Israelhass und BDS: Die Ruhrtriennale hat ein Problem. Vielleicht eine Chance

Ivo Van Hove, Intendant der Ruhrtriennale 2024-2026 (c) Thomas Berns, Ruhrtriennale

„Die Ruhrtriennale hat ein Problem, wir haben es auch.“ Der Satz ist sechs Jahre alt und tagesaktuell: Was tun, wenn einem BDS ins Programm rutscht wie der Ruhrtriennale jetzt ein weiteres Mal? Wie die Freiheit der Kunst verteidigen? BDS ist ein Angriff auf ihre Idee, warum halten Künstler, die sich nicht zu BDS halten, so beharrlich den Mund?

Vor drei Jahren hat Jan Martens, belgischer Choreograph, den „Letter Against Apartheid“ unterschrieben, der auch Laurie Andersons Namen trägt, darin wird die Gründung des Staates Israel als „Siedlerkolonialherrschaft“ denunziert, Israel als „Apartheidsregime“ bezeichnet und gefordert, „Sanktionen zu verhängen“, um die „Handels-, Wirtschafts- und Kulturbeziehungen (mit Israel) zu kappen“. Der offene Brief spult das BDS-Programm ab, auf Einladung der Ruhrtriennale wird Martens im September das Tanzstück „Futur Proche“ („Nahe Zukunft“) in der Jahrhunderthalle Bochum inszenieren. „Große Herausforderungen wie der Klimawandel, Epidemien und Kriege erfordern unser Handeln“, heißt es in der Ankündigung, Martens lasse über „mögliche Alternativen für unsere zukünftige Welt nachdenken.“ Ein durchaus politisches Stück also, aus sich heraus stellt es die Frage, was „unsere Zukunft“ mit BDS zu tun hat und „unser Handeln“ damit, Texte zu signieren, die tief in Antisemitismen tauchen. Hier die Antwort des Intendanten der Ruhrtriennale, Ivo van Hove:

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Pop als Oper in Jazz verfasst

Am 27. April in der Christuskirche Bochum: Michael Wollny Trio | Foto Gregor Hohenberg

“The most exciting piano trio in Europe ”, so hört die britische The Times das Michael Wollny Trio, die Hamburger Die Zeit erklärt es zum „aufregendsten Piano-Trio der Welt“. Beides keine Blätter, die mit Superlativen um sich werfen, nehmen wir Tim Lefebvre am Bass: Ihn hat auch Sting schon in seine Band geholt, ebenso Elvis Costello, Jamie Cullum, Till Brönner … Und: Der Wollny-Gitarrist hat den Bass auf dem letzten Album von David Bowie gespielt, auf “Black Star”, es ist Bowies Vermächtnis. Most exciting, dieses Trio, in der Tat  –  hat das noch was mit Jazz zu tun?

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Chorwerk Ruhr und die Mysterien

Suzanne Valadon, Der Geigenkasten, Paris 1923. Sammlung Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris | Public Domain

Ukrainer, die ihr Leben geben, um Putins Terror zu stoppen, Israelis, die ihr Leben geben, um Hamas-Terror zu stoppen, Chorwerk Ruhr besingt Mysterien.

André Caplet war gerade zum Leiter der Pariser Oper berufen worden, als der Erste Weltkrieg ausbrach, der 38jährige meldete sich zum Militär, wurde bei einem Gasangriff schwer verletzt, hat das Gemetzel durchlebt. Seinen Beruf, das Dirigieren, musste er aufgeben, im Ersten Weltkrieg sind mehr als 1,3 Millionen französischer Soldaten gefallen. In dem Jahr, in dem Frankreich das Ruhrgebiet besetzt  –  in Deutschland beginnt ein Krisenjahr wie keines zuvor, gleichzeitig beginnen die Roaring Twenties  – , 1923 also schreibt Caplet ein Werk, mit dem er versucht, den immensen Schrecken etwas entgegen zu setzen, die grauenhaften Bilder im Kopf zu übermalen. Eine Gegenwelt, die er erschließt, indem er das Leben eines Juden erzählt, wie es sich in den Augen seiner Mutter gespiegelt haben mag.

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Biedermann und BDS, die New York Times und wir

Kreuzberg mit Mauer 1986 by thw

Sowas passiert, wenn man sich BDS ins Haus holt: ein „Klima der Angst“ quartiert sich ein, als „Kunsthauptstadt“ ist Berlin gefährdet „wie seit 1989 nicht mehr“. Schreibt wer? Die New York Times, sie hat entdeckt: Nicht der Boykott von Kultur ist verantwortlich für den Niedergang der „internationalen Kulturhauptstadt“ Berlin, sondern „a small website from the provincial city of Bochum“.

