Arnsberg will wieder für das Revier planen

Die Bezirksregierung Arnsberg gehört zu den überflüssigsten Institutionen in Nordrhein Westfalen. Ihr Aus würden wahrscheinlich nicht einmal die eigenen Mitarbeiter bemerken. Nun soll sie  wieder mehr zu sagen bekommen.

Seit kurzem ist der Regionalverband Ruhr wieder für die Planung im Ruhrgebiet zuständig. CDU und FDP geendeten den Irrsinn, das die Planung des Ruhrgebiets auf drei Regierungsbezirke Düsseldorf, Münster und Arnsberg aufgeteilt war. Der schöne Plan von schwarz-gelb aus den fünf Regierungsbezirken drei zu machen, davon einer für das Revier wurde nichts. Die Land-Lobby war zu mächtig, das Ruhrgebiet zu blöd, die Reform einzufordern.

Nun wollen einige Politiker aus dem Regionalrat Arnsberg die Planungshoheit über das zum Regierungsbezirk-Arnsberg gehörende östliche Ruhrgebiet  zurück. In einer großen Koalition haben die Fraktionen von SPD und CDU ein 10-Punkte-Papier, das den Ruhrbaronen vorliegt, für den Regierungsbezirk Arnsberg erstellt. Darin sorgen sie sich auch um den demographischen Wandel, wünschen sich Anschluss an das Breitband-Netz und wollen natürlich ihre Pöstchen behalten: Die Beibehaltung des Regierungsbezirks Arnsberg ist ihnen besonders wichtig.

Menschen wie Hermann-Josef Droege (CDU) aus Burbach (ca. 14.000 Seelen) und Hans-Walter Schneider (SPD) aus Winterberg (ca. 13.000) fühlen sich anscheinend berufen, für ein Ballungsgebiet mit 5 Millionen Einwohnern zu planen. Das zeugt entweder von einem großen Selbstbewusstsein oder einem schweren Alkoholproblem. In der Ruhrgebiets-SPD hat das Papier für Irritationen gesorgt. Die Pläne aus dem Regionalrat werden als nicht realistisch bezeichnet. Die Planungshoheit scheint man sich im Ruhrgebiet nicht wieder wegnehmen lassen zu wollen.

Endlich: Rüttgers Sommerinterview!

Was haben wir gewartet. Uns gefragt: Kommt es noch? Oder lässt er es diesmal wirklich ausfallen – das große "Jürgen-Rüttgers-Sommerinteriew". Doch jetzt ist das Rätsel gelöst.

Noch in bald jedem Sommer räumte JR bislang als Zukunftsminister, CDU-Fürst oder Ministerpräsident mit "lieb gewordenen Lebenslügen" (Rüttgers) auf, die sich das Jahr über angesammelt hatten. Andere machen kräftig Hausputz, Rüttgers lüftete gerne oben herum: Die "CDU sei keine kapitalistische Partei", es würde "zu wenig über Menschen geredet" oder die Spritpreise seien viel zu hoch. Aber ausgerechnet im Vorwahlsommer 2009 schweigt sich der Pulheimer beharrlich aus.

Nach zwei, drei allenfalls höflichen Plaudereien mit WDR und Privaten machte der Rheinländer nichts als Frankreich-Urlaub und Schnauze halten. Doch jetzt wissen wir warum: Rüttgers beweist wieder sein überragendes Gespür fürs politisch-mediale Timing. Denn HIER (ab 1:30) ist es, das grandiose, gewichtige, gewaltige Sommergespräch, Rütte trifft Schlämmer – zwei "linksliberale Konservative" unter sich!

Übrigens hat Tobias Kniebe heute richtige Fragen gestellt zu den Verwirrungen, die entstehen, wenn Schlämmer und andere auf Wirkliche treffen:

"Bin ich noch Jürgen Rüttgers, oder spiele ich ihn nur – und zwar schon seit Jahren? (…) Man darf da wohl nicht zu lange drüber nachdenken." klack

Kartell der Abkassierer

Der Mobilfunkmanager Stan Miller meidet die Öffentlichkeit. Interview-Anfragen lehnt er in der Regel ab und bei Veranstaltung drückt er sich eher mit grimmigem Blick am Rande rum. Dabei hat der Niederländer viel zu erzählen. Denn Miller ist Chef der KPN-Handysparte und damit auch Chef von E-Plus, dem drittgrößten Mobilfunkanbieter Deutschlands. Und damit hat er einen tiefen Einblick in die Branche, die im vergangenen Jahr in Deutschland 64 Milliarden Euro umsetzte.

