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Fall Amad A: „Unglaubliche Tragik“

NRW-Justizminister Peter Biesenbach Foto: Raimond Spekking Lizenz: CC BY-SA 4.0


Am 17. September 2018 stirbt der damals 26jährige Syrer Amad A. an den Folgen eines Brandes in der Justizvollzugsanstalt Kleve. In Haft war er nur wegen eine Verwechslung. Nun wurden auch die letzten Ermittlungen eingestellt.

Der 6. Juli 2018 war ein schöner Sommertag. Es sollte der letzte im Leben von Amad A. werden, den er in Freiheit verbrachte. Nachdem er an einem Baggersee bei Geldern mehrere junge Frauen belästigt haben soll, darunter die Tochter eines Polizeibeamten, wurde er von der Polizei auf die Wache mitgenommen, um seine Personalien zu kontrollieren. A. hatte keinen Ausweis dabei. Anhand seiner Fingerabdrücke konnten ihn die Beamten jedoch  identifizieren. Als sie seinen Namen in eine Datenbank eingaben, fanden sie einen offenen Haftbefehl vor. Der richtete sich zwar gegen Amedy G., aber der hatte Amad A. als Aliasname genutzt.

Doch ein nur oberflächlicher Blick in die Akte von Amedy G. hätte gezeigt, dass man Amad A. mit ihm nicht verwechseln kann: Amedy G. ist 1,80 groß, Amad A. brachte es nur 1,72. Amad A. war in Syrien geboren worden, Amedy G. in Mali. Amad A. war weiß, Amedy G. schwarz.

Gegen Amad A. lag kein Haftbefehl vor. Doch zwei Monate blieb A. in der Justizvollzugsanstalt Kleve. Dann kam es unter ungeklärten Umständen in seiner Zelle zu einem Brand. An den Folgen der dabei zugezogenen Verletzung starb der junge Syrer am 17. September 2018.

Sven Wolf ist Landtagsabgeordneter der SPD in Nordrhein-Westfalen und der stellvertretende Vorsitzende des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der seit Dezember 2018 den Tod von Amad A. Untersucht. „Der Fall hat eine ganz besondere Tragik“, sagt Wolf. „2016 floh A. nach Deutschland, nachdem er in Syrien in Haft saß, ohne zu wissen warum. Bei uns passierte ihm dann dasselbe und er starb im Gefängnis.“ Mehr als ein Dutzend Polizisten hatten seine Akte in der Hand gehabt, hätte nur einer sie sich etwas genauer angeschaut, wäre klar geworden, dass der falsche Mann in Haft saß.

„Zu diesem Ergebnis kam auch das Landeskriminalamt in seiner Auswertung.“

Auch als die Staatsanwaltschaft Braunschweig, die nach Amedy G. suchte, Ende Juli der Polizei sagte, der Festgenommene sei nicht die gesuchte Person, sei nichts passiert. Allerdings sei der Beamte, sagt Wolf, der den Anruf entgegengenommen hätte, dadurch aufgefallen, dass er sich große Mühe gab gegen Amad A. zu ermitteln. Doch hat nach Ansicht der Ermittler nichts mit dem Verfahren zu tun: In einer Anfang Februar erschienenen gemeinsamen Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Kleve und Polizei Krefeld wird zwar bestätigt, dass die Staatsanwältin aus Braunschweig der Polizei sagte, dass Amad A. nicht der Gesuchte nicht identisch mit der im dortigen Verfahren angeklagten Person sei, aber „Indes steht nicht fest, dass auch dem Polizeibeamten aufgrund des Gespräches und der ihm im Übrigen vorliegenden Informationen die Personenverwechslung bewusst war.“ Was nichts andere bedeutet als dass ein deutscher Polizeibeamter nicht in der Lage war, einen auf Deutsch klar formulierten Sachverstand zu verstehen.

Bis zum Sommer will der Untersuchungsausschuss noch Beweise sammeln. Dann soll in einem Abschlussbericht die politische Verantwortung geklärt werden.

Große Unterschiede habe es in den Reaktionen aus der nordrhein-westfälischen Politik gegeben, sagt Wolf: „Während Innenminister Herbert Reul (CDU) Fehler bei der Polizei einräumte und die Eltern des Verstorbenen um Entschuldigung bat, war Justizminister Peter Biesenbach (CDU) zu solchen klaren Worten nicht bereit.“

Mit der Einstellung aller Ermittlungsverfahren gegen die Polizeibeamten im Fall Amad A. will sich Sven Tamer Forst nicht zufriedengeben. Forst vertritt die Eltern des Toten und hat Beschwerde gegen die Einstellungen bei der Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf eingelegt. „Die Staatsanwaltschaft sagt, sie hätte in keinem Fall einen Vorsatz erkennen können und fahrlässige Freiheitsberaubung sei nicht strafbar, aber das sehe ich anders. Ein Vorsatz liegt schon vor, wenn die Folgen billigend in Kauf genommen werden und das ist hier unserer Ansicht nach geschehen.“ Ein Aliasname sei kein Grund für eine Verhaftung, Amad A. und Amedy G. seien nicht zu verwechseln und die Ungereimtheiten seien so groß gewesen, dass die Beamten sich die Akten hätten näher anschauen müssen. „Der Haftbefehl fand sich nur in einer von zwei Polizeidatenbanken. Da muss man doch kontrollieren, ob irgendwo eine Fehler passiert ist.“ Spätestens nachdem die Staatsanwaltschaft Braunschweig darauf hingewiesen hatte, dass der Inhaftierte nicht der Gesuchte sei, hätten die Beamten tätig werden müssen. Sie taten nichts.

