Gelsenkirchen und Recklinghausen streiten um Einkaufszentrum

In Recklinghausen soll ein neues Einkaufszentrum entstehen. Es gefährdet nicht nur die Recklinghäuser Altstadt, sondern könnte auch andere Innenstädte im nördliche Ruhrgebiet schwächen. Gelsenkirchen wehrt sich.

Recklinghausen besitzt etwas, was im Ruhrgebiet selten ist: Eine schöne Innenstadt. Innerhalb eines Wallrings finden die Besucher verwinkelte
Gassen, Fachwerkhäuser und zahlreiche Kneipen, Restaurants und Cafés. Es gibt mehrere Kaufhäuser, und viele der Geschäfte werden noch von ihren Inhabern geführt. Aber immer weniger Kunden scheinen das Ambiente Recklinghausens zu schätzen. “Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat unsere Innenstadt sieben Prozent Kaufkraft verloren”, sagt Wolfgang Pantförder (CDU), der Bürgermeister der Ruhrgebietsstadt. Der Trend setzt sich fort: Um ein – bis zwei Prozent sinken die Umsätze in der Stadtmitte jährlich. Ein schleichender Niedergang. Ein Grund: Viele ehemalige Kunden zieht es in die Einkaufszentren nach Essen, Oberhausen oder sogar ins niederländische Roermond.

“Uns fehlt es an passenden Angeboten für die 16- bis 40jährigen.” Pantförder will das ändern. Seit Jahren setzt er sich für den Bau eines neuen Einkaufszentrums am Rand der Innenstadt ein. Die Recklinghausen-Arcaden sollen das alte, heruntergekommene Löhrhof-Center ersetzen. Geplant wird es von dem Essener mfi – Management für Immobilien AG (mfi), die zahlreiche Einkaufszentren in Deutschland entwickelt hat und auch betreibt. Mit dem Bau der Arcaden sollte eigentlich noch in diesem Jahr begonnen werden.

Verhindert hat das Gelsenkirchen. Die Stadt hat im vergangenen Jahr vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster einen Normenkontrollantrag gestellt, der noch immer anhängig ist. In der Begründung macht Gelsenkirchen seine Sorgen wegen des 180 Millionen Euro Projektes deutlich: “Es ist zu befürchten, dass mit der vorgesehenen Dimensionierung der Recklinghausen-Arcaden ein sich ansatzweise abzeichnender Trading Down Prozess im Zentrum Gelsenkirchen Buer verschärft wird…”

Gelsenkirchen Buer, das war einmal eine der besten Einkaufsadressen im nördlichen Ruhrgebiet. Das ist lange her: in den vergangenen 20 Jahren hat Buer viel von seiner Attraktivität eingebüßt. Lehrstände und Ramschläden sind keine Seltenheit. Doch Gelsenkirchen kämpft um seine einstige gute Stube. Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD): “Wir versuchen seit zehn Jahren die Innenstadt von Gelsenkirchen-Buer attraktiver zu machen. Dabei haben wir darauf vertraut, dass unsere Nachbarn sich an die Regeln halten.” In Buer wurde eine Standortgemeinschaft gegründet, Bausünden der 60er und 70er Jahre beseitigt sowie Plätze erneuert. Erste Erfolge zeigen sich: Im ehemaligen Hertie-Kaufhaus hat H&M eine Filiale eröffnet, und das drohende Aus von SinnLeffers konnte verhindert werden.

Gelsenkirchens Sorge ist, dass gerade das Textilangebot der Recklinghausen-Arcaden diese Arbeit zunichte macht. Zwar haben sich Recklinghausen und Gelsenkirchen in drei Gesprächsrunden geeinigt, die Verkaufsfläche der Arcaden von 29.500 Quadratmeter auf 27.500 Quadratmeter und das Textilangebot um 1.200 Quadratmeter zu verringern, aber der von Recklinghausen angebotene städtebauliche Vertrag mit Ratsvorbehalt reicht Gelsenkirchen nicht. In einem Schreiben an die Stadt Recklinghausen lehnte Gelsenkirchen ein solches Angebot ab. Die Stadt will, dass Recklinghausen die verringerten Einkaufsflächen in einem Bebauungsplan festschreibt.

Pantförder setzt weiter auf Verhandlungen: Die Stadt Recklinghausen hat Gelsenkirchen in der vergangenen Woche angeboten, eine Grunddienstbarkeit für das Einkaufszentrum im Grundbuch eintragen zu lassen um so sicher zu stellen, dass die beschlossenen Einschränkungen auch Bestand haben, wenn die Eigentümer wechseln oder sich die Mehrheitsverhältnisse ändern sollten. Eine Grunddienstbarkeit lässt sich nur ändern, wenn beide Seiten sich einigen – zum Beispiel über Entschädigungszahlungen. Den Bebauungsplan will er nicht ändern: “Dadurch verlieren wir zu viel Zeit.” Frank Baranowski lässt den Recklinghäuser Vorschlag nun prüfen: “Uns geht es um Rechtssicherheit. Wir haben uns auf einen Kompromiss geeinigt und wollen ihn möglichst gut absichern. Wie das erreicht werden kann, werden wir sehen.” Vor der Sommerpause wird es aber keine Entscheidung geben. Der Rat wird sich mit dem Vorschlag Recklinghausens erst im Spätsommer beschäftigen können.

Arcaden-Entwickler mfi hofft auf ein Gelingen des Kompromisses. Zur Not will man aber auch das Ergebnis einer Klage abwarten. mfi-Sprecher Thorsten Müller: “Wir stehen hinter dem Projekt und wollen es umsetzen.” Gemeinsam mit Henderson Global Investors, sagt Müller, wurde ein Fonds aufgelegt, der den Bau der Arcaden finanzieren soll.

In den anderen Ruhrgebietsstädten hat man in der Zwischenzeit begonnen, sich auf das Center in Recklinghausen vorzubereiten. So soll auch in Bochum ein Einkaufszentrum in der Innenstadt gebaut werden. Ein Grund: Die drohende Konkurrenz durch die Recklinghausen-Arcaden. Das Center-Wettrüsten geht weiter.

Der Artikel erschien auch in der Welt am Sonntag