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Künstlerin Susanne Scheidle: ‚Es sah trübe aus, um es mal milde auszudrücken!‘

Die Künstlerin Susanne Scheidle. Foto: privat

Der Name Susanne Scheidle ist vielen unserer Leser sicherlich ein Begriff, ist sie doch seit Jahren Stammleserin dieses Blogs und regelmäßige Nutzerin unseres Kommentarbereichs.

Was manch einer hier aber vielleicht noch nicht über Susanne wusste: Die 59-jährige ist Künstlerin und wurde in Recklinghausen geboren, wuchs in Herten-Disteln auf. Susanne ist also ein echtes Kind des Ruhrgebiets, zugleich fester Bestandteil der hiesigen Kunstszene.

Die leidenschaftliche Malerin war bis zur Pandemie seit 2015 mit einem Atelierplatz im Unperfekthaus in Essen vertreten. Regelmäßig ist Susanne Scheidle auch auf Kunstmärkten in der Region zu Gast gewesen und hat bereits diverse Ausstellungen mit ihren Werken bestückt.

Unser Autor Robin Patzwaldt hat sich mit ihr in dieser Woche einmal ausführlich über die konkreten Auswirkungen der Corona-Pandemie auf ihr Leben ausgetauscht. Herausgekommen ist ein Interview, das Einblicke in den Alltag einer meinungsstarken Künstlerin gewährt und zum Nachdenken anregt.

Ruhrbarone: Hallo Susanne! Schön, dass du dir die Zeit für uns nimmst! Als bildende Künstlerin bist du ja auch direkt vom Lockdown betroffen. Was hat sich für dich im vergangenen Jahr alles verändert?

Susanne Scheidle: Bis zum Freitag, den 13. März 2020, hatte ich einen Atelierplatz im Unperfekthaus (UPH) Essen. Am Nachmittag dieses Tages wurde uns Künstlern gesagt, dass das UPH am nächsten Tag schließt. Von einem Tag auf den anderen hatte ich keinen Atelierplatz mehr.

Das Vertrackte ist ja, dass man als Künstler auch eine gewisse Routine braucht, um arbeiten zu können. Zu der Routine gehört auch ein fester Platz zum Arbeiten, ein Platz für die Farben, die Leinwände, das Papier und andere Utensilien. Das hört sich jetzt vielleicht erstmal komisch an, ist aber so. Man muss sich an seinen Arbeitsplatz begeben und anfangen. Wenn man einfach so auf dem Sofa rumsitzt und auf Inspiration wartet wird das nix. Ich musste also meine Arbeit völlig neu organisieren. Meine Federzeichnungen konnte ich natürlich auch ganz gut zu Hause machen,  aber Ölfarben, das ging gar nicht, allein wegen des Geruchs. Ich habe es ein paar Tage lang versucht – und konnte mir danach 2 Wochen lang Gedanken machen, ob die Kopfschmerzen vom Corona-Virus oder vom Terpentin kommen.

Eigentlich hatte ich in 2020 so richtig durchstarten wollen, ich hatte ungewöhnlich viele Zusagen für Ausstellungen und Kunstmessen – die wurden nach und nach alle abgesagt oder auf unbestimmte Zeit verschoben. Es sah trübe aus, um es mal milde auszudrücken.

Im Mai hat mir dann ein befreundetes Künstlerehepaar einen Platz in einem seiner Atelierräume angeboten, was mir wieder Auftrieb gegeben hat. So konnte ich wenigstens wieder arbeiten, auch wenn ich nicht wusste, wann ich wieder etwas verkaufen würde. Von August bis Oktober fanden dann tatsächlich 3 Kunstmessen statt (von ursprünglich 12 geplanten!).

Seitdem: Still ruht der See.

Übrigens auch, was Nachrichten vom UPH betrifft. Es soll komplett umgebaut werden, aber wann es wieder öffnet, kann zurzeit natürlich niemand sagen.

Die Arbeit hilft mir sehr, ich glaube, ich fühle mich dadurch nicht so einsam wie viele andere in dieser Zeit. Trotzdem: Das Dasein fühlt sich zerbrechlicher an. Klar wusste man schon immer, dass sich im Leben von einem Tag auf den anderen alles ändern kann. Theoretisch.  Jetzt weiß man, wie sich das live und in Farbe anfühlt.

Ruhrbarone: Bist du aktuell noch so kreativ/produktiv wie vor der Pandemie? Wie hat sich das Alles auf deine Kunst ausgewirkt?

