3 für 7 – Theater Spezial: Eine Woche in Bochum und Essen

 

"Wer den Woyzeck noch sehen will, der bekommt ihn auch", dachte der Autor dieser Zeilen nach einem Spontanbesuch im Grillo am Sonntag, den Duft vom Bodennebel des Stückes noch in der Nase. Und bald: "Was macht eigentlich Bochum?" Und: "Dieser Intendantenwechsel von Anselm Weber von Essen nach Bochum ist tatsächlich ein schöner Ruhr interner Hype, der nach außen strahlen soll. Bestimmt ist das so. Und wenn nicht, dann mach ich es so." Also diesmal eine Woche Schauspielhaus Bochum versus eine Woche Schauspiel Essen.

Am Dienstag (3. Februar) zwei kleinere Aufführungen in Bochum und die "Bochumer Geschichten" von Wolfgang Welt und Rainer Küster im Theater unter Tage. "Lesart Spezial: Wegbereiter der Wende" mit Wolgang Herles (Aspekte, ZDF) und den Veranstaltern KWI, Deutschlandradio und der hausinternen Proust-Buchhandlung in Essen (Café Central). Eine dieser kleinen, wertvollen Reihen mit Inhalt und viel Strahlkraft in Essen. BO – E 0:1

Am Mittwoch die öffentliche Probe von "Krankheit der Jugend" von Nuran David Calis (Foto) im Grillo und direkt danach ein Konzert von Tangoelectrón in der Heldenbar. Die Wiederaufnahme von "Emilia Galotti" im Schauspielhaus, "Komödie der Irrungen" in den Kammerspielen, zweimal Junges Schauspielhaus im T.u.T und im Melanchthonsaal. Bochum also zwar ein wenig vorhersehbar, aber stark in der Wochenmitte. BO – E 1:1

Die American Drama Group gastiert am Donnerstag (und Freitag) mit "Romeo and Juliet" im Schauspielhaus, "Forelle Stanley" von Claudia Dey hat Deutsche Erstaufführung im Theater unter Tage. Poetry Slam in der Heldenbar, Broadway-Klassiker mit Nadja Karasjew und Mark Weigel (Comedian Harmonists) im Café Central. Das ist ein wenig rustikal da in Essen. BO – E 2:1

Freitag: "Dream Team" (oh, Thema iPhones!) in der Casa, das Spardosen-Terzett plus Weber-Beckmann im Grillo selbst und auch noch parallel (Olaf) "Kröcks kapitale Kritik – Das Kochstudio zur Weltverbesserung" in der Heldenbar. Im Schauspielhaus? Nach der American Drama Group auch noch "Macbeth" (Regie: Lisa Nielebock). In den Kammerspielen premieren Torsten Kindermann, Karsten Riedel und Band mit "A Tribute to Quentin Tarantino", im Melanchthonsaal ist Uraufführung von Michael Lippolds "Zwischen" aus der Regiewerkstatt. Das geht trotz Shakespeare-Overkill an Bochum, ist aber beides natürlich je nach Möglichkeiten und auf seine Art gut. BO – E 3:1

Der Samstag hat im Schauspielhaus "Wie es euch gefällt" zum letzten und im T.u.T. "Connecting People" rund um Nokia-Betroffene zum ersten Mal. Im Melanchthonsaal noch einmal "Zwischen", in den Kammerspielen "Endstation Sehnsucht". Die Uraufführung von "Krankheit der Jugend" im Grillo plus anschließende Premierenfeier im Central, Wiederaufnahme von "Paradies" (alle Plätze 8 Euro!!) in der Box, "Heldenhouse"-Party mit Geier und Yoshino in der Heldenbar. Die Kombination aus Glam-Faktor und Niedrigschwelligkeit bringt es deutlich: BO – E 3:2

Am Sonntag im Grillo diesmal alle Plätze 8 Euro bei Aischylos‘ "Die Orestie" von Roger Vontobel, Katja Lillih Leinenwebers Kinder- und Jugendstück "An der Arche um Acht" des nachmittags in der Casa. Deutsche Erstaufführung von Yasmina Rezas "Der Gott des Gemetzels" im Schauspielhaus, "I Hired a Contract Killer" nach Karusmäki in den Kammerspielen, Uraufführung von Martina van Boxens "Troi" (Musiktheater für Kinder) im Melanchthonsaal und auch noch "Der kleine Prinz" im Planetarium. Ein rundum toller Sonntag für Bochum! BO – E 4:2

