Ein Gespräch mit Wladimir Kaminer, dem russischsten aller deutschen Schriftsteller

Wladimir Kaminer (41), sieht sich selbst gern “privat als Russe und beruflich als deutscher Schriftsteller“. Die seltsame Beschreibung hat ihren Ursprung in der Geschichte des gebürtigen Sowjetmenschen. 1990 kam Kaminer nach Berlin und erhielt „humanitäres Asyl“ in der damals noch bestehenden DDR. Seinen Durchbruch erlebte er als Schriftsteller mit den Bestsellern Russendisko, Militärmusik und Schönhauser Allee. Gerade ist er mit seinem aktuellen Buch „Salve Papa“auf Lesereise. Daneben veröffentlicht Kaminer weiter Kolumen in verschiedenen Zeitungen und tritt hier und da als DJ auf. Im Berliner Kaffee Burger ist er zudem als Veranstalter grandioser Parties in bleibender Erinnerung. Olga Kapustina sprach mit ihm über Kinder und Sprache, Studium und Bücher, Russland und Ruhrgebiet.

 

 

Über die deutsche Sprache

 

Ruhrbarone ?: In welcher Sprache führen wir das Interview – in deutscher oder in russischer?

Kaminer!: Wird das hier auf Deutsch veröffentlicht? Dann auf Deutsch.

 

 

?:   In welcher Sprache reden Sie beim Frühstück?

!: Zuhause sprechen wir grundsätzlich Russisch. Meine Kinder versuchen mich auf Deutsch umzustellen. Ich versuche immer etwas dagegen zu unternehmen. Aber manchmal schaffen es die Kinder, dass wir mit ihnen Deutsch reden.

?: Können Ihre Kinder besser Deutsch als Russisch?

!: Meine Kinder sind beide in Deutschland auf die Welt gekommen. Sie sind in deutscher Sprache sozialisiert. Wenn wir nach Russland fahren, sprechen sie dort Russisch und machen das relativ korrekt. Aber ihre erste Sprache ist Deutsch, klar.

?: Die Namen Ihrer Kindern sind auch eher Deutsch…

!: Sie sind international. Sebastian und Nicole sind Namen, die für russische und deutsche Ohren gleichermaßen zugänglich sind.

?: Als Sie 1990 nach Deutschland kamen, sprachen sie kein Wort Deutsch. Wie haben Sie es geschafft, die Sprache so gut zu beherrschen?

!: Das ist überhaupt keine Heldentat. Man kann jedem Kaninchen eine Fremdsprache beibringen, wenn man ihn jeden Tag auf den Kopf schlägt.

?: Das scheint geklappt zu haben. Sie haben 13 Bücher auf Deutsch veröffentlicht…

!: Ich schreibe diese Bücher seit 1998. Geschlagen hat mnich niemand, aber in zehn Jahren kann man doch alles lernen. Ich habe mir nie große Mühe gegeben. Ich habe Deutsch aus Neugier, aus Not, also aus gut nachvollziehbaren Gründen gelernt.

?: Stört es Sie, dass Ihre Aussprache Sie als Nicht-Muttersprachler verrät?

!: Ich höre meine Aussprache ehrlich gesagt nicht. Eine typische russische Aussprache, wie sie zum Beispiel in amerikanischen Hollywood-Filmen vorkommt, hört sich für mich anders an.

 

Über das Lernen

?: Ihre Kinder, um die es in Ihrem neuen Buch „Salve Papa“ geht, sind noch Schüler. Aber vielleicht machen sie sich schon Gedanken darüber, was sie später werden wollen…

!: Klar, natürlich. Sie wissen alles. Mein Sohn will Koch werden, meine Tochter – Schriftstellerin.

?: Ihr ersten Roman hat Nicole schon geschrieben, Sie erzählen darüber in Ihrem Buch…

!: Ja, über Kaninchen. Sie schreibt ziemlich fleißig, ziemlich viel. Aber ich möchte diese Literatur nicht bewerten. Ich sage nur: Das, was mein Sohn kocht, gefällt mir besser, als das, was meine Tochter schreibt.

?: Sollten wir in 7-10 Jahren, wenn Ihre Kinder ein Studium anfangen sollten, mit einem Buch von Ihnen über das deutsche Hochschulsystem rechnen?

