Die EU braucht die Türkei, nicht anders rum

Jetzt ist schwarz-gelb. In der Außenpolitik wird ein wesentlicher Unterschied zur vorherigen Regierung in der Haltung zur Türkei liegen. Eine wichtige strategische Entscheidung. Es geht um unsere Interessen: Europa braucht die Türkei in der EU, um einen eigenen außen- und sicherheitspolitischen Pfeiler im Nahen Osten zu haben.

Die AKP-Regierung betreibt seit einigen Jahren eine aktive regionale Außenpolitik. Nicole Pope hat in der jüngsten Ausgabe von Middle East International geschrieben, dass die Türkei seine von Generälen und sakulärer Elite über Jahrzehnte geschnürte Zwangsjacke endlich abgestreift hat: "Long constrained by rigid policy laws drawn by the army and the secular establishment, Turkey is now bursting out of its straight-jacket and developing its potential."  Von der neuen Bewegungsfreiheit macht Ankara auch Gebrauch: es hat die Beziehungen zum Irak nach Saddam gepflegt, unter anderem durch einen historischen Besuch in Erbil. Auch ihr Verhältnis mit anderen Nachbarn wie Syrien und Armenien hat die Türkei verbessert und ihre Beziehungen zum Iran weiter gepflegt. Einige Beobachter fragen sich schon, ob sie damit ihre West-Orientierung aufgegeben hat. Das glaube ich nicht, und vor allem: je weiter die Türkei auf diesem Weg in den nächsten Jahren kommt, desto mehr gibt es für die EU zu gewinnen: 

  • Israel: Durch den Gazakrieg hat das Verhältnis gelitten, aber die Türkei hat grundsätzlich gute Beziehungen zu Israel, zum Beispiel in der Sicherheitspolitik. Bis zum Gazakrieg hat es zwischen Syrien und Israel vermittelt.
  • Syrien: Wenn Damaskus eines Tages seine Außenwirtschaft komplett öffnet, werden türkische Firmen da den Laden schmeißen. Als EU-Land hätten wir damit dort erheblich mehr Einfluss als jetzt, und könnten Saudi-Arabien und dem Iran, die jetzt um Syriens Gunst wetteifern, etwas entgegen setzen.
  • Iran: Die türkische Diplomatie hat gute Kanäle nach Tehran. Das würde der EU dringend benötigte Einblicke verschaffen, und letztlich auch mehr Einflußmöglichkeiten. Wir brauchen iranisches Gas, und mehr Bewegungsfreiheit abseits der amerikanischen Iran-Politik, die zu viel Rücksicht auf Saudi-Arabien nimmt und einfach zuviel Gepäck aus dem 20. Jahrhundert mit sich herum schleppt.
  • Russland: Die Türkei ist ein wichtiger Energie-Korridor, durch den Europa Gas aus dem Kaspischen Meer und dem Iran beziehen kann. Das würde unsere Abhängigkeit von Russland reduzieren. (Wenn die EU die Türkei ablehnt, läuft es andersrum, dann wird sich die Türkei stärker an Moskau anlehnen.)
  • Kaukasus: Georgien ist ebenfalls Teil eines Korridors vom Kaspischen Meer in den Westen. Die Türkei hat hier weniger Einfluss, ist aber zumindest Nachbarland. Russland sieht den Kaukasus seit dem 19. Jahrhundert als sein natürliches Einflußgebiet, und nimmt blutige Konflikte in Kauf – siehe Tschetschenien. Die Türkei und Armenien haben sich zuletzt stark angenähert und die Beziehungen fast normalisiert. Das zeigt, dass die Türkei beweglich ist, und damit gerät das gesamte Gefüge im Kaukasus ins Rutschen, und zwar in Richtung Europa und von Russland weg.

Über andere Themen kann man diskutieren: Rolle der Armee, Frauen- und Kurdenrechte. Aus sicherheitspolitischer Sicht ist ein EU-Beitritt der Türkei im nächsten Jahrzehnt unerlässlich, zumal die arabischen Despoten, auf die sich die EU-Nahostpolitik zur Zeit stützt, immer schwächer werden.