Tarantino, Macbeth, "Der Kleine Prinz" am Montag (9. Februar) in Bochum, ebenso wie "Das Tagebuch der Anne Frank" mit Johanna Sembritzki in der Titelrolle. In der Essener Casa wieder "An der Arche um Acht". Man kann auch Äpfel und Birnen vergleichen. BO – E 5:2

Conclusio: Essen ist gemütlicher, braucht mehr Theaterfreunde. Bochum hat diese anscheinend zu Genüge und könnte hier und da etwas konzeptionelle Improvisationsfreude "nach unten" gebrauchen. Aber das war ja vorher schon klar. Alles super. War ja nur ein Freundschaftsmatch.

Videoblogging von Zollverein: waterloostudios.tv

Der letzte Blick der Ruhrbarone auf die "Designstadt", wahlweise auch "Creative City", auf Zollverein war ein durchaus skeptischer. Das bezog sich aber nicht auf die Mieter der Räumlichkeiten, die inzwischen fast ausnahmslos umgezogen sind. Eines dieser Projekte ist waterloostudios.tv von Norman Bruckmann, mittlerweile im Asienhaus um die Ecke residierend und ganz gewiss mit einem eigenen Kopf ausgestattet. Ein Interview zum Hausbesuch.

Ruhrbarone ?: Warum Waterloo, warum Studios, warum TV?

Norman Bruckmann !: Seit etwa 10 Jahren gibt es eine inzwischen eher statische Seite von Kommunikationsdesignern namens Waterloostudios.com. Die ist entstanden in einem Haus in der Essener Waterloostraße, in das ich einige Jahre später eingezogen bin. Für mich war der Beweggrund, „tv“ zu nehmen, dass ich halt bewegte Bilder zeigen wollte. Der Name passt nach wie vor gut zu meinem Lebensumfeld, und die Geschichten um Waterloo und Blücher faszinieren mich nach wie vor.

?: Die Seite selbst ist ja nach verschiedenen Medien sortiert (Podcast, Videos, Text), funktioniert aber auch gleichzeitig wie ein Blog, in dem fast täglich „gesendet“ wird. Gibt es bestimmte Kriterien, nach denen du entscheidest, welches Format du wählst?

!: Im Moment mache ich die Seite redaktionell alleine. Ein Text braucht bei mir lange, bis ich mit dem zufrieden bin. Daher mache ich eher Filmfetzen, die sich wie ein Puzzle zusammensetzen lassen. Podcasts benutze ich gern, um Ungeschnittenes direkt ins Netz zu stellen. Ein Filmclip macht das für die Nutzer dann navigierbar, veranschaulicht auch das Thema des Casts. Das heißt es gibt sich aufeinander beziehende Beiträge in verschiedenen Formaten, aber auch kleine Serien.

?: Ein Beispiel wären hier deine Sendungen rund um „Essens Kreative Klasse“. Dort bringst du eigene Gedanken zu Kultur, Ökonomie und Design zusammen mit den dort verhandelten Ansätzen. Ist das eine typische Arbeitsweise oder woher kommen die Themen?

!: „Essens kreative Klasse“ hat mich und mein Umfeld betroffen und direkt angesprochen. Ich habe mich dann in diese Situation bewusst hineinbegeben und lasse mich dann bewegen. Manchmal provoziert eine Schlagzeile aus der Tagespresse aber auch einfach eine bestimmte Haltung, dann eine Recherche und somit einen Beitrag. Im Grunde halte ich mich gern von allzu tagesaktuellen Themen fern. Es geht eher um „storytelling“, also um so etwas wie „Geschichten erzählen“. Außerdem widme ich mir auch nur den Themen, zu denen ich schon Haltungen in mir vorfinde, die ich aus meinem Fundus an Wissen und Einstellungen ernsthaft „bedienen“ kann. Ohne diesen gäbe es auch keinen seriösen Erzähler, der übrigens ja auch Fragen hat und auch mal Studientage dokumentiert. Ein Wissen das ich nicht verstehe besitzt mich und nicht umgekehrt.