!: (Lächelt).Ich weiß nicht, inwiefern dieses Thema interessant sein wird. Zur Zeit arbeite ich an Projekten mit anderen Inhalten. Ich schreibe ein Buch über den Kaukasus. Ein anderes Buch hat sich aus dem Stoff, das ständig neu ankommt, herauskristallisiert. Der Titel wird heißen „Deutschland ist in Ordnung“. Es geht um verschiedene Facetten des deutschen Lebens. Das wird quasi das zweite deutsche Dschungelbuch.

?: Sie selber haben Musik in einer Theaterschule in Moskau studiert… In einem Interview präsentierten Sie sich neulich als Sozialwissenschaftler, da Sie sich mit Lebensforschung beschäftigen. Wenn Sie jetzt vor der Wahl stünden, was sie lernen wollten. Welches Fach würden Sie wählen?

!: Mich interessiert die Geschichte der Menschheit, die letzten dreitausend Jahre. Die Entstehung der Sprache und der Kultur, theologische, politische und soziale Aspekte. Dieses Wissen ist unverzichtbar, um die Gegenwart zu verstehen. Unwissen ist der Geisel der Menschheit. Es stellt sich nicht die Frage: Was studieren? Alles!

 

Über Russland

?: Man sieht in Ihren Interviews und Ihrem Blog, dass Sie sich gut über Ereignisse in Russland informieren…

!: In Russland ist es sehr schwer, wenn irgendwas passiert, an wahre Information zu kommen.Die Presse hat da ihre Spielregeln. Russland ist, was die Presse oder Politik betrifft, zu einem großen Theater geworden. Das geht gar nicht mehr um Wahrhaftigkeit der einen oder der anderen Nachrichtenquelle, sondern nur um die Rolle, die diese Nachrichtenquelle im politischen Theater des Landes spielt. Wahre Informationen über Russland kann man nur aus Blogs erfahren. 

?: Welche Blogs lesen Sie denn?

!: Ich lese Blogs von Schriftstellern und von Journalisten, wenn ich sehe, dass sie in ihren Blogs objektiver urteilen als in offiziellen Medien. Ich lese Menschen, die ich interessant finde. Zum Beispiel: Gortschew, Baru und Beresin.

 

Über sein Buch

?: Am Ende des Buches „Salve Papa“ steht es: „Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind weder vorhanden noch beabsichtigt. Es sei denn, die Personen wollen sich in dem Buch erkennen“. Ist das eine Lehre aus Ihren früheren Veröffentlichungen oder rein prophylaktisch?         

!: Prophylaktisch.

?: Man kann sich schon vorstellen, dass die mit einem Vampir verglichene Leiterin des Gymnasiums ihrer Tochter den Vergleich übel nimmt…

!: Ich konnte das nicht vermuten. Ich finde das total blöd. Aber letzte Woche kam zu Nicole eine Schülerin aus einer anderen Klasse und sagte: „Die Schulleiterin lässt deinen Vater grüßen und bittet dich, ihn zu fragen, falls er konkrete Vorschläge hat, wie man das Schulsystem verbessern kann, dann soll er dir das sagen. Ich komme nächste Woche wieder.“ Anstatt mich anzurufen, schickt die Schulleiterin ein Kind zu einem anderen Kind. Warum? Ich habe doch diese Schule nur verherrlicht. Sie soll froh sein, dass sie wie Vampir aussieht. Vampire sind gerade jetzt in. In Bestsellerliste ist die Hälfte Bücher über Vampire.

 

Über das Ruhrgebiet

?: Geografisch schreiben Sie vor allem über Berlin, aber über andere deutsche Städte auch. Wann taucht Ruhrgebiet in Ihren Büchern auf?

!: Es taucht in „Meinem deutschen Dschungelbuch“ auf, wo ich verschiedene Ecken in Deutschland beschreibe.

?: Womit assoziieren Sie das Ruhrgebiet?

!: Mit einer postkapitalistischen Gegend. Sehr interessant. Wenn die ganze Kohle ausgeschöpft ist, die Zechen zu den Kunstobjekten umgewandelt werden, Menschen viel Zeit in irgendwelchen Shopping-Malls verbringen, mehr angucken als einkaufen. Ich glaube, dass das Ruhrgebiet von allen Gegenden Deutschlands am nächsten zur Zukunft steht.

 

Und weil das Wort Blitz so schön ist – Blitzfragen

?: Welchen Film haben sie zuletzt gesehen?