Müntes Abschied wohnt ein Anfang inne

Es gibt historische Momente, es gibt historische Taten, es gibt womöglich auch historische Reden, doch bisher selten gehört wurde ein historischer Applaus. Franz Müntefering hat ihn bekommen, heute früh in Dresden, auf dem Bundesparteitag der SPD. Das letzte Wort – „Glückauf!“ natürlich – war kaum ausgesprochen, da standen die ersten und klatschten. Sie applaudierten ihrem doch eigentlich gescheiterten, jetzt Ex-Vorsitzenden, ganze vier Minuten lang, stehend. Von unserem Gastautoren Uwe Knüpfer auf dem SPD-Parteitag in Dresden

Das schien nicht jedem auf dem Podium so wirklich recht zu sein. Denn was als „Müntes“ Abschiedsrede angekündigt war, klang mehr wie eine Bewerbung um die Wiederwahl. Bald 70 ist der Sauerländer jetzt und kein bisschen müde. Allemal wirkt er in Dresden um vieles belebter als so mancher, der oder die vom Alter her sein Nachwuchs sein könnte. Heidi Wieczorek-Zeul etwa, die mal als „Rote Heidi“ galt, schlurfte wie eine Untote durch die Dresdener Messehallen. Was kaum aufgefallen wäre, hätte sie nicht immer noch, obwohl endlich nicht mehr Ministerin, einen Lakaien, der ihr ein Köfferchen hinterherrollen lässt.

Kritisch, in Maßen auch selbstkritisch, kämpferisch, aber auch nachdenklich, zurückschauend, vor allem aber nach vorne blickend, klug, aber auch die Herzen erwärmend: so soll wohl eine Programmrede eines Parteivorsitzenden sein. Franz Müntefering hat am Freitag in jeder Kategorie mächtig gepunktet. Und die Latte damit hoch gelegt für Sigmar Gabriel und Andrea Nahles, die ja angeblich jünger und unverbrauchter sind als er.

„Was uns damals (1998) den fulminanten Wahlsieg brachte, ging auf der Strecke schief.“ So kurz und knapp und klar hat ein Parteivorsitzender selten seine eigene Leistung und die seines Kanzlers auf den Punkt gebracht. Den Namen Gerhard Schröder nahm Müntefering übrigens nicht in den Mund. Auch nicht: Helmut Schmidt. Willy Brandt hingegen wurde gleich mehrfach zitiert: „Mehr Demokratie wagen Teil 2 ist fällig!“

Und die Bundestagswahl 2009? Wo die SPD einen neuen, durchaus achtbaren Kandidaten hatte und ein diskussionswürdiges Programm, volle Säle auch, zumindest hier und da, und mehr Geld ausgab, als die Kasse hergeben hat? „Wir waren einfach nicht interessant genug. Das klingt harmlos, ist es aber nicht. Wir waren für zu viele die von gestern.“

Noch, meint „Münte“, sei der Trend nicht wieder Genosse. Aber er werde es wieder: „Siege gelten auf Zeit, Niederlagen aber auch.“ Also: „Wir kommen wieder!“

Aber wie? Nach Müntefering durch eine Rückbesinnung auf das Eigentliche. „Wir haben das Soziale und das Demokratische in die Geschichte gebracht.“ Dass Leistung sich lohnen müsse, „das ist sozialdemokratisch.“ Die Kernidee der Sozialdemokratie – „Die Idee stimmt!“ – sei es, jeder und jedem die Chance zum Aufstieg und „zu einem guten Leben“ zu geben. „Eine Garantie dafür gibt es nicht, aber jeder muss die Chance dazu haben.“

So einfach klingt das, und ist doch so schwer. Einmal sei es fast mal so gewesen, in den Goldenen Jahren des späten 20. Jahrhunderts, als „alles die Tendenz hatte nach oben und nach vorn.“ So sei es aber heute nicht mehr. O-Ton „Münte“: „Das Faustrecht ist nicht tot.“

Man fragt sich nur, warum das Faustrecht eine Renaissance erleben konnte, während doch Sozialdemokraten regierten; ausgerechnet.  Vermutlich fragt sich Franz Müntefering das auch, aber nicht laut.

Irgendwann haben die Genossen ihren Kompass verloren. Vielleicht finden sie ihn ja in Dresden wieder. Irgendwo in der Nähe von August Bebels historischer Uhr.

1990 war der Abstand zwischen Union und SPD genauso groß wie heute, rechnete Müntefering vor, worin ein Trost stecken könnte, denn 1998 lag die SPD dann schon fünf Prozentpunkte  vor der Union. So viel lässt sich in nur acht Jahren bewegen! In acht Jahren, das wäre also 2017. Die übernächste Bundestagswahl.

