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Ruhrgebiet: „Was brauchen wir viel Grütze?“

„Die politischen Eliten denken mehr darüber nach, wie das nächste Förderprogramm für eigennützige Zwecke anzuzapfen sei, als Energien darauf zu konzentrieren, was man selber tun müsse, um den eigenen Erfolg wahrscheinlicher werden zu lassen“ Foto: Stadt Gelsenkirchen

Die Geldpumpe für das Ruhrgebiet ist zu wenig und ohne neues Denken gibt es keine erfolgreiche Zukunft.

Ein Gastbeitrag von Dr. Marco Buschmann*

In Gelsenkirchen hat sich eine oft aufgeführte Posse gedreht und sie ist paradigmatisch für das gesamte Ruhrgebiet. Der Gelsenkirchener SPD-Stadtverordnete Lutz Dworzak wirft der CDU vor, dass von der neuen Landesregierung nicht wie vermeintlich im Wahlkampf versprochen über Nacht ein warmer Geldsegen über die Stadt ausgeschüttet wird. Das ist natürlich peinlich, weil die Auszahlung substanzieller Beträge durch die Landesregierung ihre Grundlage in einem Haushaltsgesetz finden muss. Das sollte auch dem diplomierten Verwaltungswirt Dworzak bekannt sein. Aktuell gilt natürlich noch das Haushaltsgesetz der abgewählten Regierung aus SPD und Grünen. Die CDU weckt freilich in ihrer Reaktion die Erwartungshaltung, dass es nur etwas dauern wird, das Geld aber kommen werde. Das zeigt eines: Beiden großen Volksparteien fehlt der richtige Ansatz für das, was das Ruhrgebiet braucht und was wirklich hilft. Das wird kein Pumpwerk für Finanzströme von Bund und Land sein.

Angus Deaton ist Träger des Nobelpreises und hat sein Forscherleben dem Thema gewidmet, wie arme Länder wohlhabend werden können. Den größten Fehler sieht der britisch-amerikanische Ökonom in der Vorstellung, dass Fortschritte durch den sogenannten „hydraulischen Zugang“ möglich seien: Von einer Stelle, die Geld habe, wird Geld an eine andere Stelle gepumpt, der Geld fehle und alles werde gut. Durch „dysfunktionale Institutionen, eine mangelhafte Verwaltung und eine vergiftete Politik“ wird mit mehr Geld in vielen Fällen die Lage nur noch schlimmer. Die politischen Eliten denken mehr darüber nach, wie das nächste Förderprogramm für eigennützige Zwecke anzuzapfen sei, als Energien darauf zu konzentrieren, was man selber tun müsse, um den eigenen Erfolg wahrscheinlicher werden zu lassen. „Es ist unmöglich, ein Land von außen zu entwickeln“, glaubt der Nobelpreisträger. Das gilt auch für das Ruhrgebiet.

Natürlich gilt: Finanzielle Lasten, die Bundes- und Landespolitik den Kommunen aufbürden, müssen im Ruhrgebiet – wie anderswo – kompensiert werden. Die Infrastruktur muss ertüchtigt und Schulen in Schuss gehalten werden. Das alles kostet Geld, aber der „hydraulische Zugang“ vernebelt vielen Politikern an Ruhr und Emscher den Blick auf eine entscheidende Erkenntnis: Kein Geldstrom der Welt wird aus dem Ruhrgebiet eine dynamische Region der Zukunft machen, wenn die Institutionen vor Ort in der Vergangenheit leben. Zu oft wird die höchste Vollendung politischen Handelns in der Erwirkung eines Förderbescheides aus Düsseldorf gesehen. Es muss aber vielmehr jeden Tag darüber nachgedacht werden, was zu den objektiven Stärken wie dem günstigen Wohnraum und der verkehrsgünstigen Lage hinzukommen muss, damit alle Bausteine für einen Neuanfang gegeben sind. Das kann zum Beispiel die Qualifikation des Arbeitskräfteangebotes und ein kunden- und tempoorientiertes Genehmigungs- und Flächenmanagement sein.