!: „Bewohnbare Insel“ des russischen Regisseur Bondartschuk.

?: Wann waren Sie letztes Mal betrunken?

!: Vor 22 Jahren in der sowjetischen Armee. (Das Glas Weißwein auf dem Tisch ist halbleer.)

?: Moskau oder St. Petersburg?

!: Natürlich Moskau.

?: Döner oder Curry-Wurst?

!: Weder noch. Ich bin Vegetarier.

 

3 für 7 – 3 Kulturtipps für die nächsten 7 Tage

In einem Interview erzählte mir im letzten Jahr der Tänzer und Choreograph Felix Bürkle, dass in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich nach wie vor eher Schubladen denn das freie Spiel der Künste gelehrt werden. Und dem wird ja auch durchaus in den Feuilletons und Programmheften Rechnung getragen: Ein Konzert ist ein Konzert, aber eine Ausstellung ist eine Ausstellung, und ein Theaterstück ist keine Performance. Und das stimmt so natürlich nicht. Beispielhaft in dieser Woche also drei Veranstaltungshinweise, bei denen es schon auf die Augen der Betrachter ankommt.

Im Essener Katakomben Theater im Rüttenscheider Girardet Center findet am kommenden Wochenende das alljährliche Festival der Jazz Offensive Essen statt. Kurz zuvor aber auch ein Stück namens "Johnnys Jihad – American Taliban", aufgeführt vom Düsseldorfer Theater der Klänge. Ein erstaunlich aktuelles und "hartes" politisches Thema also, so dass man sich schon beinahe wünscht, die Düsseldorfer seien doch gleich den ganzen Weg gegangen und hätten "Jan Jihad – Ein Taliban aus Hagen" oder ähnliches gemacht. So bleibt natürlich ein wenig Distanz gewahrt, und Amerika muss wieder mal herhalten wenn es um den Abfall eines jungen Menschen vom Pfad der Aufklärung und Emanzipation geht. Dennoch, ein guter Akzent im gegenwärtigen oft arg mutlosen, befindlichkeitsfixierten und/oder bemüht klassenkämpferischen Theaterwesen.

Ebenfalls eher unüblich ist es wenn eine Ausstellung sich mit "Flyern aus der Club- und Barkultur Essens" beschäftigt. Denn Designwahn hin oder her, im Grunde meinen Flyer ja "Lies mich – geh hin – wirf mich weg". Aber den Veranstaltern von den Netzwerken modem und ruhrpop geht es im Banditen Wie Wir ja auch teilweise um anderes. Natürlich werden Serien einzelner Designer gezeigt und Prunkstücke neben Billigexemplare gepackt, aber das "Flyerflimmern" sortiert sich schon nach den einzelnen Lokationen und lässt so einen Blick auf 15 Jahre eigenständige Sub- und Popkulturproduktion zu, also auf Programme die eben nicht nur vom Einkauf großer Namen oder dem Lancieren sicherer Partyreihen lebten. Und das auch nur für eine Woche, denn es muss halt immer weitergehen, Musik als Träger von Ideen… Et cetera.

Und noch ein Blick in Vergangenheit und Zukunft zugleich. Die sehr empfehlenswerte DASA widmet sich ja permanent der Geschichte von Arbeit und ihren Perspektiven. Einen Anreiz sich das nun endlich einmal anzusehen bietet vielleicht die wieder angesetzte Theater-Führung durch die Ausstellung. Bei dieser verdeutlichen ein im 20. Jahrhundert angesiedelter Ingenieur und eine aus dem Jahre 2026 stammende Virtual Reality Journalistin durch einfaches Rollenspiel (s. Foto), wie sich Arbeit wandeln kann und womit man so in Zukunft zu rechnen hat. Von März bis Juni immer einmal am Freitagabend und einmal am Sonntagmorgen. Aktuelle Termine? Im Anschluss.

Im Überblick:
"Johnnys Jihad" am 22. Januar um 20 Uhr in den Katakomben.
"Flyerflimmern" vom 23. bis 30. Januar ab 20 Uhr im Banditen Wie Wir.
"2026 – Wie arbeiten wir morgen?" am 25. Januar um 11 Uhr in der DASA. Februar-Termin: 22. Februar, 11 Uhr.

