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Iran: Die unten wollen nicht mehr, die oben können noch

Deutliche Botschaft, Symbolfoto: Thomas von der Osten-Sacken


Im Iran herrscht insofern eine revolutionäre Situation, als die Mehrheit der Bevölkerung ein Ende des Regimes will. Das ist aber noch nicht am Ende. Von Thomas von der Osten-Sacken.

Global Review bat mich um ein Update Stand zur aktuellen Situation der iranischen Massenproteste und wollte wissen, ob die Chance besteht, dass in absehbarer Zeit das Regime stürzen könnte. Im Folgenden meine Antwort:

Der Iran befindet sich in einer so tiefen Krise, wie seit den Protesten 2009 nicht mehr, ja vermutlich in der schlimmsten seit Ausrufung der Islamischen Republik im Jahr 1979. In einer Umfrage, die jüngst von einem in Holland ansässigen Institut durchgeführt wurden lehnten über 80% aller Iranerinnen und Iraner das Regime ab und befürworteten einen grundlegenden Wandel. Damit wären wir auch schon beim Kern der jüngsten Protestbewegung: Ihr geht es ganz ausdrücklich um Regime Change, d. h. ein Ende des Systems der Islamischen Republik. Das war früher anders, die Grüne Bewegung 2009 setzte ja mehrheitlich auf Reformen und war recht immun gegen Kritik, die darauf verwies, dass dieses Regime nicht reformierbar sei. Das war aber bislang auch die Stärke des Regimes, die es eben grundsätzlich von so monolithischen auf einen Führen zentrierten Diktaturen in arabischen Ländern unterschied: Um Khamenei gruppieren sich verschiedene Machtzentren, die durchaus auch in offener Konkurrenz standen. Das schafft die Illusion politischer Pluralität und so konnten immer irgendwelche Leute auftreten unter dem Label Reformer und den Eindruck vermitteln, dass dieses System eben veränderbar sei. Diese Hoffnung, die immer illusionär gewesen ist, gibt es nicht mehr. Das hängt auch mit Demographie zusammen: Wie überall in der Region ist eine neue Generation herangewachsen, die recht ideologisch  ist, global vernetzt und sich nach „normalen“ Verhältnissen sehnt, während an der Macht eben noch die alte Garde sitzt. Die Demonstrantinnen und Demonstranten sind im Durschnitt unter dreißig Jahre alt, an den Hebeln der Macht sitzen Typen, die ihre Großeltern sein könnten. So etwas geht selten lange gut und irgendwann wird sich eben auch für das Regime die Frage stellen: Wie weiter.

Proteste im ganzen Land

Anders als 2009, wo sich Proteste hauptsächlich auf das persische Kerngebiet des Iran konzentrierten, sind sie diesmal eine Angelegenheit aller Menschen im Iran, ja in Kurdistan und Belutschistan, den zwei Regionen, die mehrheitlich von Sunniten bewohnt werden, fallen sie sogar besonders heftig aus. Interessant ist dabei, dass der dortige Klerus sich an die Spitze der Proteste gestellt hat aber die Forderungen nach einem Ende des Hijabzwanges, nach freien Wahlen und Demokratisierung teilt. Das ist eine recht neue Entwicklung, denkt man nur daran, dass bis vor einem Jahrzehnt etwa in Balutschistan islamistische Gruppen recht stark waren und es um den alten Zwist zwischen Schiiten und Sunniten ging. Der Slogan „Jin, Jiyan, Azadi“, also „Frau, Leben, Freiheit“ stammt ja aus der kurdischen Sprache und der Tod einer Kurdin war Auslöser der Proteste.

Das heißt zum ersten Mal dominieren nicht jene ethnischen und religiösen Spannungen die Proteste, die das Regime mit einer Teile-und-Herrsche Politik für sich ausnutzen konnte. Zumindest bislang nicht, schließlich is die Lage in Kurdistan gerade wesentlich schlimmer als in anderen Gebieten, Städte wie Javanrod sind seit Monaten in einem de facto Belagerungszustand, es kommt zu Massenverhaftungen und das Regime versucht die ökonomische Grundlage der Bewohnerinnen und Bewohner zu zerstören. Außerdem behauptet es immer wieder, kurdische Oppositionsparteien steckten zusammen mit Zionisten und Imperialisten hinter dem Aufstand. Bislang zieht das alles nicht wirklich und der oberste Mufti aller Sunniten im Iran, der aus Belutschistan stammt wurde sogar zu einer Art Sprecher der Opposition, auch akzeptiert von Schiiten. Ich halte diesen Aspekt für enorm wichtig, denn es sind eben nicht nur junge urbane Menschen, die jetzt das Ende des Regimes fordern, sondern auch solche, die sich als durchaus religiös definieren. Das verbreitert die Basis ungemein.