?: Ist waterloostudios.tv ein Projekt, das du vor allem ausweiten möchtest? Oder ist es eher eines, das nach einer Startphase so ähnlich weiterlaufen soll, wie es sich heute schon darstellt, im Grunde mit einer täglichen, exklusiven Sendung?

!: Andere Projekte, an denen ich beteiligt bin, lassen sich gut mit dieser Versuchsanordnung waterloostudios.tv in Einklang bringen, und das soll auch so bleiben. In erster Linie funktioniert der Kanal für mich nämlich nicht nur als Fluss, sondern auch als Speicher. D.h. man kann ständig auf ein Reservoir von Haltungen zurück greifen und auch dabei zusehen, wie diese entwickelt werden und ob sie sich überhaupt bewähren. Es gibt natürlich die Möglichkeit, Kommentare zu posten und Themenvorschläge oder Sendungen anzubieten. Ich habe da auch schon einen merkwürdig konstruktiven Troll, der mir ständig zeigt, wie meine Mitstreiter und ich die Seite weiter optimieren können. Da darf gerne noch mehr gepostet werden.

(Das Foto zeigt das zunächst erstellte physische Modell für die Struktur der Seite.)

Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 2: Das KKC in Essen

Was und warum machen eigentlich all die Kulturzentren im Ruhrgebiet? Im ersten Teil antwortete darauf Rüdiger Jordan vom Dortmunder FZW. Sozusagen wegen vieler Anfragen erfolgt im zweiten Teil ein Kurzbericht über das KKC, einst neben Frankfurt und Berlin wohl das aktivste Studierenden eigene Veranstaltungscafé.
Was ist es heute?

Viele Erinnerungen schon beim Weg vom Campus die Treppe hinunter und das Gefühl, dass früher eine Art "schmuddelig aber unser" die Einstellung meiner AStA-Generation zu diesem Beton-Vorhof ausgemacht hatte. Dementsprechend auch die verwitterten Plakate an den Fenstern der Studierendenvertretung; später werde ich feststellen dass dort im Schnitt zweimal vier Stunden Anwesenheit pro ReferentIn und Woche auf den Türschildern stehen. Vor 15 Jahren – und vor dem Crash in Essen und den Studiengebühren und Bachelors – waren das noch mehr als Vollzeitjobs. Aber es war auch ständig Krieg zwischen rechts und links und links und links, 2009 wirkt alles recht gelassen, selbst beim Betreten des KKC. Es erstaunen aber sofort wieder die prächtige Theke und die wohl designten Wände.

Es ist Milchkaffeezeit, und alles scheint dezent "Pause" zu flüstern. Nach einiger Recherche stellt sich heraus, dass ein Angestellter quasi für das Tagesgeschäft und die Gastronomie zuständig ist. Dieser ist dem Finanzreferenten des AStA unterstellt, und das Kulturreferat macht im KKC manchmal Veranstaltungen. Oder Fachschaften ihre Parties. "Im Grunde aber funktioniert das KKC hauptsächlich als studentische Caféteria", erklärt Kulturreferentin Tinka Stinnen. "Der große Raum ist eh schon in Raucher- und Nichtraucherbereich unterteilt, und daher machen wir unsere Kulturveranstaltungen auch gerne woanders. Zum Beispiel ist die Atmosphäre für Filme im Hörsaalzentrum einfach viel Kino artiger. Und Lesungen machen wir sogar eher in den AStA-Räumlichkeiten."

Da gibt der Autor zu, dass er da schon ein wenig geschluckt hat und sich gefragt, warum 2009 genau das Gegenteil des 30-Tage-Kulturprogramm-Prinzips von Mitte der Neunziger passiert. Keine AStA-Partyreihe zur Finanzierung von Konzerten und Theater mehr. Wenig auswärtige Künstler. Trennwand, Theke, P.A. und Lichtanlage werden eigentlich gar nicht genutzt. Muss man ja auch nicht immer. Und gut ausschauen tut es ja noch aufgrund der Mühen der Vorgängergenerationen. Cool. Warum nicht? Schließlich gibt es mit dem jährlichen Campusfest und der gelegentlichen EinsLive-Party ja auch ab und zu mal Pop für die Massen.

