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Rap und Politik – von linker Gesellschaftskritik zu bürgerlichem Spießertum

Der Berliner Rapper Bushido absolviert ein Praktikum beim schwäbischen CDU-Abgeordneten Christian Freiherr von Stetten. Neulich wurde er gar auf der Besuchertribüne im Bundestag gesichtet. Eigenen Angaben zufolge will Bushido eine eigene Partei gründen und das Amt des Oberbürgermeisters von Berlin anstreben. Die Verknüpfung von Rap und Politik ist derweil nicht neu. Schaut man sich allerdings die Anfänge des (politischen) Raps in Deutschland an, scheint es in den letzten Jahren eine hundertachtzig-Grad-Wende gegeben zu haben.

„Wie kommt es, dass du (…) als Immigrant / sogenannter Ausländer konstant hast einen schlechten Stand? / Zum Beispiel Artikel 12 Bundeswahlgesetz / sorgt dafür dass du bei der Wahl zu Hause sitzt / zum Beispiel Artikel 3 Staatsangehörigkeitsgesetz / der deine Rechte genauso verletzt“. So rappten es 1994 die Deutschrap-Pioniere der Heidelberger Rap-Gruppe Advanced Chemistry. Der Song „Operation § 3“ und andere Stücke, wie etwa der legendäre Aufschrei „Fremd im eigenen Land“, gaben denjenigen eine Stimme, die gerade in der Nachwendezeit in Deutschland gefährlich und prekär lebten. Asylheime brannten, „Ausländer“ wurden gejagt, unverhohlener Rassismus und Nationalchauvinismus hatten Konjunktur. Gruppen wie Advanced Chemistry, aber auch Anarchist Academy und später die Absoluten Beginner ergriffen Partei für die „Gastarbeiter“ und ihre Nachkommen. Rap und Politik – seit jeher eng miteinander verwandt, mal explizit, mal implizit. Immer aber schwang die Kritik an eklatanten Missständen in Staat, Polizei und Gesellschaft mit. Und heute?

Taliban, schwulenfeindlich

 „Junge ich kotz‘ denn Amerika gefällt euch / für mich gibt es nur eine Zahl und die ist 11, 9 / Der 11. September, der Tag der Entscheidung / ich bin dieser Junge über den man las in der Zeitung / wenn ich will seid ihr alle tot, ich bin ein Taliban / ihr Missgeburten habt nur Kugeln aus Marzipan“. So erklingt es aus dem Munde ebenjenen Bushidos, der sich jüngst einen Schreibtisch im Büro des CSU-Politikers von Stetten eingerichtet hat. Der Aggro-Berlin-Spross rappt eigentlich bevorzugt über Penetration und Kokskonsum. Dies hat er allerdings, im Zuge seines eigenen Sell-Outs, ein wenig eingedämmt. Schwule mag er immer noch nicht.

Hustle oder Heal the World?

Dieses Phänomen ist seit einigen Jahren zu beobachten. Politischer Rap, der gesellschaftliche Fehlentwicklungen anprangert, gerät immer mehr ins Hintertreffen. Mit dem Aufkommen des „New School Rap“, ungefähr Mitte der Neunziger, änderten sich auch die Inhalte. Die Szene entdeckte, dass mit Rap-Musik wunderbar Geld zu verdienen war, Querulantentum stört da nur. Natürlich blieben viele Rapper bei ihren politischen Inhalten, sie wurden aber immer mehr zu einer Randerscheinung. Ernsthafte Aufarbeitungen diskriminierender Zustände (wie etwa „Operation § 3“) wurden schnell von plumpen, pseudopolitischen Songs über das eigene „Ghetto“, und wie hart man darin hustlet (dt.: seine Geschäfte macht), verdrängt. Auch plumpe, gegen Amerika gerichtete Lippenbekenntnisse fanden, gerade vor dem Hintergrund des Krieges im Irak, reißenden Absatz. Deren Gehalt kam aber über das Dreschen von Phrasen selten hinaus.

Das Beispiel Beginner

Der Niedergang des Politischen im Rap lässt sich gut am Beispiel des Everybody’s Darling Jan Delay besichtigen. Der Hamburger machte sich mit seiner Gruppe Absolute Beginner nicht nur um die Etablierung deutschsprachigen Hip-Hops verdient; Die Beginner engagierten sich auch außerhalb musikalischer Zusammenhänge stark gegen Rassismus und Neonazismus. „Ich möchte nicht, dass ihr meine Lieder singt“, ein wunderbarer Song von Jan Delay von 2001, war Vielen eine Obsession, eine wütend-spöttische Abrechnung mit dem Establishment. Heute hingegen hüpft eben dieser Jan Delay mit Lackschuhen und Maßanzug durch TV-Shows und Festival-Bühnen und besingt den Konsum. Er ist geworden, was er immer bekämpfte.

CSU-Sohn: „Jede Frau bückt sich“

Zurück zu Bushido. Dass der „kugelsich’re Jugendliche“ ausgerechnet bei einer Unionspartei landet, ist daher weniger verwunderlich. Überhaupt pflegt die Union eine merkwürdige Nähe zu Gangster-Rappern. Im Januar letzen Jahres wurde bekannt, dass der Sohn des bayerischen Innenministers Joachim Hermann offensichtlich eine Karriere als ganz böser Bube im Rap anstrebt. Jakob Hermann aka „Jackpot“, damals 19 Jahre alt, machte mit „Ficken- und Saufen-“ Raps im Internet von sich reden („Jede Frau bückt sich“, „Ich trinke Vodka wie Wasser“). Peinlich, peinlich. Jedenfalls für Vater und Partei. Und erst kürzlich gab der Berliner Partyrapper Harris der rechtspopulistischen bis rechtsradikalen Wochenzeitung Junge Freiheit ein ausführliches Interview darüber, warum Nationalismus nichts Schlimmes ist. Migranten ohne Deutschkenntnis empfiehlt er die Heimreise.