Der Erfolg der Zukunft hängt aber nicht nur von formellen Institutionen ab. Von Max Weber bis Niall Ferguson existiert eine lange Tradition hervorragender Intellektueller, die die Bedeutung kultureller Institutionen für den Erfolg einer Region herausgearbeitet haben. Webers Konzept der protestantischen Ethik, die die industrielle Entwicklung Europas begünstigt haben soll, ist weltberühmt. Niall Ferguson meint, dass die christliche Minderheit in China besonders erfolgreich sein soll, weil ihre Vertrauenskultur Transaktionskosten der Geschäftsabwicklung senkt.

Im Ruhrgebiet geht es nicht um Religion. Aber es muss einen radikalen Bruch mit dem „tayloristischen Denken“ in den Köpfen vieler Akteure geben. Das Ruhrgebiet ist durch die Kohle und Montanindustrie groß geworden. Seit der Jahrhundertwende sind diese Branchen – wie andere Produktionsbranchen auch – immer produktiver gemacht worden. Die Konzepte dazu lieferte James Taylor. Sie basieren auf der Trennung von Planung und Produktion. Dabei wird die Planung wenigen gut ausgebildeten Menschen überlassen und die Produktion in möglichst kleine einfache Schritte gegliedert, die man schnell ohne umfangreiche Ausbildung erlernen kann und die Arbeiter werden hierarchisch geführt. Das klassische Beispiel ist die Einführung des Fließbandes in der Produktion von Automobilen in den Werken von Henry Ford.

In kaum einer anderen Region Deutschlands hat dieses Denken so tiefe kulturelle Spuren hinterlassen wie im Ruhrgebiet. „Düsseldorf ist der Schreibtisch des Ruhrgebietes“, heißt nichts anderes, als dass dort geplant und bei uns produziert wird – also hart malocht. Der beliebte Spruch „Das Denken sollte man den Pferden überlassen, die haben größere Köpfe“ ist nichts anderes als die Übersetzung des berüchtigten Taylor-Zitats: „Wir bezahlen andere Leute fürs Denken.“ Viele Jahrzehnte später folgte daraus der Zynismus des aus Essen stammenden Schriftstellers und Journalisten Jürgen Lodemann, der in „Ahnsberch – Volksstück über die Räuber an der Ruhr“ schrieb: „Was brauchen wir viel Grütze?“ Damit wies er auf die schlimmsten kulturellen Folgen hin, wenn Bildung und Eigeninitiative gering, körperliche Arbeit und Leistungsfähigkeit dagegen hochgeschätzt werden.

Mit solchen Denkmustern ist das Ruhrgebiet auf der Welt nicht allein. Wir finden sie auch im „rust belt“, dem Ruhrgebiet der USA. Es ist mit der Auto- und Stahlproduktion groß geworden ist. Mit der Verlagerung der Stahlproduktion hat es ähnliche Probleme mit dem Strukturwandel wie das Ruhrgebiet. Der amerikanische Autor und Kapitalmanager J. D. Vance hat das in seinem autobiografischen Buch „Hillbilly Elegy“ detailliert geschildert. Er wuchs dort in einer Arbeiterfamilie auf und beschreibt eindringlich die harte Realität des Alltags.

Der digitale Strukturwandel heute hebt die Trennung von Planung und Produktion des tayloristischen Denkens weitgehend auf. Hinter dem Trend zu „agilem Arbeiten“, der sich mit der Digitalisierung immer mehr verbreitet, steckt nichts anderes, als dass heute „abstrakte Produkte“ entstehen, bei denen Planung und Produktion zusammenfallen. Der Produktgestalter konzipiert seinen Entwurf in seinem Kopf, aber gleichzeitig auch mit einer Gestaltungssoftware am Rechner und das „Produkt“ ist eine Datei, die er abspeichert und verschickt. Niemand würde auf die Idee kommen, ihm zu raten, dass er seine Idee einer Sekretärin diktiert, die wiederum versucht, hinter die Gedanken der Worte zu kommen, um sie dann wiederum an einem Rechner in einen Gestaltungsentwurf zu überführen. Konnte man diesen Effekt früher auf eine überschaubare Gruppe von Tätigkeiten beschränken, so steigt heute die Zahl der Wissensarbeiter beständig. Das alles ist keine graue Theorie. Das zeigen die Virenschützer von G-Data in Bochum, die Entwickler von Verschlüsselungstechnologien bei Cryptovision in Gelsenkirchen oder das Institut für Internet-Sicherheit an der Westfälischen Hochschule.

