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Euromayday Ruhr: Keine Beteiligung an einer Spardebatte

Es muss nicht immer das vermummte Schwarze sein. Betont bunt präsentierten sich die Teilnehmer des Euromayday Ruhr in den beiden vergangenen Jahren. Traditionelle Demo-Pflaster- wurden durch Schaumstoffsteine ersetzt, Dächer erklommen, „Lautis“ durch Soundsysteme ergänzt und per Malkreide für die größte kreative Eruption rund um das Dortmunder U seit dessen Eröffnung gesorgt.

Am 30. April zieht die Parade erstmals durch Bochum, um erneut u. a.  gegen die prekären Beschäftigungsverhältnisse in der Region und anderswo zu protestieren. Mitorganisator Jürgen Bearwald äußert sich im Interview vorab zu den Inhalten der Demonstration, des eigenes Aufrufs und wie es sich verhindern lässt, sich vor der NRW-Landtagswahl nicht parteienpolitisch vereinnahmen zu lassen.

 

Was erwartet Besucher an Programm?

Wir planen wieder den bewährten Mix aus Straßenrave und Interviews. Unsere Gesprächspartner aus verschiedenen Initiativen der Region werden u. a. über die Themen: Finanzkrise, Griechenland, Migration und Flüchtlingspolitik, Kulturpolitik und kulturelle Freiräume im Ruhrgebiet, sowie Antifaschismus sprechen. Das DJ-Programm bestreiten u.a. DJ Funkyflex und die Bassassassins.

Wir starten am Bochumer Hauptbahnhof, ziehen durch die Innenstadt, durchqueren das Bermudadreieck und enden auf dem Springerplatz.

Gibt es als Teilnehmer besondere Sicherheitsmaßnahmen zu beachten?

Nein, der Euromayday wird ein bunter Menschauflauf der durch die Straßen tanzt. In den letzten zwei Jahren waren auch Familien mit Kindern dabei, das war überhaupt kein Problem und das wird auch in diesem Jahr so sein.

Das Motto der Demo ist „Made in Commen“. Darunter fasst ihr u. a. das „Potential einer Gegenmacht und neue Form von Demokratie“. Wie hat diese „neue Form“ auszusehen und auf welchen Ebenen seht ihr die umsetzbare Möglichkeit einer gemeinsamen Gestaltung?

Wir sehen in den neuen Produktivkräften Wissen und Kommunikation, die eben nicht vom Kapital hervorgebracht und kontrolliert werden können, das Potenzial das kapitalistische Kommando welches unser Leben bestimmt abzuschütteln. Für die „Produktion des Gemeinsamen“ sind Hierarchien kontraproduktiv und Repräsentationsmodelle unbrauchbar. Die politischen Klassen dieser Welt sind unfähig und korrupt. Wir beziehen uns positiv auf die Bewegung der Platzbesetzungen in Südeuropa oder Israel und die internationale Occupy-Bewegung. Sie schufen Orte an denen mit neuen Formen horizontaler Demokratie experimentiert wurde und wird. Hier sehen wir Ansätze, hier werden die richtigen Fragen gestellt ohne die Antworten schon zu kennen.

Eine wichtige Forderung, die sozusagen auf ganz materieller Ebene Demokratisierung bedeutet, ist die nach dem Bedingungslosen Grundeinkommen. Die Forderung ist auch unter uns teilweise umstritten, aber ich halte sie für einen wichtigen Schritt in Richtung einer egalitären Gesellschaft die keine Ausschlüsse mehr produziert. Gesellschaftliche Gestaltung und die Partizipation aller Menschen benötigt eine materielle Absicherung und kein entmündigendes Hartz-IV-Regime.

Was sind aus eurer Sicht die derzeit sozialgesellschaftlich bedeutendsten Probleme der Region.

Das Ruhrgebiet als abgehängte altindustrielle Region, leidet unter hoher Arbeitslosigkeit und Armut, das ist weithin bekannt. Es ist nicht schwierig eine Wohnung zu finden aber der Wohnungsbestand ist im schlechten Zustand. Qualifizierte und gebildete Schichten verlassen das Ruhrgebiet. Die Städte schrumpfen und sind pleite.

Wie hoch ist der Anteil von prekarisierten Arbeitskräften im Ruhrgebiet im Vergleich zum Rest des Landes?