Dicker Mo über Bo

handypics: ruhrbarone.de

Zum Freitag der ganz  besondere Rausgehtip: Jetzt, Mantel an, Tür auf, rausgehen. Lohnt sich. Gevatter Mond ist so fett. Wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Und in Jahren nicht. Und das allerbeste: Über dem mittleren Ruhrgebiet keine Wolke. Echt. Schön.

 

 

 

 

 

 

 

 

Anne Will zurück zur Sportschau?

Foto: daserste.ndr.de

Fußballgucken statt Autowaschen, glotzen statt ausgehen, Flimmerkiste statt Sportplatz. Der Fußballfanatiker muss sich ab Sommer 2009 entscheiden. Heute hat die Deutsche Fußballliga (DFL) die Fernsehrechte für die kommende Spielzeit 2009/10 vergeben. allesaussersport.de berichtet mal wieder perfekt über die sportökonomische Großentscheidung. Fazit: Der Fußball bekommt noch mehr Platz im Fernsehen. Und Anne Will kann ja zurück zur Sportschau, die auf ihren Sendeplatz rutschen könnte.

Aber der Reihe nach: Den Zuschlag für Bundesligasenderechte für Fernsehen teilen sich wie bisher ARD/ZDF/DSF/Premiere. Die Telekom überträgt weiterhin im Mobil-TV, Web-TV und IPTV. Nur die Auslandsrechte vermakelt die Liga nun selbst; vorher besorgte das übrigens der in Deutschland so inkriminierte Wettanbieter bwin.

Die DFL – die ingesamt 412 Millionen Euro pro Jahr einstreichen wird, sieben Millionen mehr als zuvor – behauptet, dass es mit Beginn der kommenden Saison nur "wenige spürbare Veränderungen" am Fernseh-Wochenende geben werde. Doch das stimmt nicht wirklich: Wer ab kommenden Sommer den Premiere-Übertragungen folgen will, kann an einem normalen Bundesligaspieltag 22 Stunden (!!!) vor dem Fernseher sitzen. Freitags von 17.30 bis 22.30 Uhr. Samstags von 12.30 bis 20-30. Sonntags von 13 bis 19.30 Uhr. Montags von 19.45 bis 22.30 Uhr. klick (pdf)

Im kommenden Herbst werden dem Fußballzuschauer inklusive Champions League und UEFA-Cup beziehungsweise DFB-Pokal rund 35 Stunden Live-Fußball-Shows pro Woche angeboten. Und selbst vom Zusammenfassungs-Zuschauer ist mehr Sitzfleisch gefordert: Zur Sportschau kommt das Aktuelle Sportstudio mit exklusiven Ausschnitten des Samstagabendspieles. Am Sonntag Abend zeigt "Das Erste" nach dem Tatort nicht mehr Talk, sondern Torejagd – oft mit drei Partien aus der ersten Liga. Sonntag, viertel vor Zehn, war da nicht was?

Man kann über Anne Wills Talkshow jeder Meinung sein. Man kann es mit Fug und Recht sterbensöde finden, wenn wieder Peter Scholl-Latour auf Gerhart Baum trifft, wenn wieder das bisschen deutsche Terrorgeschichte aufgepustet wird – erst Recht nach Mumbai. Aber dass die Sportschau dem öffentlich-rechtlichen Sender wichtiger sein soll als der traditionellste Abendtalk im deutschen Fernsehen, liegt so daneben wie die berufenen Abwiegler aus der ARD. Die Entscheidung ab 21:45 Bundesliga zu zeigen bedeute für Anne Will ja erstmal gar nichts, heißt es bei den Senderchefs.

Stimmt schon, Anne Will könnte ja einfach weitermachen. Wie heißt es auf der Anne Will-Seite: "Als erste Frau moderierte sie 1999 die ARD-Sportschau." Doch das Politische hätte ein weiteres Zeitfenster verloren.             

 

Werbung

„Musketiere am Rhein“

Gestern trafen sich Wirtschaftsförderer, Stadtplaner und Verbandsfunktionäre in Düsseldorf. Eines ihrer Themen: Wie soll man auf das Ruhrgebiet reagieren?

