Europameisterschaft: Fußballflucht quer durchs Revier – Ein Protokoll

Wenn mich später jemand fragt, wo ich das Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft erlebt habe, kann ich umfassend Auskunft geben. Ich habe im Bus gesessen und in der Bahn. Ich habe versucht, diesem Spiel zu entgehen, im öffentlichen Nahverkehr.

20:48 Uhr. Der Bus ist pünktlich. Die UEFA ist es nicht. Als der SB 20 den Busbahnhof verlässt, fängt das Viertelfinale in Warschau gerade an. Die Verbindung zwischen Recklinghausen und Herne ist die einzige Strecke, mit der die Vestische Straßenbahnen AG Gewinn erzielt. Mögen die Straßen menschenleer sein, der Gelenkbus ist es nicht. Er muss schon nach hundert Metern einen Umweg nehmen, der Wall ist gesperrt für das Public Viewing. Busse haben zum Glück kein Autoradio. Unter den Fahrgästen dominiert die U20. Männer mit Migrationshintergrund, MMH. Gibt es die Abkürzung schon? Spätestens jetzt. Neulich hörte ich im WDR-Fernsehen erstmals das Fachkürzel MILF. Ich sitze also im Gelenkbus mit Menschen, die sich wohl auch deshalb nicht für die EM interessieren, weil ihre Herkunfts-Nationalmannschaft erst gar nicht dabei ist.

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Rap und Politik – von linker Gesellschaftskritik zu bürgerlichem Spießertum

Der Berliner Rapper Bushido absolviert ein Praktikum beim schwäbischen CDU-Abgeordneten Christian Freiherr von Stetten. Neulich wurde er gar auf der Besuchertribüne im Bundestag gesichtet. Eigenen Angaben zufolge will Bushido eine eigene Partei gründen und das Amt des Oberbürgermeisters von Berlin anstreben. Die Verknüpfung von Rap und Politik ist derweil nicht neu. Schaut man sich allerdings die Anfänge des (politischen) Raps in Deutschland an, scheint es in den letzten Jahren eine hundertachtzig-Grad-Wende gegeben zu haben.

„Wie kommt es, dass du (…) als Immigrant / sogenannter Ausländer konstant hast einen schlechten Stand? / Zum Beispiel Artikel 12 Bundeswahlgesetz / sorgt dafür dass du bei der Wahl zu Hause sitzt / zum Beispiel Artikel 3 Staatsangehörigkeitsgesetz / der deine Rechte genauso verletzt“. So rappten es 1994 die Deutschrap-Pioniere der Heidelberger Rap-Gruppe Advanced Chemistry. Der Song „Operation § 3“ und andere Stücke, wie etwa der legendäre Aufschrei „Fremd im eigenen Land“, gaben denjenigen eine Stimme, die gerade in der Nachwendezeit in Deutschland gefährlich und prekär lebten. Asylheime brannten, „Ausländer“ wurden gejagt, unverhohlener Rassismus und Nationalchauvinismus hatten Konjunktur. Gruppen wie Advanced Chemistry, aber auch Anarchist Academy und später die Absoluten Beginner ergriffen Partei für die „Gastarbeiter“ und ihre Nachkommen. Rap und Politik – seit jeher eng miteinander verwandt, mal explizit, mal implizit. Immer aber schwang die Kritik an eklatanten Missständen in Staat, Polizei und Gesellschaft mit. Und heute?

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Der Ruhrpilot

Norbert Röttgen

NRW: Parteitag nach Wahldebakel – Röttgen, der Unnahbare…Spiegel

NRW II: Sladek löst Marsching als Chef der NRW-Piraten ab…Der Westen

NRW III: Armin Laschet ist neuer Chef der NRW-CDU…Zeit

NRW IV: Zu viel Ruhrgebiet?…Solinger Bote

NRW V: Das Ende der Ära WestLB – ein Nachruf…Der Westen

Ruhrgebiet: Nacht der Industriekultur startet…Bild

Bochum: Grüne, Linke und Steude sind mit Ratsvorlage zum Musikzentrum unzufrieden…Ruhr Nachrichten

Dortmund: Pyrotechnik – Ermittlungen gegen Großkreutz und Barrios…Ruhr Nachrichten

Essen: Synagogen-Leiter findet Beschneidungs-Urteil „lächerlich“…Der Westen

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Update: Der Jamiri-Plagiator Andreas Heinze aus Oberhausen wagt eine Ausstellung