Also endlich exemplarisch zu dem was passiert gegen Ende des Semesters:
In der Reihe "quergelesen" heißt es am Donnerstag (29.01.) im AStA "Die Rache der Eva H." mit den passenden Werken der Frauen Roche, Herman und Nick und folgendem Text auf dem Flyer: "Für alle die sich emanzipieren von festgelegten Geschlechterrollen und die Thesen von Eva Herman einfach nur lächerlich finden. Dazu einen schönen prickelnden Sekt. Nicht nur trockener, da bei den Beschreibungen einer Tochter der Emanzipation einem oft die Spucke wegbleibt. Dazu die Frage: Ist die Freiheit so ein Buch wie Charlotte Roche zu schreiben eine Folge der Emanzipation?"
Und im Bereich Theater ist nicht nur der Theaterausgehclub zu nennen, eine Kooperation mit dem Theater Oberhausen, das Theaterbesuche zu 4 Euro ermöglicht. Sondern auch dass der für den 6. Februar geplante Theaterabend der studentischen Gruppe wohl verschoben wird, um das neue Stück statt des alten aufzuführen. Und am Freitag (30.1.) ist Comedynight ab 20 Uhr, und zwar mit Ilhan Atasoy (Foto – bekannt von u.a. Nightwash und dem Quatsch Comedy Club) und der Newcomergruppe Avocadomousse mit dem Programm "Yes – we can!".

Kulturetat und KKC haben also nicht mehr viel miteinander gemein, und das Zentrum dient tatsächlich vor allem als Caféteria und finanziert sich gemütlich über die Gastronomie des Tagesgeschäftes plus einiger Vermietungen. Kurz schießt mir durch den Kopf, dass die Studierendenvertretung sich von ihrem selbst geschaffenen Monster re-emanzipiert hat. Ganz selbstverständlich folgt diese Studierendengeneration also eigentlich einem von mir lange geforderten Prinzip für die vielen Hallen des Ruhrgebietes. Nämlich dass man nicht zwanghaft immer alles bespielen soll. Oder auch: Alles kann, nichts muss. Beruhigend. Vielleicht sogar beispielhaft.

3 FÜR 7 – Ausgehtipps, immer noch wöchentlich

"Live" ist das große Ding, heißt es. Warum auch nicht. Nur ist "live" halt auch oft einfach "von der Kanzel predigen", und dem gegenüber lassen sich manche Filme, Bilder oder Installationen doch wesentlich anmutiger an. Vor allem wenn es quasi um großes Kino geht: Filme, Jim Rakete, Sonic Youth.

Bereits seit dem 18. Januar hängen in der Ludwiggalerie des Schlosses Oberhausen unter dem Titel "1/8 sec. – Vertraute Fremde" Fotografien von Jim Rakete. Das Schloss in der Nachbarschaft von Autobahnkreuz, Konsumhausen Mitte und McD, genau. Also erstmal irgendwie eine stimmige Veranstaltung: großen Pop gegen großes Übel setzen. Gezeigt werden nicht nur die erwartbaren Schwarzweiß-Portraits von (ihm) bekannten Prominenten, sondern auch eine Studioinstallation und ein recht frischer Film über den Schröder-Freund und Digital-Feind. Wir Besucher können also gleichzeitig über Promis quatschen, Filze checken und Raketes Aesthetik hinterfragen. Und mal wieder den Weg nach Oberhausen finden.

Ebenfalls in dieser Stadt, aber auch in fast jeder anderen des Ruhrgebietes finden ab dem 29. Januar die SchulKinoWochen NRW statt. Dies erlaubt an dieser Stelle nicht nur den Hinweis auf den neuen Blog vom Kollegen Krogull, sondern gibt dem Autoren dieser Zeilen ebenso die Gelegenheit mal seiner Auffassung zur Erziehung zu Medienkompetenz Ausdruck zu geben. Denn ist aus jedem Stück Popkultur irgendein Sinn herauslesbar? Ja. Sollte mensch sich deshalb pausenlos damit abgeben? Nein. Soweit dazu. Auch hier übrigens Semi-Prominente aus dem Kino- und TV-Wesen und sogar Informationen über mögliche Karrieren in diesem Bereich der Unterhaltungsindustrie. Aber natürlich gibt es auch "Die Welle" etc. mit didaktisch wertvollem Material dazu für das Lehrpersonal. Auch dies sicherlich eine spannende Veranstaltung.

