Hört bitte auf, über das biologische Geschlecht zu streiten!

Ein männlicher und ein weiblicher Flamingo. Oder umgekehrt? Foto: R. v. Cube

Mit der Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz ist auch der Streit um das „biologische Geschlecht“ erneut entbrannt. An ihm kann man schön beobachten, wie Menschen sich anfeinden und bei ihrem Stellungskrieg in feinste Verzweigungen wissenschaftlicher Spezialgebiete vordringen, ohne überhaupt verstanden zu haben, was die jeweils andere Seite eigentlich will. Oder auch die eigene. Denn oft ist ebenso unklar, was die Verteidiger des biologischen Geschlechts eigentlich verteidigen, wie was die Skeptiker eigentlich bezweifeln.

Der typische Verlauf eines solchen Streitgesprächs geht, verkürzt und paraphrasiert, so:

  • Transfrauen sind Frauen! Transmänner sind Männer!
  • Nein, ob jemand eine Frau ist, ist biologisch festgelegt.
  • Quatsch, frag mal einen Wissenschaftler, es gibt überhaupt keine biologischen Geschlechter!
  • Natürlich, jedes Lebewesen hat ein Geschlecht!
  • Quatsch, Anemonenfische können ihr Geschlecht verändern!!!
  • Sogar Apfelbäume haben zwei Geschlechter!! Gameten!!!
  • Swyer-Syndrom!!
  • Postmoderne Realitätsleugnung!
  • Nazi!
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„ Poor Things“ ist der langweiligste Film, den ich je gesehen habe

Leeres Kino Foto: Greg O’Beirne Lizenz: CC BY 2.5

Da der Film gerade bei den Oscars abgeräumt hat, kann man ihn auch jetzt noch besprechen: Die letzte halbe Stunde ist die beste, weil wie von Zauberhand die Protagonistin ihre Beeinträchtigung überwunden hat, aber bis dahin hat man ja schon vier halbe Stunden des angestrengten Laienspiels ertragen müssen, ständig vor dem geistigen Auge sehend, wie die Schauspielerin Videos von Kindern studiert, mit viel Ernst und Eifer Bewegungen imitiert, sich Notizen macht, für diese Rolle, die so hart „Rolle“ ist, dass der Cringe darüber hundertmal mehr unangenehmes Herumrutschen auf dem Kinosessel verursacht als die permanenten Sexszenen oder aufgesägten Kalotten, die allesamt nur langweilen, weil keine Figur irgendwie sympathisch, glaubwürdig, unvorhersehbar wäre, kein einziger Mensch vorkommt, der ein Interesse an den Ereignissen begründen würde.

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Jim Knopf entzündet eine Depesche mit einem Fidibus

Midjourneys Vorstellung von „Jim Knopf“ hat jedenfalls noch weniger Originalcharme als jede revidierte Fassung. Foto: Sebastian Bartoschek/Midjourney

Wenn Sie sich darüber aufregen, dass in der neuen Jim-Knopf-Ausgabe das Wort “Neger” fehlt, kann das gut daran liegen, dass Sie ein Rassist sind. Wenn man die Kommentare und Einlassungen zu diesem Thema liest, drängt sich jedenfalls der Eindruck auf, dass die Befürworter der alten Fassung sehr viel erregter, emotionaler und einfach dümmer sind. Deren Gegenargument beschränkt sich im Wesentlichen darauf, eine Diktatur einer “woken” Minderheit herbeizufantasieren, die irgendwie die Verlagsführung in Geiselhaft genommen hätte. Bei all dieser Empörung ist klar erkennbar, dass psychologische Mechanismen eine Rolle spielen.

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„Gute Politik” wird nicht gegen die AfD helfen

Duisburg 2024: Demo gegen AFD Foto: Peter Ansmann

Derzeit fragen sich viele, was gegen die AfD zu tun sei. Hunderttausende gehen daher auf die Straße. Politiker betonen, die AfD “politisch stellen” zu wollen. Eine beliebte Zauberformel gegen die in Teilen gesichert Rechtsradikalen lautet: “Wir müssen nur gute Politik machen, dann kommen die Menschen wieder.” Die “guten Lösungen” sind natürlich zufällig genau die, die derjenige für richtig hält, der diese Meinung kundtut. Das klingt zu schön um wahr zu sein. Ist es auch. Im Umkehrschluss wird damit behauptet, die aktuelle Politik (oder wahlweise die der vergangenen Legislatur) wäre so schlimm, dass sie die Wähler in die Arme der Radikalen treibt.

