Der Menschenfresser von Duisburg

Heute, am 1. Juli jährt sich der Jahrestag des Todes von Joachim Kroll.

Heutzutage ist der widerwärtigste Serienmörder der deutschen Kriminalgeschichte so gut wie vergessen. Der Duisburger Waschkauenwärter Joachim Kroll tötete mindestens acht Menschen im Ruhrgebiet. Und er aß von ihren Leichen. Eine Kriminalgeschichte.

Joachim Kroll
Joachim Kroll

Kein schöner Sommer war das damals anno ’76. Wer kann sich schon erinnern? Zwar freuten sich die Menschen über wochenlange Bullenhitze in ganz Deutschland und fieberten mit den Ihrigen während der olymischen Sommerspiele in Montreal. Doch seit Anfang Juli dieses Jahres begann Grauen, das Revier zu lähmen.

Zu dieser Zeit, am zweiten Juli, vermissten die Duisburger Eheleute Kettner ihre vierjährige Tochter Marion. Mit ihren Freundinnen war die Kleine am Nachmittag nur eben mal zum Spielen raus. Auf diesem Spielplatz nahe ihrem Elternhaus auf der Friesenstraße in Duisburg-Laar hat man sie auch noch beobachten können.

Doch wenig später suchten Eltern und Bekannte stundenlang vergeblich nach dem kleinen Kind. Auch die mit Hunden und Hubschraubern fahndende Polizei vermochte das blonde Mädchen nicht zu finden. In der Folge ergaben die polizeilichen Ermittlungen in Sachen des vermissten Kindes eine kleine Unregelmäßigkeit im Nachbarhaus der Kettners. Auf der Friesenstraße 3 war seit Tagen eines der Etagenklos verstopft. Den beiden Polizeibeamten, die zuvor vergeblich auf der Suche nach Marion Tür um Tür abklapperten, erzählte ein Hausbewohner, sein Nachbar namens Joachim Kroll habe ihn darum gebeten, das Klo vorerst nicht mehr zu benutzen: „Ich hab‘ geschlachtet, ein Kaninchen“, sagte Kroll dem Nachbarn, „versehentlich hab‘ ich wohl mit den Innereien das Klo verstopft“. Der Klempner, den die Beamten riefen, fand heraus, daß letzteres wohl die Wahrheit war.

Im Abort waren Eingeweide. Die Eingeweide eines kleinen Menschen höchstvermutlich. Darauf angesprochen lud Kroll die Polizei zur Begehung seiner Wohnung ein. „Sehen se doch mal in der Tiefkühltruhe nach“, schlug er in seiner Dachgeschoß-Wohnung vor. Tatsächlich liegen in der Truhe Stücke von gefrorenem Menschenfleisch, abgepackt in Plastiktüten. Und in einem Kochtopf, der auf dem einem Ofen steht, befindet sich eine Brühe von Möhren und Kartoffeln sowie eine kleine Menschenhand. Unverzüglich nimmt der Kommisar vom Dienst Kroll wegen Mordverdachtes fest. Am 4. Juli 1976, schildert der 43jährige Joachim Kroll, der auf der Hamborner August- Thyssen-Hütte von Berufs wegen eine Waschkaue in Schuß hält, zwei Vernehmungsbeamten wie Marion Kettner zu Tode kam.

Während der unauffällige Mann ruhig und leise das Unfassbare berichtet, versammelt sich vor seinem Wohnhaus eine Menschenmenge. Alle stehen sie unter Schock. Entsetzen bei den Frauen. Die Männer lassen Lynchjustizabsichten erkennen. Dieweil gesteht der Täter in den Räumen des Polizeipräsidiums, wie er Marion in seine Mansarde lockte. Wie er versuchte, sich an ihr zu vergehen. Wie sie schrie und sich wehrte. Weswegen er sie schließlich erwürgte. Und wie Kroll anschließend, so waren seine Worte, „wissen wollte, wie ein Mensch von innen aussieht und wie er schmeckt“. Auf einmal wird der zuvor polizeilich nicht in Erscheinung getretene Hilfsarbeiter für Polizei und Staatsanwaltschaft „zu einem Fall von Kannibalismus, wie er in der deutschen Kriminalgeschichte nur wenige Beispiele hat“. Zumal Joachim Kroll zwar stockend, aber richtig plaudert…

Marion Kettner wird wenige Tage nach der Aufdeckung der Tat beigesetzt. Hunderte von Trauernden nehmen Anteil an ihrem letzten Weg. Die Pfarrer Dietrich Kohr aus Laar spricht ihr die letzten Worte. Den Mord an der Vierjährigen bezeichnet er als „die Tat eines vom Teufel bessessenen Menschen“. Zu dieser Zeit läßt das Bundeskriminalamt offiziell verlauten, daß gemäß seiner Schätzung „jede Stunde zwölf Kinder von Sittlichkeitsverbrechern mißbraucht werden“. Und der Vorsitzende Richter des Landgerichtes Mannheim, Rolf Wimmer, schrieb vor ein paar Wochen in einer Fachzeitschrift über Triebverbrecher: „Es gibt unter ihnen unverbesserliche Kriminelle. Man muß sie für immer hinter Schloß und Riegel bringen, damit andere harmlose Menschen friedlich überleben können“.

