„Ich wünsche mir, dass Kinder und Jugendliche erfahren, wie Fortschritt entsteht“

Axel Bojanowski Foto: Matthias Giordano


Axel Bojanowski, Chefreporter Wissenschaft bei WELT, hat ein Buch geschrieben, das den Erzählungen der Untergangspropheten Beispiele entgegenhält, die belegen, dass sich vieles in der Welt verbessert hat und es gute Gründe gibt, optimistisch zu sein.

Sie haben ein Buch geschrieben, das gute Laune macht.

Axel Bojanowski: Genau, das war die Absicht. Ich habe durch meine Kinder mitbekommen, dass sie im Grunde nur mit negativen Informationen und mit Untergangsprophezeiungen konfrontiert sind. Sie erfahren gar nicht mehr, wie Wohlstand entstanden ist, warum Menschen heute so gesund sind und so lange leben. Ich finde das ein unglaubliches Versagen. Man muss diese Dinge erzählen – das ist mir wirklich wichtig. Ich halte es für grotesk, dass das nicht bekannt ist.

Ich zitiere ja am Anfang des Buches diese Umfrage von Hans Rosling. Der hat vor zehn Jahren UN-Funktionären ganz banale Fragen über den Zustand der Welt gestellt. Er wollte wissen, wie sich die Zahl der Menschen, die in absoluter Armut leben, in den vergangenen 20 Jahren entwickelt hat, wie viele Kinder im ersten Lebensjahr geimpft werden und wie sich die Lebenserwartung verändert. So etwas zu wissen, ist deren Beruf – und sie wussten es nicht. Sie haben alles viel schlimmer eingeschätzt, als es tatsächlich war. Das fand ich absolut bezeichnend. Deshalb halte ich es für wichtig, dass Erfolgsgeschichten über die Entwicklung der Menschheit, der Technik und der Umwelt erzählt werden.

Wer schon etwas älter ist, hat ja erlebt, dass nicht nur der Wohlstand gewachsen ist, sondern auch die Flüsse und die Luft sauberer geworden sind. Wieso ist das den Menschen nicht mehr bewusst?

Bojanowski: Ich erlebe ja als Journalist quasi aus erster Hand, wie diese negative Sichtweise entsteht. Sie wird einfach belohnt. Es ist so eine Chiffre in der Medienbranche, dass man Fortschritt als etwas Negatives sieht. Das gilt als Zeichen von Empathie: Wir warnen ständig vor dem Untergang – damit zeigt man, dass man zu denen gehört, die etwas Schlimmes verhindern wollen. So setzt sich die Sichtweise durch, dass jede Form wirtschaftlicher Aktivität – Unternehmen, Industrie und Fortschritt allgemein – als etwas gesehen wird, das die Erde zerstört.

Das wird oft gar nicht bewusst reflektiert, sondern ist eher eine kulturelle Chiffre, die einen absichert – damit man von den Kolleginnen und Kollegen im Journalismus als jemand wahrgenommen wird, der auf der richtigen Seite steht. Es ist eine Art Grundhaltung in bestimmten Milieus in Deutschland, gerade auch in Lehrerzimmern.

Ich wünsche mir, dass Kinder und Jugendliche erfahren, wie Fortschritt entsteht – dass wieder so etwas wie Fortschrittsoptimismus entwickelt wird. Der sollte nicht naiv sein, aber realistisch einschätzen, was der Mensch leisten muss, um sein Wohlergehen zu sichern und gleichzeitig die Natur zu schützen. Metropolen bieten zum Beispiel der Natur Freiräume.

Sie beschreiben ja, dass es in Großstädten mehr Vogelarten gibt als in landwirtschaftlich genutzten Regionen.

Bojanowski:  Tiere nutzen die warmen Nischen, in denen sie geschützt leben können – und davon gibt es in Städten mehr als auf dem Land. Deswegen sind Berlin und Hamburg die artenreichsten Regionen Deutschlands.

Ich habe einmal in der Washington Post einen begeisterten Artikel über Klimademonstranten in Nairobi gelesen – und das waren 40 Schüler in dieser Millionenstadt. Im globalen Süden scheint der Technikoptimismus deutlich stärker ausgeprägt zu sein als bei uns.

Bojanowski:  Umfragen zeigen: Der Pessimismus ist etwas typisch Westliches – und auch etwas sehr Sattes. Gleichzeitig hat man sein Smartphone, Wasser im Überfluss und eine gute medizinische Versorgung – und sagt dann: „Kinder, ihr müsst aufpassen, dass die Welt nicht untergeht. Ihr müsst jetzt mit der Industrie aufhören. Das soll bitte alles verschwinden.“

In Ihrem Buch bringen Sie ein treffendes Beispiel: Studenten sagten, es könne nicht jeder Mensch auf der Welt eine Waschmaschine haben – aber keiner von ihnen wollte auf seine eigene verzichten. Das sollten bitte die erledigen, die noch keine besitzen.

Bojanowski:  Das ist so eine typische Haltung des gehobenen Bürgertums – und das ist ja das Trägermilieu der Umweltbewegung. Ein Problem ist auch, dass viele dieser Leute oft gar keine Ahnung von Umwelt haben. Wenn man mit Ökologen spricht, gehen die meist auf Distanz zu dieser Fashion-Umweltbewegung.