Foto: Flickr/Labspics

In diesem Riesenmarkt geht es offenbar nicht immer mit rechten Dingen zu, argwöhnt Miller. Er hat daher das Kartellamt einschaltet, das nun untersucht, ob die Schwergewichte Telekom und Vodafone ihre Marktmacht auf Kosten von E-Plus und O2 ausnutzen.

Miller geht aber noch weiter: Der KPN-Manager sagte mir, es habe eine Absprache innerhalb der Branche gegeben, um die sogenannten Terminierungsentgelte hoch zu halten. Hinter dem sperrigen Wort verbirgt sich eine der wichtigsten Einnahmequellen der Handy-Konzerne. Diese Entgelte fallen für Anrufe in die jeweiligen Netze an und stellen den Hauptteil der Minutenpreise dar.

Sollte Miller also Recht haben und die Branche über Jahre hinweg Preisabsprachen getroffen haben, dann hätte dies die Kunden Milliarden gekostet.

Schaut man sich die Entwicklung der Handy-Tarife an, so kann man der Sicht von Miller was abgewinnen. Erst seit knapp zweieinhalb Jahren – dem Startschuss der E-Plus-Billigtochter Simyo – geben die Mobilfunkpreise spürbar nach. Die Angaben von Miller erhalten zudem dadurch Gewicht, dass er sich selbst belastet. Sein Unternehmen hat er nicht ausgeklammert. Es spricht also ein Insider – dazu noch einer, der sonst lieber im Verborgenen wirkt.

Kandidatenk(r)ampf bei den Genossen

Hertens Kämmerer Cay Süberkrüb. Foto: Mengedoht

 

Die SPD im Kreis Recklinghausen hat es derzeit nicht leicht: Nachdem ihr Landrat Jochen Welt erklärt hat, er wolle nicht nochmal antreten, macht die CDU Schlagzeilen mit möglichen Kandidaten – derzeit wird MdL Josef Hovenjürgen aus Haltern umworben. Bei den Genossen findet sich derweil kein passender Nachfolger für das „Ende von Welt“. Jetzt hat auch Recklinghausens SPD-MdL Andreas Becker abgesagt, dafür wurde Klaus Schild aus Oer-Erkenschwick aus dem Hut gezaubert.

Während der im Kreis gut bekannte Hovenjürgen jüngst auch aus dem Gladbecker CDU-Stadtverband Unterstützung erfährt, die sich nach Marl und Dorsten ebenfalls für eine Kandidatur Hovenjürgens als erster Bürger des Vests ausspricht, ist der SPD mit Andreas Becker ein weiterer potentieller Nachfolger abhanden gekommmen. Die Aufgabe, Landrat für den Kreis Recklinghausen zu sein, sei eine interessante Tätigkeit und große Herausforderung, meint Becker und fühlt sich geehrt von dem Vorschlag.

Doch: „Nach sorgfältiger und intensiver Abwägung aller Argumente Für und Wider sowie der mir wichtigen Ratschläge von in- und außerhalb der Partei komme ich zu dem Ergebnis, dass meine politische Heimat die Stadt Recklinghausen ist und mein politisches Tätigkeitsfeld der Landtag von NRW. Deshalb stehe ich für eine Kandidatur für das Amt des Landrats für den Kreis Recklinghausen nicht zur Verfügung.

Damit nicht genug: Neben Hertens Kämmerer Cay Süberkrüb will jetzt plötzlich auch Klaus Schild kandidieren, der Vorsitzende der Oer-Erkenschwicker SPD-Fraktion. Das gab Unmut im SPD-Präsidium, als der erfahrene Kommunalpolitiker aus der Stimbergstadt erst kurz vor Ablauf der parteiinternen Bewerbungsfrist gemeldet wurde – vom SPD-Vorstand, nicht etwa vom Erkenschwicker Stadtverband.