Zunächst zwei Wochen sitzt Joachim Georg Kroll täglich bis zu neun Stunden täglich auf einem Holzstuhl im Verhörraum. „Aber der kriegt seine Pausen, wann er will“, sagt Staatsanwalt Sehmisch. Bald schon bedienen sich die Vernehmungsführer der Vertraulichkeit des Du, auf Krolls Wunsch spielen die Schließer in dessen Zelle mit ihm Skat. Die ganze Ermittlungsmannschaft will ihren Joachim gewogen stimmen, „das ist kein Typ, der uns einen Bären aufbindet“, sagt der Kripochef Kalitschke. Also wird der Verdächtige sogar mit seiner Leibspeise verpflegt. Zur Zubereitung von Reibekuchen und Rübenkraut spannt die Kripo die Frau eines Beamten ein. In der Untersuchungshaft ist Kroll guten Mutes, daß man ihn „bald wieder nach Hause läßt“. Nachdem man bei ihm „eine Operation durchgeführt hat, die ihn in Zukunft für Frauen harmlos macht“.

Allmählich kommt ans Licht, was Kroll so trieb und wer er ist. Vor ein paar Jahren lebte er in einem Ledigenwohnheim in Duisburg-Huckingen. Dort haben sie ihm fristlos gekündigt, weil er sein Zimmer verkommen ließ. Sein damaliger Nachbar Erich erinnert sich, daß er Gummipuppen sammelte. „Manchmal hat er lebensgroße Puppen als Mädchen bekleidet und tanzte mit ihnen auf dem Flur ‚rum“. Kroll selbst gibt in diesem Zusammenhang an, daß er oft mit der einen Hand eine Puppe strangulieren habe, während er sich mit der anderen Hand befriedigte. Dem Wohnheimverwalter fiel auf, „daß er auf seiner Bude vier Fernseher, drei Tonbänder und drei Radios hatte“. Meist liefen mehrere Geräte gleichzeitig. Im Wohnheim galt Kroll als einer, „der nie Bier trank und nicht viel auf der Latte gehabt hat“. Nur das Kroll innerhalb von knapp zwei Wochen sieben Morde gesteht.

16. Juli 1976, Freitagnachmittag. Die Rheinwiesen in Rheinhausen, 200 Meter rechts der Rheinbrücke von Rheinhausen aus gesehen. Ein cremfarbener Ford Granada fährt an den Rand der Wiese. Hinten sitzt der Menschenfresser von Duisburg, er hat ein gelbes Hemd an. Zwei junge bärtige Kripobeamte begleiten ihn vom Auto hinaus auf die Wiese. Kniehohes Gras. Sybille, eine Kriminalkommissarin zur Anstellung, hält sich zur Tatrekonstruktion bereit. Bislang hatte sie in der ‚Sonderkommission Kroll‘ den Job, die Akten chronologisch zu ordnen. Die KK’in z.A. ist langhaarig, hellblond, hübsch und 22. Sie trägt einen kurzen Jeansrock und ein T-Shirt. An der Beamtin wird Kroll demonstrieren, wie er am 16. Juli 1959 die 24jährige, ebenfalls blonde Frieda Tesmer überfiel. Die Haushaltshilfe begleitete er nach einem Kneipenbummel in der Duisburger Altstadt über den Rhein In den Rheinwiesen schlug er sie mit der Faust nieder, nachdem sie sich einem Annäherungsversuch widersetzt hatte. Im Verlauf des Kampfes wird Frieda Tesmer erwürgt.

Was Kroll so rekonstruiert: Er greift sich die Kommissarin, rechte Hand an rechter Schulter, die Linke am linken Oberarm. Die Beamtin fällt ins umstehende Gras. Kollegen trennen Kroll von ihr. Anschließend sagt sie öffentlich, daß sie sich ganz sicher fühlte. Während des gesamten Vorgangs lagen, etwas abseits, etwa 30 Reporter auf der Lauer. In den Bäumen, hinter Büschen. Denn das Ganze ist vor allem eine Inszenierung für die Presse.