Selten gehe es gut aus, „wenn Kultur für politische Zwecke eingesetzt wird“, erklärt die New York Times in ihrer jüngsten Wochenend-Ausgabe, sie wird in einer Auflage von mehr 1 Mio verteilt. Einst sei Berlin ein „Leuchtturm der künstlerischen Freiheit“ gewesen, inzwischen sei „das Überleben der Stadt als Kunsthauptstadt in Frage gestellt oder vielleicht schon verloren“. Preise annulliert, Konferenzen abgesagt, Theaterstücke abgesetzt. Von Künstlern, die staatliche Zuschüsse empfingen, werde verlangt, „‚jede Form von Antisemitismus‘“ zu vermeiden („der Vorschlag wurde zurückgezogen“). Selbst Greta Thunberg, „the climate Cassandra“, sei in Deutschland „gecancelt“ worden, den chinesischen Dissidenten Ai Weiwei, einen weltweit hofierten Künstler, erfülle dies alles „mit Verzweiflung“, zitiert ihn die NYT.

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Geheimnis und Terror

Screenshot eines IS-Video auf YouTube

Terror wird gern als tiefgründig verstanden, ein irgendwie existenzielles Tun. Tatsächlich unergründlich und ein Mysterium sind, die Terror widerlegen. Weil sie ihn selbst dann, wenn das Messer die Kehle durchschneidet, nicht heranlassen an ihr Selbst. Mitte April besingt Chorwerk Ruhr die „Mystères du Rosaire“, ein furchtbar aktuelles Thema. 

„Man spricht zu oft und zu bereitwillig vom Mysterium des Bösen“, schreibt Emmanuel Carrère, Tag für Tag hat der französische Schriftsteller den knapp einjährigen Prozess gegen die Killer verfolgt, die November 2015 in Paris 130 Zivilisten ermordet und beinahe 700 Menschen verstümmelt haben, sie saßen in Straßen-Cafés und Restaurants, hörten ein Konzert im Bataclan, verfolgten

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„Die Juden aber schrien: Weg, weg mit dem, kreuzige ihn!“ Die Passionen von J. S. Bach und der 7. Oktober

Ungläubiges Entsetzen: Journalisten sehen Hamas-Barbarei | ZAKA by Matan Tzinamon, Public Domain

Bildhafte Musik, affektive Charaktere, eine dramatische Handlung: Die oratorischen Passionen von Johann Sebastian Bach sind meisterhaft, theatralisch, bezwingend, die Geschichte ihrer Aufführung fällt mit der Aufklärung zusammen, sind Bachs Passionen antisemitisch? Keinesfalls, letztlich doch: Wer seine Aversionen aufhübschen will, findet sich in ihnen zurecht. Nach dem 7. Oktober, dem Hochfest des Hasses, müsste der Klassik-Betrieb dringend reagieren, er tut es oder tut es nicht.

„Kunst darf nicht nur, sie MUSS FREI sein!“ N.N. ist ein Kulturbürger, der sich selber künstlerisch betätigt, seine Briefe unterzeichnet er mit vollem Künstlernamen, sein Nomen Nominandum ist diesem Blog bekannt, für N.N. bedeutet „MUSS“, dem eigenen Hass die Zügel frei zu geben: „Die Netanjahu-Regierung hat die Juden einmal mehr zu Tätern werden lassen, da sollten wir uns nicht dafür entschuldigen müssen, dass auch der Evangelist Johannes sie in seinem Passionsbericht als Täter darstellt (und uns nicht davon blenden lassen, dass sie sich immer wieder erfolgreich als Opfer inszenieren – LÄCHERLICH!!!).“

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„Schrecklicher Verdacht: Ist Hamas antisemitisch?“ Der Weltgebetstag nochmal

Hamas 2012 in Gaza by Hadi Mohammad cc 4.0

„Mit welcher Sicherheit lässt sich sagen, dass Judenhass die maßgebliche Triebfeder für das Massaker am 7. Oktober war?“ Fragt Titanic, das Satire-Magazin? Judith Butler, die Gender-Ikone? Fragt die Chef-Deuterin des deutschen Weltgebetstags gemeinsam mit einem Gemeindepfarrer aus Lütgendortmund. Nicht allzu relevant, zeigt aber an, wieviel spirituelles Aroma für die Butler-Denke  –  “It is not a terrorist attack, it is not an antiSemitic attack”  –  auf Abruf steht. Allem gemeinsam: die Infamie, sie hat Niveau.