"DAS ist nicht Jan auf einer heimlich eröffneten Ausstellung mit neuen Werken, DAS ist Jan vor dem dreistesten Plagiat, das ich je sah. Ein Andreas Heinze, der sich selbst vorahnend "flauteboy" nennt, besitzt nicht nur die Frechheit, haargenau Jans Strich, Typo, Aufbau und - Gott sei Dank ohne Erfolg - auch seinen Humor zu kopieren, er hat auch noch die Chuzpe, seine 'Werke' auszustellen." Bild und Text via Facebook
"DAS ist nicht Jan auf einer heimlich eröffneten Ausstellung mit neuen Werken, DAS ist Jan vor dem dreistesten Plagiat, das ich je sah. Ein Andreas Heinze, der sich selbst vorahnend "flauteboy" nennt, besitzt nicht nur die Frechheit, haargenau Jans Strich, Typo, Aufbau und - Gott sei Dank ohne Erfolg - auch seinen Humor zu kopieren, er hat auch noch die Chuzpe, seine 'Werke' auszustellen." Bild und Text via Facebook

Peinlicher geht es nicht. Andreas Heinze aus Oberhausen macht nach, zeichnet ab und nennt sich Comic-Künstler. Er plagiiert Jamiri. Und macht mit den Plagiaten eine Ausstellung in Oberhausen in der VHS. Und diese lächerliche Internetseite labkultur.tv, die sich Kulturseite nennt, merkt das nicht und schreibt einen Jubel-PR-Artikel über die Ausstellung der Plagiate. XX Update ganz unten: Perik Hillenbach von labkultur.tv hat auf Vorwürfe reagiertXX

Ich schäme mich fremd. Andreas Heinze ist eigentlich kein schlechter. Er bemüht sich in Oberhausen um so was wie Comickultur. Das ist schwer. Sicher. Und das ist lobens- und unterstützenswert.

Aber deswegen darf man nicht abmalen. Das geht einfach nicht. Andreas Heinze plagiiert bis ins Detail. Die Figuren: Vom Hund über den Freund bis zur Freundin – identisch, bis auf kleinste Änderungen. Seine Bartstoppeln sind blond. Selbst die Schriften, die Überschriften, die Bildaufteilung, die Farben. Alles abgekupfert.

Dass eine VHS das nicht merkt, kann ich mir ja noch vorstellen. Da sitzen halt Leute, die keine Ahnung haben. Die fallen auf die Plagiate rein, weil der Plagiator Andreas Heinze ein netter ist. Die VHSler lassen sich so eine Ausstellung mit peinlichen Plagiaten aufschwatzen.

Aber ich hätte nicht gedacht, dass eine Seite, die sich Kulturseite nennt, wie labkultur.tv, die Plagiate nicht bemerkt. Natürlich wusste ich, dass labkultur.tv nur Staatskohle abziehen will. Aber eine Art Mindestqualifikation hätte ich zumindest für mein Steuergeld erwartet.

Die Autorin Sandra Anni Lang schreibt für labkultur.tv blind wie eine Schleiche über die Ausstellung des Plagiators Andreas Heinze. Sie schreibt schleimige Public Relations, und merkt das nicht mal. Sie schreibt:

Die fotorealistischen Hintergründe seiner Arbeiten ähneln denen des Essener Zeichners Jamiri

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Trainspotting: Glitzer und Zerstörung im Rottstr5-Theater

Es ist immer Zufall, aber die Bahn scheint genau im richtigen Augenblick über die Schienen zu  donnern und das Gewölbe unter den Gleisen zu erschüttern – das intensiviert die auf der Bühne sich entfaltende Mischung aus 90er-Beats, Drogenrausch, Neon-Tights und Nachdenklichkeit. Eine aktuelle Adaption des Romans beziehungsweise der Bühnenfassung von Irvine Welsh (nicht etwa des Danny-Boyle-Films mit Ewan McGregor) sorgt zurzeit für gut gefüllte Sitzreihen in Bochums Off-Szene.

Das aus acht Newcomer-Schauspielern bestehende „young `n rotten“-Ensemble, Do-it-yourself-Jugendtheater der Rottstr.5, erzählt die Geschichte von Freunden, die sich alle gefährlich nah am sozialen Abgrund bewegen: entweder haben sie ihn knapp überwunden, sind kurz vor dem Absturz oder erleben gerade das geballte Beschissenheitspotential des Lebens. Das Stück berührt Grundthemen menschlicher Existenz – Verlust, Versagen, Verlangen, Verzweiflung. Von Euphorie bis Selbstaufgabe. Von Freundschaft bis Fehlgeburt.

