzes von Autobahnen und vierspurigen Stadtstraßen führte bei gleichzeitiger Schwächung des
öffentlichen Nahverkehrs unausweichlich zu einer weiteren Konzentration von Einkaufszentren und Fachmärkten, vor allem entlang der B1 und des Emscherschnellwegs.

 
Diese neue bandartige Verstädterung des Ruhrgebietes, deren Vierspurtrassen es mittlerweile in der Gesamtlänge ohne weiteres mit dem Highwaysystem von Los Angeles aufnehmen können, eröffnete die Tür für eine weitere Form der Amerikanisierung: die flächendeckende Einrichtung von Funparks, Multiplexkinos und Drive-In-Restaurants. Die vorläufige Krönung dieses Prozesses bildete die Ansiedlung des CentrO in Oberhausen, der bislang größten Shopingmal Europas. Sie war so nur im Ruhrgebiet möglich. Wo sonst in Europa hätte sich ein so dicht besiedelter Raum angeboten, in dessen Mitte sich eine gut 90 Fußballplätze große Brache anbot – Raum für eine komplette neue Innenstadt plus 12.000
Parkplätze. 
 
Diese Entwicklung ist nicht mehr zurückzuschrauben und sie entspricht in gewisser Weise auch dem besonderen räumlichen Entstehungsmuster dieser Region. Im übrigen hat sie immer auch fruchtbare Elemente in sie hinein getragen Fatal wäre jedoch, wenn nun auch noch die letzten Reste europäischer Stadtentwicklungstraditionen, die das Ruhrgebiet ebenso von Anfang an enthielt, auch diesem Trend unterworfen und geopfert würden. Die gewachsenen Innenstädte des Ruhrgebietes sind nämlich nicht nur ihre letzten und verteidigungswerten Horte sondern zugleich die wichtigsten Bestandteile der bestehenden und zukünftig auszubauenden amerikanisch-europäischen Puzzelurbanität dieser Region.
 
Hieran hätte eine neue „IBA-Innenstadt“ anzusetzen, die auch hier für mehr städtebauliche und architektonische Qualität , sprich für mehr Baukultur und vor allem für mehr Urbanität zu sorgen hätte. Sie wäre zugleich ein mögliches Mittel die immer bedrohlicher werdenden Stadtrandwanderung aufzuhalten, wenn sie zugleich auch die Familien- und Kinderfreundlichkeit  der Citybereiche des Ruhrgebietes erhöhen würde. 
 
Die Emscherzone braucht eine neue Rolle und ein neues Entwicklungskonzept

 
Die Rolle der Emscherzone in diesem Realisierungskonzept des hier visionär vertieften Vier-Städte- Modells ist von zwei Seiten zu betrachten. Zum einen vom Prozess der Integration und zum anderen von der Funktion innerhalb des oben vorgetragenen multipolaren Urbanitäts- und Städtebaukonzeptes der zukünftigen Ruhrstadt, wobei das Einverständnis mit zweitem die Voraussetzung für das erste ist, sprich für die Bereitschaft, sich in die Obhut der „Großen Vier" zu begeben.
 
Ein quatropolares Hauptzentrenkonzept bedeutet nämlich für die Emscherzonengemeinden nichts anderes als den dauernden Verzicht auf eigene Grosstadtfantasien und auf eine damit verbundene herausragende Rolle in der Ruhrstadt. Es hat im Gegenteil sogar die mögliche Reduzierung bisheriger Zentralfunktionen zur Folge. Das Gleiche gilt für die verwaltungsmäßige und stadtkulturelle Eigenständigkeit. Bei einer richtiggehenden Eingemeindung z.B. der Stadt Herne nach Bochum bedeutet dies für die erste nicht nur ihre erneute Aufteilung  in die vormaligen Einzelstädte Wanne-Eickel und Herne, sondern auch deren weitergehende Auflösung in ihre gewachsenen Stadtteile. Das gleiche gälte, trotz der übermächtigen CentrO-Shopingmal auch für die Eingemeindung Oberhausens nach Essen.
 
Auch bei der Zusammenführung z.B. von Bochum ,Herne , Herten und Castrop-Rauxel, Gelsenkirchen und Hattingen zu einem  Regionalkreis wäre klar, dass Bochum die dominierende Rolle spielen würde, denn wenn das nicht so wäre, würde ein solcher Kreis gar nicht entstehen können, bzw. wäre er regionalökonomisch  auch nicht sinnvoll. Wie auch immer die Form des Zusammengehens von Emscher- und Hellwegzonenstädten vonstatten ginge, für erstere  ist damit eine untergeordnete Rolle festgelegt.
 
Allerdings wären dann umgekehrt auch die stärkeren Hellwegzonenstädte, wie beim Dortmunder Norden schon lange Fakt, für die Probleme ihres neuen bzw. vergrößerten Nordens mit verantwortlich und deren (Kreis)Regierungen für diesbezügliches Fehlverhalten wahlstimmenmäßig bestrafbar. Dabei sind die Stimmenzahlen der neu hinzugekommenen Bewohner schon auf Grund der Größe der hinzu kommenden Städte keineswegs einfach zu übergehen. Erst recht nicht, wenn die Mehrheitsverhältnisse ,wie für die Zukunft der Region absehbar, nicht mehr so eindeutig und dauerhaft verteilt sind wie in den letzten Jahrzehnten.
 
Das alles wäre aber noch kein gutes Geschäft für die Emscherzonenstädte, wenn nicht auch für diese ein zukünftiges Entwicklungspotential am Horizont sichtbar wird, das ihren Verlust an Zentralität ausgleichen könnte. Wenn sie auch als „Neubewohner" der „Großen Vier" weiterhin die alten problematischen „Hinterhöfe" der Hellwegzone bleiben, wenn ihnen keine eigenständige und positive Rolle und Entwicklungschance in der Ruhrstadt zukommt, wäre diese für sie nur alter Wein in neuen Schläuchen.
Diese neue Rolle erwächst im Wesentlichen aus Umbau der Emscher von der offenen Kloake zur renaturierten Flusslandschaft. 
 
Der Emscherumbau als wesentliche Voraussetzung für eine neue Rolle der Emscherzone in der
Ruhrstadt

 
Der Emscherumbau ist das große Zukunftsprojekt des Ruhrgebietes. Deswegen sind mit ihm viele Erwartungen und Wünsche sowohl der davon betroffenen Anwohner als auch der für die regionale Entwicklung Zuständigen und Verantwortlichen verbunden. Wohlmöglich zu viele, denn die Renaturierung der gut 400 Kilometer langen Fluss- und Bachlandschaft, die über hundert Jahre als offener Abwasserkanal "missbraucht" wurde, ist letztlich nur ein – wenn auch wesentlicher – Baustein des weiteren Strukturwandels im nördlichen Ruhrgebiet. Der neue Fluss, dessen Voraussetzung ein gewaltiges Kanalbauwerk durch die gesamte Region ist, stellt zweifellos die zentrale infrastrukturelle, städtebauliche
und stadtökologische Bedingung zur nachhaltigen und dauerhaften Aufwertung des  Emschertals und der Emscherzone dar. Wenn sich allerdings im räumlichen Umfeld der blauen Emscher nichts weiter tut, wenn nicht zusätzliche und ergänzende Maßnahmen zur Veränderung des Wohnumfeldes, zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation und zur Integration der vielen Menschen mit Migrationshintergrund eingeleitet werden, dann wird selbst diese Milliardeninvestition nicht die Erfolge zeitigen, die sie aufgrund ihrer Größenordnung, Flächenwirkung und Wertbeständigkeit als Potential in sich birgt.
 
Der Emscherumbau wird nur dann zum Motor der Regionalentwicklung, wenn er über seinen eigenen unmittelbaren Beschäftigungs- und Erneuerungseffekt hinaus zur Initialzündung und zum Ideengeber für andere private und öffentliche Investoren und Planungsverantwortliche wird. Nur so kann aus der "neuen Emscher" auch das "neue Emschertal" werden, das den "Machern" dieses Jahrhundertprojektes vorschwebt. Nur so kann es die Gestalt annehmen, die die Emschergenossenschaft im Masterplan emscher:zukunft in Zusammenarbeit mit den betroffenen Kommunen pragmatisch und realistisch konzipiert hat. Voraussetzung für ein solches Mitwirken ist eine nicht nur für die Investoren, sondern auch  für die Bevölkerung einleuchtende und als positiv empfundene Gesamtidee für das neue Emschertal. 
 
Ein solches Leitbild muss an den vorhandenen Stärken des Emschertals ansetzen, um aus ihnen eine tragfähige und zukunftsweisende Vision zu entwickeln. Eine Vision, in der der Emscherumbau selbst ein tragender Pfeiler ist, denn dieser Pfeiler wird auf jeden Fall Wirklichkeit. Eine Vision, die um diesen tragenden Pfeiler herum weitere aufbaut bzw. schon vorhandene verstärkt und vergrößert, um darauf ein stabiles Gebäude der Zukunft zu errichten.
 
