Tot, trist, teuer – Vom unübersehbaren Niedergang der Friedhöfe im Ruhrgebiet (und anderswo)

Wer geht hier schon gerne hin? Archiv-Foto: Robin Patzwaldt

Mal ehrlich: Wann warst du das letzte Mal freiwillig auf einem Friedhof – und nicht, weil du musstest? Ist bestimmt lange her, oder? Ich bin früher sehr gerne über Friedhöfe gegangen. Ganz ohne konkreten Anlass. Einfach, weil ich mich dort etwas entspannen konnte, oder einfach mal die Ruhe in gepflegter Umgebung genießen wollte. Das mache ich in letzter Zeit kaum noch. Denn Friedhöfe im Ruhrgebiet wirken inzwischen oft wie ungepflegte Schmuddelkinder der Stadtgesellschaft. Nichts mehr mit einer schönen Parklandschaft. Inzwischen herrsch häufig eine wahrhaft bedrückende Atmosphäre vor.

Zwischen bröckelnden Mauern, verdorrtem oder wucherndem Rasen und leeren Grabfeldern stellt sich nicht unbedingt eine Atmosphäre der Würde oder des Erinnerns ein. Stattdessen hat man vielerorts das Gefühl, man sei in einer Mischung aus stillgelegtem Parkhaus und Geisterwald gelandet. So ist das nicht nur vor meiner eigenen Haustür hier in Waltrop.

Dabei waren Friedhöfe früher mal richtig wichtige und besuchenswerte Orte. Das weiß ich, weil ich seit 1973 direkt an einem wohne. Familien trafen sich hier, es wurde gepflegt, gepflanzt, gedacht und geredet. Heute? Vielfach gähnende Leere. Der Grund: Die klassische Erdbestattung mit gepflegtem Familiengrab stirbt aus – im wahrsten Sinne. Wer will schon noch jahrzehntelang Grabpflege übernehmen, wenn man nicht mal Zeit hat, die eigene Topfpflanze am Leben zu halten? Und wer hat Lust, Tausende Euro für einen Sarg und ein bisschen Erde hinzublättern?

Also boomt vielerorts die ‚Billig‘–Alternative: Urne, Rasen, fertig. Möglichst anonym, möglichst pflegeleicht und günstig. Für Angehörige bequem – für Friedhöfe der Todesstoß. Denn ohne schmucke Gräber und persönlichen Bezug verkommt die letzte Ruhestätte zur letzten Restfläche. Der Friedhof wird zur toten Zone im doppelten Sinne.

Und die Städte? Sie kämpfen fast durchgängig mit schmalen Budgets, Personalengpässen und Planungsstillstand. Neue Ideen? Fehlanzeige. Statt Friedhöfen als Orte der Begegnung oder des Gedenkens ein neues Gesicht zu geben, wird oft einfach weiter gewurstelt. Ein paar neue Schilder, eine Bank aus den 90ern – das war’s dann.

Dabei gäbe es so viel Potenzial: Warum nicht mehr grüne Oasen schaffen, mit Kunst, Kultur oder sogar Cafés? Warum Friedhöfe nicht als Teil des öffentlichen Lebens denken, statt sie wie Problemzonen zu behandeln, die man besser meidet?

Friedhöfe könnten viel mehr sein als triste Ablageflächen für Verstorbene. Aber dafür braucht es mehr Geld für ihre Pflege – und das Eingeständnis, dass der Tod nicht nur eine private, sondern auch eine gesellschaftliche Angelegenheit ist. Sonst bleibt alles, wie es ist: ziemlich unattraktiv.

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
1 Kommentar
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
19 Tage zuvor

Am Anfang des Niedergangs steht das Urnengrab als vermeitlich billige Beerdigung und die fehlerhafte Gebührenkalkulation der Betreiber dieser Gräber.
Halbe Fläche, halber Preis war lange Zeit die Rechnung. Daß die Besucher des Friedhofs aber dennoch die ganzen Wege, die ganze Baumpflege und ggfs. die ganze Standsicherheitsprüfung, die ganze Verwaltung und das ganze WC brauchen, wurde ausgeblendet. Am Niedergang der Friedhöfe ist also als erstes eine kaufmännische Unfähigkeit bei den Betreibern zu sehen.
(Daß die Verbrennung als solche, der Sarg und die Urne zusammen gar nicht mal so günstig sind, wird gerne übersehen. Eine ökologische Sauerei sondergleichen ist eine Einäscherung obendrein.)