Seit 1998, auch das verschwieg Müntefering nicht, hat die SPD, haben alle Volksparteien Millionen von Wählern an die Vertreter von Partikularinteressen verloren, auch an fotogene Schaumschläger und Schickimickipolitiker. Eine „latente Berlusconisierung“ nennt Müntefering diesen Trend, für sich durchaus glaubhaft versichernd: „Wir wollen nicht so sein!“

Als wäre der „Brioni-Kanzler“ nicht Mitglied der SPD gewesen.

Der scheidende Kapitän gab dem Tanker SPD jedenfalls den Kurs zur Wiederkehr vor. Erstens:  „Zurück an die Quelle, und die ist vor Ort!“ Was ja wohl heißt, den Kommunen wieder Luft zum Atmen zu geben, also Geld. Was in elf Jahren SPD-Regierung nicht gelungen ist.

Zweitens: „Diesen Kapitalismus stoppen!“. Was ja wohl heißt: das Bankenunwesen regulieren, Spekulationen besteuern, Boni beschränken. Also vieles zurückdrehen, was regierende Sozialdemokraten soeben erst „dereguliert“ haben.

Ob bei dem von ihm nun ausgerufenen Projekt 2017 auch Franz Müntefering noch eine Rolle spielen wird? Lassen wir ihn selber sprechen:

„Ich bin dabei. Ich bin Sozialdemokrat. Immer.“

Das war heute früh in Dresden sein vorletztes Wort.  

 

Unschuld ist eine Illusion

Fotos: Marc Oortman

Am Dienstag war es wieder soweit: die Essener Lichtburg hatte sich schick gemacht und zur Premiere des Films „This is Love“ geladen. Im größten Lichtpalast Deutschlands konnten die Zuschauer für kleines Geld den neuen Film von Matthias Glasner in Augenschein nehmen und dabei auf Tuchfühlung mit dem Macher selbst und den Darstellern gehen.

Der rote Teppich ist ausgerollt. Die Lichtburg strahlend hell. Menschen drängen sich erwartungsvoll links und rechts um die Abzäunung. Journalisten, Schaulustige, Fans. Manche treten von einem Bein aufs andere: sei es wegen der Kälte oder wegen der Aufregung. Schließlich werden Jürgen Vogel, Corinna Harfouch und Matthias Glasner erwartet. Einige Minuten und einige Glühweine später – denn die haben sich Durstige genehmigt – ist es endlich soweit. Die erste Limousine öffnet ihre Türen und Glasner schwingt sich gut gelaunt aus dem Wagen. Seine Kollegen, Harfouch und Vogel tauchen Minuten später auf. Auch gut gelaunt. Geduldig stehen Sie Rede und Antwort. Posieren für Fotografen und Fans. Dann folgt der Film.

 Es ist ein nervenaufreibender Plot. Der Zuschauer merkt schnell, trotz des Titels „This is Love“, hält der Film keine Romantik, keine Poesie bereit. Die Liebe wird auf eine schmerzliche Weise ironisiert, indem gezeigt wird, was dieses Gefühl mit und aus uns machen kann. Wie wir sind, wenn unsere Liebe unerfüllt, vergebens, einseitig in uns zurück bleibt. Regisseur Glasner katapultiert den Zuschauer in eine Geschichte, die von gebrochenen Herzen, von schuldigen Individuen, ja man möchte sagen von verstörten Existenzen, handelt. Es geht um Pädophilie, Alkoholismus, Gewalt. Letzteres vor allem psychischer Art. Immerzu schwebt die Frage der Schuld über den Szenen. Sie kreiert eine zerreißende Spannung im Zuschauer. Wer hat Schuld an wessen Leid? Es ist kaum zu beantworten. Vielmehr scheinen sich alle Figuren in „This is Love“ schuldig zu machen. Die Schuld ist Leit(d)faden in Glasners Filmen. Auch sein heiß diskutiertes Werk „Der freie Wille“ kreiste um diesen Begriff.