Familienfreundlichkeit als Leitbild für das neue Emschertal

 
Das Leitbild für diese Vision muss dabei, um realistisch zu bleiben, auf den vorhandenen Grundstrukturen aufbauen und ihre besonderen Vorteile nutzen. Sie bestehen in der jetzt schon existierenden Kinder- und Familienfreundlichkeit des Emschertals. An ihr gilt es anzusetzen und mit ihrem Ausbau ist auch die Leitidee im Kern definiert. Aus der aktuellen Diskussion über die weiteren Entwicklungschancen städtischer Agglomerationen lassen sich in diesem Zusammenhang zwei wesentliche Tendenzen mit großer Sicherheit vorhersagen:

• Die Mehrzahl der Menschen mit Kindern will sehr wohl in städtischer Umgebung leben, wenn diese auch im Nahbereich über genügend Frei- und Erholungsraum verfügt.
 
• Dieser Frei- und Erholungsraum wird gerade von Familien dann besonders geschätzt, wenn er auch das Element Wasser, sprich sowohl künstliche als auch natürliche Uferräume enthält.
 
Hinzu kommen folgende generell anerkannte  Kriterien:
 
• Für Familien insbesondere mit kleineren Kindern zählt weniger die Größe der Wasser- und Grünflächen als ihre Erreichbarkeit und Vernetztheit ,d.h. ihre Integration in die bewohnten Stadtareale.
 
• Die  Frei- und Erholungsräume für Familien sollten möglichst wenig von motorisiertem Verkehr beeinträchtig bzw. durchschnitten werden. 
 
Als begründete Vermutung gehe ich in Anbetracht des überdurchschnittlich hohen Anteils an ausländischen Bewohnern im Emschertal davon aus, dass Familien in Zukunft verstärkt darauf Wert legen,
 
• dass das multikulturelle und interkulturelle Zusammenleben relativ konfliktfrei möglich ist bzw. durch die baulich-räumlichen und landschaftsgestalterischen Strukturen erleichtert wird.
 
 
Einer der wesentlichen, schon existierenden familienfreundlichen Pfeiler des neuen Emschertals ist die weiter oben schon beschriebene und in der Emscherzone der Ruhrstadt besonders extreme Durchdringung von Stadt und Land. Sie ist Teil der besonderen Industrialisierungsgeschichte dieser Region, die zu einem großen Teil unterirdisch stattfand und so  auf der Oberfläche eine Stadtlandschaft geschaffen hat, in der bis heute Freiraum, Brache, agrarische Nutzung und gebauter Raum in hoch differenzierter und immer wieder überraschender Durchdringung eng nebeneinander existieren.
 
Alle die im Kapitel zum Stadtbild des Dschungels aufgezeigten und im Emschertal überdurchschnittlich vorhandenen Durchgrünungsformen sind einzeln und vor allem zusammengesehen ein Eldorado nicht nur für Erwachsene, sondern auch und vor allem für Kinder, wie jeder weiß, der sie mit ihnen als Vater, Mutter, Onkel oder Familienfreund durchwandert und durchstreift bzw. mit dem Fahrrad erkundet hat. Durch das in den letzten Jahrzehnten geschaffene, fast flächendeckende neue Radwegesystem um und entlang der Emscher und dem Rhein-Herne-Kanals ist dieses schon immer alle Bereiche durchziehende grüne Netzwerk erst in seiner ganzen Qualität und Größe erreichbar und nutzbar geworden. Wohnen wie auf dem Dorf und leben wie in einer Großstadt, das ist jetzt schon der große Vorteil des Emschertals gegenüber anderen ähnlich großen Verdichtungsräumen, denn die Städte des Emschertals liegen nur einen Katzensprung entfernt von den großen Theatern, Konzerthäusern und Museen der wesentlich verdichteteren Hellwegzone.
 
Der Emscherumbau bietet die historisch einmalige Chance, die schon vorhandene starke Durchgrünung des Emschertals neben und zusätzlich zu den Kanälen/Häfen um eine weitere und weitaus stärker in die bebauten Räume hineinreichende Wasserlinie zu ergänzen. Im Einzelnen heißt das:
 
• Die Wasserfläche im Emschertal wird durch die neuen Hochwasserrückhaltungsgebiete, die neue Auenlandschaft und die Aufweitung der Emscherdeiche erheblich größer.
 
• Die Zugänglichkeit der Uferzonen der neuen Emscher wird flächendeckend erleichtert bzw. überhaupt erst möglich.
 
• Der Emscherlauf wird durchgehend und unmotorisiert befahr- und natürlich auch begehbar.
 
• Insbesondere für die Kinder entsteht entlang der renaturierten Emscher ein neuer riesiger Spiel- und Aufenthaltsraum, der auch für die Eltern und andere Erziehungspersonen große Erlebnisqualitäten bietet.
 
Damit wertet der Emscherumbau unmittelbar auch die diese neue Flusslandschaft begleitenden Grün- und Freiflächen auf, was  wiederum deren gesamtes regionales Netzwerk attraktiver macht und damit auch den dazugehörigen bebauten Raum, sprich die Städte des Emschertals.
 
Emscherumbau und Emscherlandschaftspark müssen zusammen gedacht und realisiert werden

 
Über diesen gesamträumlichen Wirkungszusammenhang, und nur über ihn, wird das Projekt desEmscher-Landschaftsparks, sprich die Ausweitung der Grün- und Freiflächen im nördlichen Ruhrgebiet, zu einem tragfähigen Zukunftskonzept. Ohne den Emscherumbau bliebe die Idee des Regionalparks dagegen nicht mehr und auch nicht weniger als eine Maßnahme, die aus der Not des unvermeidbaren Schrumpfungsprozess eine Tugend macht. Mehr Freiraum als solcher, erst recht, wenn er nur dem Realismus der sinkenden Ansiedlungschancen geschuldet ist, setzt weder ein Zeichen des Aufbruchs noch der Stabilität. Er steigert, wenn überhaupt, nur die Lebensqualität derer, die "übrig" bleiben bzw. nicht weg können.
 
Soll der erst einmal nicht aufzuhaltende Schrumpfungsprozess jedoch produktiv genutzt werden, indem mit seinem Fortschreiten zugleich sein Ende anvisiert wird bzw. über kurz oder lang die Chancen für einen erneuten Wachstumsprozess eröffnet werden, dann stellt sich nicht nur die Frage nach der Quantität, sondern auch der Qualität der erweiterten und an die schon vorhandenen Grün- und Freiflächen. Es ist die Nähe bzw. die Verbindung zum Wasser, die dabei mindestens so schwer wiegt wie die Gestaltung selbst, liegt in ihr doch der eigentliche qualitative Sprung zu einem höheren Erlebniswert.
 
Die Entdeckung der Emscherinsel  
 

Erst recht, wenn dadurch, und das mag sowohl für den Kenner als auch für den Besucher des Emschertals erst einmal überraschend klingen, durch den Emscherumbau mitten im Ruhrgebiet eine Insel entsteht bzw. wieder ins Bewusstsein rückt, denn sie existiert eigentlich schon seit über 80 Jahren parallel zum Rhein-Herne-Kanal. Sie ist in gewisser Weise zusammen mit dieser Wasserstraße entstanden, denn ihr Bau war einer der  Gründe die Emscher, die es schon lange vor ihr gab, ebenso zu begradigen, führte sie doch  durch einen großen Teil des Emschertals. Ihre geometrische Logik erlaubte es nicht mehr, dass sich der Fluss beliebig schlängeln bzw. mäandrieren konnte, und als "natürlicher" Abwasserkanal brauchte er es ja auch nicht mehr. So wurden beide Wasserlinien im größten Teil ihrer Wegstrecke mehr  oder weniger parallel geführt, wobei der Abstand zwischen wenigen Metern bis über die Einkilometermarke hinaus variiert.
 
Insgesamt ergab das eine äußerst schmale und lange Inselform und die ist, neben der Eindeichung und Einzäunung der Emscher selbst,  auch der Grund, weswegen dieses gut 30 km lange "Emscherriff" bis heute nicht als solches wahrgenommen bzw. ins Bewusstsein ihrer Be- und Anwohner gelangt ist. Aber es ist eine Insel, denn man kommt nur über das Wasser der Emscher oder des Kanals hinauf und wieder herunter. Ein Eiland, das deswegen, mal abgesehen von Venedig, relativ zu seiner Größe wahrscheinlich der am meisten mit Brücken versehene Landstreifen der Welt ist. Aber auch diese Bauwerke sind so schnell überquert, dass ein Autofahrer sie als solche kaum wahrnehmen kann. Sie sorgen nichtsdestotrotz dafür, dass die Insel auf kürzestem Weg von allen ihren ca. 2 Millionen Anwohnern erreicht werden kann.
 
Durch die zukünftig doppelte, zugleich extrem unterschiedliche und durch die geringe Entfernung schnell zu wechselnde Wasserfront wird sie eine besonders hohe Aufenthaltsqualität gewinnen, die durch einen in sich geschlossenen Uferrundweg (aus Leinpfad und Deichweg) noch einmal verdoppelt werden kann.
Da die querschnittsorientierten Brücken der Insel in der Längsrichtung eine komplette Autofreiheit entlang der neuen Emscher und des Kanals ermöglichen, könnten die Uferwege bei genügender Breite nicht nur eine Promenadenfunktion (als Inselrundweg), sondern in Ostwestrichtung auch die Rolle einer „ökologischen Schnellstraße“ für Fahrradfahrer, Skater und alle anderen „human-powered vehicles“ übernehmen. Das doppelt blaue Flussband ist damit auch eine grüne Straße, die zugleich als Promenade benutzbar ist. Hierzu später weiter.
 

