Entrümpelt das Gentechnik-Recht!

Demonstration gegen Gentechnik Foto: GRÜNE Baden-Württemberg Lizenz: CC BY-SA 2.0


In Deutschland herrscht tiefes Misstrauen gegen Gentechnik. Entsprechend streng sind die Vorschriften – allerdings nicht für alle. Seltsamerweise wird nur bei denjenigen genau hingeschaut, die Gentechnik professionell betreiben. Von unserem Gastautor Ludger Weß.

Offiziell ist Deutschland seit 2012 „gentechnikfrei“. Zwar dürfen noch Futtermittel verwendet werden, in denen Bestandteile von Pflanzen sind, die mit Gentechnik gezüchtet wurden und es gibt sogar in manchen Supermärkten Schokoriegel, in denen Soja, Zucker oder Stärke aus solchen Pflanzen stecken, aber gentechnisch veränderte Pflanzen werden nicht mehr angebaut und die Haltung gentechnisch veränderter Tiere ist ebenfalls streng verboten. Strikte Vorschriften gibt es auch für Forschung und Lehre. Die Herstellung gentechnisch veränderter Organismen – ob nun Bakterien, Pflanzen oder Tiere – ist eng reglementiert, genehmigungspflichtig und nur unter der Auflage möglich, dass es zu keinerlei Freisetzungen dieser Organismen in die Umwelt kommt.

Doch 2017 musste die erstaunte Öffentlichkeit erfahren, dass in Gartencentern und Baumärkten jahrelang mehr als 50 verschiedene lachsfarbene Petuniensorten verkauft wurden, die eine vor vielen Jahren gentechnisch zugefügte Farbvariante in sich trugen. Jahr für Jahr wurden etwa 2 Millionen solcher Petunien verkauft und in Beete und Balkonkästen gepflanzt. Sie fanden sich in tausenden von Gärtnereien und auf hunderttausenden Blumenbeeten und Balkonen und wurden selbstverständlich von allerlei Insekten besucht, die von und an ihnen lebten: Läuse, weiße Fliegen und Thripse, gelegentlich Tabakschwärmer und (Wild)Bienen.

Nun erfährt die Öffentlichkeit, dass auch deutsche Aquarien „genverseucht“ sind. In ihnen tummeln sich zehntausende „Gen-Fische“, um im Medien-Jargon zu bleiben (dabei enthalten alle Fische Gene). Schon 2007 waren diese Fische in Deutschland aufgetaucht und Anfang Mai 2025 schlug das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erneut Alarm: Es handele sich um Trauermantelsalmler in den Farben orange, pink, grün, gelb und gelb-grün sowie um Zebrabärblinge. Sie werden in den USA und in Asien als GloFish vermarktet. Sie leuchten, weil ihnen ein Leuchtprotein aus Korallen zugefügt wurde. Im Anti-Gentechnik-Deutschland sind sie streng verboten, fanden ihren Weg aber als illegale Importe über Zierfischbörsen dennoch in deutsche Aquarien.

Jeder, der eine lachsfarbene Gentechnik-Petunie oder einen Leuchtfisch in seinem Haus hält, macht sich strafbar – ob er die gentechnisch veränderten Organismen nun bewusst oder ahnungslos erworben hat. Juristisch handelt es sich dabei nämlich um illegale gentechnische Arbeiten und den illegalen Betrieb einer genehmigungspflichtigen gentechnischen Anlage. Damit verstoßen Tante Hedwig und Onkel Gustav mit ihren drei Balkonkästen und dem Warmwasseraquarium auf der Anrichte gegen das strenge Gentechnik-Gesetz, das für derartige Verstöße Geldbußen von bis zu 50.000 Euro und sogar Haftstrafen vorsieht.

Im Fall der Petunien hieß die Anweisung: Pflanzen entfernen und auf den Kompost oder in die Mülltonne werfen. Im Fall der Leuchtfische heißt es jetzt: Behörden informieren, damit weitere Maßnahmen ergriffen werden können. Die bestehen natürlich darin, dass die Behörde die Fischchen abholt und tötet.

Du sollst nicht Gott spielen!

Wissenschaftler wundern sich, denn für sie gelten andere Regeln. Wollen sie ein ähnliches Experiment mit harmlosen Bakterien für ein Praktikumsexperiment machen, gibt es ellenlange Vorschriften – auch wenn von den Bakterien bestimmungsgemäß „keine Gefahr für Umwelt und Gesundheit ausgehen“ kann. Bei solchen Grundstudiums-Experimenten wird beispielsweise das Gen für einen fluoreszierenden Farbstoff aus einer Qualle in ein Bakterium eingebracht oder es wird mittels Gene Editing ein bakterielles Gen abgeschaltet, so dass eine bestimmte Substanz nicht mehr zu einem blauen Farbstoff umgesetzt werden kann. Bei den Bakterien handelt es sich dabei um Mangelmutanten, d.h., sie können ohne die Anwesenheit bestimmter Chemikalien nicht überleben und würden außerhalb des Labors sofort zugrunde gehen.