Alle Erklärungen von Seiten der Polizei seien vollkommen unplausibel. Zu klären sei auch, warum der Brand den Amad A. wohl in seiner Zelle gelegt hat, so spät bemerkt wurde, dass er nicht mehr zu retten war. Ein Motiv für das Verhalten der Polizei kann Forst nicht ausmachen. „A. war ein paar Mal vorher der Polizei aufgefallen. Vielleicht hat man sich gedacht „Dem tun ein paar Wochen Knast ganz gut“, aber das ist alles Spekulation.“

Für die NRW-Landesregierung käme ein Verfahren gegen mehrere Polizeibeamte wegen Freiheitsberaubung zur Unzeit. Der Skandal um die aufgeflogenen rechtsradikalen Chats von Beamten des Polizeipräsidiums Essen ist noch nicht beendet, Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bereitet sich darauf vor, Kanzlerkandidat zu werden und Justizminister Biesenbach ist einer seiner möglichen, wenn auch nicht der wahrscheinlichste, Nachfolger, wenn er nach der Bundestagswahl im September ins Kanzleramt ziehen. Der Fall Amad A. wirft die Frage auf, ob jemand wirklich Kanzler werden sollte, in dessen Bundesland in seiner Zeit als Ministerpräsident ein Fall wie der von Amad A. nicht einmal von einem Gericht aufgeklärt wird?

Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Jungle World

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Tagedieb
Tagedieb
3 Jahre zuvor

Interessiert das Schicksal eines Asylanten, eines Geflüchteten, eines vor staatlicher Gewalt geflohenen jungen Mannes wirklich die Breite der Gesellschaft? Nein!
Interessiert dieser „Einzelfall“ des polizeilichen Versagens, dieses Desinteresses der staatlichen Organe, diesen Fall aufzuklären die breite Masse? Ich behaupte: Nein. Interessiert das Handel dieser womöglich des Verstehens, Lesens, den Gebrauch des einfachen Menschenverstand unfähigen oder gar absichtlich nicht nutzend wollenden Polizisten und Justizvollzugsbeamten wirklich die breite Masse? Ich behaupte: Nein.
Ist irrelevant. Ist ein tragischer Einzelfall. Ist eine Verkettung unglücklicher Umstände. Hier gibt es nichts zu sehen, gehen Sie weiter. Hören Sie auf zu filmen und dumme Fragen zu stellen. Mach die Kamera aus, sonst passiert was! Sie behindern die Polizeiarbeit.
Es tut uns leid. Wir bitten die Angehörigen vielmals um Entschuldigung.
Können die Verantwortlichen ruhig schlafen? Was sind das für Menschen, denen wir unsere Sicherheit anvertrauen?

Berthold Grabe
Berthold Grabe
3 Jahre zuvor

@1
In der Tat wäre es wichtig aufzuklären, was hier passiert ist. mich interessiert da vor allem, wie es immer häufiger passieren kann das Polizei das Interesse verliert bei bestimmten Zusammenhängen.
Wer Polizisten ganz allgemein zu ihrer Arbeit befragt, merkt schnell, wie wenig Unterstützung die Polizei aus der Politik genießt.
Der kleinste Fehler kann in den Medien einen reinen Popanz auslösen.
Da stellt sich im Zusammenhang mit einer potentiellen Problemklientel eine eh egal Haltung ein, wenn man ohnehin immer der Sündenbock ist.
Und nicht wenige Polizisten sind immer wütender geworden, was die politische Führung angeht.
Sie sollen zwar Verbrechen bekämpfen, aber aus Angst vor Diskriminierungsvorwürfen werden Ermittlungen und Vollzug seit Jahren immer stärker politisch behindert.
Ich denke, das Problem wurde selbst geschaffen, aber nicht durch die Polizei, sondern der Oberflächlichkeit und moralischen Opportunität ihrer Kritiker.

Jürgen
Jürgen
3 Jahre zuvor

@2 Und das, was sie bezüglich der Stimmungslage bei der Polizei (angeblich/tatsächlich) vortragen, soll eine Entschuldigung dafür sein, dass da ein Nichtdeutscher in Untersuchungshaft zu Unrecht vergessen wurde?
Tut mir leid, wenn die beteiligten Polizisten die von ihnen angeführte Stimmungslage als Grund/Entschuldigung anführen, falle ich völlig vom Glauben ab. Das ist mehr Keks als Mann.

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