Alle Darsteller überzeugen, obwohl es für viele die erste professionelle Bühnenerfahrung ist. Thomas Kaschel als Ex-Junkie Mark Renton kommentiert in fast unbeteiligtem, sarkastisch-resigniertem Ton, aber umso exzessiver gespielten Rückblenden den eigenen (Über)Lebenskampf und den seiner Freunde im tristesten Teil von Edinburgh. Der immer am Rande des Wahnsinns taumelnde Frank Begbie dagegen (Akbar Paktin) strahlt so viel aggressive Energie aus, dass die Zuschauer in den ersten beiden Reihen gut beraten sind, nicht ohne das passende Nervenkostüm anzutreten. Die eigentliche Geschichte aber handelt von Tommy (Ricardo Hopf ), dem Einzigen, der am Anfang über dem Sumpf aus Arbeits- und Perspektivlosigkeit, Beziehungsproblemen und Drogensucht zu schweben scheint – und am Ende am tiefsten drinsteckt.

Alles auf der Bühne scheint eine mehrdimensionale Metapher für vertane Chancen, fürs Verlieren auf ganzer Linie zu sein. Typen verlieren ihre Mädchen, Freunde ihren besten Freund, Junkies die Kontrolle, Absteiger ihr letztes Bisschen Stolz. AIDS und Schlägereien sind genauso präsent wie Angst und Abhängigkeit. Zu loben ist die Musikauswahl, die – für geschulte Ohren zu erkennen – hauptsächlich aus dumpfen Pionier-Techno-Tracks der Neunziger Jahre besteht und die durch den Theaterraum kriechende Stimmung aus Sucht, Lust und Entzugskampf perfekt untermalt. Aber keine Sorge, obwohl man durchaus emotional erschöpft den „Bunker“ verlässt, haben wir es nicht mit einer post-modernen Untergrund-Tragödie zu tun. Auflockernde Situationskomik und Wortspiele sind in gesunder Regelmäßigkeit eingestreut.

Wie setzt man Sucht auf der Bühne um? Wie verhindert man das redundante Bild der Koks-Line, der Spritze oder des Teelöffels überm Feuerzeug? Das Problem der Darstellung zahlloser bewusstseinserweiternder Substanzen mit den unterschiedlichsten Aggregatzuständen wurde (durch ein Brainstorming der gesamten Besetzung) intelligent und wirkungsvoll gelöst: eine Flüssigkeit aus Goldstaub und Wasser, in die die Junkies auf der Bühne immer wieder ein und im Rausch wieder auftauchen, steht für alle im Stück genannten Drogen von Speed bis H. Die auffallend häufig rottönige Beleuchtung und der Einsatz von Stroboskoplicht tun ihr Übriges.

Stellenweise wirkt die Inszenierung leicht übersteuert, „lauter“ und greller als sie sein müsste: ein Publikum mit von der Bühne gebrüllter Vulgärsprache zu schockieren, ist seit Jahrzehnten kaum noch nötig oder gar möglich. Und doch ist dies eines von vielen Elementen, die verhindern, dass der theaterfreundliche Bildungsbürger es sich zwei Stunden lang in seinem Sitz gemütlich machen kann.

Trainspotting erzählt vom Dilemma, das Jungsein in vollen Zügen auskosten zu wollen und dann doch im Kreislauf aus Benommenheit, Sex und Langeweile auf der Stelle zu treten.

Davon, wie leicht es ist abzurutschen und wie schwer wieder aufzusteigen. Am Ende ist es ein Stück über das, was das Leben gut macht und das, was es zerstört – und die komplizierte Welt dazwischen, in der man sich so leicht verlieren kann.

Mehr Infos: Rottstr5 Theater

bodo: Retten, Wohnen, Radfahren – Das Straßenmagazin im Juli

In der Juliausgabe, die ab heute erhältlich ist, porträtiert das Straßenmagazin bodo den Dortmunder Schauspieler und Kölner Tatort Staatsanwalt Christian Tasche. Titelthema der Juli-bodo ist die zunehmende Gewalt gegen Rettungskräfte. Laut einer Studie der Ruhruni haben 98 Prozent der Rettungssanitäter und -assistenten im letzten Jahr Erfahrungen mit Gewalt gemacht. bodo besucht Wittener „Sanis“ und erfährt: Für Angst bleibt keine Zeit.

