Düsseldorf: „Mama. Von Maria bis Merkel“

Der SPIEGEL: Mutter Angela 39/2015, Zeitschrift, 2015, Stiftung Museum Kunstpalast, Foto: LVR-ZMB – Annette Hiller.

Was sehen Sie vor Ihrem inneren Auge, wenn Sie das Wort MAMA hören?“ Für wen haben Sie mütterliche Gefühle?“ Wer sorgt für Sie?“ Was ist die lustigste / schönste Erinnerung, die Sie an Ihr Kind / Ihre Mutter haben?“ Was kann Mutterschaft in der Zukunft bedeuten?“  – Wie Frauen bis heute über Mutterschaft definiert werden, zeigt die Ausstellung „Mama. Von Maria bis Merkel“. Ein Bericht von unserer Gastautorin Christiane Jochum.

Der Besucher wird von den dargestellten Eingangsfragen empfangen und aufgefordert, sich von ihnen durch die Ausstellung begleiten zu lassen. Sie erweisen sich als gute Leitlinien, die gezeigten Exponate nicht nur passiv zu konsumieren, sondern kritisch im besten Sinne zu betrachten und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Mama. Von Maria bis Merkel“, auch wenn der Titel möglicherweise aus Freude an der Alliteration gewählt worden ist, weist er auf den Schwerpunkt der Ausstellung in der westlichen Welt hin. Mit 120 Exponaten aus dem Zeitraum zwischen dem 14. Jahrhundert bis in die Gegenwart entfaltet sich ein breites Spektrum von Malerei, Skulpturen, Fotografien, Dingen des täglichen Gebrauchs, Spielzeug bis hin zu Videoinstallationen, die den Blick auf die Mutterschaft im Wandel der Zeit richtet. 

Was verbindet der Besucher mit dem Begriff „Mutter“? Sind es warme, positive Gefühle? Oder löst er eher Abwehr aus, erinnert vielleicht an unschöne Szenen aus der Kindheit? Wie ist das Verhältnis zu den eigenen Kindern? All diesen Fragen geht die Ausstellung nach, wobei die einzelnen Aspekte nicht kursorisch, sondern themenbezogen betrachtet werden.

Der Rundgang startet mit verschiedenen Darstellungen der Gottesmutter Maria. Wir sehen sie als Himmelskönigin, aber auch als bescheidene liebevolle Mutter, die ihr Kind fürsorglich im Arm hält. Die gesellschaftlichen Erwartungen, die Müttern die Rolle als aufopfernde Dienende zuweist, nehmen hier gut sichtbar ihren Ursprung.

Die Bilder und Exponate stammen vereinzelt aus dem 14. bis 19. Jahrhundert, der Schwerpunkt der Ausstellung liegt jedoch deutlich im 20. Jahrhundert. Das mag daran liegen, dass der Blick auf das Muttersein und die gleichzeitige Veränderung der Rolle der Frau sich in einer Geschwindigkeit vollzog, die in den weiter zurückliegenden Jahrhunderten so nicht stattgefunden hat. Die Erwartungen, die die westliche Gesellschaft mit der Mutterschaft verknüpft, werden in der Ausstellung mit Hilfe verschiedener künstlerischer Ausdrucksformen nachgezeichnet. So findet sich beispielsweise ein deckenhohes Regal voller Ratgeberliteratur über die unterschiedlichsten Erziehungsmethoden im 20. Jahrhundert. Von Büchern zur antiautoritären Erziehung der 1970er Jahre, Still- und Schlafratgebern aus den 1980er und 1990er Jahren bis zur Fachliteratur der Gegenwart steht dem interessierten Besucher eine Fülle von Literatur zur Verfügung; Durchblättern und Lesen sind ausdrücklich erwünscht.

Interessant ist der Blick auf die Intention der Ratgeberliteratur im zeitlichen Bogen. So wurden aus Ratschlägen zur Geburtsvorbereitung, der Babypflege und Ernährung bis hin zur Rückkehr in den Beruf zunehmend Wertvorstellungen, die die Einstellung zur Mutterschaft und die gesellschaftlichen Erwartungen prägten. Änderten sich die Handlungsempfehlungen der Ratgeberliteratur, wechselten in der Folge die gesellschaftlichen Paradigmen.

Auch das Buch, welches die Basis der sogenannten „Schwarzen Pädagogik“ bildet, geschrieben von Johanna Haarer, einer unerschütterlichen Nationalsozialistin, ist, geschützt hinter einer Glasplatte zu sehen. Der Buchtitel in Frakturschrift, „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ weist unverblümt auf den Inhalt mit den Erziehungsidealen der damaligen Zeit hin. Was vielen nicht bekannt sein dürfte: Das Buch der Autorin wurde nach dem Krieg von den nationalsozialistischen Textstellen „gesäubert“ und unter dem geänderten Titel „Die Mutter und ihr erstes Kind“ bis Anfang der 1980er Jahre aufgelegt. Welche Auswirkungen diese rigiden Erziehungsmethoden in mindestens zwei Generationen der Nachkriegszeit verursacht haben, wird Psychologen und Sozialwissenschaftler vermutlich noch länger beschäftigen.