Gestern Abend trafen sich auf Einladung des Vereins "Düsseldorfer Jonges" im Saal des Düsseldorfer Kolpinghauses   Victoria Appelbe, Wirtschaftsförderung Bonn,  Dr. Walter Borjans, Wirtschaftsdezernent Köln, Wilfried Kruse, Wirtschafsdezernent Düsseldorf
Jürgen Dressler, Duisburgs schillerneder Stadtentwicklungsdezernent und der Verwaltungswissenschaftler Prof. Dieter Grunow von der Uni Duisburg/Essen um nach einem Impulsreferat von  Dr. Udo Siepmann, dem Hauptgeschäftsführer der IHK Düsseldorf über das Thema "Musketiere am Rhein" – Die Antwort auf die Ruhrstadt." zu diskutieren.

Ein Ergebnis der Gesprächsrunde:  Es soll in Kürze ein Gipfeltreffen am Rhein geben: Bonn, Köln, Düsseldorf und Duisburg wollen sich zusammen setzen um eine Marke Rheinland zu etablieren. Auch im Kulturbereich soll künftig verstärkt kooperiert werden – auch um den Preis das einzelne Verzicht üben werden. Einig waren sich die meisten der Teilnehmer auch darin, dass das Rheinland von einem eigenen Rheinbezirk profitieren könnte. Auch über einen Gewerbesteuerpool, wie ihn einige Ruhrgebietsstädte etabliert haben, soll nachgedacht werden. Vor allem IHK-Hauptgeschäftsführer Siepmann geht die Zusammenarbeit nicht weit genung – er sieht einen großen Vorsprung des Ruhrgebiets, was das Thema Kooperation angeht. 

Laut einem Besucher soll sich vor allem Jürgen Dressler als begeisterter Rheinländer geoutet haben, was verwundert, wollte Dressler doch noch vor einem guten Jahr eine Ruhrgebietspartei gründen. Im Gespräch bestritt Dressler hingegen  sein Rheinländer-Outing und verwies auf die besondere Scharniersituation Duisburgs:  Die Stadt gehöre zugleich zum Rheinland, dem Niederrhein und dem Ruhrgebiet und solle sich je nach Bedarf Kooperationspartner suchen. Ohnehin sei er gegen jede Form der vom Staat aufgezwungenen Kooperation, auch im Planungsbereich.

Wenn auch das Rheinland einen statt zweier Bezirke (Köln und Düsseldorf) will, sind wir ein ganzes Stück weiter: Gegen das Ruhrgebiet und das Rheinland wird die Landesregierung kaum Politik machen können. Und Zusammenarbeit im Rheinland macht ebenso viel Sinn wie im Ruhrgebiet. Perspektivisch sollten dann das Revier und das Rheinland da wo es Sinn macht kooperieren – im Nahverkehr ebenso wie bei Unternehmensansiedlungen. Aber dafür müssen beide Seiten auf Augenhöhe miteinander umgehen und der Weg dahin führt über eine Stärkung des Ruhrgebiets, denn keine unserer Städte kann alleine mit Köln oder Düsseldorf mithalten. Und Duisburg und Jürgen Dressler? Die Stadt hat eine Scharnierfunktion und tut gut daran mit  allen Nachbarn zu kooperieren – aber das ist eine Binsenweisheit. Duisburg alleine wird nie von Köln und Düsseldorf für voll genommen werden – nur als Teil des Ruhrgebiets wird es in der Lage sein, seine Bedürfnissen gegenüber diesen Städte durchzusetzen. Und Dressler leidet wie alle Planungsdezernenten darunter, bald mit dem RVR kooperieren zu müssen – aber je eher er und seine Kollegen aufhören zu quengeln und beginnen, sich konstruktiv an der Planung  im Ruhrgebiet zu beteiligen, um so besser wird es für ihre Städte sein.        

 

Was ist ein Clement gegen die Wiesbaden Four?

Foto:flickr.com

Nun darf er doch bleiben: Wolfgang Clement kommt mit einer Rüge davon. Die SPD-Bundesschiedskommission hat sich gegen einen Parteiausschluss des einstigen Superministers entschieden. Auch der SPD-Ortsverein Bochum-Hamme ist einverstanden mit dem Urteil, wie sie mir gerade bestätigten. Was nun alles gar kein Wunder mehr ist – denn die Luft ist raus aus der Causa Clement.

Clement sollte ja rausfliegen, weil er seinerzeit indirekt zur Nichtwahl der hessischen SPD unter Spitzenkandidatin Andrea Ysilanti aufrief. Aber was ist ein indirekter Antiwahlaufruf aus Nordrhein-Westfalen gegen die angekündigte Verweigerung der vier Ypsilanti-Gegner und (Noch-)Landtagsmandatsträger?