Die Aktivisten übersehen außerdem, dass es die wohlhabenden Länder sind, die sich überhaupt erst Fortschritte im Naturschutz leisten können. Die armen Länder müssen jetzt aufholen – und das werden sie mit fossiler Energie tun. China und Indien werden noch viel mehr fossile Energie nutzen als bisher – und die afrikanischen Länder auch.

Deutschlands Beitrag hätte sein können, Kernenergie und CCS-Technologie bereitzustellen, mit der verhindert werden kann, dass CO₂ in die Atmosphäre gelangt. Aber Deutschland – seine Umwelt- und Klimabewegung – ist in dieser Frage sehr nationalistisch. Es geht fast nur darum, im Inland politisch zu punkten. Klima- oder Umweltschutz sind vielen dabei gar nicht so wichtig. Russland und China schließen jetzt Verträge mit afrikanischen Ländern und bauen dort Atomkraftwerke. Das hätten auch deutsche Unternehmen tun können. Dass das nicht geschieht, ist das Verdienst – oder vielmehr: das Versagen – der Umweltbewegung.

Dahinter steckt ja auch eine Ideologie. Hat diese Politik nicht viel mit Postwachstumsökonomie zu tun?

Bojanowski:  Ja, Postwachstum ist eine Idee der modernen Antikapitalisten. Die Linke war ursprünglich für Wachstum und Wohlstand – aber eben für alle. Davon ist nicht mehr viel übrig.

Die Energiewende ist letztlich aus dieser Bewegung heraus entstanden – und Amory Lovins, ihr Vordenker, erhielt dafür 2016 sogar das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Der Mann ist – und das hat er auch immer offen gesagt – ein Gegner von Energie. Für ihn ist Energieeinschränkung etwas Positives, denn er glaubt, Menschen würden mit Energie ohnehin nur Schlechtes tun. Aber Sonnen- und Windenergie ermöglichen kein starkes Wachstum. Und ein Industrieland wie Deutschland, das vollkommen abhängig ist von billiger Energie, folgt diesem Mann und seinen Anhängern blind. Es ist unfassbar teuer, die Energieversorgung umzustellen – weil man ja gleichzeitig ein Backup mit fossiler Energie braucht, da Wind und Sonne nicht verlässlich liefern.Diese Ideologie wurde in Deutschland praktisch widerspruchslos hingenommen – selbst Konservative folgen ihr. Da wurde ein Kulturkampf geführt – und die Postwachstumsszene hat ihn gewonnen.

Aber gibt es nicht ein Umdenken? Im Koalitionsvertrag steht zum Beispiel: „Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen“ – und auch CCS soll möglich gemacht werden.

Das ist natürlich schön, aber letztlich etwas für die ferne Zukunft. Die Bundesregierung muss aber die Probleme der Gegenwart lösen. Und da wäre der Wiedereinstieg in die Kernenergie der große Trumpf gewesen. Selbst die Schweiz und Schweden setzen – trotz ihrer großen Mengen an Wasserkraft – weiterhin auf Kernkraft. In Deutschland wird dagegen so getan, als gäbe es das alles nicht und man sei auf dem richtigen Weg. Für mich ist die große Enttäuschung am Koalitionsvertrag: Das Wort „Kernkraft“ kommt darin gar nicht vor.

Ich weiß wirklich nicht, wie man die Energiewende ohne Kernkraft schaffen will. Ich habe noch nie irgendeine Lösung gehört, wie das gehen soll. Stattdessen setzt man auf fossile Energie und will 40 bis 50 neue Gaskraftwerke bauen. Das ist natürlich das Gegenteil von Klimafreundlichkeit.

Die Politik sagt zwar, diese Kraftwerke sollen irgendwann mit Wasserstoff betrieben werden – aber jeder, der sich auch nur ein bisschen mit dem Thema auskennt, weiß, dass das unrealistisch ist. Die Produktion von Wasserstoff ist viel zu teuer und energieintensiv, sofern es mangels Elektrolyseure überhaupt herstellbar wäre, und man müsste große Mengen nach Deutschland importieren. Keine Firma könnte sich solch teure Energie leisten. Also läuft es auf Erdgas hinaus. Das muss man sich mal vorstellen: In Zeiten des Klimawandels – und um den geht es ja angeblich –, setzt Deutschland auf fossile Energie.

Der Artikel ist ein Ausschnitt aus dem neuen Buch von Axel Bojanowski „33 erstaunliche Lichtblicke, die zeigen, warum die Welt viel besser ist, als wir denken: Mit über 100 mehrfarbigen Abbildungen und Tabellen“ (Westend-Verlag) 

Axel Bojanowski diplomierte an der Universität Kiel über Klimaforschung. Seit 1997 arbeitet er als Wissenschaftsjournalist, unter anderem für Die Zeit, Nature Geoscience, Geo, Stern und die Süddeutsche Zeitung. Er war Redakteur beim Spiegel, dann Chefredakteur bei Bild der Wissenschaft und Natur. Seit August 2020 ist er Chefreporter für Wissenschaft bei WELT. Bojanowski hat fünf Sachbücher verfasst. Der Berufsverband Deutscher Geowissenschaftler hat ihn 2024 für seine publizistischen Leistungen ausgezeichnet.

Das Interview erschien bereits auf Capital Beat

Transparenzhinweis: Stefan Laurin ist freier Mitarbeiter der Welt

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Werbung