Sebel: „Es gibt einfach zu viele Musiker, die auf die Bühne wollen, und zu wenig Leute, die das wirklich interessiert.“

Sebel. Quelle: Wikipedia, Foto: Sebel73, Lizenz: CC-BY-SA 4.0
Sebel. Quelle: Wikipedia, Foto: Christian Thiele , Lizenz: CC-BY-SA 4.0

Ehrlich, unverschnörkelt und eine Prise ganz besonderen Ruhrpott-Charme. So beschreibt die Plattenfirma das neue ‚Sebel‘-Werk „Album Vom Alleine Sein“. Und verortet den Künstler und Inhalt ‚Irgendwo zwischen stillgelegten Zechen, zwischen urigen Kneipen, Dönerbuden und ruhenden Industrieanlagen… zwischen Rhein und Ruhr, zwischen der A 40 und der A 3.‘

Ruhrbarone-Autor Robin Patzwaldt hat Sebel dazu ganz aktuell selber befragt. Das Ergebnis ist u.a. eine recht kritische Bestandsaufnahme zur Lage der aktuellen Musikszene des Ruhrgebiets. Doch Sebel liefert durchaus auch einige positive Ansätze, hat die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für sich und seine Künstlerkollegen in der Region keinesfalls völlig aufgegeben. Und er berichtet über anstehende Tour-Pläne und die Ergebnisse seiner aktuellen Zusammenarbeit mit Stefan Stoppok.

Ruhrbarone:  Hallo Sebel! Anfang Juli erschien ja nun Dein neues Album. Magst Du uns dazu kurz etwas erzählen?

Sebel: Der erste Song, den ich nach meinem ersten Album von 2012 geschrieben habe, war der Song „Lied vom Alleine Sein“, und mir war dann sehr schnell klar, dass ich ein eher trauriges und ruhiges Album machen möchte. Auf dem ersten Album (Wie deutsch kann man sein) waren bereits Songs vertreten, die thematisch in diese Richtung gingen und mir wurde erst lange nach der Veröffentlichung (2012) klar, dass da etwas in mir steckt, was raus muss und worüber ich immer wieder intuitiv schreibe. Es geht so oft um den Konflikt zwischen Bindungen zu Menschen, und dem Wunsch frei und unabhängig zu sein. Ich glaube diesen Konflikt spüren viele Menschen und gerade Künstler haben ein unglaubliches Problem damit, mit diesem Konflikt zu leben. Das spürt man einfach in so vielen Songtexten, ob es die frühen Lindenberg Songs sind, die diesen Konflikt fast in jedem Song behandeln, oder Songs wie die Klassiker „Free Bird“ von Lynyrd Skynyrd. Ich liebe den Song seit Jahrzehnten, und ich habe den Text erst vor ein paar Monaten zu ersten Mal verstanden. Und das nachdem ich einen Song mit dem Namen „Vogelfrei“ geschrieben habe! Das hat mich schon nachdenklich gestimmt. Ich glaube das dieses Thema einfach der Motor für viele Songschreiber ist.

Dann habe ich einfach mal (fast) nur Songs, die diesen Konflikt behandeln auf ein Album gebannt, und deshalb heißt es auch das „Album vom Alleine Sein“.

Ich habe etwa drei oder vier Jahre an der Produktion gearbeitet, weil ich anfangs nicht genau wusste wo ich ‚soundlich‘ hin will, gerade stimmlich! Die ersten Versuche gingen auch stimmlich sehr in die Richtung des alten Albums, doch ich wollte anders klingen. Erst nach einiger Zeit wusste ich, dass ich so nah, tief und intim klingen wollte, wie es mir möglich war. Man hört diesen Unterschied wenn man die Songs „Sänger einer Rockband“ und „Weil es geht nicht“ vergleicht. Ersteres haben wir zu einem sehr frühen Zeitpunkt produziert, und der Gesang ist so geblieben, und „weil es geht nicht“ hat diese intime, verzweifelte Nähe, die ich wollte.

Außerdem bin ich sehr stolz darauf, mit so vielen tollen Musikern Songs für dieses Album eingespielt zu haben. Das erste Album hatte ich ja komplett alleine eingespielt an allen Instrumenten.

Und es ist alles sehr ehrlich, handgemacht und authentisch produziert. Das war mir auch sehr wichtig und hat natürlich auch viel Zeit, Geld und Energie gekostet. Selbst die Streicher sind nicht programmiert, sondern von echten Menschen eingespielt. Wer macht sowas heutzutage noch?

Das dieses Album endlich fertig ist fühlt sich für mich sehr gut an und macht den Kopf wieder frei für Neues!

