Frankreichs 9/11 und die „Je suis Charlie“-Heuchler

ch_stift

In Verneigung vor Stéphane Charbonnier (Charb), Chefredakteur von Charlie Hebdo, der 2012 sagte: »Ich habe keine Angst. Ich habe keine Kinder, keine Frau, kein Auto, keinen Kredit. Es klingt aufgeblasen, aber ich will lieber aufrecht sterben, als auf Knien leben.«

Das jihadistische Massaker an der Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo am 7. Januar 2015 mit 12 Toten, darunter zwei Polizisten, der Mord an einer weiteren Polizistin einen Tag später und die antisemitisch motivierte Geiselnahme und Ermordung von vier Juden in einem jüdischen Supermarkt am 9. Januar, die mit der Aktion vom 7. Januar in Verbindung steht, schreien nach weitreichenden politischen Konsequenzen und einer Analyse der politischen Kultur. Plötzlich sind viele betroffen, nicht nur in Frankreich. Dabei zielt der Jihadismus und Islamismus auf westliche Werte, Religionsfreiheit, Freiheit von Religion, Religionskritik, Meinungsfreiheit, Demokratie, Pluralismus und Heterogenität, Satiriker wie Charlie Hebdo, wie auf Juden und den jüdischen Staat Israel. Doch allzu viele ignorieren die antisemitische Dimension, weil das den allseits beliebten antizionistischen Antisemitismus beinhaltet, den viele partout nicht aufgeben wollen. Auch die Verharmloser des Islamismus melden sich sofort und rabiat zu Wort. Schließlich: wer hatte denn schon Mut die letzten Jahre? Wir haben Angst, sind mutlos und vorsichtig, auch der Autor dieses Textes.  Von unserem Gastautor Clemens Heni.

Continue Reading

ZAPP reagiert auf Kritik an Aluhut-Sendung

zapp2
Ende Dezember kritisierte der Journalist Ralf Fischer in einem Gastbeitrag auf den Ruhrbaronen  einen Bericht des NDR-Medienmagazins Zapp über das gesunkene Vertrauen in die Berichterstattung der Medien. Nun hat ihm die Redaktion geantwortet:

Sehr geehrter Herr Fischer,
Sie haben einen Offenen Brief an die ZAPP-Redaktion verfasst, auf den ich gern im Namen der Redaktion antworte.

In Ihrem ersten Satz beziehen Sie sich auf den ZAPP Beitrag vom 17.12. und schreiben: „In Ihrer letzten Sendung strahlten Sie einen Beitrag aus, der sich mit der einseitigen Berichterstattung der bundesdeutschen Medien im Ukraine-Konflikt beschäftigt.“

Continue Reading

Dortmund: Wichtiges Zeichen kommt viel zu spät

Polizeieinsatzkräfte und Rettungsdienst
Polizeieinsatzkräfte und Rettungsdienst

Letzte Woche die Nachricht: Wieder gibt es eine neue Unterkunft für geflüchtete Menschen in Dortmund. Wieder wollte die Stadt in einer Informationsveranstaltung die Bürger informieren. Wieder hatten Rassisten – organisiert in der Partei Die Rechte – dazu aufgerufen, dort gegen Geflüchtete zu hetzen. Wieder hatte die Stadt vorher bescheid gewusst. Und wieder tat sie – nichts. Dass Nazis in Dortmund wieder den Mund aufreißen, gegen diejenigen hetzen, die sich nicht wehren können, und mit dieser Hetze mehr und mehr Raum greifen, ist in großen Teilen ein Versagen der Stadt. Von unserer Gastautorin Helene Jansen.

Dass Die Rechte aufgefordert hatte, die Veranstaltung am Mittwoch zu besuchen, um „Meinungsfreiheit“ durchzusetzen, war bekannt – sie ist auf mehreren dieser Veranstaltungen aufgetaucht und hat gegen „kriminelle Asylanten“ gewettert. Die Stadt, die zu der Veranstaltung eingeladen hatte, wusste also, worauf sie sich einließ. Dass plötzlich nicht die üblichen fünf, sondern gleich mehr als 30 auftauchten, war überraschend und beängstigend. Und das ist genau ihr Ziel: Angst machen. Indem sie einfach da sind, sich alle Anwesenden genau anschauen und – ein Novum seit diesem Mittwoch – Redebeiträge filmen.