Später verrät Glasner mir, warum er glaubt, dass es den Zustand der Unschuld für Menschen gar nicht gibt: „Wenn man behauptet es gäbe unschuldige Menschen, dann ist das eine Art des Selbstbetrugs. Unschuld ist nur eine Behauptung, die wir aufrechterhalten, weil wir es nicht aushalten, dass wir uns ständig schuldig machen. Wir machen uns schuldig, weil wir so viele unterschiedliche Triebe in uns haben. So viele unterschiedliche, negative, destruktive Wünsche. So viel Ehrgeiz. Wenn ich einen Film drehe, fühle ich mich schon schuldig. Allein durch den Ehrgeiz, es machen zu wollen. Etwas schaffen zu wollen. Diese Eitelkeit – darin besteht für mich immer schon irgendwie Schuld. Es ist eine Hybris zu glauben, dass wir etwas wollen dürfen. Wir müssen erkennen, dass wir schuldig sind. Das ist etwas, was mich sehr beschäftigt. Dieses Thema werde ich in den nächsten Filmen noch vertiefen.“

Jürgen Vogel drückt sich da spartanischer aus. Auf meine Frage, was Schuld für Ihn bedeute, kontert er: „Ich will das nicht erklären, dafür mache ich ja Filme. Um zu zeigen, was ich fühle. Ich will das nicht eins zu eins erklären. Das ist mir zu langweilig.“ Schuld hin oder her. Der Film schenkt dem Zuschauer auch schöne und lustige Momente. Vor allem ist es die gnadenlose Ehrlichkeit mit der die Geschichte es schafft, tiefe Emotionen zu wecken. Die Authentizität der Schauspieler, allen voran Corinna Harfouch, überzeugt. Mir erzählt sie, dass sie gar nicht weiß, wie es ihr gelungen ist, voll und ganz in die Rolle hineinzuschlüpfen. Sie lasse sich einfach fallen und gäbe sich dem Schauspiel hin.

Am Ende wird das Publikum nicht mit Werturteilen bestückt. Wie wir es uns gerne wünschen. Vielmehr gibt Glasner die Frage der Schuld an uns weiter.

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Karstadt-Rentner sind pleite

Foto: flickr.com / cosmo flash

Freiwillig sind sie aus dem Essener Konzern ausgeschieden – doch die zustehende Abfindung werden viele Mitarbeiter nie erhalten

Mehr als zwei Jahrzehnte hat Hans-Dieter Friedrich für Karstadt gearbeitet. Nun ist der Essener Konzern "die bitterste Erfahrung seines Lebens". Der insolvente Traditionskonzern, so der 61-Jährige aufgebracht, schuldet ihm "unbesorgte Rentnerjahre". Friedrich ist einer von rund 700 Gläubigern denen in dieser Woche in Essen der erste Sanierungsplan für die Warenhauskette vorgelegt wurde. Friedrich, ein hagerer Mann mit zurück gegelten Haaren, verließ im vergangenen Dezember nach 21 Jahren freiwillig seinen Job im Archiv der Essener Hauptverwaltung. "Dafür wurde mir persönlich gedankt". Die Abfindung über 15 000 Euro hat er bis heute nicht erhalten. Seine Kündigungsfrist lief erst Ende Juni aus – zwei Wochen nach der Insolvenzanmeldung. "Ich bin auf das Geld angewiesen", sagt er. Im kommenden Jahr erhält er mit dem Arbeitslosengeld nur noch 60 Prozent seines bisherigen Lohnes. Friedrich und 40 weitere Betroffene haben einen Brief an den Personalleiter und Insolvenzverwalter geschrieben. Eine Antwort haben sie nicht erhalten. "Altgediente Mitarbeiter werden fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel."

Nicht nur Frührentner Friedrich ist betroffen. Deutschlands Innenstädte werden die Karstadt-Insolvenz bald spüren: Sechss Karstadthäuser, darunter das große silberne Warenhaus in Dortmund, werden schon zum Jahresbeginn 2010 geschlossen. Nun geht gerade im Ruhrgebiet mit seiner kaufschwachen Bevölkerung der schwarze Peter um: Elf weitere Häuser stehen auf der Prüfliste. Diese sind allerdings "aus Schutz" für die Betroffenen noch nicht namentlich bekannt. "Das Ziel ist ihre Fortführung", so Insolvenzverwalter Görg. "Dies gelingt aber nur, wenn vom Vermieter bis zum Beschäftigten alle nennenswerte Beiträge zur Rettung leisten."