Jede Form von Beschäftigung ist heute tendenziell prekär geworden. Mal auf hohen und mal auf ganz niedrigem Niveau. Auch die lange Zeit als sicher geltenden Jobs z. B. bei Opel in Bochum sind kontinuierlich abgebaut oder durch Leiharbeiter ersetzt worden. Möglicherweise wird das Werk ganz geschlossen. Das ist ja das Besondere am Kapitalismus von heute, dass nicht nur die Verkäuferin bei Schlecker schlecht verdient und von Entlassung bedroht ist, sondern auch z. B. Versicherungsangestellte, die sich jahrelang wie Beamte gefühlt haben, verunsichert sind, wie z. B. bei der Allianz die hohe Gewinne generiert und gleichzeitig Personal abbaut.

Im Ruhrgebiet ist die Erwerbslosigkeit mit aktuell 11 % höher als im NRW-Landesdurchschnitt von 8,2 %. In einigen Ruhrgebietstätten ist sie besonders hoch: z. B. in Gelsenkirchen (14,6%), Duisburg (13,4%), Dortmund (13,3%) und Herne (13,1%).

In eurem Aufruf zum Euromayday Ruhr 2012 kritisiert ihr die „scheinbare Alternativlosigkeit von Sparmaßnahmen“ im Bochumer Haushaltsplan. Welche Alternativen habt ihr zu bieten?

Wir lehnen jegliche Beteiligung an einer Spardebatte ab. Aber natürlich ist die Unterfinanzierung der Gemeinden ein großes Problem. Die Stadt Bochum hätte z.B. schon vor vielen Jahren ihre RWE-Aktien verkaufen können. Warum muss sich eine Stadt an einem privaten Konzern beteiligen, der nur für die Dividendenerhöhung agiert, statt die Energiewende mit zu gestalten? Das ist keine kommunale Aufgabe. Jetzt sind die Aktien deutlich wertloser und mit der Krise des Konzerns sinken auch die Dividenden. Das ist ein riesiges Verlustgeschäft für die Stadt Bochum. Ein anderes Beispiel ist das geplante Musikzentrum, an dem trotz Haushaltskrise festgehalten werden soll. Das ist ein reines Prestigeprojekt von dem nur wenige partizipieren werden.

Ich persönlich bin der Meinung, die Stadt sollte dem Förderverein das Grundstück für einen Euro verkaufen und dann kann er ja mit seinen Millionenspenden das Konzerthaus bauen und betreiben. Aber bitte nicht mit öffentlichen Mitteln. Aber das ist nicht Konsens innerhalb des Vorbereitungskreises.

Im weiteren Verlauf schaut ihr „immer noch gespannt auf den Fortgang der Umbrüche in der arabischen Welt.“ Was hat das mit einer „Parade der Prekarisierten“ zu tun?

Das was uns an den Aufständen in Nordafrika begeistert hat, war, dass es dort keine Führung gab, sondern die Revolten wirklich von unten, und von ganz unterschiedlichen Akteuren getragen wurden. Das dort Prozesse von horizontaler Organisierung stattfanden, Stadtteilversammlungen und offene Diskussionsprozesse, die ein großes Bedürfnis nach tatsächlicher Demokratie ausgedrückt haben. Spannend bleiben diese Basisprozesse und neuen Möglichkeitsräume die sich dort geöffnet haben, die Ermutigung der Menschen, die ihnen nicht mehr zu nehmen ist. In diesem Wunsch nach Demokratie und in der Ermutigung sich etwas vormals Undenkbares zu trauen, sind die Menschen dort gemeinsam geworden. Das sind die Anknüpfungspunkte für den Euromayday. Was jetzt die Wahlerfolgen der Islamisten bedeuten und wie es weiter geht, bleibt abzuwarten.

Ihr befasst euch außerdem mit der „solidarischen Gemeinschaft innerhalb Europas“, reduziert diese im Aufruf allerdings auf Teil des Ganzen vs. ausgegrenzt sein. Könnt ihr die Thematik etwas inhaltsvoller erläutern.

Hier geht es um die Eurokrise. Das ist natürlich ein schwieriges Thema auf dem Glatteis der Realpolitik. Dazu gibt es ganz unterschiedlich Meinungen innerhalb der Vorbereitungsgruppe. Ich möchte hier nur wiederholen was wir auch schon im Aufruf geschrieben haben: In Deutschland würde niemand auf die Idee kommen, Mecklenburg-Vorpommern pleitegehen zu lassen und dort die DDR-Mark wieder einzuführen.

Lässt sich kurz vor den Landtagswahlen gewährleisten, dass Parteien den Euromayday nicht – wie im Vorjahr trotz Verbot die Piratenpartei – zu ihren Zwecken missbrauchen?

Ja, wir möchten nicht von Parteien missbraucht werden, die Parade ist eine Plattform für engagierte Menschen und soziale Bewegungen. Daher interviewen wir keine Parteivertreter und möchten keine Parteisymbole. Entsprechend werden wir auf etwaige Fahnenträger zugehen.

Fotos: Michael Blatt

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