Gestern links, heute liberal?

Etwas weniger reaktionär, aber für einen Rapper doch sehr ungewöhnlich, schaltete sich auch der Rapper „Jaice“ in den vergangenen NRW-Wahlkampf ein. Mit „Hallo NRW“ zimmerte er der FDP einen eins-A-Wahlkampfsong. Und dies nicht etwa als (in der Szene verpönte) Auftragsarbeit, nein, es handelte sich dabei um ein „Projekt auf freiwilliger und unabhängiger Arbeit“, wie Jaice betonte. Und der Song ist, man muss es eingestehen, gar nicht mal schlecht gerappt. Den letzten Show-Down zwischen Rap und FDP gab es übrigens 2002: Im Rahmen der Bundestagswahl wollte ein siegessicherer Samy Deluxe den FDP-Politiker Guido Westerwelle in einer Diskussion vorführen. Nach kurzer Zeit schon erinnerte das seltsame Aufeinandertreffen an eine Schuljungenschelte mit Westerwelle in der Rolle des Oberlehrers.

Sex mit Merkel

Es bleibt also die Frage: Hat sich die Rap-Szene verändert? Oder hat sich die mediale Rezeption des Raps verändert, die, anders als in den Neunzigerjahren, den Einzelnen hervorhebt, Ikonen schafft, die mit Einzelleistungen umso stärker glänzen können? Wie erklärt sich, dass die ach so rebellischen Rapper, wie Bushido sich mal verstand und Jan Delay es bizarrer Weise immer noch tut, keine Probleme damit haben, sich konservativen Stinkstiefeln wie etwa Innenminister Friedrich (CSU) anzubiedern? Und andersherum: Wie kommt ausgerechnet die CDU darauf, sich mit einem solchen Blut-und-Sperma-Barden sehen zu lassen? Nun, zumindest für Bushido zeichnet sich eine Erklärung für sein plötzliches christdemokratisches Engagement ab: 2009 gab Bushido bekannt, gerne mal Sex mit Bundeskanzlerin Angela Merkel haben zu wollen. Der Teil der Hip-Hop-Szene, der keinen Bock auf konservativ- bürgerlichen Lifestyle, sondern eine Menge zu sagen hat über was alles scheiße ist und wie es anders werden kann, sollte sich endlich wieder aus der Deckung wagen.

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Jens Web
Jens Web
11 Jahre zuvor

„Hat sich die Rap-Szene verändert?“

Ja klar, früher gab es noch Deutsch-Rap mit Hirn, heute geht´s nur noch um dicke Eier.

Abhaken und fertig, es gibt auch andere gute Musik.

C. Moltisanti
C. Moltisanti
11 Jahre zuvor

Der Track von Jaice ist, wenn man Hiphop-Maßstäbe anlegt, ganz sicher nicht „gar nicht mal sclecht gerappt“, sondern whack wie nichts Gutes.
Erfahrungsgemäß wird es immer genau dann gleichermaßen peinlich, wenn sich Rapper an „politischem Rap, der gesellschaftliche Fehlentwicklungen anprangert“ versuchen, und wenn sich Subkultur-ferne Autoren über Hiphop äußern.
Zu Rap greife, wer sich an Straßengeschichten und Drogeneskapaden mit Wortspielen als Ornament erfreuen möchte. Wer sich ernsthaft politisch informieren will, nehme weiterhin eine Tageszeitung zur Hand.

Bettina
Bettina
11 Jahre zuvor

Zu Jan Delay / Eißfeldt:
Auch und gerade als weißer Mittelschichtsrapper war er eh & je antizionistisch und antiamerikanisch… Hier ein frühes Schundwerk: https://www.youtube.com/watch?v=bEa5PvIzQd4

Er war und ist nie besser als Bushido gewesen. Beide verkaufen ihre reaktionären Ressentiments als „Antirassismus“ und „Gesellschaftskritik“, nur im anderen „Style“.

Andre
11 Jahre zuvor

@ Jens Web:

Ich weiß nicht genau, ob das so wirklich zutrifft. Ich bin der Meinung, dass die schlimmste Hip-Hop Phase überstanden wurde. Bushido/Sido und Co haben sich -Gott sei Dank- etwas beruhigt und von unten kommt nicht mehr viel nach.

Im Gegensatz dazu finde ich sogar, dass der deutsche Hip-Hop eher intelligenter geworden ist: Casper und Prinz Pi sind zum Beispiel zwei Musiker, die komplett ohne möchtegern-proll-frauenfeindliche Texte Erfolg haben. Natürlich gibt es auch andere Beispiele, aber insgesamt fand ich die Entwicklung vor einigen Jahren wesentlich schlimmer als die aktuelle.

Viele Grüße
Andre

iL
iL
10 Jahre zuvor

Bettina: is ja lächerlich „antizionistisch und antiamerikanisch“ wg. dem „dies ist nicht amerika“ abzulassen. hast du überhaupt mal den text verstanden?

es geht in dem stück darum nicht irgendwelchen gangster und ghettomist zu kopieren, eben ein vermeintliches bild was hiphop wohl ausmacht. es geht überhaupt nicht um amerika an sich sondern um das was hier in deutschland davon übernommen wird ( vermeintlich übernommen ).

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