Was ist das bisschen energiepolitische Kritik eines politischen Untoten gegen die Verweigerung der Gefolgschaft, nachdem drei der vier Abweichler erst ihre Zustimmung signalisiert hatten? Was ist das bisschen Altmännermeckerei gegen einen Mitunterhändler, der bockig seiner Vorsitzenden ins Knie schießt, weil er nicht das Ministerium bekommen sollte, das er wollte?

Die SPD hat mittlerweile echt andere Sorgen als WC. Die Parteiloyalität liegt auf dem Scherbenhaufen. Da kommt es auf einen renitenten Politrentner ohne politische Mandate mehr oder weniger nicht mehr an. Außerdem: Statt Ypsilanti darf Hessen ja jetzt diesen ausgeschlafenen Jungpolitiker zum Ministerpräsidenten machen. Oder auch nicht.          

Die Beichte eines Journalisten

Foto: flickr.com

Gestern Abend musste ich mich schämen. Ich sah einen Bericht des NDR-Medienmagazins Zapp. Es ging um Presse-Rabatte, also um die Frage warum Journalisten von Kühlschrank-Herstellern, Fluglinien oder Telefongesellschaften besondere Angebote unterbreitet bekommen. Als Zeuge diente der PR-Papst Klaus Kocks, der mal wieder aussah wie ein Circusbesitzer und ähnlich viel mit Journalismus zu tun hat. Andere Zeugen waren die um den Ruf der Branche besorgten Anbieter von Internetseiten, die Presserabatte erst unters scheibende Volk bringen. Sie tun dies aber nur, sagten sie Zapp, weil sie für Transparenz sorgen wollen. Ganz bestimmt. Trotzdem horchte ich in mich. Wie halte ich es mit den Pressekonditionen? Weil es auch mir um Transparenz geht, hier mein Gewissenstest:

A) Mein Handy läuft immer noch über einen uralten Journalistenvertrag. Das verhindert nicht, dass ich oft mehr als 100 Euro im Monat zahle. Das Angebot erscheint mir unbedenklich, weil es auf eine Berufsgruppe zielt, die viel telefoniert. Unterm Strich lohnt sich das für die Gesellschaft, zumal die Neuanschaffung von Geräten nur mäßig subventioniert wird. Gewissensbisse: Null.

B) Vor ein paar Jahren war ich mal auf einem Konzert von Brad Mehldau, hatte das Konzert vorher als Tagestipp auf der Kulturseite der Tageszeitung angekündigt. Obwohl ich Auftritte des wichtigsten Jazzpianisten unserer Zeit nur empfehlen kann, habe ich seinerzeit auch aus Eigeninteresse gehandelt. Ich habe zwar keinem geschadet – Leser bekamen eine wertvolle Anregung, Veranstalter kriegten Aufmerksamkeit und ich erlebte einen wunderbaren Abend – trotzdem sind da Gewissensbisse: Würde ich nicht mehr machen.

C) Von vergünstigten Autos, Flügen, Elektrogeräten oder Premiere-Presseabos habe ich aus gutem Grund immer die Finger gelassen. Gewissensbisse? Bin mit mir im Reinen.   

D) Nun wird es schwieriger: Ich habe früher für die taz über den VfL Bochum berichtet. Seit anderthalb Jahren nicht mehr, trotzdem habe ich meinen Platz auf der Pressetribüne. Wenn es auch nicht so wahnsinnig viele Menschen gibt, die mich dafür beneiden, bei Bochum und Nullgrad auf der Haupttribüne zu sitzen – es ist ein Vorteil. Zwar blogge ich ab und zu über Fußballthemen, manchmal berichte ich über Sportkrams. Doch regelmäßige Sportberichterstattung ist das nicht. Kleine Nagerzähne haben sich in meinem Gebissen verhakt, aber so schlimm ist die Scham doch nicht. Das hat einen einfachen Grund: Auf der Pressetribüne ist kein Zuckerschlecken.

