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Eishockeyfanszene im Ruhrgebiet. Oder: Sind wir hier beim Fußball?

Derbys im Ruhrgebiet ohne Polizei? Heutzutage undenkbar. (Foto: Simon Ilger)
Derbys im Ruhrgebiet ohne Polizei? Heutzutage undenkbar. (Foto: Simon Ilger)

Die Eishockeyteams aus dem Ruhrgebiet stehen aktuell an der Tabellenspitze der Oberliga Nord und fallen hauptsächlich durch gute sportliche Leistungen auf. Der Herner EV und die Moskitos aus Essen stehen ganz oben und auch der EV Duisburg hätte sich  mit nach ganz oben dazugesellt, wenn die sechs Punkte Abzug wegen Versäumnissen bei der Spielerlizensierung nicht gewesen wären. Bisheriger Gipfel des aktuellen sportlichen Höhenflugs war zweifelsfrei das Revierderby zwischen Essen und Herne Mitte November. Über 3000 Zuschauer sahen ein packendes Eishockeyspiel, dessen Niveau deutlich oberhalb der dritten Liga anzusiedeln war. Eben jenes Derby war aber erneut Ursache für – besonders im Eishockey untypische – unschöne Situationen.

Spiele zwischen Herne und Essen sind bereits traditionell besondere Spiele. Vereine, wie Fans stilisieren sie zum „Spiel des Jahres“ gegen den ewigen Rivalen aus der Beinahe-Nachbarstadt, vergleichbar mit Begegnungen zwischen Dortmund und Schalke im Fußball. Rivalität gibt es also nicht nur im Fußball, sondern auch im Eishockey. Das besondere am Eishockey war bisher jedoch, dass die Rivalität in erster Linie auf dem Eis ausgetragen wurde. Dinge wie Fantrennung, Polizeieskorte, Videoüberwachung oder gar Gewalt, an die man sich beim Fußball längst gewöhnt hat, waren im Eishockey undenkbar. Während des Spieles schallten Schmähgesänge durch die Halle, in den Drittelpausen und nach dem Spiel, standen jedoch Fans beider Farben gemeinsam am Bierstand und diskutierten aus, warum des eigene Team nun verdient gewonnen bzw. zu unrecht verloren hat. Einen Grundkonses gab es auf jeden Fall immer: „Die Schiri is ne Pfeife!“.

Zunehmende Gewaltbereitschaft

In den letzten Jahren gab es jedoch einen Wandel, Provokationen und Gewalt in und um die Eishallen im Ruhrgebiet nahmen zu. Insbesondere bei direktem Aufeinandertreffen der Revierclubs. So hatten Anhänger der Moskitos in den letzten Jahren regelmäßig Probleme mit dem martialisch auftretenden Sicherheitsdienst in der Duisburger Scania-Arena. Wer, wann, wo mit den Provokationen begann lässt sich heute nicht mehr rekapitulieren, im letzten Jahr eskalierte die Situation jedoch so, dass Menschen ins Krankenhaus mussten und selbst auf Vorstandsebene zwischen beiden Vereinen wüste Drohungen und Hausverbote erteilt wurden. Noch schlimmer ist meist, wenn Herne auf Essen trifft. Beim Gastspiel der Stechmücken am Herner Gysenberg wurden die Essener Anhänger am Herner Bahnhof von dutzenden Polizisten in Kampfmontur und mit Hunden in Empfang genommen und zu Sonderbussen geleitet, welche direkt zum Hintereingang der Eissporthalle fuhren. In der Folge kam es sogar zu Ausschreitungen bei einem Bambini-Tunier in Herne durch Essener Anhänger. Und auch in Essen müssen die Gäste aus Duisburg und Herne den Hintereingang benutzen. Das Tor, welches Heim- und Gästetribüne voneinander trennt bleibt stets geschlossen oder mindestens gut vom Sicherheitsdienst und der Polizei bewacht. Insgesamt ist die Anwesenheit von Polizeihundertschaften in den Eishallen ein völlig eishockeyuntypisches Bild. Jedoch fühlte sich die Polizei bemüßigt anlässlich des Spiels der Herner in Essen vor zwei Wochen von einem „Brisanzspiel“ und „verfeindeten Fangruppen“ zu reden. Und sie sollte recht behalten. Bereits bei der Anreise der Gästefans kam es zu vereinzelten Provokationen und bei Abreise der Herner am Essener Westbahnhof wurden diese, sowie die anwesende Polizei von Essener Anhängern attackiert, was in einer Ingewahrsamnahme eines Esseners endete. Und auch beim Vorbereitungsspiel zu dieser Saison der Duisburger Füchse in Essen, provozierten Essener Anhänger die abreisenden Duisburger massiv. Nur das Einschreiten anderer Zuschauer verhinderte eine Eskalation. Eine zunehmend aufgeheizte Stimmung lässt sich jedoch mittlerweile auch außerhalb der Revierderbys feststellen. Beim Gastspiel der Hannover Scorpions am Essener Westbahnhof hatten Vereinsverantwortliche und der Sicherheitsdienst alle Mühe zu verhindern, dass ein kleiner Mob den Hannoveranern an die Wäsche geht.