Selbst sog. Reformer glauben nicht mehr an Reformen

Zusätzlich, man mag von ihnen halten, was man will, haben viele der so genannten Reformer um den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Moussavi, der seit 2009 in Hausarrest sitzt, verstanden, dass es keine wirklichen Reformen geben kann. Diese Idee war immer illusionär, aber so lange Leute als Reformer aufgetreten sind, entstand der Eindruck, Reformen seien möglich. Gerade in Europa, wo man keinen Regime Change im Iran wollte oder will, dienten diese Reformer immer auch als gute Entschuldigung, selbst irgendwelche Reformen zu fordern. Das alles funktioniert jetzt nicht mehr: Erst kürzlich unterzeichneten viele dieser „Reformer“ eine Petition, in der sie freie Wahlen und eine neue Verfassung forderten. Das aber wäre das Ende der Islamischen Republik, ebenso wie jedwedes Zugeständnis in Bezug auf den Zwang für Frauen in der Öffentlichkeit, den Hijab zu tragen.

Es ist enorm wichtig zu verstehen, dass dieses Regime auf zwei Säulen ruht und die bestehen aus Ungleichbehandlung von Frauen und Männern (symbolisiert durch das Kopftuch) und den Staatsauftrag Israel zu zerstören (darum geht es vor allem beim Atomprogramm). Stürzt auch nur eine dieser beiden Säulen, stürzt das System. Deshalb kann es hier keine Zugeständnisse machen. Dass es nun so offen ums Kopftuch und die systemische Unterdrückung von Frauen geht stellt das System vor eine unlösbare Herausforderung, denn es kann eben nicht ein paar Zugeständnisse machen. Es ist existentiell herausgefordert und in Frage gestellt und das – wie alle Umfragen zeigen – von einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung. (Was nicht heißt, dass es nicht auch weiter Millionen von Unterstützerinnen und Unterstützer des Regimes im Iran geben würde.)

Katastrophale ökonomische Lage

Dazu kommt die katastrophale ökonomische Lage, der dauernde Verfall der Währung, eine enorme Inflation und weiteres. In den letzten Jahren hat deshalb schon so ungefähr jede Berufsgruppe im Iran demonstriert oder gestreikt – bis hin zu Pensionären. Auch jetzt kam es zu Streiks in den Bazaren und von verschiedenen Gruppen aber eben noch nicht zu einem wirklichen Generalstreik, an dem sich auch die Ölarbeiter beteiligen. Damit wurde zeitweilig gedroht, aber bislang passierte es nicht. Vor einem solchen Schritt auch fürchtet sich das Regime besonders und versucht ihn mit allen Mitteln zu verhindern, denn das war auch 1979 der letzte Nagel im Sarg des Schahregimes.

Vergessen wir nicht: Seinem Selbstverständnis nach ist die Islamische Republik ein revolutionäres System, das seine, nämlich die islamische, Revolution weltweit exportieren möchte. Und nun findet sozusagen eine Revolution gegen die Revolution statt, vieles von damals scheint sich, nur unter neuen Vorzeichen, zu wiederholen. Das ist bitter für die alte Garde, die noch am Ruder sitzt und weiß, ihre Zeit läuft langsam aus. Und niemand tritt ihr Erbe an. Im Gegenteil: Schülerinnen zeigen den Konterfeis von Khomeini und Khamenei den Mittelfinger und skandieren „Tod dem Diktator“.

Das Regime hat Angst …

So ist, trotz aller Repression, Verhaftungen, Folter, Exekutionen, die in letzter Zeit dazu geführt haben, dass es zu weniger Demonstrationen kommt, ist die Machtfrage gestellt. Es heißt ja, Revolutionen brechen aus, wenn die unten nicht mehr wollen und die oben nicht mehr können. Zweiteres ist im Iran aber noch nicht der Fall. Auch wenn das Regime angeschlagen ist und sich durchaus der Krise bewusst, kann es noch. Es verfügt vor allem über einen enormen Repressionsapparat, den es bislang auch noch nicht wirklich von der Leine gelassen. Denkt man daran, wie viele Menschen in viel kürzerer Zeit bei den Protesten 2019 umgebracht und verhaftet wurden, hält sich das Regime bislang, so zynisch das klingen mag, zurück. Es hat Angst, weil jede/r Tote Anlass für neue Proteste sein kann und zum Teil auch war.