Susanne Scheidle: Also, den April über habe ich versucht, wenigstens Zeichnungen zu machen, was mir nur so zum Teil gelungen ist.  Jetzt bin ich so zwei Mal in der Woche im Atelier und für meine Zeichnungen habe ich mir Platz in meiner Wohnung geschaffen. Ich habe auch ein paar Projekte wieder aufgenommen, die schon lange geplant waren, wie ein Kinderbuch, das habe ich jetzt endlich zu Ende gebracht und drucken lassen.

Außerdem haben wir eine Online-Galerie  gegründet, um unsere Arbeiten zu präsentieren, dieses Projekt hat im letzten Jahr Fahrt aufgenommen, inzwischen sind außer unserer kleinen Ateliergemeinschaft noch drei weitere Künstler dazugekommen.

Auf die Thematik meiner Kunst hat sich die Pandemie nicht unbedingt ausgewirkt. Ich bin schon immer etwas skeptisch gegenüber „politischer“ Kunst gewesen, die direkt auf aktuelle Ereignisse Bezug nimmt, das wird schnell etwas plakativ. Oder anders gesagt, was auf einem Plakat von Klaus Staeck ironisch rüberkommt, kann auf einem Gemälde schnell ziemlich platt wirken.

So ganz widerstehen konnte ich allerdings auch nicht. Gleich nachdem ich wieder einen Atelierplatz hatte, habe ich ein Gemälde begonnen, das ich „Zwischenzeit“ genannt habe und in dem ich versucht habe, diesen Schwebezustand darzustellen, in dem wir uns zu Beginn der Pandemie wahrscheinlich alle befanden. Eigentlich hatte ich das Bild nur für mich gemalt ohne darüber nachzudenken, ob ich das jemals verkaufen würde. Inzwischen hat es einen neuen Besitzer gefunden.

Ruhrbarone: Es gab Hilfen für Soloselbständige und Künstler. Fandest du das angemessen, so wie es lief, oder hättest du dir da etwas Anderes gewünscht? Wenn ja, was?

Susanne Scheidle: Ich war einigermaßen kommod aufgestellt. Noch im Februar 2020 hatte ich mehrere Bilder verkauft und durch einen sehr bescheidenen Lebensstil hat mich das über Wasser gehalten.

Und auch im Herbst hatte ich dann wieder einige Einnahmen, ich will mich nicht beklagen.

Aber was ist mit Musikern, mit Schauspielern etc.? Die stehen seit einem Jahr total auf dem Schlauch.

Die Hilfsgelder durften ja nur für Büromieten und laufende Geschäftskosten, also für Fixkosten, ausgegeben werden. Aber Künstler drücken keine Fixkosten, wenn man nicht auftreten oder seine Bilder zeigen kann fehlt es schlicht am Geld fürs tägliche Leben. Entgegen weit verbreiteter Vorstellungen müssen auch Künstler mal was essen, sich die Schuhe besohlen lassen oder die Stromrechnung bezahlen. Dafür waren die Hilfen aber ausdrücklich nicht vorgesehen.

Stattdessen wurden Künstler oftmals auf die Möglichkeit der „Grundsicherung“ verwiesen, vulgo Hartz IV. Immerhin: Künstler die Hartz IV beantragt haben mussten sich nicht der hochnotpeinlichen Untersuchung stellen, ob die Wohnung vielleicht 5 qm zu groß ist oder ob es Ersparnisse gibt, die ja erstmal im wahrsten Sinne des Wortes „aufgegessen“ werden können. Nun könnte man sagen, Hartz IV wäre ja genau für diesen Fall vorgesehen: Hilfe zum Allernötigsten in einer Notsituation. Das Problem ist nur, dass Hartz IV dafür aus Gründen, die hier zu erörtern zu langwierig wäre, anderes Thema, noch nie getaugt hat.

Ruhrbarone: Welches Zeugnis würdest du der Politik grundsätzlich für ihren Umgang mit Corona ausstellen? Bist du mit den Leistungen der Politiker zufrieden, oder haben sie dich enttäuscht?

