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Wenn Journalistinnen nicht zuhören (wollen)

Nur durch Zufall bin ich in diesen Artikel der NRZ geraten. Für das Foto wurde noch ein weiterer Bewohner des Mehrgenerationenhauses, in dem ich lebe, gesucht, der den Generationenmix repräsentiert. Und weil der Concierge mich kennt und wusste, dass ich überwiegend zuhause arbeite, sprach er mich kurzfristig an. Weil ich gerne in diesem Haus lebe, sah ich darüber hinweg, dass ich mich angesichts ausgiebiger Putzarbeiten und völliger Ungeduschtheit gerade wenig fotogen fand. Immerhin erhielt ich so einen Einblick, wie Kolleginnen gelegentlich arbeiten. Von Honke Rambow

Am 8.6. erschien dann in der NRZ unter dem Titel „Wohnen mit Mehrwert?“ der Artikel von  Julia Rathcke. Und sie steigt saftig ein:

„Nirgendwo sind Halterungen im Flur, ohne Rollator ist man da aufgeschmissen“, „der Concierge sollte auch am Wochenende da sein“ und überhaupt, „die jungen Leute machen meistens nur Krach“ – als Christel Paulikat (80) mit zwei anderen Hausbewohnerinnen (72 und 91) beim wöchentlichen Mittagstisch unten im kleinen Gemeinschaftsraum sitzt, kommt so einiges zur Sprache, was den drei Damen an der Hölderlinstraße 2 so gar nicht passt.

Das sitzt. Das Leben in der Hölderlinstraße 2 in Essen ist also echt scheiße. Könnte man zumindest meinen, hätten die Damen nicht auch ausgiebig von dem Mittagstischangebot geschwärmt, hätten sie nicht gesagt, dass der Concierge eine tolle Einrichtung ist und es eben deshalb auch wünschenswert wäre, dass er am Wochenende auch da ist. Dass man dafür sogar bereit wäre, etwas mehr zu zahlen. Dass die laut der Autorin „leicht zerknirschten“ Damen sich dann noch über ihre barrierefrei renovierten Bäder freuten, über die neuen Bänke vor dem Haus und darüber, dass das Haus einem jede Möglichkeit gibt, genau so viel Kontakt zu den Nachbarn zu haben, wie man möchte, wird geflissentlich unterschlagen. Zugegeben: Mit dem Einwand, dass der Eingangsbereich seit dem Umbau vor vier Jahren etwas nach Altenheim aussieht, hat die Autorin recht. Was sie nicht erwähnt, ist dass seit diesem Umbau die Mieterfluktuation in dem 180-Parteien-Haus rapide abgenommen hat. Bestimmt nicht, weil das Wohnen hier so unerträglich ist. Immerhin bringt Rathcke dann noch ein positives Zitat von mir, das allerdings ziemlich in der Luft hängt:

 Honke Rambow, Jahrgang 1968, der kurzerhand in die Seniorenrunde dazu gestoßen ist, schätzt dagegen die vielfältige Atmosphäre des Hauses: „Das ist hier keine anonyme Wohnmaschine.“ Man habe hier Kontakt- und Rückzugsmöglichkeiten gleichermaßen. Es sei aber auch eine Frage des Wollens.

Direkt im Anschluss wird klar, warum die Autorin offensichtlich nur die Hälfte des Gespräches mitbekommen hat. Der Besuch im Projekt der Allbau AG an der Hölderlinstraße diente ihr nur dazu, um ex negativo zu zeigen, wie großartig das „Generationen-Kulthaus“ in der Innenstadt ist. Das findet Rathcke offensichtlich richtig geil.  Da gibt es nämlich den ganzen heißen Scheiß wie beheizte Klobrillen, Rutschen und natürlich eine Co-Working-Etage.

 eine Mischung aus Riesen-WG, Erlebnis-Büro und Spielplatz für Alt wie Jung

Der Haken: Die beiden Projekte sind nicht miteinander vergleichbar. Niemand, der da in der Hölderlinstraße am Kaffeetisch saß, würde in die Viehofer Straße ziehen wollen. Nicht einmal ich. Ich schreibe meine Texte lieber im Bett als in einem Co-Working-Space, in dem ich vermutlich nicht mal rauchen kann. Ich habe auch überhaupt keine Lust für 21 Quadratmeter 410 Euro Miete zu zahlen. Und die Damen, die mit mir da am Tisch saßen, brauchen vermutlich auch weder Sauna, noch Fitnessraum, noch Rutschen in einer Riesen-WG. Sie bleiben wohl lieber bei ihren 45 privaten Quadratmetern für 350 Euro mit Concierge, Mittags- und Kaffeetafel und Minipark vor der Tür.

Es ist völlig ok, wenn Julia Rathcke das GeKu-Haus voll cool findet. Wenn sie eine Journalistin sein will, sollte sie aber ihre eigenen Interessen zurückstellen und versuchen, den Menschen, die sie interviewt, richtig zuzuhören. Ihr Text legt nahe, dass sie schon vorher wusste, wie ihr Urteil ausfallen würde. Dass sie aus irgendwelchen Gründen noch ein Hühnchen mit der Allbau AG zu rupfen hatte, oder sie ein über das journalistische hinausgehendes Interesse an der schamlosen Werbung für das GeKu-Haus hatte, will ich gar nicht unterstellen.

 

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