Deshalb muss es heute hießen: Wir wollen im Ruhrgebiet unseren eigenen Schreibtisch. Das Denken überlassen wir nicht den Pferden. Unsere eigenen Köpfe sind groß genug. Wir brauchen Bildungseinrichtungen, die diese Köpfe zum Denken anregen. Unsere Behörden bieten jedem, der etwas auch die Beine stellen möchte, schnell und serviceorientiert eine Lösung an, statt nur die Probleme zu erklären und mit dem Finger nach Düsseldorf oder Berlin zu zeigen.

„Denken wir neu“, lautet dieser Tage ein politischer Slogan. Für keine andere Region ist er bedeutsamer als für das Ruhrgebiet.

* Der Autor ist Bundesgeschäftsführer der Freien Demokraten und kandidiert für den Deutschen Bundestag im Wahlkreis 123 (Gelsenkirchen).

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Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
6 Jahre zuvor

Wir haben im Ruhrgebiet genug Schreibtische, was fehlt, ist politisches Personal das Kontrollsucht nicht mit Macht verwechselt.
Der durchschnitts SPD-Kontroletti will nicht machen, er will mitreden und es hinterher auf keinen Fall gewesen sein (vgl. SPD-Landtagswahlkampf). Denn wenn man es gewesen ist, hat man es mit Sicherheit jemandem nicht recht gemacht. Das ist ein Problem für eine Partei, deren letzte Kernkompetenz "Nettigkeit" ist.
Diese ich-wars-nicht Nettigkeit durchzieht wie eine Seuche die Landesinstitutionen in erschreckender Breite und Tiefe (vgl. Causa A. Amri, Landesplanungsämter, Bildungsministerium etc.).

Oliver Lorenz
Oliver Lorenz
6 Jahre zuvor

Ich komme aus Düsseldorf und wohne seit 4 Jahren in Duisburg. Die Worte des Autors treffen voll ins Schwarze. Ich habe noch nie so viel strukturelle Frustration und Arbeitsromantik erlebt, wie es hier in Duisburg der Fall ist. Die Soße aus Frust, Nostalgie und kaputten Menschen als politische Entscheidern, und noch Kaputteren die diese wählen, verhindert jeglichen Fortschritt. Dazu das Tabu, Probleme offen anzusprechen.
Die Region zwischen Rhein, Ruhr und Lippe braucht Wahrheit und offene Augen, dann kann sich in 20 Jahren vielleicht die Gesamtlage zum Besseren wenden.

ruhrreisen
ruhrreisen
6 Jahre zuvor

#2: Nanu?
Das widerspricht sich ja jetzt absolut mit dem Werbeslogan für den Pott: Das Ruhrgebiet und seine Ruhris , so ehrlich, so offen so direkt ;)?

Walter-Stach@t-online.de
Walter-Stach@t-online.de
6 Jahre zuvor

Zur Zukunft des Ruhrgebietes – der Metropol-Region, der Metropol-Stadt, der….??- finde ich weder im Gastkommentar noch in den bisherigen Beiträgen dazu irgend etwas Neues – weder etwas über "neue" Ziele noch zu "neuen Methoden/Prozessen/Organisationen ; auch die Kritik an den "kaputten" Menschen und an ihren Repräsentanten -vornehmlich an der SPD- entspricht den seit X Jahren gängigen Klischees; sie muß deshalb nicht zwangsläufig "falsch" sein, ist aber für mich, der sich seit mindestens 5o Jahren als Bürger und in unterschiedlichsten Funktionen "mit seinem Ruhrgebiet befaßt", weil, wie gesagt-leider- nicht 'mal ansatzweise Neues vorgetragen wird, nicht weiter zu kommentieren.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
6 Jahre zuvor

@#3: Wieso? Dieser alles lähmende Egoismus des "Ruhris" (peinlich-schröckliches Wort) ist doch überall offen erlebbar;-)

ruhrreisen
ruhrreisen
6 Jahre zuvor

#5: Zumindest bringt "Ruhri" den Menschenschlag auf den Punkt…und die "Älteren" identifizieren sich "schlachwech" mit Ralle Richter und Claude Oliver Rudolph….Tana Schanzara war da schon ein anderes Kaliber. Schön ist anders, aber nach Fußball und Kohle – was soll da kommen? Arbeit 4.0? Hah!
Solange die Straße immer noch solche Klischees für die entzündeten Augen zuhauf bietet und sich darin suhlt, wird sich an diesem Bild auch nix ändern. Es sei denn, die Jungen haben endlich einen – anderen – Plan. Die sind hier aber weniger zuhaus – oder?