Auch das gehört zu ihrer Einschüchterungstaktik: Gegnern zu zeigen: Wir beobachten dich. Wir merken uns dein Gesicht. Und wir erinnern uns an dich. Der Flaschenwurf eines Nazis auf einen Polizisten vor dem Gemeindesaal ruft uns – nach dem Angriff auf das Rathaus im Mai – in Erinnerung: Uns kann tatsächlich etwas passieren. Was sie von Migranten, Gegnern und der Geschichte halten, war schon bei den Demonstrationen im Dezember zu hören: Anne Frank, das NSU-Opfer Mehmet Kubaşik oder der von einem Nazi erstochene Thomas Schulz – alle bekamen eine Beleidigung ab. Die Bedrohung ist da. So hämmert sich das Bewusstsein in den eigenen Kopf, dass die Solidarität mit Geflüchteten in Dortmund mit einem persönlichen Risiko verbunden ist. So hämmert sich in den Kopf: Wenn ich helfen, etwas beitragen, Menschen willkommen heißen will, muss ich mit Angriffen rechnen.

Continue Reading
Werbung
Werbung


#GamerGate – Kritische Spielereien

Christian Szymanek (30) weiß mittlerweile den Kapitalismus zu schätzen. In seinem Beitrag erfahrt ihr, wieso. (Foto: privat)
Christian Szymanek (30) weiß mittlerweile den Kapitalismus zu schätzen. In seinem Beitrag erfahrt ihr, wieso. (Foto: privat)

Fette männliche Jungfrauen. Adorno. Kapitalismus. Videospiele. Sexismus. Radikalisiertes Halbwissen.

Die Zutaten für #Gamergate.

Zumindest für unseren Gastautor Christian Szymanek (30), der als Webentwickler in einer Werbeagentur arbeitet.

2013 war er Gegenkandidat von Ursula von der Leyen als Direktkandidat der Piratenpartei (eine ehemals recht präsente Kleinpartei) für den Wahlkreis 42 – Stadt Hannover II.

Continue Reading

Offener Brief an Medienmagazin ZAPP: „Die allgemeine Stimmung gegenüber der „Lügenpresse“ ist ein antidemokratischer Reflex“

Zapp_Wahnwichtel

Das NDR-Medienmagazin ZAPP berichtete Mitte Dezember über das gesunkene Vertrauen in die Berichterstattung der Medien. Als Zeugen dienten Verschwörungstheoretiker und US-Hasser. Der Journalist Ralf Fischer, der unter anderem für Konkret und die Jungle World schreibt, hat sich nun mit einem offenen Brief an die Redaktion gewandt: 

Sehr geehrte Damen und Herren,

in Ihrer letzten Sendung strahlten Sie einen Beitrag aus, der sich mit der einseitigen Berichterstattung der bundesdeutschen Medien im Ukraine-Konflikt beschäftigt. Leider ging dieser Beitrag nicht nur weit am Thema vorbei, sondern er bot darüber hinaus eine Bühne für bundesweit bekannte Anhänger von Verschwörungstheorien und Antiamerikaner.

Gleich in der ersten Minute darf sich Marcel Wojnarowicz aka Wojna über die „Systemmedien“ echauffieren. Wojnarowicz tourt mit seinem Partner seit Monaten von einer Montagsdemonstration zur anderen. Jürgen Elsässer bezeichnet beide als „die erfolgreichste Band der ‚Wahrheitsbewegung‘“. (1)

Continue Reading

„Da ist die Ohnmacht wieder“

IMG_6476
Unser Gastkommentator Thomas Terhorst war am vergangenen Sonntag bei der Nazi-Demonstration in Dortmund dabei.

Wut, richtige Wut habe ich im Bauch. Gemischt mit einem Ohnmachtsgefühl, sich nicht wehren zu können, gegen das, was gerade in Deutschland abläuft. Ich bekomme Angst, wenn ich die wöchentlichen Pegida-Bilder aus Dresden im Netz oder im Fernsehen verfolge. Haben wir unsere Vergangenheit so schnell vergessen?

