
In Bochum wurde gestern der Erich-Gottschalk-Platz eingeweiht. Erich Gottschalk? Kapitän des TuS Hakoah Bochum, der 1938 – alle Sportvereine hatten sich „rasserein“ aufgestellt – die jüdische Fußballliga ua gegen Frankfurt, Hamburg und im Finale gegen Stuttgart gewonnen hat. Eine Installation von Marcus Kiel schärft den Blick zurück. Und den Blick voraus auf die Bochumer Synagoge sowie, ein paar Meter weiter die Straße rauf, das Ruhrstadion.
Dass der Tod ein Meister aus Deutschland sei, die Zeile aus der Todesfuge ist zu einem geflügelten Wort geworden, zum Gegenteil von dem, was Paul Celan mit ihr gemeint hat. In der Lebensgeschichte von Erich Gottschalk treffen die Meister aus Deutschland auf einen Deutschen Meister im Fußball, einen Bochumer: Als die Nazis 1933 beginnen, Juden aus allen Sportvereinen zu verbannen, schließen sich die jüdischen Fußballer fünf Spielzeiten lang – also bis kurz vor Halbzeit des 1000jährigen Reichs – in einer eigenen Liga zusammen. In der Saison 1937/38, der letzten, in denen es Juden überhaupt noch möglich war, Fußball zu spielen, gewinnt TuS Hakoah Bochum den reichsweit ausgespielten Titel: Vereinshaus an der Castroper, blauweiße Trikots, Spielführer Erich Gottschalk. Ein Bochumer Jung, noch im Jahr des Titelgewinns ins KZ Sachsenhausen deportiert, dann in die Niederlande entkommen, dann ins KZ Westerbork verschleppt, dann ins KZ Theresienstadt, dann Auschwitz. Er überlebt halbtot, abgefoltert auf 30 Kilo, der einzige seiner Familie, der seiner Ermordung entkommt. Sein Name trägt nun ein kleiner Platz an der Castroper Straße, dem Weg, der sowohl zur Synagoge führt wie zum Stadion des VfL.
Erforscht hat Gottschalks Geschichte Henry Wahlig, Historiker im Fußballmuseum Dortmund, den Platz gestaltet hat Marcus Kiel, Bochumer Künstler. Ein gemauerter Raum, wenig größer als eine Zelle, leer und bilderlos, aber offen nach der Seite hin, die Richtung Synagoge weist und Richtung Stadion des VfL. Außen sind kleine Schaukästen angebracht, ein paar Dokumente, ein paar Fotos, die Texte kaum länger als Titelkarten. Wer innen steht, sagt Kiel, „ist mit sich und seiner Vorstellung allein“.
Einweihung mit dem OB der Stadt, Thomas Eiskirch (SPD) spricht von einem „Lernort“ – was dieser Ort nun allerdings nicht ist, die Installation von Marcus Kiel belehrt nicht, sondern lädt ein, sich einen eigenen Kopf zu machen – und spricht dann, und das trifft’s, von einem „Stolperstein im uneigentlichen Sinn“. Uneigentlich, weil niemand zum Straucheln genötigt wird, wohl aber dazu, über die eigenen Gedanken zu stolpern, in die Kiels Installation einlädt. Der Erich-Gottschalk-Platz liegt en passant. Nicht im Weg, am Weg.
Der Weg von Erich Gottschalk führte nicht nach Bochum zurück. Wie so viele, die von Amts wegen dazu bestimmt waren, ermordet zu sein, wurde er nicht eingeladen, zurückzukehren in die Stadt, aus der er verjagt worden war. Gottschalk, einsam überlebend in seiner weggemordeten Familie, baute sich ein Leben anderen Orts auf, in den Niederlanden. „Wie es nun mit mir ist“, schrieb er kurz nach seiner Befreiung, „lebe ich nur noch so dahin, und das Leben hat für mich das Meiste an Wert verloren.“
Adressiert hat Gottschalk dies an keine Bochumer Adresse, sondern an die Familie Kuś in Zabrzeg, einem kleinen Ort in Polen, von Auschwitz so weit entfernt wie Bochum von Duisburg. Dort hatten Magdalena und Jan Kuś das getan, was Bochumer nicht getan hatten, sie hatten Gottschalk, den Deutschen Meister, vor den Meistern aus Deutschland geschützt: Anfang 1945 war Gottschalk die Flucht aus Tschechowitz gelungen, einem Außenlager von Auschwitz, Zuflucht hatte er bei ihnen gefunden, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um Gottschalks Leben zu retten. In Israel werden sie als Gerechte unter den Völkern erinnert.

Zur Einweihung des Bochumer Platzes reisten nun zwei von Gottschalks niederländischen Nachbarn an sowie sein Neffe, Paul van de Vooren, der wiederum an die Familie Kuś erinnerte und gleichzeitig daran, dass – van de Vooren trat im Trikot des VfL ans Mikro – dieses Kunstprojekt ein Fanprojekt ist. Markus Kiel, VfL-Fan von klein auf, hat es aus der VfL-Fanszene heraus zusammen mit dem Fanprojekt Bochum entwickelt, unterstützt vom VfL Bochum 1848 und der Deutschen Fußball-Liga (DFL), von der hiesigen Arbeiterwohlfahrt (AWO) und Bochumer Handwerkern und, wichtig, losgelöst von einer Didaktik, die Erinnerung wie Stelen in den Boden rammt, den Grabsteinen des Selber-Denkens.
Stattdessen hat Kiel die Erinnerung ins städtische Leben hinein geschoben. Direkt an dem Kunstort entlang verläuft eine Bahntrasse, die zum Nordbahnhof führt, wo einmal, wenige Hundert Meter entfernt, die Transporte zusammengestellt worden sind, Güterzüge, die Bochumer geradewegs in den Tod transportiert haben. Die Güterzüge rollen weiterhin, heute mit keinen Bochumern gefüllt: Hitler – so hat es Leonid Chraga bei der Einweihung des Platzes formuliert, Chraga ist Vorsitzender von TuS Makkabi Bochum, dem jüdischen Sportverein heute, der “nicht besonders koscher und nicht besonders unkoscher“ ist, neun von zehn der mehr als 100 Mitglieder sind nichtjüdisch – „Hitler hat nicht gesiegt. Nicht, solange wir zusammen Sport machen.“ Und Kunst.