„Das unterirdische Gaza fordert jeden Tag das Leben vieler junger Israelis“

Israelische Opfer nach dem Terrorangriff der Hamas Foto: Kobi Gideon / Government Press Office Lizenz: CC BY-SA 3.0


Die Hoffnung auf Frieden mit den palästinensischen Nachbarn haben nach dem 7. Oktober selbst linke Kibbuzniks aufgegeben. Im Kampf gegen die Hamas stehen dabei Israelis zusammen, die sich zuvor in zwei verfeindeten Lagern befunden haben. Ein Lagebericht aus Israel nach drei Monaten Krieg mit der Hamas. Von unserem Gastautor Oliver Vrankovic.

Am Vorabend des Überfalls palästinensischer Terroristen auf den westlichen Negev war die israelische Gesellschaft unheilbar zerstritten. Der in den letzten Jahren wieder aufgekochte Kulturkampf war kurz vor dem Siedepunkt und zwei Gruppen in Israel standen sich unversöhnlich bei Protesten für und gegen die Regierung gegenüber. Die scharfen Auseinandersetzungen um die Justizreform und das Verhältnis von Staat und Religion riefen historische Vergleiche zum Bruderkrieg während des Aufstands gegen die römische Besatzung hervor, der  seiner Zeit den Feinden des jüdischen Volks in die Hände spielte.

Am 7. Oktober wurden die Israelis schmerzhaft an die Staatsräson „Nie Wieder” erinnert. Der gesichert geglaubte materielle Schutzraum für Juden war urplötzlich in seinen Grundfesten erschüttert.

Palästinensischer Terroristen haben Babys, Kleinkinder und Alte geköpft und verstümmelt, Frauen systematisch vergewaltigt und Familien verbrannt und Alles gefilmt. Mehr als tausend palästinensische Zivilisten haben sich angeschlossen, mitgeplündert, -entführt und -vergewaltigt.

Genau 50 Jahre nach dem Yom Kippur Krieg schreit das Versagen der Geheimdienste zum Himmel und die Armee wird sich ewig anlasten lassen müssen, dass palästinensische Terroristen stundenlang im westlichen Negev wüten konnten.

Das Begreifen der Ereignisse vom 7.Oktober und die Realisierung des Geschehenen verlaufen für die Israelis zäh und traumatisch. Während weltweit Tag um Tag und Woche um Woche und Monat um Monat vergehen, haben wir hier immer noch den 7. Oktober.

In den Medien wird den Opfern des Horrors ein Gesicht gegeben. Ihre Geschichten werden erzählt und ihre Familien kommen in ihrem Schmerz ausführlich zu Wort.

Trotz des unverzeihlichen Versagens des Sicherheitsapparates salutiert das ganze Land seit dem 7. Oktober den israelischen Streitkräften in diesem zweiten israelischen Befreiungskrieg. Wenn es nicht gelingt die Terroristen und die Terrorinfrastruktur in Gaza zu zerstören, ist es bis zum nächsten bestialisches Massaker nur eine Frage der Zeit und kein normales Leben wird mehr möglich sein. Die Rekrutierungsquote lag im Verhältnis zur Anzahl der Einberufungen bei 130 Prozent.

Seit Beginn der Bodenoffensive ist die Bevölkerung in Sorge um Söhne, Brüder, Väter, Arbeitskollegen und Freunde, die im Gazastreifen kämpfen. Das unterirdische Gaza, das mit Milliarden Hilfsgeldern gebaut wurde, stellt die israelische Armee vor eine beispiellose militärische Herausforderung und fordert jeden Tag das Leben vieler junger Israelis. Jeder Israeli beklagt im Familien- und Freundeskreis Opfer der Massaker und des Krieges.

Baruch Cohen gehörte zu den vielen Freiwilligen die palästinensische Krebspatienten aus Gaza von der Grenze zur Behandlung in israelische Krankenhäuser gefahren haben. Und er war überzeugt, dass es auf der palästinensischen Seite des Zauns eine Mehrheit für ein friedliches Neben- und Miteinander gibt, wie es bis Mitte der 80er Jahre der Fall war.