 …und keine Strategie

Bislang bestand die Strategie des Regimes aus Zuckerbrot und Peitsche, also Repressionen und gewissen Zugeständnisse. Diesmal kann es nicht wirklich Zugeständnisse machen und hat auch kein Geld fürs Zuckerbrot. Es steht im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Rücken an der Wand und die 2021 mit Mühe an die Macht gebrachte Regierung unter Präsident Raisi, die eh über wenig Macht verfügt, ist enorm unbeliebt. Niemand traut noch irgend etwas zu, heftige Kritik an ihr kommt sogar aus dem Lager der Hardliner, die sie damals mit ans Ruder gebracht hat. Dem Regime fehlt diesmal, denke ich, der Spielraum zu manövrieren. Dazu kommen natürlich die außenpolitischen Probleme. Die Biden Regierung wollte nun wirklich zurück zum Atomdeal, was der Iran allerdings sabotiert hat und nun feststellt, was es heißt weiter in dieser Situation unter einem ziemlich rigiden Sanktionsregime wirtschaften zu müssen. Und dann wäre da diese enge Beziehung zu Russland, vor allem die Lieferung von Drohnen, die nun den gesamten Westen, selbst die Europäer gegen Teheran aufbringt. Und im Lande selbst ist dieses Bündnis keineswegs beliebt unter anderem, weil Russland ein traditioneller Gegner des Iran war. Und ökonomisch bleibt es, als Rohstoffexporteur eher ein Konkurrent und kein Abnehmer iranischen Gas und Öls. Umso kritischer sehen viele, wie eng dieses Bündnis inzwischen ist und dass eine Niederlage Russlands auch enorme Auswirkungen auf den Iran hätte.

Außenpolitisch unter Druck

Zugleich verschärfen die USA ihren Ton und signalisieren, dass sie notfalls auch militärischen Aktionen gegen das voranschreitende iranische Atomprogramm nicht mehr ablehnend gegenüber stehen, während in Israel mit Netanjahu als Premier wieder eine Regierung an der Macht ist, die vermutlich lieber heute als morgen gegen dieses Programm, das zu Recht als existentielle Bedrohung Israel wahrgenommen wird und zwar quer durch die ansonsten heillos zerstrittenen Parteien, vorgehen würde. Die Drohnenangriffe, die Januar gegen Einrichtungen in Isfahan stattfanden können durchaus als klare Drohung verstanden werden, Angriffe, die übrigens im Iran von großen Teilen der Bevölkerung begrüßt wurden.

Das heißt das Regime steht sowohl innen- wie außenpolitisch gerade ziemlich schlecht dar und ist in der Region so isoliert wie seit langem nicht. Das zeigt sich alleine in der engen Kooperation zwischen Israel, den Emiraten, Bahrain und Saudi Arabien, die gemeinsam eine Art anti-iranischen Block bilden. Sicher Iran hat noch enormen Einfluss im Irak, Syrien, Jemen und dem Libanon, wobei die drei letzteren de facto failed states sind, die den Iran viel kosten und wenig für ihn abwerfen.

Es fehlt an Unterstützung

Nun sollte man, gerade wenn es um den Nahen Osten geht, keine übereilten Prognosen tätigen und auch die Resilienz dieses iranischen Regimes nicht unterschätzen aber ich denke, was man guten Gewissens sagen kann ist, dass es in den letzten zwanzig Jahren noch nie so schlecht um es stand. Das würde jetzt auch enorme Chancen bieten von außen am Ende des Regimes mitzuwirken, nicht etwa durch militärische Aktionen, sondern Unterstützung des Protests und Verschärfung von Sanktionen. Leider findet das nicht oder in viel zu geringem Maß statt, Europa vermitteln einmal mehr – und signalisiert das natürlich, ob gewollt oder nicht dem Regime, dass lieber Stabilität möchte, also einen Weiterbestand der Islamischen Republik, auch wenn die seit Jahrzehnten der größte Garant für Instabilität ist. Man wisse ja nicht, was danach komme, heißt es. Natürlich weiß niemand das und natürlich gibt es nach 44 Jahren Diktatur keine organisierte Opposition im Lande mehr. Sicher würde auf ein Sturz des Regimes auch erst mal eine Zeit des Chaos und der Unsicherheit herrschen, das war und ist immer so. Nur taugt das nicht als Argument an dem Regime festzuhalten, denn unter ihm wird es nie eine organisierte Opposition geben (können).

Immerhin, und das scheint mir doch ein positives Zeichen, trafen sich Anfang Februar Vertreterinnen und Vertreter ganz unterschiedlicher Exilgruppen in den USA, deren Einfluss man aber nicht überschätzen sollten, um eine gemeinsame Plattform zu bilden, die sich auf einen Katalog von Mindestforderungen einigt. Dazu kommen die kurdischen Parteien, die über Stützpunkte im Nordirak verfügen und einen höheren Organisationsgrad haben.

Aber es müsste auch im Westen die Einsicht geben, dass ein Sturz des Regimes alternativlos ist und man deshalb mit allen Mitteln auf einen solchen hinarbeiten sollte. Davon profitierten die Iraner, der ganze Nahe Osten, natürlich Israel und auch Europa.

 

Zweiter Teil eines Gesprächs über den Nahen Osten, der erste Teil befasste sich mit der Rolle Kurdistans in der Region.
Der Text erschien bereits in der Jungle World

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