Schrumpfen als Chance oder: vom kurzfristigen Nachteil zum langfristigen Vorteil

 
Der Emscherumbau kann  – nicht  zuletzt weil er erst in ca. 20 Jahren beendet sein wird – den Schrumpfungsprozess kurzfristig  nicht aufhalten. Wer diese Erwartungshaltung hat, dem muss das in aller  Deutlichkeit gesagt werden. Hier arbeitet die Emschergenossenschaft und nicht nur sie gegen eine Entwicklung, die auf Grund ihrer tiefsitzenden strukturellen Ursachen kurz- und wahrscheinlich sogar auch mittelfristig mächtiger ist als sie. Es stellt sich aber gerade deswegen die Frage, ob das in Anbetracht der oben genannten städtebaulichen Tendenzen nur als Nachteil gesehen werden darf.  Wenn man die damit gegebene Möglichkeit, die Durchgrünung des Emschertals nicht nur extensiv zu vergrößern, sondern auch intensiv zu qualifizieren und noch besser zu vernetzen, konsequent nutzt, wird vielmehr eine
Aufwertungschance  deutlich, die Wachstumsregionen  wie Hamburg und München eben nicht haben: Im   innerstädtischen Bereich den Grün- und Freiraumanteil zu erhöhen. Erst recht können sie dabei nicht auf einem so großen Sockel an vorhandenen und potentiellen Freiflächen aufbauen.
 
Hinzu kommt, dass selbst, wenn die negativsten Prognosen eintreffen, im Emschertal weit über eine Million Einwohner und im gesamten Ruhrgebiet weit über 4 Millionen verbleiben. Die Gesamtagglomeration bleibt damit trotz oder vielleicht sogar gerade wegen des erst einmal unvermeidlichen Schrumpfungsprozesses auf dem Wege zu einer Großstadt besonderer Art. Allerdings nicht in der Art mono- bzw. hauptzentraler Metropolen wie London oder Paris, sondern in einer nach wie vor multizentralen und kleinteiligen Stadtlandschaft, die ein Hybrid aus allen Elementen der aktuellen und  vergangenen europäischen und internationalen Stadtentwicklung, einschließlich eines starken amerikanischen Anteils, ist. Mit dem einmaligen Vorteil jedoch, dass die damit weltweit verbundenen Nachteile des sozialen Dichtestresses und  der baulichen Totalversiegelung durch die flächendeckende Durchgrünung hier auf ein erträgliches Minimum reduziert werden könnten. 
 
Das neue Emschertal könnte hier gerade auf Grund des Emscherumbaus eine innerregionale Vorreiter- und eine internationale Vorbildrolle einnehmen, denn sie eröffnet durch ihr integriertes Regenwassergewinnungs- und Entsiegelungskonzept nicht nur eine baulich-räumliche, sondern eine stadt- und landschaftsökologische Qualifizierungsoffensive. Zusammen mit ihren diesbezüglichen Bildungs- und Kulturprojekten in den anliegenden Schulen wird durch sie zugleich auch eine Wissens- und Bewusstseinserweiterung anvisiert, die im Zuge des immer deutlicher werdenden weltweiten Klimawandels schon in naher Zukunft auf immer fruchtbareren Boden fallen wird. Das neue Emschertal gewinnt damit über kurz oder lang auch einen stadtökologischen Wettbewerbsvorteil ,der sich zusammen mit der Ausweitung und Qualifizierung seines "Stadtdschungels" gerade für die Ansiedlung höher
qualifizierter Arbeitsplätze  auszahlen wird. 
 
Mit dem neuen Emschertal doch auf dem Weg zur Metropole neuen Typs?
 
Bedenkt man obendrein, dass es sich bei der zunehmenden Überalterung rein zahlemäßig „nur“ um eine Art demografische Bugwelle handelt, die sich mittel- bis langfristig wieder zu einer normalen Alterspyramide zurückverwandeln wird, kann das mittel- bis langfristige Entwicklungsziel für das neue Emschertal auch nicht ein wie immer geartetes "Altenparadies" sein. Was nicht bedeutet, dass auf die erst einmal zunehmende (Über)Alterung seiner Einwohner reagiert werden muss. Es sollte und es kann in Anbetracht der oben geschilderten Potentiale im Zusammenhang mit dem Emscherumbau vielmehr eine führende Position auf dem Weg des Ruhrgebietes zur „kinderfreundlichsten Metropole der Welt“ übernehmen, denn das wäre wirklich eine Metropole neuen Typs. 
 
Darüber wird die Renaturierung und Revitalisierung des Emschertals auch eine Aufgabe, die für das gesamte Ruhrgebiet von Bedeutung ist und die deswegen nicht nur die Städte der Emscherzone zu „stemmen" haben. So hat die Emschergenossenschaft auch den engen Schulterschluss mit dem neuen Regionalverband gesucht. Während die Emschergenossenschaft schon von ihrer Konstruktion her fast alle Gemeinden des Emschertals bezüglich des Emscherumbaus vertritt, so bringt der Regionalverband auch die Verantwortung aller anderen Ruhrgebietsstädte mit in das gemeinsame Zukunftsprojekt des "neuen Emschertals"  ein. Seine Vorreiterrolle allerdings müssen die dort Verantwortlichen aus eigener Kraft und aus ihrer spezifischen räumlichen und fachlichen Kompetenz entwickeln, denn die Städte der Hellwegzone, des Lipperaums und der anderen nicht zum Emscherraum gehörigen Areale der Ruhrstadt  haben selber Probleme genug, als dass sie sich nur um das neue Emschertal kümmern könnten und wollten. 
 
Das Mindeste, was sie jedoch für das neue Emschertal tun können, ist, dessen neue Rolle zu akzeptieren und sie als Teil einer Gesamtstrategie zur Erneuerung des Ruhrgebietes zu sehen. Das Ziel der Kinderfreundlichkeit sollte nämlich räumlich keineswegs auf das neue Emschertal beschränkt sein. Hier jedoch könnte sich auf Grund der oben beschriebenen besonderen Voraussetzungen ein Modellfall entwickeln, der die großstädtischen Qualität der Hellwegzone in optimaler Weise ergänzen und zugleich das Image der Ruhrstadt weiter verbessern würde. Aufholen, nicht überholen, hieße dabei die realistische und zugleich regionalintegrative Parole für das neue Emschertal. Es geht im Kern darum, das nun fast hundert Jahre währende strukturelle Nord-Süd-Gefälle einer neuen und gleichberechtigten Arbeitsteilung zuzuführen, denn die zukünftigen kinderfreundlichen Qualitäten des entdichteten und entsiegelten  Emschertals wirken erst richtig, wenn die verdichteten urbanen Qualitäten der Duisburger, der Essener, der Bochumer und der Dortmunder Innenstadt ebenfalls weiter gesteigert und qualifiziert werden.
 
Das Emschertal vertritt im Besonderen die ruhrgebietstypische Stadtlandschaft des dispersen und zugleich über großräumliche Ausdehnung verfügenden dezentral strukturierten Industriedorfes. Erst recht, wenn man das industriekulturelle Erbe, das damit in enger sachlicher und räumlicher Verbindung steht, mit einbezieht. Die Metropole neuen Typs, die das Ruhrgebiet als kinder- und familienfreundliche Ruhrstadt werden könnte, hängt deswegen unmittelbar mit der Weiterentwicklung dieses städtebaulichen Unikats zusammen, denn dieses stellt in der weltweiten Städtekonkurrenz erst das eigentlich „Andere“ dar. Hier und nur hier hat das Ruhrgebiet die Chance eine neue und eigenständige stadträumliche „Marke“ im nationalen und internationalen Wettbewerb zu etablieren. Dabei wird gerade die in der Natur ihres besonderen baulich-räumlichen Konzeptes liegende Kinder- und Familienfreundlichkeit eine  zunehmend entscheidende Rolle spielen, denn  in ihr liegt die Lösung der größten gesellschaftlichen Problematik, die auf alle Länder Nordeuropas und Mitteleuropas in den kommenden 30 Jahren zukommt.
 
Bedenkt man, dass in der zukünftigen Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft auf Grund der enormen Fortschritte in der Telekommunikation nicht nur der diesbezügliche Arbeits-, sondern auch der Wohnstandort räumlich freier als bisher gewählt werden kann, so wird bei entsprechender Verbesserung der allgemeinen ökonomischen und bildungsmäßigen Rahmenbedingungen eine Stadtlandschaft wie das zukünftige Emschertal in der zukünftigen Ruhrstadt wieder an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen können.
Der Emscherumbau ist dabei kein Allheilmittel, denn der ändert aus sich heraus weder die sozialen Verhältnisse, noch sorgt er für eine familienfreundlichere Organisation der Arbeitswelt und der Steuersysteme. Aber er schafft die nachhaltige, baulich-räumliche und ökologische Voraussetzung für ein kinderfreundlicheres Ruhrgebiet.
 