Oft handelt es sich bei diesem Argument um eine Dämonisierung des politischen Gegners, als ob z. B. die Grünen etwas dafür könnten, dass ehemalige CDU-Wähler jetzt AfD wählen (es gibt natürlich auch Wählerwanderungen von anderen Parteien und Nichtwählern, aber das Argument kommt besonders von konservativer Seite). Wie mächtig sollen die Grünen eigentlich sein, dass sie Frau Merkel in einer Koalition mit der SPD zu grüner Politik gezwungen haben?

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Es gibt keine Pflicht zur Unschuldsvermutung

Hubert Aiwanger Foto (Ausschnitt): Superbass Lizenz: CC BY-SA 4.0

Die Unschuldsvermutung ist in jüngerer Zeit in aller Munde, etwa bezüglich Till Lindemann oder jüngst gegenüber Herrn Aiwanger. Allenthalben wird darauf verwiesen, dass man gar nicht urteilen dürfe, bis die Schuld bewiesen ist, „in Deutschland gilt die Unschuldsvermutung“, selbst eine Politikwissenschaftlerin im Deutschlandfunk zögerte, irgendetwas zu Aiwanger zu sagen, da es ja eine Pflicht zur Unschuldsvermutung gäbe.

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Von Rammstein bis Burzum – Zur Trennung von Künstler und Werk

Foto: Kreepin Deth, Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0

Dieser Tage wird wieder viel über die Trennung von Künstler und Werk gesprochen. Kann man, muss man, darf man Künstler und Werk trennen? Ist das „Lyrische Ich“ in den Gedichten von Till Lindemann identisch, ähnlich, komplett verschieden von Lindemanns „wahrem Ich“? Es geht hier nicht um Lindemann im Speziellen, sondern ganz allgemein um die Trennung oder Vermischung von Künstler und Werk bei Personen, die im Verdacht stehen oder überführt wurden, charakterlich mies zu sein, sei es durch Ideologie (z.B. Wagner), sei es durch Verbrechen (z.B. Marilyn Manson).

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Waffenschein & Psyche

H&K P30L Foto: Koalorka (talk) Lizenz: Gemeinfrei

Nach der Amoktat in Hamburg wird diskutiert, das Waffenrecht zu verschärfen und mehr psychiatrische oder psychologische Kontrollen zu installieren. Hierbei wird wie so oft von einer sehr simplen Definition psychischer Störungen und hellseherischen Fähigkeiten auf Seiten der Gutachter ausgegangen.

Über den Täter ist bisher nur bekannt, dass ein anonymer Hinweisgeber ihn für psychisch auffällig hielt und er deswegen einen Besuch der zuständigen Behörde erhielt. Dort konnte man nichts Auffälliges feststellen, hat ihn aber auch nicht psychologisch begutachtet. Worin die gemeldeten Hinweise bestanden, wäre interessant, um besser zu analysieren, ob diese Tat hätte verhindert werden können. Offensichtlich war der Betroffene jedenfalls in der Lage, sich gegenüber den Beamten unauffällig zu geben. Falls er einen krankhaften Hass auf seine ehemalige Gemeinde hatte, so war er geistesgegenwärtig genug, diesen nicht auszusprechen.

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Zwei große Lügen vergiften die Gesellschaft

Quelle: Flickr.com, Foto: Vladislav Litvinov CC0 1.0

Jetzt, wo alles teurer wird, wo ernsthafte Einschnitte in die Energieversorgung drohen, wo die Sorge wächst, der Krieg könne durch die Haustür kommen, hat man fast das Gefühl, die Lage wäre endlich der Stimmung angemessen. Aber die Stimmung ist schon länger katastrophal. Und auf die Lage könnte man auch mit Solidarität reagieren, mit Mut oder Besonnenheit. Man könnte seine Wut auf den Aggressor Putin fokussieren. Eigentlich doch befriedigend, einen konkreten Bösewicht ausmachen zu können. Aber die Wut bleibt diffus verteilt. Sie richtet sich auf Teilaspekte. Sie richtet sich gegen Kompromisse. Sie richtet sich gegen andere Meinungen.