Susanne Scheidle: Am Anfang der Pandemie haben sie vieles richtig gemacht. Der Ernst der Situation wurde erkannt und die meisten Politiker hatten den Mumm, unbequeme Wahrheiten zu verkünden, und ich dachte, hey, quelle surprise, die können ja doch was, und so sind wir vergleichsweise glimpflich durch die erste Welle gekommen. Nur war man anscheinend ein bisschen besoffen von diesem Erfolg, und ging über zu business-as-usual, was in Deutschland meistens heißt „lassen wir die Dinge mal laufen“, bis keiner mehr leugnen konnte, dass die zweite Welle gerade anrollt – nur um mit dem „Lock-down light“ die Karre endgültig vor die Wand zu fahren. Bereits Mitte November war klar, dass die Maßnahmen nicht reichen, aber erst nach vier Wochen, die mit „erstmal abwarten“ und föderalem Gehampel verplempert wurden, wurde die Bremse richtig angezogen. Wobei man mal erwähnen sollte, dass der „Lock-down hard“ keineswegs so „hard“ ist wie die Beschränkungen in anderen Ländern, was Herrn Laschets unsäglichen Spruch vom „härtesten Weihnachtsfest seit Ende des Krieges“ erst recht zu einer Spitzenleistung an pompöser Larmoyanz macht.

Und jetzt das Impfchaos, da fällt mir ehrlich gesagt nix mehr zu ein.

Mir kommt es vor, als ob die Politik seit letztem Sommer immer so haarscharf am Thema vorbei agiert. Wie eine Bande von Köchen, die über die Frage Rotwein oder Weißwein zum Fisch streiten, während die überkochende Fritteuse gerade die Küche in Brand steckt.

Ruhrbarone: Was wünscht du dir für die kommenden Wochen und Monate? Privat, aber auch beruflich?

Susanne Scheidle: Dass sich alle Beteiligten vielleicht mal zusammensetzen und beraten, wie man die Impfkampagne besser organisiert. Schnelltests für zu Hause, schön und gut, aber der Schlüssel ist die Impfung!

Und wenn wir dann mal alle geimpft sind, wünsche ich mir ein großes Fest mit allen lieben Freunden, und wir werden uns umarmen und tanzen, ohne darüber nachzudenken, ob es okay ist, jemandem die Hand zu halten oder ins Gesicht zu lachen oder an der Schulter von jemandem zu weinen oder was auch immer.

Beruflich bereite ich mich auf die nächsten Kunstmessen im Sommer/Herbst vor. Und natürlich wünsche ich mir, dass viele Besucher kommen! Aber da bin ich ziemlich zuversichtlich.

Ruhrbarone: Wird die Pandemie die Szene dauerhaft verändern? Mit was rechnest du?

Susanne Scheidle: Was die bildende Kunst betrifft zerfiel die Szene ja schon vor Corona in zwei Segmente: Der etablierte Kunstmarkt, in dem Preise kursierten, die nix mehr mit der Realität zu tun hatten – und meistens auch nix mit Liebe zur Kunst, nebenbei bemerkt – und den anderen, die irgendwo am Existenzminimum herumkrebsen. Möglicherweise wird dieser Trend durch die Pandemie noch verstärkt, wie so vieles andere.

In anderen Kunstsparten sieht das vermutlich ähnlich aus.

Denkbar sind zwei Szenarien: Nach Ende der Pandemie sind die Leute so ausgehungert, dass sie Kunstausstellungen, Theater und Konzerte überrennen – oder so zermürbt, dass sie schon glücklich darüber sind, dem Lieferando-Boten das Trinkgeld ohne Maske in die Hand zu drücken.

Ich weiß es einfach nicht.

Ruhrbarone: Hast du schon Pläne für die kommenden Monate? Wie können deine Kunden, dich erreichen?

Susanne Scheidle: Eine Fortsetzung meines ersten Kinderbuches ist so gut wie abgeschlossen und ich muss mich natürlich vorbereiten auf die kommenden Kunstmessen, also malen, malen, malen, da ist schon einiges in Arbeit, mein Skizzenbuch ist voll…

Bis es wieder Ausstellungen und Kunstmessen gibt’s  hier schon Mal einen kleinen Vorgeschmack:  www.kunst-mit-vorsatz.com

Und natürlich kann man meine Bilder nach Terminabsprache auch im Atelier Farbenschmiede, Dahlhauser Str. 158, 45279 Essen besichtigen.

Ruhrbarone: Wir danken Dir für die offenen Worte, Susanne! Und natürlich auch weiterhin viel Erfolg!

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[…] sein. Nicht nur, dass die hauptberufliche Künstlerin uns ausgangs des ersten Corona-Jahres ein ausführliches, offenes, kritisches Interview über die Herausforderungen gab, mit denen sie als Kulturschaffende in Pandemie-Zeiten zu kämpfen […]

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[…] Scheidle ist regelmäßigen Ruhrbarone-Lesern seit Jahren ein Begriff. Nicht nur, dass wir mit ihr ein sehr offenes Interview über die Lage in der Kunst-Szene während der Pandemie geführt haben, sie ist auch regelmäßig […]

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