Dabei haben die Mitarbeiter schon in den vergangenen vier Jahren mehrmals auf Lohn und Weihnachtsgeld verzichtet. Gesamtbetriebsratsvorsitzender Hellmut Patzelt hat mit der gesamten Belegschaft am Wochenende erneut ein Sparpaket über 150 Millionen Euro beschlossen. Es ist das dritte innerhalb von vier Jahren. "Das schmerzt uns sehr", sagte Patzelt. Schließlich verdienen Verkäuferinnen ohnehin nur wenig.

Von der größten Insolvenz in der deutschen Wirtschaftsgeschichte sind mehr als 33 000 Personen betroffen. Darunter finden sich eben die Mitarbeiter, die auf ihren Lohn oder Weihnachtsgeld warten, Lieferanten, die noch kein Geld für ihre Produkte bekommen haben oder Coaches, deren Kurse nicht beglichen wurden.

Beate Güllner hat in ihrem Essener Reisebüro abends und am Wochenende unentgeltlich gearbeitet: Mehr als 1000 Euro schuldet ihr der Essener Karstadt-Konzern für in diesem Jahr gemachte Überstunden. Auch ihre Kolleginnen haben noch ein Anrecht auf Weihnachtsgeld und Leistungsboni. Gebündelt haben sie ihre Forderungen an einen Bevöllmächtigten gestellt. "Wir haben immer alles gegeben", sagt die 55-Jährige mit den blond gesträhnten Haaren und der Schmetterlingsbrille. Immer — das bedeutet in ihrem Fall tatsächlich fast das ganze Leben. Mit 15 Jahren wurde sie in einem Karstadt-Reisebüro zur Reisebürokauffrau ausgebildet und arbeitet seit vier Jahrzehnten bei Karstadt. "Früher war das so sicher wie ein Beamtenjob", sagt sie.

Früher. Vor wenigen Jahren noch war Karstadt in beinahe jeder Innenstadt das wichtigste Geschäft. Gründer Rudolph Karstadt hatte 1881 noch für die damalige Zeit revolutionäre Ideen: Er führte die sofortige Zahlung ein und schaffte das Feilschen an der Kasse ab. Solch neuen Ideen fehlten dem Management von Karstadt in den vergangenen Jahren. Für ihre eigene Abfindung aber waren sie kreativ genug: Sowohl Thomas Middelhoff als auch sein Nachfolger und letzter Chef des Konzerns Eick konnten Millionen nach Hause nehmen. Zwangsrentner Friedrich aber bekommt von seinem jahrzehntelangen Arbeitgeber nichts.

NRW-Umweltministerium unter Druck. Abteilungsleiter gibt Falschaussage zu

Auf WDR.de hat Johannes Nitschmann enthüllt, dass der für Personal und Organisation im NRW-Umweltministerium zuständige Abteilungsleiter Hans-Jürgen H.eine Falschaussage gemacht hat. Nitschmann zitiert aus einem achtseitigen Schreiben des führenden Umweltministeriums-Mannes, in dem H. sich selbst der Falschaussage bezichtigt. "Tatsächlich ist es zur falschen Wiedergabe von Sachverhalten gekommen."

Bei seiner Zeugenaussage hatte sich der Abteilungsleiter von Landesumweltminister Uhlenberg (CDU) in erkennbare Widersprüche verwickelt. Zunächst erklärte er, er sei über das Ausmaß der bundesweiten Strafermittlungen gegen seinen ehemaligen Abteilungsleiter-Kollegen Harald. F. wegen des Verdachts der banden- und gewerbsmäßigen Korruption überrascht worden. Nach etlichen Vorhalten von Ausschussmitgliedern der SPD und Grünen räumte der Zeuge schließlich zögerlich ein, die Korruptions-Vorwürfe seien bereits im Juli/August 2006 Gegenstand von Gesprächen und Vermerken im Umweltministerium gewesen. Bei seiner Zeugenvernehmung am 26. Oktober 2009 vor dem Untersuchungs-Ausschuss habe H., "wiederholt den Eindruck" gehabt, "neben mir zu stehen", heißt es in dem WDR.de vorliegenden Schreiben des Personalchefs von Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU).

Aufgrund einer Herzerkrankung könne es bei ihm gelegentlich zu „Blackouts“ kommen. Deshalb habe er seiner Zeugenvernehmung „nicht aufmerksam folgen und die Fragen richtig einordnen“ können. Die „Komplexität des Sachverhalts“ habe dazu geführt, dass er „Zusammenhänge verwechselt“ habe.

