
Dortmunds Vorstand ringt um Macht-Strukturen, Bochum sucht verzweifelt nach dem großen Plan, und auf Schalke hat man mit der neuesten Trainerwahl für Kopfschütteln gesorgt. Drei Wochen vor dem Sommer liefern die Ruhrpottvereine eine Show, die dem FC Hollywood Konkurrenz macht – allerdings nur unfreiwillig. Thommy Junga und Peter Hesse werfen dabei auch einen Blick über den Tellerrand: nach Leverkusen und Paris.
Peter Hesse: Die Ex-Torhüter Andreas Luthe und Thomas Ernst kandidieren in verschiedenen Teams fürs Präsidium des VfL Bochum. Ich glaube, es fehlt ein Industrie-Manager mit starken Kontakten zu RWE, eon, Coca Cola, Aldi und Tengelmann – der Deals vorbereiten kann, damit Geld reinkommt. Und einen Sportmanager, wie Stefan Kuntz, der überall hin Drähte hat: zum DFB, zu Spielerberatern und der weiß, wo man in der japanischen zweiten Liga den nächsten Kagawa für 400.000 Euro kaufen kann, der in drei Jahren für 20 Millionen nach England geht. Wie würdest du agieren, wenn du mehr Mitspracherecht beim VfL Bochum hättest?
Thommy Junga: Zunächst einmal würde ich die vollmundig angekündigten Prinzipien auch mal umsetzen. „Schneller und kreativer sein“ als Credo auszugeben reicht nicht, man muss es auch leben, dafür die Voraussetzungen schaffen. Ein Beispiel: Für den VfL war allerspätestens seit dem fünften Spieltag klar, dass man würde zweigleisig planen müssen. Wer angesichts dieses Kaders und des verpfuschten Saisonstarts davon ausgegangen ist, dass hier neue und sichere Höhen erklommen werden könnten, der sitzt auf dem falschen Stuhl. Nach Irrungen und Wirrungen in den leitenden Bereichen brauchte es tatsächlich mehrere Monate bis man einen neuen Sportvorstand gewinnen konnte. Der ist nun seit beeindruckenden knapp sechs Wochen im Amt und hat nicht einen Sieg erlebt. Wie man jetzt in der Folge durch die öffentliche Kritik seitens Trainer Dieter Hecking weiß, lag das Scouting – und damit die Grundlage der sportlichen Planung – wohl auch deshalb monatelang mehr oder weniger brach. Das ist genau das Gegenteil von schnell und kreativ. Jetzt wird der VfL-Fan von zwei Aufsichtsrats-Crews angebalzt, dass sich die Flutlichter biegen. Und was ist zu hören? Der gleiche Stuss wie immer: Steine umdrehen, an den Stellschrauben drehen, und so weiter. Es wäre wirklich an der Zeit in Bochum zu handeln. Da wurde jetzt Einiges auf Kommunikationsprobleme heruntergejazzt. Wer‘s glaubt…

Peter Hesse: Ein paar Kilometer weiter gibt es gerade einen Machtkampf beim BVB – Präsident Dr. Reinhold Lunow kandidiert erneut für das Amt des BVB-Präsidenten und stellt sich gegen Hans-Joachim Watzke, der nach 20 Jahren als Geschäftsführer auf diese Position wechseln wollte. Lunow ist 71, Watzke wird in drei Wochen 66. Wäre nicht mal Zeit für frischen Wind? Aber wer sagt den Opas, dass sie den Führerschein abgeben sollen?
Thommy Junga: Das wird noch eine heikle Kiste. Diese Unruhe ist für einen von wirtschaftlichen Umfeld so stark abhängigen Verein extrem gefährlich. Es scheint, als würde daher nicht derjenige, der zur Präsidentenwahl antritt, den Verein retten, sondern der, der auf das Amt verzichtet und damit dem Verein seine öffentliche Stabilität zurückgibt. Aki Watzke scheint vor dem Erfahrungshintergrund der letzten Jahre für diesen Ansatz allerdings unverdächtig, bei Herrn Lunow besteht vielleicht Hoffnung auf Einsicht, hat er zuletzt bei Gegenwind, wie zum Beispiel beim Rheinmetall-Deal, zumindest reflektiert reagiert. Sollten die Herren das durchziehen wird das eine echte Zerreißprobe. Schon jetzt ist allerdings klar, wer auch immer von den beiden gewählt wird, eiert leicht beschädigt – oder sagen wir mal unpräsidial – ins Amt.

