TTIP: Chlorhuhn schlägt Schinken

20151004_175936Die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta werden nicht nur von Gewerkschaften, Umweltverbänden und im weitesten Sinne linken Organisationen und Parteien kritisiert. Auch von der Rechten hagelt es Kritik an den Abkommen. Die Spannbreite reicht von der »Alternative für Deutschland« (AfD) bis zu den Neonazis vom »Antikapitalistischen Kollektiv«. Eins haben die meisten TTIP- und Ceta-Kritiker jedoch gemein: die Sorge um die nationale Souveränität.
Als die AfD Ende April zu ihrem Parteitag in Stuttgart zusammenkam, ging es nicht nur um Kopftücher, den Islam und Flüchtlinge. Bei der Programmdebatte wurde auch über die transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP und CETA gesprochen. Die Diskussionen waren längst nicht so erhitzt wie die Auseinandersetzungen über Flucht und Terror, aber auch hier prallten Welten aufeinander. Marktradikale, die kein Wort gegen Freihandel im Programm lesen wollten, Ökonationalisten, die über TTIP den Einzug von Genmais und Fracking in der deutschen Heide befürchteten, Russland-Freunde, die im Abkommen einen Affront gegen die Partner im Osten sahen, und natürlich der nationalistische AfD-Mainstream, der für den Fall des Abschlusses eines Abkommens zwischen der Europäischen Union und den USA den Untergang Deutschlands prophezeite. Herausgekommen ist ein Kompromiss: Die AfD bejaht den Freihandel, das TTIP-Abkommen lehnt sie allerdings ab. Die Verhandlungen hinter »verschlossenen Türen« werden kritisiert, da man die »Verwässerung« des Verbraucher- und Umweltschutzes sowie die Herabsetzung von Sozialstandards befürchtet. Außerdem spricht die AfD der EU ab, über das Abkommen überhaupt entscheiden zu können. Es sei nötig, dass die Mitgliedstaaten, und dort Unternehmer- und Verbraucherverbände, mit am Verhandlungstisch säßen. Dass die französische Regierung die TTIP-Verhandlungen abbrechen will und auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sie für »de facto gescheitert« erklärt, deutet AfD-Vorstandsmitglied Georg Pazderski als Zeichen dafür, dass die rechtspopulistische Partei »wirkt«. Die AfD habe »von Anfang an die intransparenten Verhandlungen über die Köpfe der Bürger hinweg scharf kritisiert«. Wenn die SPD nun TTIP kritisiere, springe sie auf den fahrenden Zug auf, aber die Wähler ließen sich nicht »für dumm verkaufen«.
Auch die NPD ist gegen TTIP, denn wie es so schön in ihrem Werbeslogan heißt: »Sozial geht nur national«. Schwerpunkt der nationaldemokratischen Anti-TTIP-Agitation ist die »deutsche Souveränität«. Es gehe nicht nur um »ekelerregende Chlorhühner und gesundheitlich bedenkliche Masthormone«, sondern darum, dass den europäischen Staaten durch das Freihandelsabkommen jegliche Handlungsfähigkeit geraubt werde. Die NPD sorgt sich um die Zukunft »deutscher Bauern«, die von »US-Aggrarkonzernen überrollt« zu werden drohen. In einer Erklärung, die der Parteivorstand der Nationaldemokraten im Mai abgab, wird das TTIP-Abkommen als »Wirtschafts-Nato« bezeichnet. Und ähnlich wie bei der echten Nato seien nicht die »europäischen Völker« Nutznießer des Freihandelsabkommens, sondern ausschließlich die USA. Die deutsche Regierung mache sich, wenn das Abkommen zustande käme, einmal mehr zum »Erfüllungsgehilfen international operierender Konzerne«.
Die rechtsextreme Kleinstpartei »Der dritte Weg« bezieht ebenfalls Stellung gegen TTIP. Debatten um »Chlorhühnchen« oder »Schwarzwälder Schinken« hält die Partei aber für unzureichend. Wenn diese Beispiele von »etablierten Politikern« angeführt würden, gehe es nur um zwei Dinge. Einmal solle die Position der Europäischen Union durch öffentlich geäußerten Widerwillen gegenüber den USA gestärkt werden. So seien »die Herrschenden« hier in der Lage, bessere Ergebnisse zu erzielen. Außerdem seien die Politiker so in der Position, sich als »Schutzmacht« der deutschen Wähler zu inszenieren, indem sie unbedeutende Siege, etwa im Falle des »Ami-Chlorhuhns«, einfahren könnten, ohne an dem Abkommen an und für sich etwas zu verändern. Die Neonazis vom »Dritten Weg« befürchten, dass durch TTIP »jahrhundertelang organisch gewachsene, regionale Wirtschaftskreisläufe« zerstört würden. Der gute deutsche Familienbetrieb stünde damit vor dem Aus. Auch drohten riesige landwirtschaftliche Monokulturen, da nur so Profite zu machen seien. Der »Dritte Weg« sorgt sich, ähnlich wie die NPD, um den deutschen Bauern. Aber im Gegensatz zu NPD und AfD hat die Truppe vom »Dritten Weg« eine Idee, wie man sich praktisch gegen TTIP wehren kann. Bewusster Konsum ist die Lösung. Man solle die »heimische Wirtschaft« stärken, um dafür zu sorgen, dass die »völkische Substanz auch unter den Bedingungen der Globalisierung für uns, unsere Kinder und Enkel erhalten bleibt«.
Von der »Identitären Bewegung« und dem neonazistischen »Antikapitalistischen Kollektiv« gibt es zu TTIP und CETA nicht viel zu lesen, was nicht in ähnlicher Form schon bei AfD, NPD oder dem »Dritten Weg« steht. Aber beide Gruppierungen versuchen, praktisch an der Anti-TTIP-Bewegung teilzunehmen. »Identitäre« versuchten, bei der großen Demonstration gegen das Freihandelsabkommen im Oktober 2015 mitzumarschieren. Dies gelang nicht, da Teilnehmer und Polizei keine Lust auf eine öffentlichkeitswirksame rechte Beteiligung hatten. Für ein paar Bilder auf der »identitären« Facebook-Seite und einen Propagandaerfolg reichte es dennoch. Das »Antikapitalistische Kollektiv«, ein Zusammenschluss vorrangig von Neonazis aus dem Südwesten, ruft nun abermals zur Teilnahme an den Anti-TTIP-Demonstrationen am 17. September auf. Bereits bei »Blockupy« 2015 in Frankfurt hatten sich einzelne Nazis aus diesem Umfeld unentdeckt unter die Demonstranten gemischt. Am 17. September will man die Rechten jedenfalls nicht auf den Demos haben, man werde sie »nachdrücklich auffordern« zu gehen, heißt es auf der Mobilisierungsseite des Demobündnisses.
Linke TTIP-Kritiker sollten sich dennoch die Frage stellen, warum ihre Kritik der von AfD, NPD und Co. so sehr ähnelt. Denn auch in linken Kreisen kursieren Verschwörungstheorien über die mangelnde Souveränität der europäischen Staaten, und die Angst vor »nordamerikanischem Kapital« ist weitverbreitet.