Abstiegskämpfe – der Bochumer Normalzustand – sind wie offene Operationen am Fanherzen, trotzdem gilt es im Medienblock Haltung zu bewahren. Kein überlautes Schimpfen, kein wilder Torjubel. Und gegenüber den Kollegen der Auswärtsmannschaften, bemüht man sich auch noch um Fairness. Wie ein guter Gastgeber. Also erkläre ich die Aussprache von Spielernamen, verrate Geheimnisse der Lokalpresse und manchmal helfe ich auch bei der Benotung der Bochumer Spieler für BamS oder WamS. Marcel Maltritz: 5.

Welcher andere Stadionbesucher muss so was machen? Wer muss auch gegenüber bumsdummen Berliner Boulevardschreiberlingen die Ruhe bewahren, die sich ihre Meinung schon in Zehlendorf zurechtgebogen haben, um sie im "Ruhrpott" bestätigt zu bekommen. Welcher Stadionbesucher würde buddhistisch gleichmütig Blitzbirnen ertragen, die keinen Spieler des Gegners erkennen. Die nach dem zweiten Berliner Tor zwanzig Minuten bis zum Halbzeitpfiff mit der Heimatredaktion telefonieren, um herauszufinden, ob es wirklich das erste Hertha-Ecke-Tor-Tor nach der 209. Ecke war. Die nach dem 0:3 wenige Minuten vor der Pause nicht davon abzubringen sind, dass die meisten Bochumer Zuschauer jetzt nach Hause gehen, dabei war es im VIP-Raum geheizt. Kurz gesagt: Die beiden Vollfritzen hätten etwas anderes verdient, als eine kollegiale Richtigstellung und die Flucht auf andere Plätze. Gewissenbisse: Also eher klein.

Ruhrbarone: „Wir sind Opel!“

Nach Solarworld und den versammelten Opel-Händlern geben nun die Ruhrbarone ein Angebot für Opel ab. In einem uns natürlich vorliegenden Schreiben an den angeschlagenen Opel-Mutterkonzern GM heißt es:

"Die Ruhrbarone wollen das Sagen bei Opel. Wir haben  fast keine Bedingungen. Außer diese: Wie Solarworld zahlen wir auch eine Milliarde an Sie, liebes GM-Management, wenn Sie uns im Gegenzug umgehend 40.000 Euro Mitgift für jeden ihrer rund 25.000 Opel-Mitarbeiter zahlen. Wie bitte? Das bringe Ihnen unterm Stich ja gar nichts?! Liebe GM-Chefs, meinen Sie denn, wir haben was zu verschenken? "        Super-Foto: flickr.com

Werbung

US-Wahl: Die Erlösung

Die Wahl in Amerika ist noch ganz frisch, die Ergebnisse im letzten Bundesstaat Missouri sind noch nicht ausgezählt, da konkretisiert sich immer mehr, was die Welt von Barack Obama will: Die Wirtschaft und den Mittelstand, die Banken und die Hausbesitzer soll er retten, Kriege verhindern oder abschaffen, sogar die Weltwirtschaft umkrempeln. Wer ist hier gefordert ein Staatsmann oder ein  Messias?

Es ist einige Jahre her, als der Sozialpsychologe Erich Fromm in einem Zeitschriften-Interview von der Morbidität der westlichen Welt sprach – und davon, dass irgendwann eine Person mit messianischen Zügen auftreten könnte, die der Welt eine neue Perspektive geben würde. Einer, der der Morbidtät etwas Positives entgegensetzt. Dass so jemand aus der Politik und nicht aus der Religion kommen könnte, war damals kaum vorstellbar.

Barack Obama sitzt zwar zwischen allen Stühlen aber ebenso ist er ein Politiker, der die ganze Welt zu repräsentieren scheint: Jeder fühlt sich von ihm angesprochen, ob schwarz oder weiß, amerikanisch, hispanisch, asiatisch oder afrikanisch. Als möglicher Mittler zwischen den Interessen und Kulturen. Er hat das Aussehen, die Stimme, vermittelt die Zuversicht, die auch Europa gefällt. Er hat das junge Alter, er bringt Hoffnung. Wie ein Übermensch erscheint der Weltpräsident, bedient sich dabei der geballten Medienmacht und nutzt das Internet als Instrument der Massenbegeisterung. Ist er noch Politiker oder schon der Erlöser aus dem Übel, der Messias, von dem Fromm sprach?

Wo steht die Welt, wenn sie einen Präsidenten braucht, der weniger als (Real-)Politiker und mehr als Heilsbringer erscheint?