Max Reimer, Ein Volk hilft sich selbst, Nachdruck eines Plakats des Winterhilswerkes um 1938, 59,5 x 42 cm, Deutsches Historisches Museum Berlin, Foto: © bpk

Was macht eine gute Mutter aus?“ Beim weiteren Weg durch die Ausstellung konfrontieren neben den oben gestellten Eingangsfragen immer neue Überlegungen und Facetten zum Thema „Mutterschaft“ den Besucher. Wer kennt nicht die Schlagworte „Glucke“ oder „Rabenmutter“, mit denen Frauen etikettiert und in Schubladen gesteckt werden. Hier ist der historische Kontext interessant: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten, wenn Arbeitsplätze knapp sind, ist die Tendenz, berufstätige Frauen als „Rabenmütter“ zu titulieren und ihnen das Hausfrauendasein schmackhaft zu machen, deutlich ausgeprägter, wie in der Nachkriegszeit, aber auch in den 1980er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu sehen war.

Das idealisierte Bild der hingebungsvollen, fürsorglichen Mutter, die sich aufopferungsvoll um die Kinder kümmert, entstand um 1800 und war fest verknüpft mit der gesellschaftlichen Stellung und der wirtschaftlichen Situation der Familie. Nur Angehörige des gehobenen Bürgertums konnten sich den Luxus leisten, auf die Erwerbstätigkeit der Mütter zu verzichten. Frauen aus der Arbeiterschicht hatten diese Möglichkeit nicht und waren oft gezwungen, ihre Kinder mit an den Arbeitsplatz zu nehmen. Die Verknüpfung von mütterlicher Berufstätigkeit mit wirtschaftlichen Zwängen einerseits und dem heutigen Anspruch auf Verwirklichung eigener beruflicher Ziele spiegelt sich in dem Ausstellungsbereich „Care-Arbeit“ wider. Noch immer, bis in die Gegenwart, sind es häufig die Frauen, die in Partnerschaft und Familie den größeren Teil der Versorgung übernehmen, was nicht selten zu Konflikten führt und zunehmend Multitasking-Fähigkeiten erfordert. (Siehe das Bild „Brotschneiden“ von Judith Samen).

Neben den vielfältigen Facetten der Mutterschaft, dem kritischen Blick auf Mütter und ihre Beziehungen zu ihren Kindern innerhalb der Gesellschaft ihrer Zeit thematisiert die Ausstellung auch die gewollte oder ungewollte Kinderlosigkeit. Dieses emotional sehr aufgeladene Thema wird u.a. in Werken von Hanna Höch und Nina Hagen künstlerisch verarbeitet, ebenso finden sich Beiträge zur Empfängnisverhütung und das Recht auf den Schwangerschaftsabbruch. Nicht ausgespart wird in diesem Kontext auch das Familienbild der Nationalsozialisten inklusive ihrer „rassehygienischen“ Forderungen.

Die emotionale Seite der schwierigen Mutterschaft findet sich im letzten Bereich des Ausstellungsrundganges. Gern beschwiegen, verdrängt, selten offen angesprochen – wie geht man damit um, wenn das Verhältnis zur eigenen Mutter schwierig und problembeladen ist? Wenn traumatische Erlebnisse und ungelöste Konflikte nicht aufgearbeitet werden und drohen, das eigene Leben zu belasten? Das Werk von Lara Jordan „Deine Mutter anrufen und auflegen“, eine Plakatwand mit grellen Farben gestaltet, schreit dem Betrachter diesen Zwiespalt geradezu entgegen. Die dunkle Ebene der Beziehung zwischen Müttern und ihren Kindern wird in der Ausstellung nicht ausgespart, der Besucher findet sich in einem Spannungsfeld zwischen passiver Betrachtung, gedanklicher Auseinandersetzung und aktiver Teilnahme. Auch das ist möglich, denn im Vorfeld der Ausstellung wurden Menschen aufgefordert, ihre Antworten und Gedanken zu den fünf Eingangsfragen per Sprachnachricht zu schicken. Diese Audioaufzeichnungen kann man sich im letzten Raum der Ausstellung anhören, wer selbst mitmachen möchte, hat die Möglichkeit, eigene Sprachnachrichten aufzunehmen, die dann regelmäßig eingepflegt werden, solange die Ausstellung dauert. Das Konzept, den Besucher einzubinden und aufzufordern, seine Gedanken zu formulieren und aktiv einzubringen, ist ungewöhnlich und allein deshalb schon bemerkenswert.

Das Mitnehmen und Sich-Leiten-Lassen durch die fünf eingangs gestellten Fragen ist eine spannende Reise in die eigene Familiengeschichte. Ich wage die Behauptung, dass niemand die Ausstellung gedanklich so verlässt, wie er sie betreten hat.

Fazit: Eine absolut sehenswerte, sehr außergewöhnliche Ausstellung, die sich nicht nur an Mütter richtet, sondern auch an Menschen ohne Kinder, Frauen wie Männer.

Sie ist noch bis zum 3. August 2025 zu sehen, es gibt ein vielfältiges Begleitprogramm.

Näheres unter www.kunstpalast.de

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