Kinderfreundlichkeit, Migration und Emscherumbau
 

Familienfreundlichkeit beinhaltet zugleich, die zu unterstützen, die trotz zu geringer gesellschaftlicher Förderung auch jetzt schon Kinder bekommen und großziehen, und das sind im Emschertal vorrangig die Einwanderer und dort vor allem die türkische Bevölkerung. Damit bedeutet eine Stärkung der Kinderfreundlichkeit im Emschertal zugleich auch ein intensiveres Bemühen um die Integration der Zuwanderer nicht nur, aber insbesondere mit muslimischem Religionshintergrund. Dies müsste natürlich auch geschehen, wenn diese, was die Anzahl ihres Nachwuchses betrifft, sich schon stärker an die Mehrheitsgesellschaft angepasst hätten. Letztlich geht es dabei um die unveränderbare Tatsache, dass es, egal aus welcher Ethnie sie stammen, die jetzigen und zukünftigen Kinder des Emschertals sind,  denen der Emscherumbau den meisten Nutzen bringen wird. Damit sie aber auch als Erwachsene im Emschertal bleiben können, heißt es vor allem, ihnen eine tragfähige Zukunft aufzubauen, und hier schließt sich erneut der Kreis zum Emscherumbau . Er schafft Zukunft,  indem er die ökologischen und stadträumlichen Bedingungen verbessert. Er schafft Zukunft, indem er die Chance eröffnet, eine ganze Region zum Vorbild an Kinder- und Familienfreundlichkeit zu machen, die zugleich ein verbessertes nachbarschaftliches multi- und interkulturelles Zusammenleben ermöglicht.
 
Gerade dabei spielen haus- und stadtteilnahe Freiflächen, ja jede Art unbebauter Räume eine wichtige Rolle, erleichtern sie doch die neugierige und zugleich vorsichtige  Annährung an das Fremde der anderen Kulturen. Man kann dort auf Distanz bleiben und doch einander beobachten, kann aufeinander zugehen, ohne sich dabei  „auf die Füße zu treten“, und  sich wieder voneinander entfernen, ohne das Gesicht zu verlieren. Speziell der Garten vor und/oder hinter dem Haus erlaubt eine Begegnung in der Nachbarschaft, die dem Besuch in der Wohnung unmittelbar, aber eben doch noch vorgelagert ist, und eröffnet so einen auch privaten Spielraum von Annäherung und Distanz. Das alles gilt in größerem  sozialen Maßstab für städtische und regionale Großgrünflächen, aber auch und vor allem für ebenso dimensionierte Brachen und wilde Grünbereiche. Gerade letztere erleichtern es, durch ihre „Unordnung“ relativ ungestört „anders“ zu sein und sich als erst einmal neue Kultur zumindest ein kleines Stück des Fremden aneignen zu können.  
 
Die Emscherinsel als Vorzeigeprojekt für das Schrumpfen durch Erneuern
 
Die Emscherzone braucht eine langfristige Vision der Schrumpfung und der Erneuerung. Diese könnte sich in der Insel als neue weitgehend „grüne“ Mitte des Emscherstadtraums kristallisieren, die sich jenseits des unbedingt Notwendigen stufenweise auch vom Autoverkehr als Individualmobilität befreit. Dies schließt das Wohnen und Arbeiten keineswegs gänzlich aus. Die Gesamttendenz und die Hauptqualität sollte allerdings die systematische Vergrößerung und Vernetzung des gestalteten wie des wilden Freiraums sein, der die verschiedensten Aneignungsformen durch die Bevölkerung erlaubt. Dabei wird gerade die weitgehende Autofreiheit die Insel als besonders kinder- und damit familienfreundlich
etablieren.  
 
Entscheidend ist , dass durch den Umbau der Emscher auch die Wasserfront zugänglich werden wird, die bislang gegenüber dem Kanal nur als Meideraum wahrgenommen bzw. eben nicht wahrgenommen wurde. Das bedeutet, dass sie ihre "andere" Seite wieder zurück bekommt. Diese Wasserseite wird schmaler sein als der Kanal, dafür aber organischer, verwinkelter und naturnäher, denn der Fluss darf sich, wenn auch nicht wie zur Zeit ohne Kanal und Abwässer, wieder schlängeln und die Menschen können getrost auch ihre Füße in ihn hineinhalten, ja ganz hineinfallen, ohne dass ihnen Gefahr oder Krankheit drohen.
 
Damit eröffnet sich die Riesenchance von 30 Kilometern zusätzlicher Uferlinie, die, wenn man sie mit dem Leinpfad des Kanals zu einem Rundweg verknüpft, zu einer vom Automobilverkehr weitestgehend befreiten Uferpromenade von gut 60 km Länge führt. Wer die Insel innen und außen umrundet, kommt sogar auf mehr als das Doppelte an Flanier- und/oder Fahrradmeilen. Schaffte man es zusätzlich, die schon bestehende Freizeitqualität der Emscherinsel zu erweitern und zu qualifizieren und den Autoverkehr soweit, wie es die sonstige Besiedlung erlaubt, einzudämmen, dann ergäbe sich im Herzen des Emschertals ein Paradies für Eltern und Kinder, das in der näheren und weiteren Umgebung seines
gleichen sucht.
 
Wenn das Schrumpfen dieses Teils der Region irgendwann auch Formen des Abrisses bzw. anderer radikalerer Formen der Freiflächengewinnung erfordert, wären diese , sofern das überhaupt möglich ist, auf die Insel und nicht auf ihr Umland zu fokussieren. Hier und nur hier würde sie allen Bewohnern des Emschertals gleichermaßen nutzen. Zum einen, indem sie die Insel Stück für Stück und immer mehr und natürlich regionaltypisch zu einer Art "Central Park" des Emschertals machen und damit zum anderen sein Umland so aufwerten, dass dort neues Siedlungswachstum möglich wird, zumindest aber der Schrumpfungsprozess über kurz oder lang zum Halten gebracht werden kann. Deswegen ist die "Insel" ebenso ein Jahrhundertprojekt wie der Emscherumbau selbst, mit dem Unterschied allerdings, dass er weitaus länger dauern, ja wohlmöglich nie wirklich abgeschlossen sein wird.
 
 
Die Vision der Seenplatte im Ruhrstadtdschungel
 
Der ehemalige Städtebau- und Staatsminister Zöpel sowie der Architekt Petzinka haben in den letzten Monaten eine weitere Vision in die öffentliche Diskussion gebracht: Das Emschertal als Seenplatte. Es ist nach meiner Einschätzung und Kenntnis der beiden Personen als eine Art „ernstzunehmende Provokation“ gedacht, die davon ausgeht, dass die über 100 Pumpwerke der Emscher nicht auf ewig den Grundwasserstand des Emschertals so niedrig halten können, dass alle seine Flächen Baugebiet werden oder bleiben können. Da fast ein Drittel der Emscherzone durch die Bergsenkungen der letzten 100 Jahre de facto Poldergebiete sind, die eben nur durch ständiges Abpumpen nicht zu ständigen  Überschwemmungsgebieten werden, ist dieser Vorschlag selbst als reine Provokation hoch brisant. Bei  Professor Petzinka, der zugleich ein leitender Angestellter des Ruhrkohlekonzerns ist, der diese „Pumperei“ auf „ewig“ bezahlen muss, tönt zugleich die „Stimme seines Herrn“ mit durch.   
Trotzdem ist der Gedanke als solcher zumindest langfristig nicht völlig abwegig, ist er doch mit der im obigen Leitbild für die Emscherzone erwünschten und sinnvollen Erweiterung der Wasserflächen grundsätzlich kompatibel. Praktisch integrierbar ist er jedoch nur, wenn ser mit einem auch flächenmäßig so weit wie möglich gesteuerten Schrumpfungsprozess räumlich verkoppelt wird. Dies allerdings setzt eine enge Abstimmung zwischen den Kommunen und der Emschergenossenschaft voraus, die die Flächenkonkurrenzen und vor allem den zwischenstädtischen Wettbewerb um die Ausweisung weiterer Wohnflächen abbaut bzw. in ein Gesamtschrumpfungskonzept überführt, das obendrein auch den Abriss von Gebäuden, ja von ganzen Siedlungen mit ins Kalkül zieht.
 
Damit allerdings setzt diese Vision die Ruhrstadt als Verwaltungseinheit schon voraus, bzw. lassen sie sich beide Visionen nicht allein realisieren. Zusammen gedacht machen sie allerdings langfristig einen stadtlandschaftlichen Strukturwandel möglich, der mit Fug und Recht als Revolution bezeichnet werden kann und so wirklich Städtebaugeschichte von internationalem Rang schreiben könnte.        
 
Aufwertung und Verdrängung – im neuen Emschertal ein lösbares Problem

 
Jede Aufwertung einer Stadtlandschaft, und das ist der Emscherumbau und soll es auch sein, und das wäre erst recht die im vorigen Kapitel skizzierte langfristige Vision, hat die Gefahr einer möglichen Verdrängung von angestammten Bewohnern, die die höheren Grundstücks-, Haus- oder Mietpreise nicht (mehr) bezahlen können, mit einzukalkulieren. Sie wird vor allem dort virulent werden, wo der renaturierte Flusslauf als solcher die dichter bebauten Gebiete des Emschertals durchläuft, wo vermehrt Wohnen am Wasser möglich ist. Erst recht da, wo es sich ausweiten kann oder durch neue Rückhalteflächen und Auenlandschaften ein neues und qualifizierteres Wohnumfelder entstehen lässt. Sie ist aber aus zwei Gründen weitaus weniger dramatisch, als von manchen Experten vielleicht angenommen wird.
 
