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Das Goldene Zeitalter – Drei Interviews

Das Goldene Zeitalter Foto: Birgit Hupfeld Lizenz: Copyright
Das Goldene Zeitalter Foto: Birgit Hupfeld Lizenz: Copyright

Am vergangenen Freitag, 13. September 2013, feierte am Schauspiel Dortmund die Uraufführung von Alexander Kerlins und Kay Voges’ „Das Goldene Zeitalter – 100 Wege dem Schicksal die Show zu stehlen“ Premiere (wir berichteten: „Das Goldene Zeitalter – Wortarm im Bilderreich“). Das Musikmagazin „Amusio“ meldete schon am nächsten Tag „einen der größten Theaterskandale der letzten Jahre“ – und Kritiker Pitt Herrmann diagnostiziert in den Sonntagsnachrichten: „Kay Voges‘ und Alexander Kerlins Unterfangen erinnert, was die Dimension betrifft, an Das Rad der Geschichte des Staatsschauspielers Bruscon, der ‚Menschheitskomödie, die in Wahrheit eine Tragödie ist’ aus Thomas Bernhards Der Theatermacher: Ein Abbild des immer Wiederkehrenden unseres alltäglichen Lebens unter Einschluss menschlicher Materialermüdung beiderseits der Rampe.“ 

Dramaturg und Co-Autor Alexander Kerlin hat mit Regisseur Kay Voges, Videokünstler Daniel Hengst und Komponist Tommy Finke für das Programmheft der Inszenierung kurze Gespräche geführt, die nun auf ruhrbarone nachzulesen sind. In den nächsten Tagen werden wir darüber hinaus das „ABC des Goldenen Zeitalters“ veröffentlichen – zugleich Begleittext und Gebrauchsanweisung für das Stück.

Die nächste Vorstellung ist am Samstag, 21. September um 19.30 Uhr im Schauspielhaus. Es gibt noch Karten.

Neuland betreten: Regisseur Kay Voges

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Woher die Idee, ein Stück über Wiederholungen zu machen?

Ich stand bei REWE an der Kasse. Man denkt, das Leben soll etwas ganz Besonderes sein – und dann ist man schon wieder damit beschäftigt, Milch einzukaufen.

Während der Vorstellung sitzt Du mitten im Publikum.

Was machst Du da?

Über ein Mikrofon spreche ich mit den Schauspielern auf der Bühne. Per Funk bin ich mit der Inspizientin sowie mit Tommy Finke und Daniel Hengst an ihren Instrumenten verbunden. Ich mache die ganze Zeit Vorschläge: Welche Figur als nächstes kommen soll, welche

Musik. Und neben mir sitzt noch Alexander Kerlin an einem Laptop und erfindet die Live-Texte.

Konnte sich Deine Mannschaft alleine nicht merken, was sie tun soll?

Wir haben bemerkt, dass dieses Stück für uns und das Publikum etwas ganz besonderes werden kann: wenn wir es nicht zu genau durchplanen. Wir haben Material für 8 Stunden Theater, je nachdem wie wir Figuren, Szenen, Musikstücke, Video-Art und Textbilder kombinieren. Das ähnelt einer Jam-Session: Wir bekommen über die Dauer der Vorstellung einen gemeinsamen Atem.

Das ist paradox: Ihr macht ein Theaterstück über Wiederholungen – und dann wiederholt sich keine Vorstellung?

Es wiederholen sich Szenen. Aber immer in anderen Reihenfolgen: Alle, auch ich, sind aufgeregt und müssen doppelt konzentriert sein. Und das kommt als Energie bei den Zuschauern an, weil wir als Künstler selbst immer gerade dabei sind, Neuland zu betreten. Und auch hinter der Bühne ist die Hölle los: Technik, Licht, Ankleider, Maske – niemand weiß, wie der Abend ablaufen wird. Das ist unsere Utopie: Jede Vorstellung ist einzigartig.

Muss ich denn jetzt öfter in das Stück gehen, um es zu verstehen?

Wer aufgewühlt ist, darf gerne wieder kommen: für die Wiederholungen und für neue Details. Aber der Abend ist dazu gedacht, Gefühle und Gedanken anzuregen, eigene Deutungen vorzunehmen, sich selbst wiederzuerkennen – da wird ein Besuch hoffentlich schon viel bewegen.

Kay Voges (*1972) ist seit 2010 Schauspieldirektor am Theater Dortmund.

In Trance: Medienkünstler Daniel Hengst

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Das goldene Zeitalter ist Deine fünfte Arbeit mit Kay Voges. Was ist diesmal Deine Aufgabe?

Ich sitze an der Schnittstelle eines technischen Aufbaus,der aus Computern, acht über die Bühne verteilten Kameras, drei Bildschirmen und einer Leinwand besteht. Ich habe ein Programm geschrieben, das mir erlaubt, Bildwelten zu kreieren, die dem Stück eine weitere

Dimension hinzufügen.

Hättest Du nicht Videoclips vorproduzieren können, die eingespielt werden?

