Besonders in der Mittelschicht gilt Kritik an der Werbung als schick. Anfällig für Manipulation sind angeblich immer nur „die Anderen“. Dabei lassen wir uns alle nicht so leicht beeinflussen. Von unserem Gastautor Kolja Zydatiss.
Werbekritik gehört fest zum Kanon kulturpessimistischer Modernitätsskeptiker. Für die „Neuen Linken“ im Umfeld der sogenannten Frankfurter Schule war unsere ganze Existenz im Westen zum Beispiel etwas besonders Furchtbares. Fortgeschrittene Industriegesellschaften seien ausgeklügelte Unterdrückungssysteme. Die Medien, insbesondere die Konsumwerbung, manipulierten uns unaufhörlich und schufen „falsche Bedürfnisse“, etwa nach Reihenhäusern und Fiat Cinquecentos. Nur eine aufgeklärte Elite – Studenten, Lehrer, Intellektuelle und Kulturschaffende, also ihresgleichen, die die Gehirnwäsche durchschaut hatten – könnte das psychologische Gefängnis aufbrechen und die Massen von ihrem „falschen Bewusstsein“ befreien.
Die von Adorno, Marcuse und Co. geprägten 68er marschierten durch die Institutionen. Es gelang ihnen in vielen Bereichen, die kulturelle Hegemonie zu erlangen. Die revolutionäre Glut kühlte mit den Jahren ab, der Wunsch nach einer saturierten grün-bürgerlichen Existenz wuchs, aber viele Vorurteile der Neuen Linken, von der Dämonisierung von Konsum und Wachstum bis zur Ablehnung der vermeintlich oberflächlichen amerikanischen Populärkultur, haben sich zu Allgemeinplätzen entwickelt, die in der Mittelschicht bis heute Mainstream sind.