„Die Kandidaten werden ja nicht ins Blau hinein vorgeschlagen, wir haben uns ernsthaft damit auseinandergesetzt“, glättet Michael Groß die Wogen – der Marler wurde diese Woche nahezu einstimmig von allen Stadtverbänden im Wahlkreis als neuer Bundestagskandidat der Genossen nominiert.

„Es gibt unterschiedliche Wünsche in der Partei nach viel Erfahrung in der Kommunalpolitik oder Verwaltungserfahrung, das drückt sich in denKandidaten aus“, meint Groß. Die Diskussion empfindet er als „anregend und spannend“. Die Ortsverbände zu beteiligen, sei eine gute demokratische Wahl. Dort sollen die beiden Kandidaten sich in den kommenden Wochen vorstellen und am 8. Mai beim Kreisparteitag eine Entscheidung fallen.

„Schild bringt einige Qualitäten mit, ich kenne ihn aus dem Wahlkampf mit Andreas Krebs“, lobt der Marler, stellvertretender Vorsitzender der Kreis-SPD. Dass beide Kandidaten beim Bürger im Kreis recht unbekannt sind, ficht ihn nicht an: „Die Erfahrungen zeigen ja, dass es durchaus möglich ist, so eine Wahl zu gewinnen, siehe Uta Heinrich in Marl.“ Die Unbekanntheit müsse man eben im Wahlkampf wettmachen, da „müssen wir alle zusammenarbeiten und am großen roten Tau ziehen“.

Groß: „Unmut kann es geben, das gehört dazu, aber hinterher war immer unsere Stärke, dass alle dahinter stehen, wenn man sich für eine Perosn entschieden hat.“

Klaus Schild, der 57-jährige Finanzbeamte aus Oer-Erkenschwick, führt seit 2002 die Sozialdemokraten im Rat der Stimbergstadt. Cay Süberkrüb (53), geboren in Kiel und aufgewachsen im westfälischen Bielefeld, ist seit 1982 Leiter des Rechtsamtes in Herten und seit 2004 Kämmerer der bitterarmen Stadt.

Ob das wirklich reicht, um gegen Hovenjürgen anzukommen? Auch wenn manche den Halterner als „Provinzpolitiker“ bezeichnen – bekannt ist er den Bürgern im Vest durch seine Tätigkeit in Düsseldorf allemal.

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Wer regiert das Revier?