Unser Thema heißt Wiederholung und Variation – mit Einspielern hast du keine Möglichkeit zur Variation. Wenn man als Künstler vor einer Vorstellung nicht weiß, was genau geschehen wird, erhöht das die Spannung und die Anzahl der Möglichkeiten. Man muss dann wirklich hart arbeiten, für das Publikum. Das Wagnis werden die Zuschauer honorieren.

Du nutzt also nur Bilder, die im Hier und Jetzt entstehen?

Genau. Ich konserviere Szenenausschnitte während der Vorstellung und so entsteht ein Archiv der jüngsten Vergangenheit. Dann spiele ich die Bilder wieder ab und kombiniere sie neu. Ich nutze Delays (Verzögerungen) und Loops (Zeitschleifen), ähnlich der musikalischen

Arbeit von Tommy. Mich interessieren z.B. Augenblicke, in denen Schauspieler Entscheidungen treffen. Diese Momente loope ich und schneide ein Bild aus der Gegenwart dazu: Zeit, Wiederholung und Variation werden erfahrbar. Die Wiederholung als Motor im Leben, aber auch als Bremse, denn sie ist weder einfach positiv noch einfach negativ, sondern immer sowohl als auch. Und das Bild geht unplanbare Wechselspiele mit den Figuren ein.

Verlierst Du so nicht die Kontrolle über die künstlerische Aussage?

Das strebe ich sogar an. Ich glaube, Das goldene Zeitalter ist ein Geschenk für die Zuschauer, ihre eigene Aussage zu finden. Wir bieten keine eindeutige Botschaft. Es geht eher um eine Explosion von Bedeutung. Wenn es gut läuft, agiere ich nur noch aus dem Bauch heraus, wie in Trance!

Daniel Hengst (*1981) ist Medienkünstler. Am Schauspiel Dortmund arbeitete er zuletzt als Kameramann und Cutter in „Einige Nachrichten an das All“ und realisierte in eigener Regie das Stück „Der Live-Code – Krieg und Frieden im globalen Dorf“.

Remix: Musiker und Komponist Tommy Finke

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Du bist derzeit als Singer/Songwriter sehr erfolgreich. Jetzt komponierst du zum ersten Mal Theatermusik. Wie läuft’s?

Ich habe vorher Warnungen bekommen: Wutanfälle von Regisseuren und lauter Schauspieler-Diven. Aber hier herrscht glücklicherweise Respekt vor der Arbeit des anderen. Und man kann viel mehr experimentieren als ich dachte.

Hast Du Deine Gitarre zuhause gelassen?

In diesem Fall ja. Mein wichtigstes Instrument ist sowieso mein Computer, auf dem ich Programme digital vernetzt habe: Max-MSP, Ableton Live und Logic Pro. Dazu kommen Synthesizer wie mein alter Yamaha DX7. Im Prinzip habe ich ein komplettes Tonstudio auf der Bühne. Ich lerne während Proben und Aufführungen, wie ich dieses komplexe Instrument optimal spiele.

Die Musik entsteht jeden Abend neu?

Ja und nein. Die Schauspieler tragen Mikroports, und ich nehme ihre Sprache live auf. Dann picke ich mir einen kräftigen Satz heraus, speichere und loope ihn: als Zuhörer erlebt man, wie die Musik Schicht für Schicht entsteht. Hinzu kommen aber von mir vorproduzierte, an Pop oder Elektro orientierte Tracks und klassische Musik, die ich beigebe: Wagner, Mozart, Haydn.

Ist das nicht purer Stress? Schließlich läuft jede Vorstellung anders ab.

Ich muss die Kontrolle über viele Tonspuren behalten und zugleich erahnen, was als nächstes kommt: Unterstreiche ich die Stimmung einer Szene? Setze ich einen Kontrapunkt? Wie schaffe ich unerwartete Beziehungen? Jeden Abend können neue Gefühle und Gedanken

entstehen. Das ist eine tolle Freiheit, gerade im Flow mit allen anderen, die auf, vor, hinter und über der Bühne mitmachen.

Wo verläuft im Remix eigentlich die Grenze zwischen Plagiat und Kunst?

Verschweige ich meine Quellen und versuche ich an der Arbeit anderer zu verdienen, ist es ein Plagiat. Lege ich die Bezüge aber offen und schaffe raffinierte neue Relationen, kann es eine hohe Kunst sein. Jeder Komponist bezieht sich ohnehin auf vorhandenes Material – man kann nicht aus dem Nichts schöpfen.

Tommy Finke, *1981, studierte an der Folkwang Universität der Künste in Essen Elektronische Komposition. Er arbeitet als Musiker, Sänger und Autor. Zuletzt erschien sein Album „Unkämmbar“.

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Martin Kaysh
10 Jahre zuvor

Wie könnt Ihr mich am Morgen so schockieren? „Wortarm im Bilderreich“ zitiert Ihr meine Besprechung der Inszenierung. Ich wollte schon Stefan Laurin anrufen, ihn fragen, ob es den Regeln entspreche, einen Beitrag im Nachhinein fundamental zu verändern. Wie konnte mir ein so nahes, billiges Wortspiel entgehen?

Nachgeguckt, aufgeatmet.
„Wortarm im Bildreich“, heißt es bei mir im Original. Jetzt könnt Ihr verbessern.

Ach, herzlich willkommen, Alex. ich will mehr!

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