• Der allgemeine regionale Schrumpfungsprozess hat neben seinen unübersehbaren Nachteilen den Vorteil, dass der Nachfragedruck, der üblicherweise in Boomregionen in jedem Aufwertungsareal eine für die dort schon vorhandenen Bewohner äußerst negative Eigendynamik erzeugt, so im Emschertal gar nicht existiert.
 
• Die im Emschertal durch den schon länger andauernden Schrumpfungsprozess überdurchschnittlich vorhandenen Brach- und Reserveflächen bzw. Wohnungsleerstände werden dort, wo dieser Druck im Einzelfall dann doch auftauchen könnte, genügend Ausweichflächen bzw. Wohnungen im Nahbereich des "neuen Wassers" bieten, um den Verdrängten nicht weit von ihrem bisherigen Standort Ersatz schaffen zu können.    
 
Auf diese Weise wird entlang der neuen Emscher eine sozialverträgliche Aufwertungsstrategie möglich, die auch für Geringverdiener Chancen bietet bzw. sie auf jeden Fall nicht ihrer bisherigen Heimat beraubt. Im Übrigen ist gerade preiswertes Bauland in fußläufiger und/oder fahrradfreundlicher Nähe von Grün und Wasser selbst eine zentrale Möglichkeit, jungen und beruflich aktiven Eltern die Chance des Bleibens im, aber auch des Zuwanderns ins neue Emschertal zu ermöglichen. 
 
Kinderfreundlichkeit setzt bezahlbaren Wohnraum voraus – Wohngenossenschaften neu gedacht

 
Bezahlbare Wohnungen und Wohnhäuser sind neben dem Arbeitsplatz  nicht umsonst die zentralen materiellen und ökonomischen Voraussetzungen für das Bleiben im und das Zuziehen ins neue Emschertal, erst recht für Menschen, die eine Familie gründen wollen. Wenn schon die Sicherheit der Arbeitsplätze im Rahmen der Globalisierung immer weniger der gemeinschaftlichen Steuerung unterliegen können, dann sollte es  zumindest ein Teil der Wohnungen sein bzw. bleiben. Deswegen  wäre in vielen Fällen statt der Privatisierung auch die Genossenschaftsbildung  ins ernsthafte Kalkül zu ziehen . Insbesondere da, wo öffentliche oder große betriebliche Wohnungsbestände auf Grund begrenzter privater Möglichkeiten nicht in individuelles Wohneigentum umgewandelt werden können.
 
Dieser genossenschaftlich-gemeinschaftliche Wohnungsbau hatte im Ruhrgebiet auch aus Sicht privater Unternehmen, zumindest als sie noch eine große und dauerhafte regionale Standorthaftung besaßen, eine lange und durchaus nützliche Tradition. Eine, die  gerade im Interesse eines weiterhin erfolgreichen Strukturwandels, vielleicht modernisiert, aber keineswegs abgeschafft gehört. Im Gegenteil, ich plädiere für eine Renaissance des Genossenschaftsgedankens zur Stärkung der regionalen Gestaltungsfähigkeit nicht nur des Emschertals und seiner Kommunen. Der Emscherumbau macht nur dann einen Sinn, wenn er nicht nur den Unternehmen, sondern auch den Menschen vor Ort nutzt. Seine Technik ist sehr wohl exportierbar, er selbst aus der Natur der Sache aber nicht. Er kann also nur dann seine ganze Wirkung erreichen, wenn der größte Teil der Menschen im Emschertal bleiben kann bzw. die, die gehen, durch  Zuwanderer und/oder Neugeborene ersetzt werden. Dies geschieht aber nur, wenn die Menschen im neuen Emschertal für sich und ihre Familien eine sichere Zukunft sehen.

Die andere Urbanität der Ruhrstadt…

…oder wie lässt sich’s ohne Mitte auch gut leben

Weder Metropole noch Provinz

Das Ruhrgebiet spielt im nationalen und europäischen Rahmen eine urbanistische Sonderrolle irgendwo zwischen den oder jenseits der Kategorien  Metropole und Provinz. Wahrscheinlich helfen diese beiden Urbanitätsmaßstäbe aber im Falle dieser Art von Stadtlandschaft  überhaupt nicht weiter. Denn trotz nachholender soziokultureller Mittenbildung bleibt die Multipolarität ihrer Grundstruktur sehr wahrscheinlich auch die nächsten hundert Jahre erhalten. Zumindest was die vier „Hauptstädte" Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund betrifft. Ebenso wird deren  bandartige Aneinanderreihung unveränderlich bleiben. Einzig und allein ihr noch weiter gehendes Zusammenwachsen durch zusätzliche Bebauung ist – trotz wahrscheinlich abnehmender Bevölkerung – absehbar. Eine klassische Stadtmitte als urbanes Zentrum ist von daher selbst bei der verwaltungsmäßigen Zusammenführung aller Ruhrstädte zu einer Ruhrstadt  nicht realisierbar und, wenn man die Besonderheit dieser Stadtlandschaft berücksichtigt , auch gar nicht wünschenswert.

Das Puzzle und der Dschungel

Hilfreicher zur Beschreibung dieser Realität sind  da eher der Begriff des Puzzles und der des Dschungels. Urbanität setzt sich der Bewohner von Ruhr, sofern man eine Stunde Mobilitätszeit für eine Großstadt des 21. Jahrhunderts für durchschnittlich annimmt, jeweils nach seinen Bedürfnissen räumlich selbst zusammen, und das, in Ermangelung eines Zentrums, durch die Mobilität selbst. Es kann je nach Ausgangspunkt und Anspruch eine großes und sehr vielfältiges oder ein eher kleines und weniger vielfältiges sein. Fahren ist jedoch in jedem Fall die wesentlich Voraussetzung dafür, es zusammensetzen zu können.  

Damit wird der Weg das eigentliche Medium der Urbanität. Die Ruhrstadt bleibt dabei das, was das Ruhrgebiet wahrnehmungsmäßig immer schon war: Ein Roadmovie. Etwas, was man nur in Bewegung begreifen und zugleich räumlich bewältigen kann.
Entscheidend für die Zukunft von Ruhr ist damit der Umgang mit der Mobilität selbst und das erst recht im Zeichen des Klimawandels. Ihre Steigerung ist, verbunden mit ihrer gleichzeitiger Ökologisierung, das Non Plus Ultra der kommenden Stadtentwicklung. Und genau hier  kommt der Begriff des Dschungels ins Spiel.

Es gibt nämlich keine mir bekannte Agglomeration dieser Größenordnung auf der ganzen Welt, in dem Stadt und Land so eng ineinander verwoben und verschachtelt sind. Wer im Sommer einmal einen ganzen Tag durch das „grüne Meer“ geradelt ist, in dem ganze Städte fast komplett verschwinden begreift, dass es sich bei der Ruhrstadt nicht um eine Stadtlandschaft im übertragenen, sondern im ganz realen Sinne handelt. Das ist eine städtebauliche und vor allem sozialräumliche Qualität, nach der echte Metropolen dieser Welt trotz oder gerade wegen ihres andauernden Bevölkerungs- und Publikumserfolgs händeringend suchen. Nur, dass sie sie aus dem selben Grunde auf niemals in diesem Maße erreichen können, ohne dabei ihre angestammten Urbanitätsvorteile durch Dichte zu verlieren.

Die Ausbreitung der Wildnis in der Stadt

Neben dieser starken Verwobenheit von Natur und Stadt, die selbst in Zentrennähe Bauernhöfe und Weizenfelder zu ihren Landschaftsformen zählt, ist in diesem Zusammenhang ein Landschaftselement besonders hervorzuheben, das dem Dschungelbild auch in der realen Botanik und Physis sehr nahe kommt: das der Wildnis. Sie findet sich zum einen in immer noch fast unberührter Weise in den nicht besiedelten und der graduellen Versumpfung anheim gestellten Teilen des Emscherbruchs und zum anderen als "Industrienatur" auf den von der Produktion verlassenen Gebieten sowie auf den renaturierten Waschberge- und Müllhalden. Letztere sowohl in der "kulturalisierten" Form des  Landschaftsparks als auch als "verbotene" Stadt der ungestalteten Brache. Diese noch nicht als Erholungsraum domestizierten und landschaftsgestalterisch ästhetisierten Gebiete sind , ähnlich wie die Sumpfgebiete des Emscherbruchs, im wahrsten Sinne des Wortes Stadtdschungel, ohne feste Wege und zum Teil sogar undurchdringlich.

Vertikale Landmarken und horizontale Ankerpunkte als urbanes Entwicklungskonzept

Leider versuchen Stadt- und Landschaftsarchitekten auch diese ganz besondere und besonders typische Seite dieser Stadtregion in ihrem Gestaltungswahn zu domestizieren und, wenn auch ökologisch unterfüttert, in eine Parklandschaft zu überführen. Dem ist auch in Anbetracht der kommenden Bevölkerungsschrumpfung Einhalt zu gebieten, denn genau in diesem Zusammenhang ergeben sich neue städtebauliche Chancen, die diese besondere räumliche Qualität der Ruhrstadt zusammen mit der Erweiterung und Renaturierung von Kanälen und Flussläufen zu vergrößern in der Lage sind.