Die Fehleinschätzung bezüglich der palästinensischen Bevölkerung war weit verbreitet. Tatsächlich stehen sie fest an der Seite palästinensischer Terrororganisationen und befürworten mehrheitlich die Massaker vom 7. Oktober.

Zameret Samir aus Nativ HaAsera, deren Haus sich unweit von der Grenze befindet, fertigte an der Gaza zugewandten Seite einer Sichtblende ein großes Mosaik an – Frieden auf Arabisch. Zameret war die Unterscheidung von palästinensischen Terroristen und Zivilisten wichtig.  Heute sagt die Überlebende des 7. Oktober, dass sich ihre Sichtweise „sehr geändert hat“.

Hoffnung auf Frieden verloren

Die Felder des Kibbuz Nirim reichen bis genau an den Grenzzaun. In Nirim wohnt Adele Raemer, die bis zum Ausbruch der ersten Intifada in den Gazastreifen zum Einkaufen gefahren ist. Adele war eine Befürworterin des israelischen Abzugs 2005, doch der von ihr erhoffte Frieden mit ihren palästinensischen Nachbarn blieb aus.

Am 7. Oktober drangen Terroristen in Adeles Haus ein. Für eine israelsolidarische Kundgebung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Stuttgart schrieb sie, dass sie geglaubt habe, dass Frieden und Diplomatie der einzige Weg sei, den Konflikt zu lösen. Die Realität seien geköpfte Babys, brutal vergewaltigte und gefolterte Frauen, die nach ihrer Ermordung durch Gaza geschleift wurden, zerstückelte Männer und gefangen genommene Kinder. Während des Überfalls wurde sie von Bekannten aus Gaza geradezu darüber ausgefragt, was vor sich gehe. Sie überlebte knapp in ihrem Schutzraum.

Zweifel am Interesse der anderen Seite auf ein friedliches Nebeneinander kamen den Bewohnern des Umlands von Gaza spätestens seit der versuchten Grenzstürmung 2018 und dem Feuerterror. Der Kibbuz Be’eri stellte im Zuge des Feuerterrors 2018 die Unterstützung für die Palästinenser, die früher in der Kollektivsiedlung gearbeitete haben, ein und Rami Gold aus Be’eri erklärte, dass ihnen die Palästinenser als friedliche Nachbarn herzlich willkommen seinen  – wenn sie aber Krieg wollten, dann bekämen sie Krieg. Am 7. Oktber 2023 wurden 130 Bewohner von Be’eri grausam ermordet und der Kibbuz verbrannt.

Während der 7. Oktober das Ende jedes Verständnis für die Palästinenser bedeutet hat, kam es seit dem Massaker und im Zuge des Krieges zu einer Neubewertung der nicht-jüdischen Minderheit im Land.

Das Nationalstaatsgesetz, um dessen Verabschiedung es 2018 tief greifende Auseinandersetzungen gab, wird vor dem Hintergrund der vielen gefallenen Druzen heute als Fehler bewertet. Auch die Beduinen im Negev werden heute in einem anderen Licht gesehen.

Im Gegensatz zu 2021, als sich große Teile der arabischen Israelis mit den Terroristen in Gaza solidarisierteמ und es in Lod und Ramle zu pogromartigen Ausschreitungen kam, ist die überwältigende Mehrheit der israelischen Araber  entsetzt und angewidert von der bestialischen Gewaltorgie am 7. Oktober.

Derweil wird dem palästinensischen Terror im Westen mit Kontext, Verständnis und Sympathie begegnet. In Neukölln wurden die Massaker gefeiert.

Das Rote Kreuz tut nichts, um die israelischen Geiseln zu sehen, Me Too zeigt Misstrauen gegenüber Opfern brutalster Vergewaltigungen, Unis zeigen Verständnis für Aufrufe zum Judenmord. Die UN ist in Gaza untrennbar mit der Hamas verwoben, Schulen und Krankenhäuser sind Teil der Terrorinfrastruktur, die Erziehung ist darauf ausgerichtet, palästinensische Kinder zu Antisemiten und Terroristen zu erziehen.

Den Israelis ist klar, dass die Taten der Hamas allein deren Antisemitismus entspringen und sich nicht auf die Politik Israels, sondern auf die Existenz Israels beziehen. Und diese Existenz nur zusammen verteidigt werden kann.

Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Jungle World

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