Continue Reading

PEGIDA zeigt den Extremismus der deutschen Mitte

Clemens Heni Foto: Privat
Clemens Heni Foto: Privat


Während der Zentralrat der Juden in Deutschland große Sorge ob der anti-muslimischen Demonstrationen von PEGIDA hat, zeigt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) Verständnis für PEGIDA und meint, dort würden „Sorgen vor den Herausforderungen der heutigen Zeit“ artikuliert. PEGIDA steht jedoch für den Rassismus der deutschen Mitte. Deutschland war zudem nie Teil des „Abendlandes“, die Deutschen haben seit der Varusschlacht im Jahr 9 CE die Römer (=den Westen) bekämpft und einen anderen Weg als die westliche Zivilisation beschritten. Von unserem Gastautor Clemens Heni.

1) Wie Christian Geyer im Feuilleton der FAZ schreibt, erleben wir derzeit den „Triumph des Ressentiments“. Im Anschluss an Geyer geht es um die „pauschale Zurückweisung des

Continue Reading
Werbung
Werbung


Die Macht der Provokation – eine andere Perspektive auf den Salafismus

aladin_koelnSalafismus. Das ist Wahnsinn. Das ist das Böse unserer Zeit. Das ist der Untergang des Abendlandes. Diese erste, intuitive Regung ist nachvollziehbar: In einem zweiten Schritt sollte man versuchen zu verstehen und sich selbstkritisch fragen: Wie kann es sein, dass eine Ideologie, die es seit Ewigkeiten gibt, gerade heute bei den Jugendlichen Westeuropas einen Aufschwung erlebt? Warum sehnen junge Männer und Frauen mit und ohne „Migrationshintergrund“ das Frühe Mittelalter herbei und bilden damit eine der dynamischsten gegenwärtigen Jugendbewegungen? Diesen Fragen kommt man näher, ohne theologische Diskurse zu führen. Man muss das Ganze vielmehr mit den Augen der Jugendlichen sehen. Unser Gastautor Aladin El-Mafaalani ist Professor für  Politikwissenschaft, Politische Soziologie, und Sozialpolitik an der FH Münster.

Jugendliche neigen dazu, sich von Vorgängergenerationen abzugrenzen. Dabei können extreme Gegenpositionen zutage kommen. Ein veränderter Lebensstil ist hierfür typisch. Kleidung, Frisuren, Drogen und Musik waren häufig sinnlich wahrnehmbarer Ausdruck von Abgrenzung und Provokation. So war es bei Studentenbewegungen, den Punks, der Hip Hop Kultur. Und

Continue Reading

Das Leben eines Davongekommenen

Ralph Giordano FotO Bundesarchiv Lizenz: CC-BY-SA-3.0-de
Ralph Giordano FotO Bundesarchiv Lizenz: CC-BY-SA-3.0-de

Ralph Giordano überlebte die Schoa und blieb bewusst in Deutschland. Sein Motto hieß: »Dennoch« Von unserem Gastautor Roland Kaufhold.

Es dauerte geraume Zeit, bis Roman Bertini das Loch in der Mauer passiert hatte. Er entzündete eine Kerze und stellte sie an das obere Ende seines Lagers. Dann nahm er die Waffe aus der rechten Hosentasche, legte die Pistole neben die Menora, rückte das Buch Schau heimwärts, Engel von den Manuskripten, holte unter dem Umschlagdeckel sein silbergraues Notizbuch mit dem Goldschnitt hervor und schrieb da hinein: ›Wir sind befreit.‹«

Ralph Giordano war 22 Jahre alt, als er am 4. Mai 1945, dem Tode näher als dem Leben, nach mehrjährigem Überlebenskampf aus seinem Versteck, einem dunklen Loch einer Ruine in Hamburg, kroch. Dass er noch lebte, gemeinsam mit seiner Mutter Lea, vermochte er selbst kaum zu glauben. 40 Jahre später, 1985, beim Erscheinen seines Bestsellerromans Die Bertinis, war dieser am 20. März 1923 in Hamburg geborene jüdische Publizist und Filmemacher eine öffentliche Person.

Er symbolisierte mit seiner Vita als einer der wenigen jüdischen Publizisten, die »dennoch« in Deutschland geblieben waren, die existenzielle Notwendigkeit des Erinnerns. Die Bertinis wird Giordanos bedeutsamstes Werk bleiben. Heinrich Böll bezeichnete es als »ein Buch der

Continue Reading