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Beerdigen CDU und FDP den Ruhrbezirk?

Auch mit der Forderung nach einem Ruhrbezirk, nach der Modernisierung der abstrus aufgeblasenen Verwaltung des Landes NRW, hat die Union die Landtagswahl 2005 gewonnen. Nun rücken FDP und CDU von dieser Forderung immer deutlicher ab, dabei ist sie Teil des Koalitionsvertrages.

Rolle Rüttgers beim Ruhrbezirk

Münsters Regierungspräsident Peter Paziorek will, dass die Union Rücksicht auf die Westfalen nimmt. „Die Kritik insbesondere aus dem westfälischen Landesteil an den Plänen zu einer Dreiteilung zeigt, dass die landsmannschaftliche Identität und das regionale Selbstverständnis entgegen anderen Vermutungen noch immer sehr ausgeprägt sind“, sagte der CDU-Mann Paziorek der Ibbenbürener Volkszeitung. Wenn es nur Paziorek wäre, wäre das kein Problem: Dass ein Regierungspräsident, ein westfälischer zudem, kein Freund der Reduzierung der Zahl der Regierungsbezirke von fünf auf drei ist, ist nicht weiter überraschend. Das Dumme ist nur: Paziorek ist nicht der Einzige. Auch der Chef der Ruhrgebiets-CDU, Oliver Wittke, spricht nicht mehr von einem Ruhrbezirk und selbst Norbert Lammert, der Übervater der Ruhrgebiets-CDU hält sich zurück. FDP-Fraktionshef Papke hat schon im vergangenem Jahr verkündet, dass die FDP nichts mehr davon hält, Verwaltung und Kosten abzubauen.

Es gibt nicht ein vernünftiges Argument gegen die Neuaufteilung der Bezirke und ein Schleifen der Landschaftsverbände in NRW: Allein die Kosten dieser Überverwaltungen sind Grund genug, damit aufzuräumen. Das Geld für so große Beamtenbespaßungsanstalten ist einfach nicht mehr da – heute schon nicht und in der Zukunft erst recht nicht.

Die Dreiteilung des Ruhrgebiets, ein Relikt aus dem frühen 19. Jahrhundert, macht auch gar keinen Sinn. Gut, dass wir jetzt für uns jetzt selbst planen und nicht mehr von Arnsberg, Düsseldorf und Münster Pläne vor die Nase gesetzt bekommen, ist ein  wichtiger Schritt – aber er bleibt inkonsequent, wenn der Schritt der Reduzierung der Regierungsbezirke und die Schaffung eines Ruhrbezirkes nicht erfolgt.

Das Rheinland will einen eigenen Bezirk. Westfalen will keinen, denn die Verantwortlichen in Westfalen fürchten ohne die Ruhrgebietsstädte einen Bedeutungsverlust. Deswegen haben sie in den vergangenen Jahren eine beeindruckende Lobbyarbeit geleistet, für die nun alle Bürger des Landes zahlen dürfen.

Und das Ruhrgebiet? Hat keinen Druck aufgebaut, um die Landesregierung auf ihre Versprechungen festzunageln. Im Gegenteil, Heinz-Dieter Klink (SPD), der von SPD und Grünen gewählte "Chef" des Regionalverbands Ruhr, wetterte bei jeder Gelegenheit gegen die Pläne der Landesregierung. Auch aus den Städten – selbst aus den CDU regierten – kam wenig Unterstützung. Und von Seiten der Bürger? Die fordern – ehrenvoll, aber nicht gerade realistisch, eine Ruhrstadt, anstatt sich politisch für einen Ruhrbezirk stark zu machen, der es zumindest auf die Agenda der Politik geschafft hatte. Und Rüttgers will die Landtagswahl gewinnen: Nach anhaltend schlechten Ergebnissen der Union im Revier will er keine Stimmen in Westfalen verlieren – und mit dem Ruhrbezirk, das ist wohl die Einschätzung in die CDU-Zentrale in Düsseldorf, wird man im Ruhrgebiet nichts gewinnen.

Von da an ist wieder einmal eine historische Chance verpasst worden -. aber im Chancen verpassen ist man ja im Ruhrgebiet ziemlich gut. Nur die Chancenverwertung, die will irgendwie nie klappen.