Merz versagt endgültig vor dem woken Zeitgeist, weil die CDU eine Frauenquote beschließt. Die Regierung verkauft das Volk direkt an Putin, weil sie nicht schnell genug Waffen liefert. Oder an die USA, weil sie überhaupt Waffen liefert. Die Grünen haben quasi eigenhändig alle Atomkraftwerke abgeklemmt und einen bundesweiten Blackout verursacht. Die FDP verschenkt in sozialistischer Manie hart erarbeitetes Geld, ausgerechnet die! Die Linken sind Nazis. Wer jetzt noch sein Kind Indianer spielen lässt, befürwortet Völkermord. Wer gendert, will alle Werte der Aufklärung abschaffen. In jedem politischen Spektrum findet sich diese immense Bereitschaft zu Zuspitzung und vorschneller Erregung. Warum?

Es sind zwei falsche Versprechen, zwei Lügen, eine alte und eine neue, aus denen sich diese allgemeine Frustration speist. Das erste falsche Versprechen lautete, jeder könne im Konsum Glück finden. Das zweite, jeder könne im Internet Ruhm oder wenigstens Gehör finden.
Und jetzt fühlen sich die Leute hintergangen und wollen dafür jemanden brennen sehen.

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KIs bedrohen nicht nur Arbeitsplätze

Dies zeichnete die KI Midjourney auf folgende Anweisung hin: „the journalists of ruhrbarone.de after being replaced by artificial intelligence“ Copyright Robert Herr/Midjourney

Die Fortschritte, die Künstliche Intelligenzen (KIs) in den letzten Monaten bei der Erstellung von Bildern und seit Neuestem auch bei der Schaffung von sinnvollen Texten gemacht haben, sind erstaunlich. Die kleinen Fehler, die vor Kurzem noch unser Schmunzeln hervorgerufen haben, die uns als tröstlicher Beweis dienten, dass die ja niemals einen Menschen ersetzen könnten, die werden immer seltener. Eine KI, die einer sonst fotorealistischen Figur sechs Finger malt, ist nicht dumm, sondern hat einfach nur einen bestimmten Aspekt noch nicht gelernt. Jede Woche lernt sie dazu.

Bilder zu generieren ist beeindruckend, erscheint aber noch einigermaßen nachvollziehbar: Es ist eben wie ein Puzzle aus unzähligen Bausteinen und Regeln, die man aus einer Vielzahl von eingespeisten Beispielen extrahieren und neu zusammenfügen kann. Tatsächlich ist es mit Sprache nicht anders. Diese logische Erkenntnis kann aber die Sprachlosigkeit nicht abmildern, die die jüngsten Entwicklungen auslösen. Zumindest bei uns Laien.

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Die neuen Coronaregeln sind gar nicht so unlogisch

Teddybär mit Maske Foto: Nenad Stojkovic Lizenz: CC BY 2.0

Die ganze Pandemie über war die Coronapolitik davon geprägt, dass Maßnahmen zu spät beschlossen wurden. Man gewann den Eindruck, die Politik werde in erster Linie von der Sorge bestimmt, die Bevölkerung könne die Notwendigkeit der Maßnahmen noch nicht einsehen. Regeln, von denen jeder wusste, dass sie bald kommen würden, wurden immer erst dann beschlossen, wenn die Zahlen dramatisch waren. Jetzt musste jeder einsehen, dass es nicht anders ging. Eine Welle abzufangen war damit freilich unmöglich. Einmal gab es in der Vergangenheit den Versuch eine Art Ampelsystem einzuführen. Da kam allerdings die nächste Welle so schlagartig, dass die einzelnen Stufen dieser Regelung quasi übersprungen wurden und direkt wieder neue Maßnahmen notwendig wurden.

Nun wird erstmals frühzeitig reagiert. Die neuen Regeln tragen der Tatsache Rechnung, dass die Gefährlichkeit der Erkrankung für die allgemeine Bevölkerung abgenommen hat.

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