Ruhrbarone: Und? Geht es dann demnächst damit auch wieder auf Tour?

Sebel: Ja, ich versuche so viel wie es eben geht zu spielen. Aber ich merke gerade dass auch das Livegeschäft ein sehr hart umkämpftes und daher sehr schwieriges Geschäft ist. Es gibt einfach zu viele Musiker, die auf die Bühne wollen, und zu wenig Leute, die das wirklich interessiert.

Die kleinen Clubkonzerte für 100-200 Leute haben darunter am meisten gelitten. Die Schere zwischen einen Konzert, wo jemand mit dem Hut rumgeht und ‚Sprittgeld‘ für die Künstler einsammelt, und einem 150€ Ticket für eine Show in einer Arena, wo du nichts hörst und nix siehst, ist einfach zu groß geworden. Was ist mit dem was dazwischen passiert??

Ich kämpfe weiter, auch wenn ich im Moment viel selber machen muss, wie auch das Booking.

Wir lassen uns nicht unterkriegen und hoffen, dass wir noch in diesem Jahr viele Konzerte spielen können.

Ruhrbarone: Du hast kürzlich gesagt, dass Du auch am neuen Stoppok-Projekt arbeitest. Was gibt es da Neues?

Sebel: Ja, wir haben dieses Jahr ein Album zusammen gemacht. Es wird ein Album mit tollen Songs und tollen Sounds und Grooves! Stoppi hat gerade sehr viel Spaß daran mit seinen Jungs zusammen in einem Raum zu sitzen und einfach gute Musik zu machen. Das wird auf diesem Album auch wieder zu hören sein. Wir haben fast alles live in einem großen Aufnahmeraum eingespielt und wenig Overdubs gemacht. Ein sehr kompromissloses, ‚old schooliges‘, authentisches und handwerklich hervorragend umgesetztes Album wird das.

Im November gehen wir dann mit dem Album auf Deutschland Tournee. Die Stoppok Tourneen sind für mich immer ein großes Highlight, weil es einfach immer eine tolle Zeit mit tollen Leuten ist. Wir sind wie eine große Familie auf Tour!

Ruhrbarone: In einem älteren Ruhrbarone-Beitrag hast Du bei uns mal die Kulturlandschaft im Ruhrgebiet kritisiert. Hat sich da aus Deiner Sicht etwas getan? Zum Guten, oder vielleicht auch zum Schlechten? Was würdest Du dir diesbezüglich generell wünschen, wenn Du dürftest?

Sebel: Ich habe das Gefühl, dass es sich ein kleines bisschen zum Positiven verändert hat. Ich wurde gefragt ob ich in diesem Jahr beim „Tag der Trinkhalle“ spiele, im ganzen Ruhrgebiet sollen Konzerte in Trinkhallen stattfinden. Super!

Die Ausstellung „Rock und Pop im Pott“ ist auch ein kleiner Meilenstein. Wir müssen uns hier mehr mit unserer eigenen Ruhrgebietskultur beschäftigen…und zwar nicht nur immer „Currywurst“ und „Förderturm-Kaffeetassen“, sondern auch mit unseren Künstlern, die unsere Mentalität und unsere Sprache fest in ihre Kunst integriert haben. Das geht doch 80km weiter in Köln auch…warum hier nicht?

Ruhrbarone: Du hast kürzlich auch das Heimat-Video neu bei Facebook veröffentlicht. Was macht das Thema aus Deiner Sicht gerade so aktuell?

Sebel: Es sind viele, viele Menschen nach Deutschland gekommen, die schmerzlich ihre Heimat verlassen mussten. Ich glaube, dass das ein unfassbar schlimmes Gefühl ist, wenn man seine Heimat über Nacht verlassen muss und erstmal nicht so schnell dorthin zurück kann. Deine Wurzeln, deine Familie, deine Freunde, deine Stadt, dein Zuhause…all das gehört zum Gefühl „Heimat“, und wenn du das von Heute auf Morgen aufgeben musst, kann man das nur ganz schwer nachzuempfinden.

Und weil es einige Menschen in Europa nicht mal versuchen sich in diese Lage reinzuversetzen, gibt es diese Entwicklung nach Rechts. Einige Leute beanspruchen eine eigene und mich falsche Auslegung des Begriffs „Heimat“.

Heimat darf und muss sich verändern können. Heimat ist ein stetiger Prozess, ein Gefühl was nicht an einem bestimmten Ort gebunden sein muss. Man kann mit anderen Menschen seine Heimat teilen, anderen eine Heimat geben.

Ruhrbarone: Vielen Dank, Sebel! Für die neuen Alben und Deine Konzertpläne wünschen wir Dir weiterhin viel Erfolg!

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