Stattdessen bedarf es  in diesem so erweiterten  Dschungel vermehrt der eher vertikalen städtebaulichen Orientierungspunkte und der Attraktivierung der „Puzzle-Urbanität“ durch dezentrale „Clusterbildung“.  Beim Ersteren hat die IBA Emscherpark durch ihr Landmarkenkonzept einen wichtigen Anstoß gegeben, den es fortzuführen und zu entfalten gilt. Beim zweiten Punkt könnte das Konzept der Dezentralen Zentralisierung weiter entwickelt werden. Dezentrale urbane Cluster können dabei zwar nicht über die Gesamtvielfalt eines Gesamtzentrums, jedoch über eine ausreichende Teilvielfalt und Mischung verfügen, die sich jeweils um ein spezielles Thema räumlich bündelt.

Wenn dazwischen das System des linienbezogenen öffentlichen Nahverkehrs ausgebaut und verstärkt mit dem flächenorientierten und hoch individualisierten Fahrrad  kombiniert wird, könnte sich das ganze dann doch noch zu einer „Metropole neuen Typs“  auswachsen.

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Fred F. , Professor Christ, die Aliens und die Landmarkenkunst in Ruhr

Ruhr führt zur Zeit auf Der Westen eine Kunstdiskussion die spannender nicht sein könnte, und das von unten, ohne die üblichen Meinungspäpste und Berufsbetroffenen, ohne das übliche hochtrabende Kunstgesäusel.

Da hat nämlich ein gewisser Nobody namens Fred F., wohnhaft in Bottrop, aus und in dem Schotterfeld zu Füßen des Tetraeders  von Kunst-Professor Christ  die mittlerweile überregional bekannten Alien-Figuren geformt,  und vor ein paar Tagen wurden diese auf Befehl der RVR-Führung zunichte gemacht, sprich das Gestein in die alte Form zurück gebracht. Der Grund: Das Schotterfeld ist in Material, Form und Gestaltung Teil des Kunstwerks Tetraeder und der Künstler hat ein Recht darauf, das alles so bleibt, wie er es sich gedacht hat. So weit, so verständlich.

Das was Fred F. getan hat, gilt allerdings  in der internationalen Kulturdiskussion sehr wohl auch als Kunst und wird unter dem Oberbegriff „Urbane Intervention“ gehandelt. Direkte, meistens temporäre aber sehr wohl durchdachte künstlerische Eingriffe in den öffentlichen Raum, die diesen verändern, in Frage stellen, unter einem neuen Blick erscheinen lassen u.s.w…  was Kunst halt alles so tut. Fred F.´s Problem ist jedoch, dass es sich bei ihm um keinen durch den offiziellen Kulturkodex anerkannten Künstler handelt. Und das da, wo er wirkte, schon ein Kunstwerk war und ist.

Allerdings eins, dass zu Veränderung geradezu einlud. Zumindest was seinen ebenerdigen Anteil betrifft. Eine  insgesamt, der Macher möge  mir den unkünstlerischen Ausdruck verzeihen, eher öde Schotterfläche. Das sie obendrein schlecht begehbar ist, war dabei offensichtlich Absicht. Dass sie aber gerade deswegen zu einer künstlerischen Intervention geeignet war, liegt auf der Hand. Man braucht obendrein kein neues Material heran zu schaffen, da der Schotter verschiedenfarbig ist. Man muss ihn, übrigens typisch für eine urbane Intervention, nur neu ordnen.

Genau das hat Fred F. gemacht. Und wäre er z.B. ein berühmter Künstler gewesen, hätte man ihm die jetzt überall behauptete Banalität seiner Figuren als Ironie, Zitat, Neuinterpretation oder sogar die Wiedergeburt der PopArt ausgelegt. Es hätte sich nur ein anerkannter Kritiker finden müssen, der das in einem ebenso anerkannten möglichst internationalen Kunstmagazin behauptet. Die Leute wären dann sogar aus fernen Ländern in Scharen angereist und Herr Christ respektive der RVR respektive der Gutachter wären wohlmöglich zu ganz anderen Schlussfolgerungen gekommen.

Aber es kamen „nur“ die Leute aus der Umgebung. Die aber auch in Scharen. Denn der Tetraeder hatte nun eine neue Attraktion. Und das tolle, sie passte rein wahrnehmungstechnisch perfekt zu diesem Kunst-Aussichts-Turm (den ich selbst übrigens sehr schätze). Man konnte jetzt nicht nur in der Ferne Interessantes sehn sondern auch, wenn man einfach nur nach unten schaute. Aus dem schlichten Schotterfeld war nämlich durch die intensive und äußerst präzise Arbeit des Fred F. ein steinernes Bild geworden. Früher hätte man Mosaik dazu gesagt.

Selbst Professor Christ hat mittlerweile begriffen, dass da eine neue künstlerische Option entstanden ist. Das Fred F. sein Kunstwerk zwar verändert, aber nicht zerstört hat. Fred F. ist nämlich kein Vandale, er ist Gestalter. Gestalter seiner eigenen Umwelt zu der das Schotterfeld ohne Zweifel gehört, denn es befindet sich nicht in einem Museum und ist auch nicht Teil eines nicht überdachten Kunstparks.

Es wird höchste Zeit, dass solche urbanen Interventionen von unten in Ruhr nicht nur Anerkennung sondern auch Orte finden, an denen sie unbeeinträchtigt und zugleich öffentlich wirken können.

Ohrenparks aus den Spielbaukästen der Planer

Foto: Ruhr1010

Die Verbindung von Park als Ort und Autobahn als Weg ist eine amerikanische Erfindung. Für Europäer, die sich wahrnehmungsmäßig  eher am städtischen Flaneur oder am durch die Landschaft streifenden Wanderer orientieren, war das von Anfang an ein Graus. Erst recht seit dem sie sich am Ende des letzten Jahrhunderts  vor allem in der deutschen Ausprägung auch als weltweiter Vorreiter in Sachen Ökologie verstanden. 

Jetzt ist der „Parkway“, der eben nicht 1:1 mit Parkweg übersetzt werden kann, sondern die grüne Abwandlung des Highways ist, auch in Deutschland angekommen. Und zwar da, wo er zumindest vom Denkansatz auch hingehört: nach Ruhr. Er heißt hier auch korrekt Parkautobahn, ist ein Projekt der Kulturhauptstadt und ich halte es – zumindest  in der bislang vorgelegten Fassung   (siehe Klick  und  Klick ) – für mehr als fragwürdig. Aber der Reihe nach.

Die Anrainerstädte des Emscherschnellwegs, kürzer A 42, haben  sich zusammengetan um aus diesem „Highway fourtytwo“ mit ca. 80.000 Fahrzeugen pro Tag eine „Panoramastraße“ zu machen. Kennt  man eher aus dem Teutoburger Wald, aber wie gesagt, der Reihe nach.  Die Begründung, ich zitiere: „Die A42 bietet die einzigartige Möglichkeit die Industrielandschaft des Ruhrgebietes in ihrer Gesamtheit und Vielfalt wahrzunehmen.“  Aha, wer hätte das gedacht.

Aber muss man nicht, zumindest als Fahrer, auf einer so stark befahrenen Straße  zur eigenen Sicherheit die Augen strikt nach vorn und nicht dauernd zur Seite richten? Irgendwie ja, aber so ein bisschen nach rechts und links spinksen? Mach man doch, oder? Und da sieht man jetzt nicht sonderlich viel von der Vielfalt. Obwohl das Ding zu einem Drittel der Strecke sogar in Dammlage (schönes planerdeutsch)  verläuft, kein ernst zu nehmendes Panorama weit und breit.

 Aber wo eine Wille zum Blick da  auch ein Weg zum Wahrnehmungsobjekt: Alles was dazwischen liegt muss verschwinden. Da aber keiner bereit ist ganze Häuserblocks  abzureißen bezieht sich das natürlich nur auf das Grün. Vor allem natürlich auf Bäume. Die, vor allem wenn sie schön groß sind, versperren – wenn auch nur im Sommer – erheblich die Sicht. Vor allem an den Stellen wo es ohne sie was zu sehen gäbe. Der  „grüne Korridor“ entlang der A 42 kriegt deswegen an genau diesen Stellen eine als Landschaftsgestaltung verkaufte Kahlscherung, was dem Bund für Naturschutz natürlich nicht gefällt. Aber die wurden vorsichtshalber erst gar nicht am Projekt beteiligt.

 Dafür aber Landschaftsarchitekten und Künstler, was ja grundsätzlich nicht falsch ist. Das Problem ist nur, wenn die Jungs und Mädels mal ihre Spielbaukästen auspacken, gibt’s kein Halten mehr. Nicht zuletzt auch wegen der lockenden Umsetzungsaufträge. Als denen auffiel, dass die vielen Lärmschutzwände nicht so einfach entfernt werden können, hatten sie eine auch für Laien im ersten Moment nachvollziehbare Idee:  Gucklöcher rein.

 Schon mal mit 100 Stundekilometer an einem solchen „Landschaftsfenster“  vorbeigefahren? Ich garantiere ihnen, selbst wenn sie versuchen durchzuschauen, sie können sich schon nach 5 Sekunden an nichts mehr erinnern.  Also lieber gleich ganz transparent, oder? Und natürlich dahinter auch alles Grün weg, sonst ist es wirklich Quatsch. Aber das wird teuer.

