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NSU-Ausschuss will Umfeld von Michael Berger hören

Gedenkstein für einen der von Michael Berger getöteten Polizisten. Quelle: wikimedia
Gedenkstein für einen der von Michael Berger getöteten Polizisten. Quelle: Wikimedia

Eine Polizistin und zwei Polizisten hat der Neonazi und Waffennarr Michael Berger am 14. Juni 2000 getötet. Doch was für ein Mensch war er, wie war er der rechten Szene verbunden und in sie eingebunden? Damit befasst sich zurzeit der NSU-Untersuchungsausschuss im NRW-Landtag. Nach der Aussage seines Neurologen und eines ehemaligen Staatsschutzbeamten am gestrigen Donnerstag werden heute ein mutmaßlicher Freund und die damalige Partnerin des Neonazis vor dem Gremium erwartet. Wir berichten von 10 Uhr an aus dem Landtag.

10:32 Uhr: Patrick Dittmann ist der erste geladene Zeuge. Der 37-Jährige war 1998 zur NPD gekommen und „in die Szene reingerutscht“. Dittmann hat, nach eigenen Angaben, „seit längerer Zeit nichts mehr mit der Szene zu tun.“ Bei einem Kameradschaftsabend habe er 1999 Michael Berger kennengelernt. Man habe sich auch privat getroffen, sei miteinander am Wochenende ausgegangen, habe Radtouren gemacht. Auf Konzerten seien beide nicht gemeinsam gewesen.

Angesprochen auf die psychiatrische Behandlung Bergers berichtet der Zeuge, dass Berger kurz vor den Morden im Krankenhaus eine Krebsdiagnose erhalten habe. Da habe er gemerkt, dass es Berger nicht gut gegangen sei. Von Depressionen habe Dittmann nichts gewusst. Er habe Berger im Krankenhaus in Aplerbeck besucht – beim Krankenhaus in Aplerbeck handelt es sich um die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Unmittelbar nach der Entlassung habe Berger die Morde begangen – Dittmann habe ihn abholen wollen, und das zeitlich nicht geschafft. Der Zeuge sagt, dass ihn dieser Umstand noch 16 Jahre später quäle. Wenn er ihn abgeholt hätte, so sagt er, hätte er die Taten vielleicht hätte verhindern können. 

Berger habe einmal eine Bekannte oder Freundin gehabt, die Polizistin gewesen sei, und sei „nicht gut darauf zu sprechen“ gewesen, offenen Hass habe er aber nicht geäußert. Der Ausschussvorsitzende fragt nach Waffen: Dittmann weiß von einzelnen Waffen wie einem Gewehr. Berger habe erzählt, die Waffen von seinem Vater bekommen zu haben. Einen Hinweis an die Polizei habe Dittmann nicht gegeben.

Die Fraktionen haben das Fragerecht. Heiko Hendriks (CDU) fragt nach der Vernehmung Dittmanns und nach Dittmanns Wirken in der NPD. Dieser berichtet von Szenen aus der Freundschaft der beiden Männer: Berger habe einmal aus Spaß eine Waffe auf ihn gerichtet, daher habe er auch „ein bisschen Schiss“ vor Berger gehabt, obwohl man befreundet gewesen sei. Der Kameradschaftsabend, bei dem beide sich kennengelernt hätten, sei von etwa 30 Personen aus verschiedenen Städten und verschiedenen rechten Gruppierungen besucht gewesen. Ob Berger bei der NPD war, kann Dittmann nicht sagen, ob er mit dem damaligen Kreisvorsitzenden Pascal Zinn befreundet war, auch nicht. Er habe außerhalb der NPD Kontakte in die rechte Szene gehabt, zum Beispiel zu Sebastian Seemann. Er habe auch viel von Siegfried Borchardt geschwärmt, doch von engeren Kontakten weiß Dittmann nichts.

Walburga Benninghaus‘ (SPD) Frage, ob Dittmann von Schießübungen wusste, beantwortet der Zeuge mit Ja, er kann sich aber nicht mehr daran erinnern, ob er selbst teilgenommen habe oder wusste, woher die Waffen kommen – womöglich eine Schutzbehauptung.

Der Abgeordneten Verena Schäffer (Grüne) antwortet Dittmann, dass Berger Mitglied der Kameradschaft Dortmund gewesen sei. Dass er, gemeinsam mit Michael Berger und dem damaligen NPD-Funktionär Pascal Zinn, auf einer Telefonliste stand, erfährt der Zeuge nach eigenen Angaben jetzt. Er kann sich nicht an Aufrufe zum bewaffneten Kampf gegen Migranten und auch nicht an Waffen in der rechten Szene erinnern. Combat 18 sei Thema gewesen, doch ob es einmal darum ging, eine Zelle in Dortmund zu gründen,weiß der Zeuge nicht mehr. Seines Wissens nach gab es keine Kontakte von Berger zu Marko Gottschalk oder der Band Oidoxie. Schäffer fragt weiter: Eine Woche nach den Morden gab es ein Treffen rechter Jugendlicher am Ort von Bergers Selbstmord in Olfen. Dittmann erinnert sich nicht an dieses Treffen, genausowenig wie an Organisatoren oder eine Trauerfeier für Michael Berger. Dittmann sagt, dass er sich vorstellen kann, dass es Schießübungen gegeben haben könnte, ob es sie gab, wisse er nicht. Die Gruppen Sturm 11 sagt ihm nichts, die Wehrsportgruppe Schlageter sagt ihm etwas. Die Kameradschaft Dortmund habe sich aber nicht so genannt.