Als Friedhofsträger kann man aber auch nur begrenzt die Nutzungsberechtigten vor sich selbst schützen. Auf dem Friedhof sehen wir heute das gängige Konsumschema: entweder Discounter oder Luxus. Ich kenne Bestatter die haben schon mal Angehörigen den Gang zur AHE nahegelegt. Wobei die potentiellen AHE-Bestattungskunden nicht unbedingt finanziell benachteiligt sind. Umgekehrt verkaufen auch schon mal eher skrupellose Bestatter Angehörigen Grabformen, die sie offensichtlich finanziell und organisatorisch überfordern.
Am Ende bleibt aber übrig, was nix (egal ob Zeit oder Geld) kosten darf wird am Ende auch nix her machen. Als Betreiber sehen wir uns da auch einer großen Rechtsunsicherheit gegenüber, was wir von den Nutzungsberechtigten mit vertretbarem Aufwand einfordern können. Wobei Kirche als Tendenzbetrieb da immerhin noch ein paar Stellrädchen mehr hat. Als Stadt bewegen sie sich da ziemlich im luftleeren Raum.
Kurz und zusammenfassend gesagt, die Friedhöfe sehen auch so aus, wie sie bestellt werden.

Davon ab, sehe ich als für die vier Friedhöfe der Gemeinde zuständiger Presbyter den dringenden Bedarf an pflegefreien oder pflegearmen Grabformen. 60-jährige, die ihre 90-jährigen Eltern beerdigen, werden nicht 30 Jahre lang ein Grab pflegen können. Wir sehen heute schon zuhauf verwaiste Grabstätten, um die sich niemand mehr kümmert. Die Kosten der Instandsetzung und -Haltung bleiben komplett bei uns hängen und belasten den Haushalt nicht unerheblich.
Bestattungen sind auch darum bei uns über die letzten Jahre signifikant teurer geworden. Wir sind aber vom Leistungsumfang auch deutlich umfassender aufgestellt als früher.
Ein kirchlicher Friedhof sollte nach meinem Verständnis Gartenbau gewordenen Seelsorge sein. Die seelsorgerischen Bedürfnisse oder sogar Nöte haben sich genauso stark geändert wie die übrige Gesellschaft. Der Alleequartierfriedhof, den ich übernommen habe, funktioniert im genannten Sinne nicht mehr. Der Umbau hin zu einer zeitgemäßen Gestaltung dauert bei Vertragslaufzeiten von mindestens 25 Jahren aber eine längere Weile. Der Tod hat viel Zeit. Ein einladender Friedhof kann aber darum vielleicht auch etwas Geduld lehren, was ich als Presbyter nicht ganz verkehrt finden würde.

Politisch weht uns dabei der Wind eher ins Gesicht. Der Vorstoß von Rheinland-Pfalz privatisiert und entsozialisiert das Grab, die Bestattung, den Toten. Die weit verbreitete Ahnungslosigkeit über Trauer und das grundsätzlich dissoziale Mindset einer vermeintlich individuellen statt in Wirklichkeit vereinsamenden Gesellschaft drückt sich auch in einer zunehmend wohstandsverwahrlosenden Sepulkralkultur aus. Es ist dies auch eine Geschichtsvergessenheit linker Politik, die die Sterbekassen als Mutter der Sozialkassen völlig aus dem Blick verloren hat. Da kann es dann schon passieren, daß Alleinstehende trotz hinterlegter klarer Regelungen vom „Ordnungs“amt irgenwie, irgendwo verscharrt werden. Hier vor Ort haben das glücklicher Weise aufmerksame Nachbarn zusammen mit dem Bestatter in einem mir bekannten Fall zu verhindern gewußt.

Werbung