Warum ist das so?

Besonders in Essen hat ein Wandel in der Fankultur stattgefunden. Den allerbesten Ruf hatten die Zuschauer am Essener Westbahnhof noch nie. Immer wieder kam es Ende der 90er und in den 2000er Jahren zu Belästigungen der Gästefans durch gewalttätige Anhänger des örtlichen Fußballclubs Rot-Weiss-Essen, der früher ein massives Problem mit einer rechtsextremen Hooliganszene hatte und auch heute noch einige Anhänger anzieht, die keine Kinder von Traurigkeit sind. Dem finaziellen Missmanagement der vergangen Jahre geschuldet, haben die Essener Moskitos einiges an Fanpotential verloren. Alteingesessene Zuschauer kommen seit Jahren nicht mehr zum Essener Westbahnhof, das Publikum hat sich deutlich verjüngt. Seit Anfang der 2000er hat eine mal mehr mal weniger aktive Ultra-Fankultur Einzug gehalten. Der Zuschauerschnitt sank deutlich, die „Selbstreinigungsfunktion“ der Kurve funktionierte nicht mehr. Es sind zu wenig „alte“, die den „neuen“ zeigen, wie man sich in der Halle verhält. Mitunter – und das ist eine Räson im Eishockey – wird nicht mal mehr applaudiert, wenn ein verletzter Spieler des Gegner wieder aufsteht oder das Eis verlässt. Und dabei handelt es sich um ein eisernes Gesetz im Eishockey. Auch Devotionalien aus der örtlichen Hooligan-Szene, Kleidung des neonazistischen Modelabels Thor Steinar oder offen am Gürtel getragene Quarzsandhandschuhe sind in der Eissporthalle am Westbahnhof anzutreffen, ebenso war in der Vergangenheit der ehemalige Vorsitzende der Jugendorganisation der Essener NPD Zuschauer bei Spielen der Moskitos. Seit der Verein ein Hallenverbot gehen ihn Aussprach, ist er nur noch sporadisch bei Auswärtsspielen in Herne und Duisburg anzutreffen.

Die Vereine handeln

Die Vereine sind sich dem Problem bewusst. Klaus Picker vom Herner EV stellt klar, dass der Verein jegliche Gewalt und Ausschreitungen ablehnt und verweist auf die Hallenordnung, die das erfahrene Securityteam am Herner Gysenberg umsetzt, welche u.a. explizit das Mitführen von Bannern mit „rassistischen, sexistischen, provokativen beleidigenden, pietätlosen politisch extremistischen Aufdrucken“ verbietet. Bei Bedarf stünde man auch in engem Kontakt zu den Sicherheitsdiensten der anderen Vereine sowie der Polizei und auch bei Auswärtsspielen des HEV unterstütze der eigene Sicherheitsdienst den der Heimmannschaft regelmäßig. Bei Missachtung der Hallenordnung spricht der Verein ein Hallenverbot aus und setzt dieses auch konsequent um. Neben den durch die Hallenordnung verbotenen Utensilien und Gegenständen würde auch das Tragen von eindeutig konnotierter Kleidung nicht geduldet. Herrn Picker liegt aber auch am Herzen, dieses Thema nicht unnötig aufzubauschen und legt wert auf die Feststellung, dass von mehreren tausend Zuschauern nur einige wenige negativ auffallen und auf Krawall aus sind, die meisten jedoch ausschließlich wegen des aktuell sehr guten Eishockey in die Eissporthallen des Ruhrgebietes kommen.