Yvonne Gebauer (FDP) fragt nach Details des Kennenlernens zwischen Dittmann und Berger. Heute nennt sich Dittmann einen guten Freund, nicht jedoch als besten. Gebauer fragt nach Bergers Verhältnis zu Frauen – das sei schwierig gewesen, weil Berger sich auf Frauen „eingeschossen“ habe, die kein gegenseitiges Interesse hatten. Das habe ihn frustriert. Kontakte zu Antifa-Bewegungen in Dortmund bestätigt Dittmann nicht.

Birgit Rydlewski (Piraten) fragt Dittmann, an welchen Aktivitäten Dittmann selbst teilgenommen habe. Er war bei Kameradschaftsabenden, Konzerten – und bei Demonstrationen „leider Gottes auch.“ Rydlewski fragt noch einmal nach den Waffen: Dittmann kann sich an ein dunkles hölzernes Gewehr erinnern, an eine AK47, laut Rydlewski „eine außergewöhnliche Waffe“, aber nicht. Auf Nachfrage nach Erinnerungslücken antwortet Dittmann, er habe viel verdrängt, weil er auch mit einigem in der Szene nicht einverstanden gewesen sei. Bei erneuter Frage nach Combat 18 nennt der Zeuge nochmal Sebastian Seemann, ansonsten aber keine Namen. „Jeder hat davon gesprochen.“

Andreas Kossiski (SPD) fragt noch einmal nach dem Bezug zu Combat 18 und Blood&Honour. Es habe Material, Fotokopien von Heften und Büchern, gegeben, das man bekommen habe. Um welche Medien es sich handelte, weiß der Zeuge nicht. Verena Schäffer (Bündnis 90/Grüne) fragt nach einem Zeltlager, in dem Dittmann mit Michael Berger und anderen Szenemitgliedern gewesen sei. Es seien rechte Treffen gewesen, bei denen Menschen aus verschiedenen Städten zusammengekommen seien, getrunken und Musik gehört hätten. Verena Schäffer fragt nach einer Sabine Birkenstock – sie hatte zuvor ein Foto vorgehalten, auf dem Berger und andere zu sehen sind.

Auch Patrick Dittmann habe von den Gerüchten gehört, Michael Berger sei V-Mann gewesen – doch Gerüchte habe es ständig gegeben. Er weiß nichts von Kontakten zum Verfassungsschutz. Noch einmal nach der AK 47 gefragt, kann sich Dittmann wieder nicht an die Waffe und an ihren Ursprung erinnern, obwohl er in einer früheren Vernehmung im Jahr 2000 dieses angegeben habe. Damit ist Patrick Dittmann aus dem Zeugenstand entlassen, als nächste Zeugin wird um 13 Uhr Claudia Mertins erwartet.

13:04 Uhr: Die Befragung verschiebt sich noch um eine halbe Stunde.

13:35 Uhr: Die Befragung der 47-jährigen Claudia Mertins beginnt. Sie war über rund zehn Jahre lang mit Michael Berger liiert. Etwa ein Jahr vor der Mordtat sei die Beziehung zu Ende gegangen. Die Zeugin berichtet, dass Depressionen ein Thema zwischen beiden gewesen sei. Sie habe ihn Ostern 2000 besucht und gemerkt, dass es ihm nicht gut ging, und Medikamente gefunden. Sie habe ihn gebeten, zum Arzt zu gehen. Er habe von Depressionen, auch im Zusammenhang mit seiner Mutter gesprochen, viel Alkohol und Marihuana konsumiert. Er sei verbal aggressiv geworden, jedoch nicht gegen sie.

Frau Mertins habe nicht mit einer solchen Tat gerechnet, sagt aber, dass sein Hass auf Polizisten kein Geheimnis gewesen sei. Er sei wegen mehrerer kleinerer Vergehen aufgefallen und hätte den Führerschein verloren, sei aber trotzdem gefahren. „Er hatte einen immsensen Hass auf Polizei“, womöglich aber allgemeiner gegen „Ordnungshüter“. Schon bei der Bundeswehr sei er aufgefallen und sei dann auch unehrenhaft entlassen worden. Er habe keinen Hehl aus seiner Ablehnung von Migranten gemacht, doch dass er Mitglied in Organisationen gewesen sei, war der Zeugin nicht bekannt.

13:46 Uhr: „Er war das, was man einen Waffennarr nennt.“ Er habe Waffen besessen und immer ein Messer bei sich gehabt. Von einem „Arsenal“ habe sie nicht gewusst, und auch abgelehnt, als Michael Berger ihr anbot, ihr eine Waffe zu besorgen. Der letzte Kontakt habe kurz vor seiner Entlassung aus der psychiatrischen Einrichtung stattgefunden. Er habe sich melden wollen, sobald die Entlassung geschehen sei, und sie hatte vor, ihn zu besuchen. Die Stimme der Zeugin ist leise und bricht immer wieder. Von der Tat hat sie aus den Medien und von ihren Eltern erfahren.