Für derart harmlose Experimente muss nicht nur eine Genehmigung eingeholt werden, sondern es muss sogar ein S1-Labor dafür eingerichtet sein. So ein Labor ist anmeldepflichtig und muss behördlich abgenommen werden. Seine Türen müssen ein Sichtfenster haben, Wände und Decken dürfen keine Risse oder Löcher aufweisen und die Schlüssellöcher dürfen nicht durchgehend sein. Ebenfalls erforderlich sind Aufzeichnungen, in denen nicht nur der Sinn und Zwecke des Vorhabens, eine Risikobewertung, Zeit, Datum und Dauer des Experiments, sondern auch die verwendeten Geräte und Utensilien sowie Name und Anschrift des Betreibers, Lage der gentechnischen Anlage und die Namen des Projektleiters sowie des oder der Beauftragten für die Biologische Sicherheit festgehalten werden müssen. Mitarbeiter sind regelmäßig zu belehren, es gibt spezielle Formulare für Putzkräfte, wieder andere für Wartungspersonal und so weiter. https://www.gesetze-im-internet.de/gentaufzv/BJNR023380990.html Die Labors werden regelmäßig von den Aufsichtsbehörden kontrolliert. Dabei werden nicht nur Wände und Decken auf Unebenheiten im Verputz inspiziert, es wird auch geprüft, ob jede Kulturschale und jedes Reagenzglas ordentlich beschriftet ist und mit der Dokumentation übereinstimmt. Bisweilen nehmen die Prüfer Proben mit, die sie molekularbiologisch untersuchen. Bei den strengen Kontrollen wird auch bei der niedrigsten Sicherheitsstufe S1 gerne geprüft, ob ein Röhrchen mit gentechnisch veränderten Bakterien tatsächlich in einem bruchsicheren Gefäß und in einem verschließbaren Behälter über den Flur getragen wurde.

Vor allem aber müssen die gentechnisch veränderten Organismen – egal ob Zebrafischchen, Fruchtfliegen, Bakterien oder Pflänzchen – nach Abschluss jedes Experiments thermisch oder chemisch „inaktiviert“ werden. Das heißt, sie müssen in Autoklaven bei hoher Temperatur und hohem Druck aufwändig abgetötet werden, weil sonst niemand ausschließen kann, dass das veränderte Gen in die Umwelt gelangen, dort einen Schaden anrichten oder sich verselbständigen könnte. Zudem wird regelmäßig geprüft, ob diese thermische Inaktivierung vorschriftsmäßig durchgeführt wurde; die Effizienz der Autoklaven muss akribisch nachgewiesen werden, sämtliche Betriebszeiten und -bedingungen sind zu protokollieren. Chemisch kann man die Organismen mit Formaldehyd deaktivieren, aber das gilt als krebserregend und ist daher danach als Sondermüll zu entsorgen. Der „Erfolg“ dieses Gesetzes: Es gibt in Deutschland keine Schule, in der derartige Experimente durchgeführt werden können.

Streng genommen hätte man also auch Kleingärten, Gartencenter und umliegende Freiflächen großflächig mit Formaldehyd behandeln oder die Böden abtragen und thermisch inaktivieren müssen. Das Gleiche gilt für die Zimmer mit dem Aquarium: Tapeten raus, Boden raus, Möbel desinfizieren.

Doch plötzlich gilt das Vorsorgeprinzip nicht mehr. Bei den Petunien reichte es, sie auszureißen und zu kompostieren. Ob die Kleingärtner das gemacht haben, wurde nicht überprüft und ob eine Petunie die Kompostierung überleben kann, wurde ebenfalls nicht geprüft. Und ob jetzt irgendein Aquarianer dumm genug ist, die Behörden über seine illegalen Leuchtfische zu informieren, steht dahin (aber es gibt sicher den einen oder anderen aufmerksamen Nachbarn).

Zweierlei Maß

Den Behörden ist sehr wohl klar, dass die konsequente Befolgung der Vorschriften unrealistisch und sogar gesundheitsgefährlich wäre. Zudem ist ihnen bewusst, dass weder die Petunien, die 30 Jahre in deutschen Beeten wuchsen noch die Leuchtfischchen, die in deutschen Gewässern weder überleben können noch enge Verwandte haben, eine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen.

Dennoch: Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Im Fall von Fachwissenschaftlern, die genau wissen, was sie tun, wird auf strikteste Einhaltung aller Vorschriften gepocht, das Vorsorgeprinzip hochgehalten und noch das unwahrscheinlichste Risiko bedacht; handelt es sich um Laien, legen die gleichen Behörden das gleiche Recht hemdsärmelig aus und empfehlen, die gentechnisch veränderten Organismen in der Mülltonne oder im Kompost zu entsorgen. Geprüft wird nichts – nicht einmal der Vollzug. Beim Uni-Institut hingegen muss selbst im S1-Labor schon mal eine Wand neu verputzt und ein Türschloss ausgewechselt werden, weil eine gentechnisch veränderte Fruchtfliege oder ein Bakterium in einer Pore überdauern oder durch das Schlüsselloch seinen Weg in die Umwelt finden könnte.