Schwerpunktthema ist das prekäre Wohnen zwischen Wohnungsspekulation, Schrottimmobilien und Hartz IV. bodo interviewt dazu den Stadtsoziologen Dr. Sebastian Müller und stellt mit dem niederländischen „Antikraak“-Modell, das sich gerade nach Deutschland ausbreitet. In dieser drittklassigen Wohnform ,schützen‘ Mieter Leerstände vor Besetzung und wohnen dabei praktisch rechtlos.

In Bochum besucht bodo ein Nachbarschaftsprojekt, in dem sich eine ganze Straße ein gemeinsames Wohnzimmer geschaffen hat und stellt das „Netzwerk X“ vor, das Initiativen aus dem ganzen Ruhrgebiet

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Der Ruhrpilot

Landtag NRW

NRW: Deutschlands Pleiteland Nummer eins…RP Online

NRW II: Die CDU irrlichtert…RP Online

Ruhrgebiet: Revier ist NRW-Welterbe-Kandidat…Die Glocke

Ruhrgebiet: Die Steag trennt sich vom Atommüll-Zwischenlager in Ahaus…Radio Bochum

Bochum: Opel plant Neustart ohne das Werk Bochum…Der Westen

Dortmund: Wohnraum wird knapp…Der Westen

Duisburg: Stadt will Krieger-Pläne für Möbelhäuser durchdrücken…Der Westen

Duisburg II: Endspurt im OB-Wahlkampf…RP Online

Duisburg III: Soziophysiker hält „Massenpanik“ nicht für Ursache der Loveparade-Katastrophe…Der Westen

Umland: Rechtsextreme Musikgruppe “Kategorie C” in Madfeld?…Zoom

OCCUPY SCHLARAFFENLAND: GUMMIBOOT STATT STRAHLENTOD

kernie_2Unser Schicksal ist besiegelt: Die Menschheit wird untergehen. An ihrer Gier ersticken und die Welt zu Grunde richten. Brennende Bohrinseln und bettelnde Bad Banks, Katastrophen-Kraftwerke und Staatsbrankrott. In unserem System wütet der Terror grenzenloser Habsucht. Hört auf nur zuzuschauen! Es reicht! Occupy every-fucking-thing! Wir stürmten ein Schlaraffenland, eroberten Minigolfplätze und Softeisspender, Bäche voller Bier und märchenhafte Pommes-Buden. Wir stürmten Kernies Wunderland in Kalkar: ein stillgelegtes Atomkraftwerk, ein Erlebnispark, Hotelkomplex, Kongresszentrum und Säuferparadies. Wir sagen Euch: Das Leben auf Flatrate endet im Supergau. Alternativlos. Ein Erlebnisbericht von Herrn Schlange und Herrn Joswig.

– Der Text ist im aktuellen Ruhrbarone-Magazin „GRENZEN“ erschienen. –

 

18.03 Uhr: Erste Vorboten der drohenden Katastrophe.

„Zwei Bier, bitte.“ Der Typ hinterm Tresen stellt zwei Grolsch aufs Holz und dreht sich zum nächsten Säufer. Joswigs Mund bleibt offen. Er dreht sich zu Schlange. „Alter, wir haben hier ne Bierflatrate.“

Schlange schürzt seinen Schnäuzer: „Willkommen in der Hölle.“

Kernies Vergnügungspark ist seit zwei Minuten geschlossen. Schlange und sein rotgelockter Freund suchten Zuflucht auf einem künstlichen Sandstrand vor dem Atomkraftwerk, fanden eine kreisrunde Holztheke unter einem bunten Zirkusschirm, sitzen an einem der Bierstände vor den Hotel- und Kongresskomplexen des Wunderlandes. Miesester Tiki-Bar-Style. Blechern dröhnt aus grauen Sirenen „Country Roads“ – der Dance-Mix.

„Alter, wir haben noch acht Stunden vor uns, und ich könnt jetzt schon alles kaputtkloppen.“ Schlange schwenkt ungeduldig sein Bier.

Wie Stalagmiten stapeln sich leere Plastikbecher vom Tresen den gelben, roten und orangefarbenen Zeltbahnen entgegen. Die anderen Typen unter dem Schirm scheinen seit Mittag das blonde Nass zu

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