Peter Hesse: Der Sieg von Paris Saint-Germain in der Champions League sorgte für ausgelassene Feiern in ganz Frankreich. Doch die blieben nicht immer friedlich: Wie das Innenministerium in einer vorläufigen Bilanz mitteilte, wurden landesweit 559 Menschen festgenommen, die große Mehrheit von ihnen in Paris. 22 Sicherheitskräfte und sieben Feuerwehrleute wurden demnach bei Ausschreitungen verletzt. Die Behörden zählten zudem knapp 700 Brände, etliche davon waren brennende Fahrzeuge. Vor allem zwei Tote und etwa 200 Verletzte. Das ist in Summe erschreckend viel für ein Champions League Finale…
Thommy Junga: Als ich das gelesen habe, habe ich nicht eine Sekunde an Fußball gedacht. Das bedeutet zum einen, dass ich das nicht mit Fußball in Verbindung bringen kann und zum anderen bedeutet das auch, dass es offensichtlich ja andere Gründe gibt, warum jedes noch so beiläufige Ereignis ein derartigen Brandbeschleuniger in Frankreichs Metropole darstellt. Ich weiß es nicht. Die Menschen verlieren sich, wir verlieren die Menschen, die Dinge geraten aus der Bahn. Ich könnte nicht mal ersinnen, ob eine Paris-Niederlage im Finale ein anderes Ergebnis zur Folge gehabt hätte. In Kombination mit den Nachrichten aus Liverpool von der örtlichen Meisterfeier war das schon eine schreckliche Woche für die Fußballwelt. Aber vor allem für die Welt an sich, für die Opfer und deren Familien. Hast Du denn noch etwas Launigeres für mich?

Peter Hesse: Vielleicht Schalke? In Gelsenkirchen setzt man auf alles auf den neuen Trainer Miron Muslic – ein überraschender Schritt. Der 42-Jährige kommt vom englischen Zweitliga-Absteiger Plymouth Argyle, den er nach nur wenigen Monaten dank einer Ausstiegsklausel den Rücken kehrt. „Wir sind frustriert über diese Entscheidung“, hatte Plymouth zuvor mitgeteilt. Medienberichten zufolge zahlt Schalke eine Ablösesumme von rund 700.000 Euro – warum setzt Königsblau schon wieder auf einen weitgehend unbekannten Cheftrainer?
Thommy Junga: Ja, das ist doch wieder was aus der Kuriositätenkiste. Muslic war doch bestimmt so ein typischer „Personal Pick“, wo jemand unbedingt etwas Spezielles machen wollte. Da kommt der neue Sportvorstand Frank Baumann mal direkt mit einem neuen wilden Impuls. Die Fallhöhe ist da direkt mal ganz hoch angesetzt. Kann man so machen, wenn man nicht so am neuen Wohnsitz hängt. Vom Typ her könnte Muslic passen – aber passt auf Schalke alles, bleibt die Frage. Finanzen im Eimer, Mannschaft wieder vor einem Umbruch, Umfeld immer noch schwer entgeistert von den letzten Trainerentscheidungen. Der Baum auf Schalke steht ja gewohnt dauerhaft in Flammen, aber mit so einer Entscheidung sorgst du natürlich auch nicht für Ruhe. Hätte man einfacher haben können. Das wird noch spannend…

Peter Hesse: Nächster Tatort: Bayer Leverkusen! Hier muss sich das Team auf einen Abgang von Florian Wirtz vorbereiten. Bei dem Werksklub läuft bereits die Suche nach einem Ersatz. Und der Verein aus der Aspirin-Stadt hat Erik ten Hag als Nachfolger für Erfolgstrainer Xabi Alonso auserkoren: der Holländer muss sich mit dem großen Schatten des Erfolgstrainers messen – das sind viele Aufgaben auf einmal. Zu viele?
Thommy Junga: Ich glaube nicht, dass wir allzu schnell wieder Meisterfeierlichkeiten in Leverkusen erleben werden. Neu-Coach Ten Haag muss erstmal gegen den eigenen Ruf aus Manchester arbeiten, wirkte da ja recht dünnhäutig und wenig souverän. Gleichzeitig muss er jetzt für eine völlig neu zusammengewürfelte Truppe als Chef vorangehen. Das ist eine nicht zu unterschätzende Aufgabe. Man bedenke die marktüblichen neuen Ansprüche in diesem Verein. Geld für neue ist sicher da, aber das fehlte auch nicht bei ManU. Dafür war dann lange der sportliche Ertrag sehr dünn. Als Reaktion hat er wenig effektiv etablierte Kräfte rasiert oder gegen Widerstände positionsfremd eingesetzt. Das ging nicht so gut aus und sein Nachfolger schüttelt immer noch den Kopf über die Kaderzusammenstellung. Leverkusen könnte somit deutlich unterhaltsamer als im Meisterjahr werden.