Frau Mertins sagt, sie sei jahrelang alkoholabhängig gewesen und habe erst Ende 2014 einen Entzug gemacht. Daher habe sie viel vergessen, sie kann sich an eine polizeiliche Vernehmung nicht erinnern. Sven Wolf merkt an, dass der Ausschuss auch keine Hinweise auf eine solche habe. Claudia Mertinssei nach der Tat in ihrem Heimatort häufiger von der Polizei angehalten worden, was als Routinekontrollen deklariert worden sei. Daraufhin habe sie selbst eine Angst vor der Polizei entwickelt.

14:22 Uhr: Heiko Hendriks (CDU) fragt nach der Beziehung der beiden Personen. Mertins war zwischen ihrem 20. und 30. Lebensjahr mit Berger zusammen. Ihr gegenüber sei er durchgängig sehr bemüht und lieb gewesen. Seine rechte Gesinnung habe sie gekannt, aber nicht teilen können. Hendriks spricht eine Wesensveränderung Bergers ab etwa zwei Jahre vor der Tat an, wie eine einrasierte „88“ in seinem Hinterkopf. Frau Mertins sagt, dass sie sehr besorgt um ihn gewesen sei. Nach der Trennung Ende der 90er Jahre habe man freundschaftlichen, irgendwann nur noch sporadischen Kontakt. Sie erinnert sich, nachdem beide sich getrennt hatten, an eine Beziehung Bergers mit einer anderen Frau um 1999. Die Partnerin sei gleichzeitig, so erinnert sie sich vage, mit einem Polizisten liiert gewesen.

Frau Mertins berichtet auf Anfrage von Angela Lück (SPD), dass sich die Verbindungen zur rechten Szene erst in Dortmund entwickelt hätten. Mit den Eltern Michael Bergers habe sie kaum Kontakt gehabt, habe nach seinem Tod mit dessen Bruder und im Anschluss auch mit den Eltern telefoniert. Sie habe an der Bestattung teilnehmen wollen, aber erst im Nachinein vom Termin erfahren.

14:33 Uhr: Mertins weiß auf die Frage von Monika Düker (Bündnis 90/Grüne) nichts vom Hang ihres Freundes zu rechter Rockmusik. Beim letzten Telefonat, schildert die Zeugin, habe man sich über das Ergebnis des Krankenhausaufenthalts und die Entlassung unterhalten. „Für mich stellt es sich so dar“, sagt die Zeugin: „Er ist in einer psychiatrischen Einrichtung, wird entlassen, und bringt drei Menschen um. Ich habe das nicht verstanden, und nie eine Antwort darauf bekommen.“ Sie habe keine Gewalt von seiten ihres ehemaligen Partners mitbekommen.

Ob Michael Berger in einem Schießsportverein war, möchte Birgit Rydlewski (Piraten) wissen – die Zeugin verneint. Sie schildert, dass er unglücklich und hoffnungslos gewesen sei. Er habe, hatte sie vorher gesagt, es gehasst, kontrolliert zu werden. Könnte der Dreifachmord eine intendierte Heldentat gewesen sein? „Ich glaube nicht, dass es geplant war. Das ist das einzige, womit ich klargekommen bin und was denkbar gewesen ist für mich.“ Sie könne sich auch denken, dass einiges zusammenkam – „Alkohol, Canabis, Tabletten, was auch immer.“ Von einer Informandentätigkeit ihres Ex-Partners weiß Merins nichts.

Der Sitzungstag ist zu Ende. Weiter geht es am 27. April.

 

Am Donnerstag hatten ein Arzt Michael Bergers und ein ehemaliger Staatsschützer ausgesagt. Der Neurologe, der Michael Berger von 1997 bis 2000 vereinzelt wegen dessen Depressionen und Suizidgedanken behandelte, hatte diesen als widersprüchlichen Charakter beschrieben, dessen eher weiches, verletzliches Inneres nicht zur äußeren Erscheinung gepasst habe. Er hatte auch berichtet, mit einer Tat wie dem Mord an den drei Polizeibeamten Yvonne Hachtkemper, Thomas Goretzky und Matthias Larisch-von-Woitowitz nicht gerechnet zu haben.

Der ebenfalls gestern geladene pensionierte Staatsschützer war, wie viele seiner Kollegen zuvor, nichts zur Klärung beitragen können. Er habe Michael Berger nicht gekannt und habe auch mit den Ermittlungen nichts zu tun gehabt, hatte er am Donnerstag mantraartig vor dem Ausschuss ausgesagt. Auch zur Verfasstheit der lokalen rechten Szene um die Jahrtausendwende konnte der von 1998 bis 2001 beim Staatsschutz für Rechtsextremismus zuständige Ex-Beamte kaum Informationen liefern. Den Bericht von Donnerstag gibt es hier zum Nachlesen.

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