Es geht auch anders

So geht Eishockey: während des Spiels den Gegner beschimpfen, nach dem Spiel mit ihm trinken.
So geht Eishockey: während des Spiels den Gegner beschimpfen, nach dem Spiel mit ihm trinken.

Fangewalt ist im Eishockey kein grundsätzlich neues Phänomen, aber ein äußerst seltenes. Dass es auch anders zugehen kann, als beim Gastspiel der Herner in Essen geschehen demonstrierte das Rheinderby zwischen der Düsseldorfer EG und den Kölner Haien eine Woche später. Gut 13000 Zuschauer verfolgten den Heimsieg der DEG gegen favorisierte Kölner. Rheinländern und Eishockeyinteressierten ist die Bedeutung dieses mittlerweile zum 212. mal ausgetragenen Rheinderbys bekannt. Und so ähnlich die Voraussetzungen im Vergleich zu Essen gegen Herne um so unterschiedlich der Verlauf: kaum Polizeipräsenz, gemeinsame Anreise, keine Fantrennung, gemeinsamer Eingang, gemeinsame Bierstände, gemeinsame Toiletten. Rivalität auf dem Eis und verbal auf den Rängen, aber niemand käme auf die Idee, den Gegenüber körperlich anzugehen, nur weil er die „falschen“ Farben trägt und falls doch einer aus der Reihe schlagen sollte, greift die Selbstkontrolle. So lief es im Eishockey und so läuft es in den allermeisten Hallen.

Es ist zu konstatieren, dass die Eishockeyvereine im Ruhrgebiet Probleme mit einer kleinen Gruppe an zumindest gewaltaffinen Anhängern haben. Diese rekrutieren sich zumindest teilweise aus der Hooliganszene des MSV Duisburg, von Rot-Weiss Essen und Westfalia Herne oder werden zumindest von diesen inspiriert. Die zukünftigen Begegnungen werden zeigen, inwiefern die Maßnahmen der Vereine greifen. Erfreulicherweise blieben die beiden – des kaputten Duisburger Eises geschuldeten – Gastspiele der Moskitos Sonntag und gestern in Duisburg zumindest auf Fanseite friedlich. Der EV Duisburg hatte aber im Vorfeld angekündigt bekannten Störenfriede den Zutritt zur Halle zu verweigern. Aus diesem Grund und aus Protest gegen die vergangen Vorfälle im Zusammenhang mit dem Duisburger Sicherheitsdienst, haben viele Essener auf die Reise an die Wedau verzichtet.

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DEWFan
DEWFan
7 Jahre zuvor

Die Rivalität zwischen Köln und Düsseldorf ist wohl nicht so verbissen und ernst gemeint, im Gegensatz zu denen zwischen den Ruhrgebiets Städten.

Ein Beispiel aus dem Fußball: die Fans von Westfalia Herne pflegen auch eine Abneigung gegen den BVB. Dieser ist aber nicht mehr "greifbar", da die Herner inzwischen in der 6. Liga kicken. Dadurch haben sie aber die Gelegenheit sehr oft gegen Dortmund zu spielen.

Gerne lese ich auch in Fan Foren anderer Vereine. Immer wenn es gegen einen der Dortmunder Vorstadtclubs geht, kommt bei den Herner Fans die geballte Abneigung gegen die "verbotene Stadt" durch. Dann ist plötzlich von "Doofmund-Wickede" u.Ä. "Kosenamen" die Rede. Btw: ich finde so was übertrieben. Wenn ich den HSV nicht mag, muss ich dann auch St. Pauli hassen?

Daher glaube ich, dass die Rivalitäten im Ruhrgebiet nicht auf bestimmte Vereine, sondern übergreifend auf Städte ausgedehnt sind. Das erklärt auch die Geschehnisse beim Eishockey.

Wenn ein Verein aus Stadt A gegen einen aus B antritt, ist es wohl egal, ob sie Fußball, Eishockey oder was immer auch spielen.

Diese Städterivalitäten – manche sagen auch Kirchturmsdenken – sind im Ruhrgebiet anscheinend stärker ausgeprägt, als woanders.

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