„Quälend“ sei es für sie, hatte Judith Butler, Berkeley-Professorin, Anfang März in Paris vor laufender Kamera erklärt, „quälend und schrecklich“ sich zuzugeben, dass die Hamas-Horden Widerstand leisteten, wenn sie Juden massakrierten: “It is not a terrorist attack“, sei also legitim, sagte Butler, „it is not an antiSemitic attack“, gebe also keinen niederen Beweggrund, „it is an attack against Israel“. Soll heißen: selber schuld, warum gibt es Israelis auch. Butler hat scharfen Widerspruch gefunden in deutschsprachigen Medien, ihren Versuch, blutrünstigen Judenhass als politische Option zu verhandeln, kann sich Jan Feddersen in der TAZ nur mit der entwirklichten Denke der Linguistin erklären, ihrem „Kampf um Symboliken“, in dem sie alles versuppt, was im tatsächlich „bewaffneten Kampf“ anfällt, die abgeschlachteten Omis, die entführten Babys, bestialisch verstümmelte Frauen. Das seien nur „Behauptungen“, erklärte Butler stirnzerfurcht, „wenn es Belege gibt, bedauern wir das, aber wir wollen diese Belege sehen.“ 

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Die Kunst des Lügens: Ade Darmawan, BDS und Claudia Roth

Documenta 15 Friedrichsplatz 2022-06-21 by C.Suthorn cc-by-sa-4.0

Israel? Boykottieren? Aber nicht doch, erklärte Ade Darmawan dem Deutschen Bundestag, „wir ziehen es vor zusammenzuarbeiten“. Darmawan ist Kopf und Direktor von Ruangrupa, dem derzeit wohl bekanntesten Künstlerkollektiv der Welt, er ist es dank jener Documenta, die er dabei war zu zerschießen, als er neben Claudia Roth im Kulturausschuss saß. Derzeit zielt Darmawan auf die Biennale in Venedig, er fordert, na klar, den Boykott von Israel: Der Hass auf den jüdischen Staat ist der archimedische Punkt in der KI dieser Welt, ihrer Kunst-Intelligenz.

Berlinale oder Biennale, Triennale oder Documenta, man kommt durcheinander, wer gerade wo in Kunst macht gegen Israel. Derzeit geht es um die Kunst-Biennale in Venedig, 22 000 Leute, die sich im Kunstbetrieb verorten, verlangen den Ausschluss aller Israelis, die US-israelische Künstlerin Ruth Patir und deren beiden Kuratoren, Mira Lapidot und Tamar Margalit, gehen sie direkt an. Einer der 22 000: Ade Darmawan, vor fünf Jahren war er in Kassel als Sprecher und „Direktor“ von Ruangrupa vorgestellt worden, dem Kuratoren-Kollektiv der Documenta 15, die mit antisemitischen Ausfällen in die Kunstgeschichte eingegangen ist.

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BDS, die Berlinale und Claudia Roth. Und das Schweigen

Claudia Roth in München 2016 by Harald Bischoff cc 3.0

Am Mittwoch noch hat Claudia Roth ihren „dialogischen Ansatz“ gelobt, mit dem sie Antisemitismus in einem Kulturbetrieb bekämpft, den sie fördert. Samstags wohnte sie der BDS-Gala bei, mit der die Berlinale schloss, sie tat es schweigend oder verschwiegen.

„Guten Abend, ich möchte auch meine Stimme erheben.“ Groteske Szene während der Abschluss-Gala der Berlinale, gerade erst hatte die ukrainische Schriftstellerin Oksana Zabuzhko, Mitglied der Jury, daran erinnert, dass in eben dieser Feierstunde der „größte und schrecklichste Vernichtungskrieg in Europa seit 1945“ in sein drittes Jahr geht und die Ukraine weiterhin „um ihr Leben kämpft“, das Publikum hört schweigend zu, da tritt Jasmine Trinca ans Pult und erklärt: „Ich möchte auch meine Stimme erheben und sagen: Waffenstillstand jetzt!“ Stürmischer Applaus im Saal, ein Johlen und Jauchzen, Trinca, die italienische Schauspielerin, ballt ihre Faust, der Arm rechtwinklig gestreckt, beglückt nimmt sie den Beifall entgegen, dann verkündet sie, wer den nächsten Bären gewonnen hat.

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Russischer Angriff auf die Ukraine: „Wir wollen zeigen, wie erfolgreich wir zusammen sind, wenn wir Putin widerstehen.“

Demo für die Ukraine am Europatag 2022 in Bochum (Foto: Roland W. Waniek)

Der Aufruf war noch gar nicht öffentlich, da hatte er schon breite Unterstützung gewonnen in der Stadt. Von A wie AWO bis Z wie Zeitmaul-Theater. Kultur und Kirchen sind dabei, Ruhr-Uni und Vonovia, die Jüdische Gemeinde und der TV Wattenscheid 01: „Es hängt von uns selber ab, ob wir in einer demokratischen Gesellschaft leben wollen oder für immer in Angst“, sagt Iryna Pavlenko. Die ukrainische Ärztin ist vor zehn Jahren mit Liia, ihrer damals elfjährigen Tochter, aus Donezk nach Mariupol geflohen, dann weiter nach Saporoschje und vor zwei Jahren schließlich nach Bochum entkommen. Sie kennt beide Welten, die des Krieges, keine 2000 Kilometer entfernt, und das friedliche Leben in dieser Stadt: „Es ist ein- und dieselbe Welt“, sagt die 43-Jährige, „es spielt sich gleichzeitig ab.“ Und dann dieser Satz: „Es ist ein Krieg auch gegen Bochum.“

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