Und dann fliegen die Vögel gegen das Glas und dann muss man da was draufkleben.  Und sauber machen muss man durchsichtige Stoffe  ja auch regelmäßig. Für den Durchblick. Das kostet jetzt erst recht und immer wieder.  O.k. dann davon nicht ganz so viel. Dafür dann Graffiti  auf (undurchsichtigen) Mauern. Wahnsinns Idee! Und brandneu!  

Aber was macht man, wenn man das alles gemacht hat und trotzdem nichts Bedeutendes zu sehen ist bzw. was sich zu sehen lohnt zu weit weg ist? Ganz einfach: Parkplatz mit Aussichtsturm. Klingt natürlich zu simpel. Also: Parktankstelle. Weil, da gibt es auch Infomaterial zur Umgebung und ein Fahrrad zum ausleihen, um näher an das ranzukommen, was man jetzt immer noch nicht genau genug sieht.

 Als Verkehrskonzept nennt man das Mixed Use. Keine schlechte Idee als solche. Aber warum dann nicht gleich mit dem Auto näher an den Emscher-Landschaftspark und an den dort schon vorhandenen Ausleihstellen ein Fahrrad mieten? Aber wahrscheinlich glauben die Planer wirklich, das jemand, der auf der Durchreise ist, einfach mal ganz spontan an der Autobahn ein Bike nimmt, um durch eine Gegend zu radeln, bei der er ohne Navigator nicht wieder zu seinem Auto zurückfindet.

Oder sie glauben es  doch nicht so ganz und haben deswegen die „Ohrenparks“ erfunden. Die heißen so, weil die Betonschlingen eines Autobahnkreuzes bei der Sicht aus – sagen wir 1000 Meter Höhe –  wirklich wie Ohren ausschauen. Ansonsten sind Autobahnkreuze natürlich Orte an denen man außer Autogeräusche rein gar nichts hören kann. Was sich natürlich  ändert, wenn alle Autos mit Elektroantrieb ausgestattet sind. Bis da ist es allerdings noch weit hin. Und da sie ab 100 Km pro Stunde aufwärts aus gutem Grunde ihre Fahrzeugfenster geschlossen halten, wird das für sie als Fahrenden auch nicht viel ändern.

 Deswegen sind die Ohrenparks auch nur zum Sehen erfunden worden. Allerdings  nur für die motorisierten Vorbeifahrer, denn zu Fuß oder mit dem Rad kommt da kein normaler Mensch hin respektive so nahe dran. Es sei denn er ist lebensmüde. Was übrigens für die Natur, weil pure Wildnis, zu einem Schutz- und Rückzugsraum geführt hat. Klar, dass auch diese Gestaltungsmaßnahme dem BUND nicht gefällt.

Aber auch der motorisiert fahrende Erdenbewohner, der in den Industrieländern mittlerweile die Mehrheit dieser Spezies ausmacht, hat ein Recht auf Abwechslung. Also nicht verwunderlich, das die Amerikaner die Erfinder der Parkautobahn sind. Und, kein Scherz: Mobilität und Wahrnehmung könne sehr wohl einander wohlgesonnene Verwandte sein. Aber nicht so! Ein paar zusätzliche und genügend große Sichtschneisen an den richtigen Stellen würden genügen! Und ein bisschen Kunst zur größeren Lesbarkeit der Ausfahrten ist nicht grundsätzlich abzulehnen. Alles andere ist äußerst fragwürdig.
Aber bilden sie sich doch selbst ein Urteil  und vor allem: stimmen sie ab. Können sie bei  Klick

Auch Zollverein-Blase geplatzt

Offen gesagt, ich bin froh, dass  die Luftnummer „Zollverein als Design und Kreativstandort“  endlich beendet ist.  Eine  der  teuersten   Wir sind eine Metropole – Komme was da wolle – Fehlinvestitionen  der  letzten Jahrzehnte ist endgültig in den Sand gesetzt. Vom Kreativquartier Zollverein ist im Programm der Kulturhauptstadt nicht mehr die Rede.

Foto: RTG

Und natürlich sind wieder alle, die damit zu tun hatten,  unschuldig.  So wie die Bankmanager, die jetzt alle betreten schweigen anstatt sich für den Mist, den sie gebaut haben, wenigsten in aller Form zu entschuldigen. Und zwar bei denen, die das alles mit ihren Steuergeldern ausbaden müssen.  

Stattdessen bis zur letzen Minute,  auch auf Zollverein,  „große Fresse“, wie wir das hier klar und deutlich zu nennen lieben.  Kritiker sind schon mal per se inkompetent,  zumindest aber  Miesmacher.  Probleme werden durch neue Köpfe und noch mehr Geld ,  aber nicht durch neue Lösungen an gegangen,  d.h. sie bleiben  ungelöst . Denn bei entsprechendem Gehalt  und weiterem Spielgeld  findet sich immer einer,  der Licht am Ende des Tunnels herbeiredet und dafür natürlich (von immer denselben Leuten)  beklatscht wird. Vor allem natürlich von denen, an die die neue „Kohle“  verteilt wird. Mit einem Satz: Das ganze Projekt hat  (im Gegensatz zu vielen anderen in Ruhr)  an zu viel und nicht an zu wenig Geld gekrankt.

 Dabei  hätte ein relativ simpler Standort- und vor allem Standortumfeld vergleich  mit  den etablierten Designzentren  in Europa sehr schnell  klar machen können,  dass  der Essener Norden keine ernst zunehmende Chance hatte.  Weitere Zeichen dafür waren aber schon bei der Suche nach renommierten Professoren zu erkennen,  die man, wenn überhaupt,  nur  mit erheblichen finanziellem Zusatzzucker und  ungestraften  Abwesenheitsoptionen   zu locken in der Lage war.

Dazu gab es als ästhetische Zugabe den „White Cube“ als Lehr- und Lerngebäude,  der zwar wundervoll aussieht, aber in seinem schönsten (Haupt)Raum  eine so grottenschlechte Akustik hat,  dass  ein kommunizierendes  Arbeiten, sprich Lernen,  dort nur sehr bedingt möglich ist.

Die gleiche massive Subventionsmentalität beherrschte die Vermietungspraxis an die praktizierenden Designer  die das kommunikative-kreative Umfeld bilden sollten.  (Dazu wurde  in diesem Blog schon ausführlich berichtet)  Wer wäre denn auch ohne Staatsknete  freiwillig  in diese  antiurbane Wüstenei  gezogen.  So war das ganze Konzept von Anfang an genauso hohl wie der weiße Würfel  der als sein  ästhetisches Symbol  galt.  Form follows function sozusagen als gebaute Ironie.

Und natürlich prallte, wie bei unseren Elite-Bankern,  die systematische, von wunderschön gedruckten Broschüren  dekorierte Auto- und Fremdsuggestion irgendwann gegen die Wand der ökonomischen Realität.  Genauso wie  Kredite  möglichst  ganz zurückgezahlt  werden müssen , wenn Banken Gewinne machen wollen,  mussten  ja am Ende auch auf Zollverein irgendwann die  Realmieten und reale  Studiengebühren bezahlt werden.  Und spätestens dann fangen die, die „löhnen“ müssen an,  das Preis-Leistungs-Verhältnis   (und zwar durch Standortvergleich) zu überprüfen.  Und gehen dahin,  wo sie mehr von dem bekommen, was sie sich als kreatives Umfeld  für ihr Geld  wünschen.

 

Limbecker Platz: „Andere Zentren werden den Preis zahlen!“

Shopping Malls sind mittlerweile ein weltweites Phänomen. In den USA, in denen sie „erfunden“ wurden, gelten sie seit vielen Jahren als eine der sichersten und profitabelsten Investitionen und damit auch als beliebte Geldanlagen.

Limbecker Platz. Foto: Görges

Es gibt weit mehr als 30.000 davon und beim Größenvergleich läge das CentrO selbst in der erweiterten Fassung in Nordamerika gerade mal in der „unteren Mittelklasse“. Das ist im Land des Automobils, in dem es so etwas wie  eine „Innenstadt“, die eben nicht mit einer „Downtown“ zu vergleichen ist, nur in wenigen Ausnahmefällen gibt, nicht verwunderlich.

Das solche Anlagen jedoch in Europa einen solchen Siegeszug antreten konnten, ist im ersten Moment erstaunlich. Bei näherer Betrachtung hat sich dieses Konzept aber erst nach einer Anpassung an die „europäischen Bedürfnisse“ flächendeckend durchsetzen können. Am CentrO, einem der ersten größeren Projekte dieser Art in Europa, kann man dass schon studieren. Die „ Außenpromenade“ wurde von dem hinzugezogen  deutschen Architektenteam den angelsächsischen Promotoren förmlich aufgedrängt und erst in der Kombination mit dem Druck der Stadt Oberhausen möglich.

Aus dieser „Zuwendung“ zur städtischen Umgebung wurde bei zunehmendem generellen Protest gegen die Einkaufszentren auf der „grünen Wiese“ stufenweise das „integrierte Citymall“, wie es vor allem der Großentwickler ECE seit Jahren propagiert und realisiert. „Integration“ bezieht sich dabei aber nicht nur auf den Standort der Mall sondern auch auf seine äußere Erscheinung. „Fassade“, ein Fremdwort für die meisten amerikanische Malls, bei denen es vor allem auf das Innenleben ankommt, ist in Europa und vor allem in Deutschland zunehmend ein Schlüsselbegriff. Genauer gesagt müsst man von einer attraktiven Hülle sprechen, denn das Innenleben einer Mall richtet sich jenseits des jeweiligen Designs ausschließlich nach dem ausgesprochen erfolgreichen Geschäftsprinzip.