 

Grüne Hochschulpolitik heute Mittag in Duisburg

Der grüne Bundestagsabgeordnete Kai Gehring besucht heute die protestierenden Studenten an der Universität Duisburg-Essen. Er will um 13:30 Uhr auf dem Duisburger Campus im Audimax auflaufen. Sein Credo:

Unser Bildungssystem ist ungerecht, demotivierend und unterfinanziert. Wir wollen weg von Studiengebühren, viel zu hohen lokalen NCs und wenden uns gegen ungerechte Stipendiensysteme. Wir brauchen bessere Studienbedingungen für alle anstatt Exzellenz für wenige. Nur mit gleichen Chancen auf gute Bildung und breiteren Wegen auf den Uni-Campus kann der gesamtgesellschaftliche Bildungsaufbruch gelingen.

Ich persönlich finde spannend, dass derzeit offenbar tatsächlich in der Kultusministerkonferenz über eine Reform der Uni-Lehrgänge beraten wird. Es wird kein Ende der Bachalor- und Masterrei geben, aber das System soll angepasst und verbessert werden. Es sind einfach zuviele Leute unzufrieden. Hier können tatsächlich die Proteste der Studenten zu einem Erfolg führen, indem sie halboffene Türen ganz aufmachen. Natürlich werden nicht die radikalen Fordeurngen erfüllt. Aber wie sagt man, das unmögliche muss verlangt werden, um das mögliche zu bekommen. Ich bin gespant, wie die Kompromisslinie aussieht.

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Ruhrpilot

Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Ruhr2010: Willkommen im Pott…Zeit

Ruhr2010 II: Metropolenträume in der Provinz….Bo Alternativ

Studi-Protest: Die Ruhr brennt…RP Online

SPD: Sozialdermokratische Einheitspartei…Süddeutsche

SPD II: Feldschlacht um Kurs und Personal…Zeit

Dortmund: SPD demütigt Grüne…Ruhr Nachrichten

Duisburg: Grüne sind geteilt…Der Westen

Wikipedia: Hasse mal nen Euro?…FIXMBR

Rat genehmigt Schalke Rettung: Münsteraner Regierungspräsident erklärt sich im Prüfverfahren für befangen

Foto: Peter Paziorek, Regierungspräsident von Münster

Um kurz nach 23:00 Uhr war es soweit. Der Gelsenkirchener Stadtrat hat mit breiter Mehrheit beschloßen, über die Tochterfirma GEW den Fussballclub Schalke 04 zu retten. Am Ende war es eine Formalität. Unterdessen erklärte sich der Münsteraner Regierungspräsident befangen. Als Schalkes Ehrenrat könne er den Deal nicht unvoreingenommen prüfen.

Im Kern soll die GEW nun ihre Beteiligung an der Schalke Arena aufstocken. Dafür zahlt die GEW dem Club 15 Mio. Euro für 40 Prozent an der Arena Besitzgesellschaft. Weitere 5 Mio. Euro wird die GEW der Arena Gesellschaft leihen, sagte GEW-Geschäftsfüher Ulrich Köllmann am Rand der Veranstaltung. Insgesamt zahlt damit die Stadt Gelsenkirchen über die GEW für die Schalke-Rettung 20 Mio. Euro. Zusätzlich wird eine nicht genannte Bank – unabhängig von der GEW – der Arena-Gesellschaft 5,5 Mio Euro leihen. Damit bekommt Schalke insgesamt 25,5 Mio. Euro, um die Saison zu Ende spielen zu können.

Da die GEW das Geld nicht hat, muss sie sich die Millionen "überwiegend" selber leihen, sagt Köllmann. Die städtische Tochter macht also Schulden, um den verschuldeten Verein Schalke zu retten. Interessant ist, dass Schalke die Arena-Anteile später wieder zurückkaufen will und darf. Die GEW soll dann einen Betrag von 15 Mio. Euro plus X für die nun gekauften Anteile bekommen. Es heißt, die Stadt mache damit nur eine Art Kreditgeschäft mit Schalke. Mehr nicht.