Vorsitzender des Regionalrates Münster,
Engelbert Rauen. Foto: Bezreg-MS

Die Mitglieder der Regionalräte haben sich gegen die geplanten Strukturreformen des Landes ausgesprochen. Nicht nur, dass sie die Neuaufteilung des Landes in drei statt bislang fünf Regierungsbezirke ihre Pöstchen kosten wird, erzürnt sie. Auch dass der RVR schon bald für das Ruhrgebiet planen soll, bereitet ihnen Kopfzerbrechen. Sie möchten weiterhin bestimmen, wo sich im Ruhrgebiet Unternehmen ansiedeln sollen, wo ein Einkaufszentrum entsteht oder wo eine U-Bahn-Linie gebaut werden darf.
Wahrlich ein Grund für Kopfzerbrechen – aber weniger in den Regionalräten als im Ruhrgebiet, denn kaum jemand ahnt, wer da über das Ruhrgebiet entscheidet. Nicht nur, dass zahlreiche Regionalratsmitglieder aus Städten wie Düsseldorf und Münster kommen, die von der politischen Schwäche des Ruhrgebiets profitieren und mit dem Revier im Wettbewerb stehen. Bei vielen Mitgliedern muss auch die Frage erlaubt sein, ob sie sich überhaupt ein Bild von den Problemen der Region machen können.
Da ist zum Beispiel Engelbert Rauen, der Vorsitzende des Regionalrates in Münster. Herr Rauen ist zweifelsohne ein honoriger Kommunalpolitiker – aber er kommt aus der schönen Gemeinde Wettringen mit gerade einmal 8.177 Einwohnern. Wie soll sich Rauen in die Verkehrsprobleme eines Ballungsgebietes mit mehr als fünf Millionen Einwohner hineindenken?
Gleiches gilt für seinen Kollegen aus dem Regionalrat Düsseldorf, Hans-Hugo Papen, aus dem Örtlein Rheurdt mit gerade 6.651 Seelen. Im Ruhrgebiet gibt es zahlreiche Sportvereine, die mehr Mitglieder haben als Rheurdt Bürger.
Auch ob sich Eva-Maria Buderus aus Balve (12.544 Einwohner, Regionalrat Arnsberg) oder Hermann-Josef Droege aus Wilnsdorf in die Probleme des Reviers hineinversetzen können, darf bezweifelt werden. Wilnsdorf liegt im Kreis Siegen-Wittgenstein, direkt an der hessisch-rheinland-pfälzischen Grenze.
Keinem der genannten soll abgesprochen werden, dass sie sich für die Probleme des Ruhrgebiets einsetzen – aber ob die Kompetenz vorhanden ist, darf bezweifelt werden. Genauso gut könnten sich die Herren und Damen auch mit den Problemen des Robbenfangs auf Grönland auseinandersetzen oder versuchen, das NASA-Marsprogramm zu optimieren..
Es wird Zeit, dass das Ruhrgebiet für sich selbst plant und für sich selbst verantwortlich ist – und ambitionierte Dorfpolitiker sich weiterhin um die Probleme ihrer sicherlich ambitionierten Gemeinden kümmern, aber sich nicht länger mit den Problemen des viertgrößten europäischen Ballungsraums beschäftigen. Oder kann sich jemand ernsthaft vorstellen, dass die Strassenführung in Paris von einem Landwirt aus dem Zentralmassiv mitentschieden wird?
Stefan Laurin

Wanderer, kommst Du nach Bochum?

Bochum bekommt ein Jugendgästehaus. Wie schön. Jugendgästehäuser zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht so sehr in der Pampa liegen wie Jugendherbergen, dafür aber nicht so hip sind wie Backpacker Hostels.

Gerne erinnere ich mich an Erlangen zurück. Ich wusste nichts Wissenswertes über Erlangen, also quartierte ich mich ein im dortigen Jugendgästehaus, um meine Einschreibungswoche („Warum stehen Sie hier und nicht in der anderen Schlange?“ – „Ich hab ein außerbayerisches Abiturzeugnis“ – „Ah. Da muss ich den Chef holen.“). Ähnlich freundlich war meine Unterkunft, Kiefernmöbel, Karovorhänge und ein winziges Einzelzimmer. Das Frühstücksbüffet war ebenso übersichtlich wie die pulsierende City der fränkischen Metropole. Immerhin konnte man zwischen Pfefferminz- und Hagebuttentee wählen, ein Vorzug gegenüber den Jugendherbergen meiner „Jugend“, welchen sich das Jugendgästehaus ebenso wie das luxuriöse Einzelzimmer auch entsprechend bezahlen ließ.

Jahre später – mein Erlangen-Gastspiel dauerte genau eine Woche – lese ich jetzt also, dass Bochum eine Jugendherberge im Bermudadreieck bekommen soll. Diese im Vorbeigehen aufgeschnappte Schlagzeile stellte sich als ungenau heraus, handelt es sich doch erstens um ein Jugendgästehaus und liegt es zweitens nur am Bermudadreieck. Das ist ein bedauernswerter Unterschied, denn ein DJH-Etablissement beispielsweise in der Kortumstraße hätte immensen Charme gehabt. Astra statt Hagebuttentee, Hooters-Girls statt Herbergsmuttis, das wäre es gewesen.

Da das Haus aber in der Humboldtstraße entstehen soll, haben die Gäste mehr Gelegenheit, sich auf die Attraktionen zu stürzen, die Joachim Barbonus, Chef des Jugendherbergs-Landesverbandes, den Bochum-Besuchern schmackhaft machen will: „Starlight, Symphoniker, Theater: da gibt es interessante Verknüpfungen wie auch zu VfL, Bogestra und Planetarium. All diese Dinge wollen wir Gruppen als Programm anbieten.“. Ob dies reicht, die Massen anzulocken wird sich zeigen, falls nicht, bleibt ja noch das gute alte Bermudadreieck. Und die Hooters-Girls sind bis zum Sommer hoffentlich auch eingezogen.