Da dies im wesentlichen gleich geblieben ist, haben alle Malls aber einer bestimmten Größenordnung  im Inneren eine erstaunliche räumliche Ähnlichkeit genauer gesagt fast immer die gleiche Raumstruktur. Diese „strukturelle Langeweile“, die sich nach dem Besuch mehrer dieser Konsumtempel automatisch einstellt, wird mit immer aufwendigerem Interieur, erweiterter Möblierung, Naturversatzstücken, „Platzgestaltung“ und „Themendesign“ quasi zu vertuschen versucht. Das Ergebnis ist, im Verhältnis zur ersten Generation, zumindest wenn man im System denkt, eine ausgesprochen anspruchsvolle Architektur im Innen- und Außenbereich, erstaunlichen Aufenthaltsqualitäten und die zunehmende Verwendung anspruchsvoller Materialien. Alles zusammen erst macht den Januskopf dieser neuen „Innenstadtkathedralen“ aus. Sie haben einerseits das Potential zur überstädtischen Attraktion und andererseits ziehen sie alleine so viele „Konsumgläubige“ an, dass für die anderen Anbieter häufig weniger überbleiben.

Malls haben deswegen eine ganze andere Wirkung als die früheren „Kaufhäuser“.  Sie sind nicht mehr nur die unverzichtbare „neuen“ Attraktoren  bzw. Ankerpunkt der „neuen“ Innenstadt sondern sie haben zugleich einen enormen und beabsichtigten „Staubsaugereffekt“. In Oberhausen hat dieser der ehemalige Innenstadt zumindest als Einkaufsort jede Luft zum atmen genommen. Auch die Untersuchungen für andere Städte zeigen nur in weniger als der Hälfte der Fälle einen Kaufkraftgesamtzuwachs für die betroffenen Zentren. Mal sehen was in Essen passiert.

Meine Hypothese: Das neue „State of the Art“ Mall wird nicht so erfolgreich sein wie es sich die Investoren vorgestellt haben und die Stadt Essen es sich wünscht. Es steht  nämlich, eben weil es eine Mall ist, auch in direkter baulich-räumlicher 1:1 Konkurrenz mit dem CentrO. Während dieses vor allem davon profitierte, dass es  das erste in der gesamten Region war, ist das bei der Karstadtmall eben nicht der Fall. Gleichzeitig und aus gutem Grund rüstet das CentrO weiter auf während die Stadt Oberhausen sein Umfeld um weitere Attraktion bereichert.

Es kann aber auch sein, dass die enge räumliche Kombination der Karstadtmall mit der Essener Innenstadt einen Effekt erzeugt, den ich  als die Kombination von räumlich geschlossener und räumlich offener Zentralität  bezeichnen würde. Allgemeiner verständlich: Das Mall wird deswegen so interessant, weil es in direkter Kombination mit „echter“ Stadt „benutzt“ werden kann, was in Oberhausen nach wie vor nicht der Fall ist. Dort hat die Stadt es bis heute nicht geschafft, den Eindruck eines „Flughafenumfeldes“, wenn auch auf gestalterisch höherem Niveau zu vermeiden bzw. es entsprechend zu verändern.

Wenn man allerdings die bislang  ungebrochen Autoorientierung der Deutschen insbesondere beim Einkaufen mit in Betracht zieht, halte ich das eintreten der zweiten Möglichkeit für eher unwahrscheinlich. Obwohl es der Stadt Essen ausdrücklich zu wünschen wäre. Aber selbst bei einem solchen eher unwahrscheinlichen „Erfolg“ würde auf Grund der nach wie vor sinkenden Gesamtkaufkraft in der Region dann eben andere Zentren den Preis dafür bezahlen.

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Teure Erblast Industriekultur

Zollverein. Foto: Ruhrbarone

Die Industriekultur des Ruhrgebietes ist zu einer Art regionalem Heiligtum geworden. Keine Frage, wo gibt es auf der ganzen Welt davon soviel und so vielfältiges zu besichtigen wie hier. Die Bewahrung der letzte großen und zugleich großartigen Funktionsästhetik der nun schon Jahrtausende alten Technikgeschichte ist ein internationales Markenzeichen der Ruhrstadt geworden. Da grenzt die Frage nach den Kosten im Verhältnis zum Nutzen schon an Ketzerei. Erst recht, wenn es sich um „Kathedralen“ (der Industriekultur) handelt.

Dass die so benannten baulichen Zeitzeugen als sie noch ihren praktischen Dienst erwiesen im Volksmund aus gutem Grund „Knochenmühlen“ hießen, kommt da leicht in Vergessenheit. Dass sie von ihren Erbauern, ganz im Gegensatz zu den richtigen Kathedralen, keineswegs für die „Ewigkeit“ gedacht wurden, erst recht. Das Weltkulturerbe Zeche Zollverein z.B. war gerade mal für ein halbes Jahrhundert Haltbarkeit konstruiert und musste deswegen für gut 100 Millionen Euro überhaupt erst einmal denkmalfähig gemacht werden. Wenn der Kölner Dom lachen könnte, man hätte es bis Essen hören kennen.

Die Jahrhunderthalle in Bochum hätte von sich aus länger gehalten, was allerdings schon bei reinem Leerstand ca. 5-10 Millionen Euro pro Jahr gekostet hätte. So hat man sie zu etwas umgebaut, zu dem sie genauso wenig geeignet war wie die Zeche Zollverein zum Jahrtausenddenkmal: zu einem Konzerthaus. Entsprechend hat die Sache natürlich auch aufs Konto geschlagen. Bedenkt man, dass die dortigen künstlerischen und sonstigen Veranstaltungen, unverdächtig harmlos im Fachdeutsch als „Bespielung“ bezeichnet, in der Mehrzahl ebenfalls staatlich subventioniert werden, dann verwandeln sich diese architektonisch sehr wohl gelungenen Projekte rein finanziell über kurz oder lang in ein Fass ohne Boden.

Machen wir uns nichts vor, würden an allen Gebäuden des Ruhrgebietes, mit denen in den letzten Jahrzehnten ähnliches geschehen ist, gut sichtbar die Summen angeschlagen die sie alles in allem die Allgemeinheit gekostet haben und – sagen wir mal die nächsten 20 Jahren – noch kosten werden, würde die Begeisterung für die Industriekultur selbst bei denen einen herben Dämpfer erleiden, die zu ihren regelmäßigen Nutzern gehören.

Das alles spricht nicht grundsätzlich gegen die Bewahrung der eigenen Technikgeschichte und soll es auch nicht. In Anbetracht leerer öffentlicher Kassen, der überdurchschnittliche hohen Arbeitslosigkeit und der zunehmend prekären sozialen Lage eines immer größer werdenden Teils derer, die um diese baukulturellen Highlights herum ihr Leben fristen, muss jedoch die Frage erlaubt sein, ob das ganze nicht etwas kostengünstiger und zahlenmäßig kleiner zu haben gewesen wäre. Ob es nicht zumindest für die Zukunft dringend notwendig ist, standort- und effektbezogen Prioritäten zu setzen und nach Umnutzungen zu suchen, die Geld einspielen statt weitere Subventionen zu erfordern. Ob die bestehenden Objekte nicht erst einmal baulich und sozial besser in ihr Umfeld eingebunden werden müssen, bevor man neue angeht. Ob nicht auch über Abriss nachgedacht werden muss, wenn trotz redlichen Bemühens keine ökonomisch tragfähige Nutzung gefunden werden kann.

Warum ist das Loftwohnen in Städten und Regionen mit weit weniger baulichem Potential zum Renner geworden und nicht im Ruhrgebiet? Warum haben wir flächendeckend mit öffentlichen Geldern nagelneue Technologieparks gebaut, deren Mieten subventioniert werden müssen, um sie nur annähernd mit Nutzern zu füllen, statt dafür geeignete Gebäude ausschließlich aus unseren industriell nicht mehr gebrauchten Bestand zu nutzen. Warum muss  j e d e  Stadt im Ruhrgebiet auch noch  „Kultur in alten Mauern“ haben, wenn  schon die in den modernen zu wenige Besucher hat?

Am meisten Geld pro eingesetztem Investment wird im Ruhrgebiet zur Zeit weder mit dem vielgepriesenen kreativkulturellen Sektor noch mit dem ewigen Allheilmittel Dienstleistung  noch mit Tourismus sondern mit den Klassikern Stahl, Chemie und Maschinenbau sowie den darauf  bezogenen ingeniösen  und ökologischen Innovationsleistungen verdient. Der Bergbau ist zwar für das Ruhrgebiet passe – und das ist gut so – aber in anderen Teilen der Welt firmiert er nicht unter Industriekultur, sondern unter technologischer Zukunft. Es wird höchste Zeit im Ruhrgebiet mehr als bisher über letztere zu Reden. Technologische Zukunft braucht nämlich auch angemessene, ja spektakuläre bauliche Zeichen. Wichtiger aber noch ist: Ohne technologische Zukunft  lässt sich das durchaus sinnvolle Bewahren der technologischen Vergangenheit auf Dauer nicht finanzieren.

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