ke
ke
6 Jahre zuvor

Die Düsseldorfer Schreibtische mit ihren vielen öffentlich finanzierten Jobs könnten ja auch mal in die Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit verlagert werden. Eine Landeshauptstadt hat einfach einen gewissen Basisprozentsatz an Schreibtischen, die von den restlichen Steuerzahlern bezahlt werden müssen. Hier würde es helfen, die Verwaltung dezentraler zu organisieren. Mit der Digitalisierung etc. sollte das kein Problem sein, wenn man nach den Sonntagsreden der Politiker geht.

Die Suche nach dem Fördertopf? Da sehe ich die Landwirte und privaten Energieerzeuger immer noch ganz weit vorne. Das zahlt der Mieter im Ruhrgebiet.

Mir fehlt die Rolle der Gewerkschaften, die für ihre Mitglieder/Unternehmen Mondlöhne erzielen, die gleichzeitig von anderen Gruppen (z.B. Leiharbeiter) subventioniert werden. Außerdem gibt es doch beim Stellenabbau nie Probleme/Ersatzkonzepte, wenn es sozialverträglich ist, d.h. Rente 55, obwohl Facharbeitermangel herrscht.

Die Globalisierung mit ihren Migrationsbewegungen überfordert die Gesetzgebung seit Jahren. Unsere Gesetze beziehen sich noch auf das Adenauer-Deutschland bzw. die Kaiserzeit. Die finanziellen Folgen sind für arme Städte gewaltig. Dass bspw. Arbeitsmigration ausgerechnet Duisburg als Ziel hat, zeigt dass hier etwas falsch läuft.

Die Lage ist also deutlich vielschichtiger.
"Das Rheinische Grundgesetz" zeugt auch nicht von besonders viel Aktivität und Handlungsfreude.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
6 Jahre zuvor

@#6: Man kann hier durchaus zuhause sein und seinen Kopp draußen in der großen Welt lüften. Gute Kombi;-)

AJ
AJ
6 Jahre zuvor

"…Damit wies er auf die schlimmsten kulturellen Folgen hin, wenn Bildung und Eigeninitiative gering, körperliche Arbeit und Leistungsfähigkeit dagegen hochgeschätzt werden" …nur, wahrhaftig geschätzt wurde das arbeitgeberseitig nie, und ohne die Gewerkschaften, wäre der kleine Malocher seiner absoluten Ausbeutung anheim gefallen. Klar, dass wir im Pott ein Umdenken und eine Umstrukturierung dringend brauchen. Aber, was mich an diese NEO- YUPPI- PLATTITÜDE der FDP abnervt, ist, dass immer so getan wird, als wenn alle und jeder den Intellekt und die Neigung mitbrächte, zu einem Unternehmer zu werden. Es gibt einfach auch Menschen, die weder die Ambitionen noch die geistigen Vorraussetzungen dazu haben. Wollt ihr die alle zwangsbilden, bis die "Grützbirne" platzt ? Liebe FDP, die Welt besteht leider nicht aus lauter Überfliegern. Und "mehr Bildung" ist sicher richtig, aber eine Neustrukturierung der Gesellschaft in unserer Regiont darf diese Leute nicht hinten runter fallen lassen. Wo ist da also das Gesamtkonzept???

Stephan
Stephan
6 Jahre zuvor

FDP…..ach Gottchen…..

ruhrreisen
ruhrreisen
6 Jahre zuvor

wir brauchen eine kombi aus jungen und alten machern, die das ganze system endlich ummodellieren. und zwar jetzt. weg mit den verkrusteteten parteien und deren postenschacherern, hin zu neuen strukturen. es liegt doch klar auf der hand, was passieren muss: renteneinzahlungen für alle, finanztransaktionssteuer, umverteilung, grundeinkommen für alle, einwanderungsgesetze, arbeit 4.0, uswusf…da wäre das ruhrgebiet mit seinen kaputten strukturen und seiner menschenmasse geradezu ideal, sich endlich aus der asche zu erheben…also kommunikatoren, in die hände gespuckt…

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