Wer macht denn so was?

Aha, die machen so was dämliches:

Evonik kann schon wieder einpacken.

Lateinamerika kriegt eine Packung.

Warum machen die das?

Sitzen die Latinos alle im Knast, kennen die keine Zangen, müssen die nur mal richtig anpacken…?

Hammer!

Die Spenden gehen übrigens nicht an klick oder klick, sondern an klick; die verwenden auch das Evonik-Lila namens Deep Purple. Das rockt.

Flimm II

Unter einer Decker flimmern

Das schönste soll man sich bekanntlich aufheben…

Wie es wohl weitergeht mit der Ruhr-Triennale, nach drei Jahren mit Jürgen Flimm, nach kölscher Vereinahmung, Rheinlandisierung, nach Niedecken, Mike Herting, …?

Na wie wohl!

Flimms Nachfolgerin Marie Zimmermann – immerhin Aachen – nahm sich das Leben.

Die Saison 2008 wird deshalb von dem Team 2005-2007, einem Dreigestirn (sic) verantwortet und Flimm fungiert als "Papa" (O-Ton Flimm).

Und ab 2009 übernimmt Willy Decker, Opernheld und – Sie ahnen es –

natürlich aus K Ö L N.

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schurians runde welten (reloaded)

Totschlag im Internet "Deine Mudda zieht Autos auf Eurosport." (ustreamer 4357) "Deine Mudda wird am Strand von Greenpeace gerettet!" (ustreamer 3385) "Schalke, alle Uschis!" (ustreamer 1005) Es ist viel passiert, seit diese Kolumne das letzte Mal erschien. Ich habe mir einige technische Geräte angeschafft, die ich um meinen Heimarbeitsplatz gestellt habe und abwechselnd an- und ausschalte. Danach schaue ich wieder in den Laptop, ob zwischendurch etwas geschehen ist, dann schalte ich wieder ein Gerät an, und so weiter. Wenn ich arbeite und Geräte ausprobiere, denke ich daran zurück, wie es war ohne Internet, ohne Computer, Mobiltelefone und andere Geräte: So saß ich Anfang dieses Jahrtausends mal in einem Büro am Westrand des Ruhrgebiets fest und hatte kein Telefon und einen PC ohne Verbindung zum Internet. Irgendwann begann ich damit, mich mit dem Rechner zu unterhalten. Wirklich: Das Teil hatte eine Sprachsoftware, ich konnte mir Sätze ausdenken, die ich mir dann in fünf unterschiedlich verzehrten Stimmfarben vorlesen ließ. Kleine Dialoge, nur unterbrochen, durch das Eintippen des neuen Satzes: Guten Morgen, Christoph, alles klar? Hm. Was haben wir beiden Hübschen denn heute vor? Nichts. Wann gehst Du Mittagessen? Weiß nicht. Du mieser Lutscher, Du kotzt mich an! Häh? Trotz der Gespräche wollte die Zeit einfach nicht vergehen. Weil das nicht nur mir so geht, ist die gewaltigste Industrie unserer Zeit entstanden, sie fußt auf einem Auftragsmord. Medien- und Informationsindustrie helfen uns dabei, die Zeit totzuschlagen. Und das Internet ist ein Brennpunkt dieses Massenmordes. Man kann dort abertausend sinnfreie Dinge suchen, anschauen, anklicken, am sinnlosesten ist es aber, zu versuchen, Fußballspiele zu sehen, die nur im Bezahlfernsehen laufen. Zum Beispiel Champions League, Olimpiakos gegen Werder, zu sehen war das auf einer Seite aus Talinn. Im Selbstversuch wird klar: Wer Fußball gerne in der Totalen sieht, ist im Internet verratzt. Zu sehen sind rote bzw. weiße Pixel auf grünem Grund, wie ein Computerspiel auf dem Sinclair. In Nahaufnahme geht es einigermaßen, aber der Datenrhythmus macht das Spiel kaputt, es fließt nicht, es hackt. Weil das die anderen 5.000 Zuschauer auch so sahen, haben sie auf der Seite gechattet, sich ungefähr so angeregt unterhalten wie ich mit meinem Bürorechner – die geistreichesten Kommentare habe ich an den Anfang dieser Kolumne gestellt, die es ab jetzt wieder regelmäßig geben wird. Mit irgend etwas muss man die Zeit ja totschlagen!