Der Artikel erschien erstmals am 8. September in der Wochenzeitung „Jungle World“.

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Arnold Voss
Arnold Voss
7 Jahre zuvor

Dass Konzerne im Einzelfall stärker und mächtiger als Nationalstaaten sind, bzw. diese gegeneinander ausspielen können, ist weder eine wirklich neue Erkenntnis, noch hat sie irgendwas mit links oder rechts zu tun. Dass die bei TTIP von nationalen Gesetzen unabhängigen Schiedsgerichte dafür ein Einfallstor par excellence bieten, hat ebenfalls nichts mit links und rechts zu tun, sondern ist schlicht Fakt.Ein Freihandel der Regeln beinhaltet, die auf einen Freibrief zur einseitigen Durchsetzung globaler Konzerninteressen hinauslaufen, ist keiner. So einfach ist das!

Norbert Krambrich
Norbert Krambrich
7 Jahre zuvor

Und gleichzeitig geht EPA fasst geräuschloss über Bühne und dass, obwohl Expertenmeinungen zufolge gerade EPA eine ungeheure Katalysatorwirkung für das Entstehen von Fluchtursachen in Afrika haben wird

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
7 Jahre zuvor

Welche Erkenntnis: Populistische Parteien reden populären Strömungen nach dem Mund!

So wie die TTIP-Kiste bisher läuft, kann man mit einem Minimum an historischer Kenntnis zur Wirtschafts-, Rechts und Demokratiegeschichte als Liberaler nicht für TTIP sein.
Das ewige Chlorhuhn und auch das hier präsentierte dünne Argument für TTIP zeigen, den Befürwortern fehlen die Argumente. Außer ihrem "Credo" TTIP=freier Handel haben die Befürworter nichts zu bieten. Statt auf die konkrete Kritik einzugehen (vgl. A. Voss) wird beständig versucht die Kritiker zu diffamieren. In andern Kontexten heißt solches Verhalten sektiererisch. Sekteirerisch ist aber auch nur ein Spezialfall von inkompetent in eigener Sache.

Helmut Junge
Helmut Junge
7 Jahre zuvor

Bei TTIP ist nicht nur das "Kleingedruckte" unbekannt, sondern sogar das Großgedruckte!
Aber das, was trotzdem durchgesickert ist, hat mehr mit Handel auf juristischer Winkelzugebene, als mit Freihandel zu tun.
Unter "Freihandel" stelle ich mir nun mal kein Klagerecht auf einen zu vergebenden Auftrag vor.
Wie also kommt der Name "Freihandel" im Zusammenhang mit TTIP zustande?
Nicht nur die Abneigung gegen das Chlorhuhn ist der Witz, sondern der Name "Freihandelsabkommen".