 

Aktivisten

Auch die Anti-Gentechnik-Aktivisten und Politiker schweigen still. Als 1990 das Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Deutschland gentechnisch veränderte Petunien auspflanzte, wurde sofort die NGO „Bürger beobachten Petunien“ gegründet. Als zwei Jahrzehnte später in Deutschland die letzten „Genpflanzen“ offiziell wuchsen – es handelte sich um Mais – wurde akribisch in Honigproben nach „Genpollen“ gesucht und der positiv getestete Honig medienwirksam als „genverseuchter Sondermüll“ verbrannt. Bei den Petunien wollte es niemand wissen.

Bei Fischen ist es ähnlich. 2017 schlugen die Grünen, Greenpeace und andere NGOs schon allein deswegen Alarm, weil gentechnisch veränderter Lachs dank TTIP unter Umständen in deutschen Kühltheken auftauchen könnte. Nun, da lebende gentechnisch veränderte Fische in deutschen Wohnzimmeraquarien schwimmen, bleiben die üblichen „Gendreck-weg“-Alarmisten plötzlich still, selbst die ansonsten dauererregten grünen „Gentechnik-Experten“ Harald Ebner, Martin Häusling und Karl Bär. Renate Künast hat bis heute niemandes Rücktritt gefordert oder die Agrarkonzerne verantwortlich gemacht. Es wird kein Tribunal vorbereitet; Greenpeace hat keine Statisten in Schutzkleidung gesteckt, um medienwirksam Parks, Gärten, Baumärkte oder Kleintierhandlungen von „genverseuchten“ Pflanzen oder Fischen zu befreien. Campact hat keine Petition gestartet, Foodwatch keinen Test von Honig auf Genverunreinigungen durch Petunienpollen in Auftrag gegeben.

Der Grund liegt auf der Hand: Mit gentechnisch produzierten Zierpflanzen, die seit Jahrzehnten in hunderttausenden Blumenkästen wachsen und bunten Zierfischchen lassen sich keine Angstkampagnen fahren. Schweigen ist besser, sonst würde sich herausstellen, wie hohl und lächerlich die ewig gleichen Mahnungen und Warnungen der Gentechnikgegner sind.

 

Bürger beobachten Petunien

Um die Absurditäten der Gentechnik-Furcht und das hysterische Theater von Gentechnikgegnern und Behörden zu demaskieren, wäre das Beste jetzt eine konzertierte Aktion: Gentechnik-Freunde besorgen sich lachsrosa Petunien und leuchtende Fischchen und zeigen sich oder Gleichgesinnte zu hunderten bei den zuständigen Behörden an. Die müssten dann aktiv werden und in jedem Fall aufwändig nachweisen, dass die Organismen tatsächlich gentechnisch verändert sind. Aber ob das der Fall ist? Inzwischen sind lachsfarbene Petunien wieder auf dem Markt, angeblich ohne Gentechnik gezüchtet. Aber wer weiß das schon? Und welcher Laie kann schon wissen, ob das quietschbunte Fischchen ein GloFish ist oder einfach nur ein besonders hübsch geratenes normales Exemplar?

Auch Tomaten bieten sich an. Die US-Firma Norfolk Healthy Produce (NFP) hat 2023 eine lilafarbene Tomate auf den Markt gebracht, die durch einen gentechnischen Eingriff zwei Löwenmäulchen-Gene enthält und dadurch besonders viel gesunde Anthocyan-Farbstoffe bildet. Dann bot der Saatguthändler Baker Creek, der Samen für die Anhänger des Biolandbaus vermarktet, ebenfalls eine dunkel lilafarbene Tomate an, angeblich samenfest und gentechnikfrei. Weil so eine konventionell gezüchtete Tomate bislang nicht bekannt war, vermutete NFP, es handle sich in Wahrheit um seine gentechnisch veränderte Tomate. NFP erhob öffentlich Einspruch, Bio-Kunden fürchteten um ihre Gesundheit. Die Firmen ließen testen. Über die Ergebnisse der Tests gibt es unterschiedliche Darstellungen, aber Baker Creek nahm danach die lila Tomaten aus dem Programm. Die NFP-Tomaten sind in Europa verboten. Ein kurzer Blick ins Netz zeigt, dass 2025 auch in Europa dunkel-lila Tomatensorten angeboten werden – angeblich gentechnikfrei. Aber wer weiß das schon?

Viel Arbeit also für die zuständigen Behörden und ein unübersehbarer Hinweis an die Politik, das antiquierte Gentechnik-Recht energisch zu entrümpeln – denn die überbordende Gen-Bürokratie verursacht Jahr für Jahr unnötige Kosten und behindert Innovationen.

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