Im falschen Flimm

Wir wollen hier wütend sein, gar nicht schwer. Etwa über die Ruhrtriennale, beziehungsweise die Ära Jürgen Flimm. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger kommt Flimm aus Nordrhein-Westfalen. Falsch, er kommt aus Köln. Und das merkte man. Zum Beispiel beim letzten Abend des Kulturfestivals 2007, 14. Oktober in der Bochumer Jahrhunderthalle.

Dabei habe ich gar nichts gegen Köln, aber auch wenig für die Domstadt übrig. Schon gar nicht kulturell. Weil ich damit zum Glück nicht allein bin, musste die Bewerbung der größten Stadt im Bundesland als Kulturhauptstadt Europas grandios scheitern. Wir wissen, wer das Rennen machte. Am Rhein würden sie noch heute ihre Wunden lecken, erzählte mir im Frühjahr ein in Köln lebender, aber eigentlich in Herne beheimateter Schauspieler. Stimmt fast: Die einen lecken seit drei Jahren den "halwen hahn" – die anderen verdienen das Geld dann halt woanders. Zum Beispiel: Im Ruhrgebiet.

Kulturindustriemeister Jürgen Flimm ist eine Art Anführer dieser kölschen Kulturmontage, der rheinischen Bühnen-Kampagne. Von Anfang an. Als der Theatermann vor vier Jahren zum Intendanten der Ruhr-Triennale wurde, dem noblen Aushängeschild der Ruhr-Kultur, wollte er trotzdem nicht von der Kölner Bewerbung als Kulturhauptstadt lassen, er gab das widerwillig erst nach einigem Pressedruck auf. Und seine Rache am Ruhrgebiet war schrecklich.

Hatte der Triennale-Gründungsintendant und Kosmopolit Gerard Mortier noch viel hingeschaut, nachgedacht und gesagt über das Revier und seine Bewohner, geriet Flimms Abschiedsabend zum Liederabend der rheinischen Wanderarbeiter. Der musikalische Leiter, ein Kölner, der Stargast, ein Kölner, der Gastbläser, ein Kölner, die Band, aus Köln. Selbst der niedliche Amateurchor entstammte irgendeiner Sankt-Blasius-Basilika in irgendeinem Viertel dieser von ihren Einwohnern gerne als "schönste Stadt der Welt" bejubelten Sammlung von Bausünden. Der ganze Abend in der Jahrhunderthalle wurde zu solch einem Heimspiel der Rheinländerei, dass das Bühnenpersonal selbstverständlich von "hier" sprach, obwohl sie Köln meinten.

Zum Abschied an das Ruhrgebiet, ohne dessen ausgebeutete Landschaft, Geschichte und Einwohner es niemals Arbeit für Jürgen Flimm und Co. Kg. zwischen Emscher und Ruhr gegeben hätte, las der scheidende Intendant eine Geschichte von Heinrich Böll. Ein Straßenporträt, katholisch, kitschig, kölsch, sprich: an dieser flachen, feuchten Stadt besoffen. Zuvor gab er etwas Apokalypse, dann war Schluss, kein Wort übers Revier, zu drei Jahren Festivalleitung, zum Publikum. Ein Profi, Geld wird jetzt woanders verdient.

Ach ja, fehlt noch das Feuerwerk zum Abschluss. Funkensprühende Drachen zogen auf und ab, es glühte, funkelte, blitzte etwas zwischen dem dürrem Pappelbewuchs vor der Halle, Jürgen Flimms barocken "Hain". Es würde mich nicht wundern, wenn die Postleitzahlen von Feuerwerkern und Baumschule mit 5 und 0 beginnen.