Kroll erinnerte sich letzlich an vierzehn Morde mit unterschiedlicher Genauigkeit. Er habe irgendwann aufgehört zu zählen. Bisweilen habe er, nachdem er sich an den Leichen seiner Opfer verging, diese auch tranchiert. Sexualmorde allesamt, bis auf den Fall Hermann Schmitz. Im August 1965 beobachtete er diesen und dessen Freundin Rita beim Liebesspiel in einem VW-Käfer auf einer Wiese in Großenbaum. Kroll hat es auf Rita abgesehen, wie er sagt. Zunächst durchsticht er mit seinem Messer einen Reifen des Autos. Daraufhin verläßt Hermann Schmitz das Auto, wird von Kroll mit dem Messer schwer verletzt, kann sich aber noch ins Auto retten. Seine Freundin fährt davon und gibt mit Hupe und Lichthupe Alarm. Während der Täter flüchtet, verblutet Hermann Schmitz in den Armen seiner Freundin.

Joachim Georg Kroll ist ein Flüchtlingskind. Im Frühling 1933 in Nordschlesien geboren. Zeit seines Lebens bleibt er quasi Analphabet, in seiner Heimat ging er nur fünf Jahre zur Schule, anschließend mußte er sich als Knecht auf den Höfen verdingen. Kroll gab zu Protokoll, die ersten sexuellen Regungen gespürt zu haben, als er bei einem Schlachter lernte, wie man Kühe und Schweine tötet. Er verging sich auch an den Tieren in den Stallungen der Bauern. Sein nach der Verhaftung gutachterlich festgestellter Intelligenzquotient von 76 liegt an der Grenze zur Schwachsinnigkeit. Auch die damals 11jährige Gabriele Püttmann überlebte eine Attacke Krolls. 1967, in der letzten Juniwoche, versuchte Kroll die damals 11jährige zu ermorden. Im Wohnzimmer von Gabis Eltern, nahe der Zeche Prosper IV, erinnert sich das Opfer noch Jahrzehnte später an Details. „Ich wollte zu meiner Freundin“, sagt die jetzige Kindergärtnerin, „bin den kleinen Bach entlanggegangen, in der Nähe des Schachtes, wo wir immer gespielt haben“.

Rund 100 Meter von ihrem Elternhaus entfernt sprach Kroll sie an, zeigte ihr ein Pornoheft. Später gibt Kroll in der Vernehmung an, daß er das Kind damit hat genauso erregen wollen, wie es ihn erregte. „Er sprach so leise, und ich hab‘ dann gesagt, laß‘ mich in Ruhe, dann geben dir meine Eltern ganz viel Geld“, erinnert sich Gabriele Püttmann weiter. Aber Kroll versuchte, sie zu erwürgen., „der hatte so schmutzige Hände, die waren so grob“. Weil sich aufgrund des Schichtwechsels der nahegelegenen Zeche ein paar Kumpels näherten. ließ Kroll von seinem bewußtlosen Opfer ab. Auch Gabis Mutter, Magarete Püttmann, erinnert sich noch wie heute: „Ihr Hals wies lauter Würgemale auf, das Gesicht war ganz grün, sie war völlig verstört“.

Freitag, 5. Oktober 1979. Neun Uhr. Die Justizwachmeister führen Joachim Kroll in den Saal 201 des Duisburger Landgerichts. Er hat die Jacke seines beigefarbenen Sakkos ins Gesicht gezogen. Nur die Mitte seiner hohen Stirn lugt zwischen den Revers hervor. Sieben Minuten lang muß der regungslos auf der Anklagebank sitzende Angeklage ein Blitzlichtgewitter über sich ergehen lassen. Erst dann wird die vorläufig auf fünf Monate angesetzte Verhandlung eröffnet. Ein versuchter und acht vollendete Morde werden Kroll zur Last gelegt. Nach 142 Verhandlungstagen wird dann zweieinhalb Jahre später das Urteil gesprochen. Neunmal lebenslänglich lautet es. Joachim Kroll starb am ersten Juli 1991 an einem Herzinfarkt in der JVA Rheinbach.

Die ‚Encyclopedia of Modern Murder‘ (Wilson & Seaman: London 1983) vermerkt resümierend, daß „gerade eine Kombination aus Blödheit und tierischer Verschlagenheit es erlaubte, daß einer der schlimmsten Serienkiller Deutschlands ungehindert mehr als zwanzig Jahre tätig sein konnte“.

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BadBrainJohnson
BadBrainJohnson
8 Jahre zuvor

Krasse Geschichte, bisher noch nie davon gehört. Ich kannte nur den "Rhein-Ruhr-Ripper": https://de.wikipedia.org/wiki/Rhein-Ruhr-Ripper

Udo Pankau
Udo Pankau
6 Jahre zuvor

Sehr geehrter Herr Meiser, die genannten Verstopfungen der Toilette waren damals im Haus Friesenstrasse 11 und nicht Friesenstraße 3. Meine Oma wohnte im Haus Friesenstraße 9, daher weiß ich das. Ich war damals 8 und erinnere mich gut.

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