Für die Stadt sei das ein gutes Geschäft, hieß es am Rande der Ratssitzung. Für den Rückkauf gebe es einen schönen Nachschlag. Und zudem werde die Arena Dividenden ausschütten. Zumindest an letzter Stelle bin ich allerdings ein wenig skeptisch, dass dies wie geplant passieren wird. Denn zunächst ist der einzige Zahler für die Arena der Verein Schalke 04. Laut Pachtvertrag muss Schalke jährlich 17,219 Mio. Euro an die Arena Gesellschaft zahlen. Dazu sollen 100.000 Euro für jede Veranstaltung kommen. Allerdings sind die ersten 25 Veranstaltungen frei. Aber selbst dann ist nicht damit zu rechnen, dass der Verein besonders viel zusätzliches Geld an die Arena Gesellschaft überweisen kann. Denn die Investoren in die so genannte "Schechter-Anleihe" bestanden bisher darauf, dass Schalke nicht mehr als 17,219 Mio. Euro an die Arena-Gesellschaft überweisen darf. Der Rest soll im Verein bleiben, um die Schulden bezahlen zu können. Im Jahr 2008 etwa bekam die Arena nur 125.611,32 Euro für alle Veranstaltungen in der Halle. Zusammengefasst heißt das: Die Einnahmen der Arena Gesellschaft sind kaum steigerungsfähig. Der Gewinn wird in diesem Jahr laut Plan bei 1,2 Mio. Euro liegen. Mehr wird auch in Zukunft kaum drin sein. Es wird allenfalls kleine Steigerungen geben.

Das ist spannend, wenn man sieht, dass die Arena Gesellschaft einen Verlustvortrag von 30,97 Mio. Euro vor sich herschiebt. Es wird also ein paar Jährchen dauern, bis mal eine Dividende kommt.

Von der aktuellen Finanzspritze in Höhe von insgesamt 25,5 Mio. Euro fließen nur die 15 Mio. Euro für die Stadionbeteiligung direkt an Schalke. Der Rest nimmt einen Umweg. Und zwar gehen die 5 Mio. von der GEW und die 5,5 Mio. von der Bank zunächst als Darlehen an die Arena Gesellschaft. Diese zahlt damit andere Darlehen an den Verein Schalke 04 zurück. Damit hat der Schalke e.V. das ganze Geld und die Arena Gesellschaft neue Schulden. (Klarstellung: Die Arena hat nach der Aktion neue Schulden bei einem anderen Schuldner. Insgesamt erhöhen sich die Schulden nicht, mit den neuen Schulden werden alte Schulden an den Verein bezahlt – es findet also eine Umschuldung statt. DANKE an für den Hinweis an Rolf Kommentar #3)

Interessant ist noch, dass die Arena Gesellschaft nach dem Geschäft nicht mehr in der Bilanz des Firmengeflechts von Schalke 04 auftauchen muss. Damit verschwinden die Schulden der Arena in Höhe von rund 100 Mio. Euro aus den Vereins-Büchern. Sogar die Überschuldung des Schalke-Konzerns könnte damit aufgehoben werden.

Bei der GEW und der Stadt werden die Arena-Schulden auch nicht auftauchen, da die Gemeinde nicht die Mehrheit an der Arena übernimmt. Hier werden maximal 45 Prozent der Schulden oder 45 Mio. Euro in der Bilanz auftauchen, je nachdem, wie die Arena in der Bilanz der GEW verbucht wird.  Sollten die Schulden in der Bilanz auftauchen, würde auch das Vermögen der Arena Gesellschaft in der GEW-Bilanz aufgenommen. Wieviel dies im Fall der GEW ausmacht, ist unklar. GEW-Chef-Köllmann sagte aber, die Arena-Gesellschaft werde gar nicht voll in die Bilanz integriert, sondern nur als Beteiligungswert geführt.

Das ganze muss von der zuständigen Bezirksregierung in Münster unter dem Regierungspräsidenten und Mitglied des Schalker Ehrenrat Peter Paziorek geprüft werden. Dabei muss überwacht werden, ob bei dem Stadionkreditgeschäft gegen die Gemeindeordnung NRW verstoßen wurde. Hier hat sich nun Paziorek für befangen erklärt. Sicher nicht zu unrecht, hatte er doch erst vor wenigen Wochen versucht, selber noch einen neuen Namenssponsor für die Arena zu finden. An seiner statt soll nun in Zukunft seine Stellvertreterin Dorothee Feller-Elverfeld über Schalkes Wohl und Wehe entscheiden.

Gut so. Trotzdem denke ich, wird die Sache durchgewunken. Die GEW ist seit Jahren an der Arena beteiligt und übernimmt nicht die Mehrheit.