Gerd
Gerd
7 Jahre zuvor

Antiamerikanismus, Bewunderung für autoritäre Regime und eine Vorliebe für umfassende staatliche Regulierung sind in Deutschland über Parteigrenzen weit verbreitet.

TTIP ist Ausdruck dessen. Die EU hat in der Vergangenheit Freihandelsabkommen abgeschlossen, Deutschland noch viel, viel mehr und immer mit den verteufelten‚ privaten Schiedsgerichten’ und es hat niemand interessiert. Bis zu dem Augenblick, wo so ein Abkommen mit den USA verhandelt wurde.

Der perfekte Vorwand um aus den o.g. Stimmungen politisches Kapital zu schlagen. Politik halt!

thomasweigle
thomasweigle
7 Jahre zuvor

Die USA liefern Hühnchen nach Europa, die EU liefert solche nach Afrika und die afrikanischen Hühnerzüchter sind die Dummen, weil sie preislich nicht mithalten können. So ist`s recht. Es lebe der Freihandel!!

Arnold Voss
Arnold Voss
7 Jahre zuvor

@ # 5
Gerd, wenn, aus welchem Grund auch immer, Fehler (noch) nicht bemerkt werden, ändert das nichts daran, dass es Fehler sind. Und was meinen Antiamerikanismus betrifft: Da bist du der erste seit Jahrzehnten, der mir nicht das Gegenteil vorwirft. Mit einem Satz: Du machst es dir zu einfach. 🙂

Ach ja, noch was zu meiner Vorliebe für umfassende staatliche Regulierung:
https://www.ruhrbarone.de/eh-du-marxist-wirst-werde-erst-mal-ein-mensch-ein-plaedoyer-fuer-den-individualismus/104049

Walter Stach
Walter Stach
7 Jahre zuvor

In der Düsternis vorgeblich demokratischer Gemeinwesen und in der Finsternis der innerparteilichen Demokratie "meiner SPD" leuchtet das Votum der SPÖ gegen CETA umso heller .

Wie es die Demokratien und die Demokraten in den EU-Staaten , in den USA, in Kanda hinbekommen, das bisherige Prozedere zu CETA und TTIP für kompatibel zu halten mit Grundregeln demokratischer Willensbildungsprozesse in freiheitlichen Gemeinwesen ist mir nicht nur unbegreiflich, die hier geübte Praxis halte ich für skandalös.
Und vermutlich wird sich wieder einmal das Bundesverfassungsgericht dieser Problematik annehmen müssen, weil die Mehrheit im Bundestag nicht willens -oder nicht fähig?- ist, sich ihrer anzunehmen. Das ist die selbe Mehrheit, die u.a. mit Blick auf die AFD meint, medial immer wieder die Achtung demokratischer Werte, demokratischer Grundregeln " anmahnen zu müssen".
Ob den Parteien und ob der Parlamentsmehrheit hinreichend bewußt ist, daß man in Zukunft über sie lachen (oder weinen?) wird, wenn sie die Fahne " Transparenz in allen demokratischen Willensbildungsprozessen" schwingen werden? Ich würde mich -spätestens dann- "vera…." fühlen.

PS
Ich habe mich bisher definitiv nicht für oder gegen die Inhalte von CETA/TTIP positioniert, weil das die vom "ersten Tage an" seitens der Initiatoren und seitens der ihnen zur Seite stehenden Befürworter beide Abkommen praktizierte Intransparenz das nicht zuläßt.

Das wenige und das durchweg vage, was ich über den Inhalt/die Inhalte beider Abkommen zu wissen meine, rechtfertigen es lediglich meinerseits, von einer "ehe ablehnenden Neigung "zu sprechen.
Das Wissen um die eklatanten Verfahrensmängel bezügilcih demokratischer Grundregeln und meine Wahrnehmung mich erschreckender Defizite bezüglich der Intransparenz lassen mir allerdings keine andere Möglichkeit als die eines klaren NEIN zu beiden Abkommen.

Grundregeln

W

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
7 Jahre zuvor

#5 Gerd
Tja, aber in diesem Fall wird der Vertrag nicht zwischen einem Rechtsstaat und einem Unrechtsstaat oder einer Bananenrepublik geschlossen, sondern zwischen einem Rechtsstaat und einer rechtsstaatlichen Vereinigung. Da braucht man als belastbare Instanz keine privaten Geheimverhandlungen. Im Strafrecht heißen solche privaten Geheimverhandlungen in Deutschland übrigens bisher Femegerichte (https://de.wikipedia.org/wiki/Feme#20._Jahrhundert_und_Gegenwart).

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