Na, und dann halt noch Sonic Youth ziemlich präsent in Düsseldorf. Das (bereits ausverkaufte) Konzert erst im April, aber die Ausstellungseröffnung in der Kunsthalle schon diesen Freitag um 19 Uhr. Mehr als viele andere hat diese Band (inklusive der Solo- und Seitenprojekte, Labels und sonstiger Aktivitäten) so einem gewissen Bild von "ordentlichen New Yorkern" entsprochen. Überall Querverweise auf die Menschen hinter der Promi-Fassade, Manson hier, Karen Carpenter da, Monroe natürlich, Queer Culture, Hardcore usw. Manchmal hat man den Eindruck man darf in NYC nicht aus dem Haus gehen ohne von SY auf Songintegrations-Kompatibilität abgecheckt zu werden. Und so auch direkt zum ersten Major-Album zu jedem Song ein Video, bei jedem Cover das Exponieren eines Künstlers oder einer Künstlerin, ständiges Dokumentieren von Kollaborationen. Fast als wenn Punk zurück in ProgRock überführt worden wäre, inklusive Verweigerungshaltung beibehalten irgendwie, natürlich. Kurz: Ein respektables Lebenswerk für eine Gitarren orientierte Band der letzten 30 Jahre, die gleichzeitig auch immer eine kleine soziale Bewegung war. Oder ein Teil davon? Es ist egal, aber…

Im Überblick:
Jim Raketes Fotografien noch bis zum 10. Mai täglich außer Montags von 11 bis 18 Uhr im Schloss Oberhausen.
SchulKinoWochen NRW vom 29. Januar bis 18. Februar in diversen Kinos diverser Städte in NRW.
"Sonic Youth etc.: Sensational Fix" bis zum 10. Mai in der Kunsthalle Düsseldorf.

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So war’s: Das 13. JOE Jazz Festival Essen

Immer zu Beginn eines Jahres steht für die Jazzszene Essens direkt der Höhepunkt im Heimatstadtprogramm an: Das dreitägige Festival der Jazz Offensive Essen. Und auch 2009 ließ sich wieder einiges beobachten. Eindrücke zu Business, Basis und Programm.

Zunächst einmal ist der Austragungsort, das Katakomben-Theater im Girardet-Center, ein durchaus realistischer: Wer pünktlich da ist kommt noch rein und erhält sogar so eben noch einen Sitzplatz. Das macht alle Jahre wieder die Kalkulation leicht, und die theater- bis kinohafte Atmosphäre wird durch die am Rand der Tribüne stehenden Gäste zum Glück noch ein wenig aufgelockert. Dies gesagt ist man allerdings schon bei der vorsichtigen Kritik: Wenn in der Stadt der Jazzclub fehlt und das Festival somit die einzige ernst zu nehmende Repräsentation im Live-Geschehen übernehmen muss, dann wirkt hier alles ein klein wenig brav und akademisch, Rauchverbot hin oder her. Man hustet ungern, sozusagen. Und damit zum Programm, denn die Musiker (keine Frau diesmal) müssen damit ja umgehen.


Es wäre einfach zu sagen, dass der Samstag am ehesten auf Show gebürstet ist und der Freitag und der Sonntag eher gepflegte Qualität bieten. Denn natürlich ist es richtig, lokale Größen zu präsentieren, ob Hartmut Kracht nun sein Gitarren orientiertes Trio vorstellt oder Klare / Siegel / Camatta das ihre. Diese spielen jeweils zu Beginn, am Samstag übernimmt diesen Part mit Die Mikronesische Mafia von Moritz Ecker allerdings sogar eine große Band mit begleitender Filmtrick-Untermalung. Eine ordentliche Einstimmung jeweils, und bei Klare / Siegel / Camatta (unscharfes Foto) zusätzlich der Eindruck, dass Humor ebenfalls ein durchaus vor sich her getragenes Charaktermerkmal der Jazzer der Stadt ist. Dies toppt am Samstag allerdings Dieter Ilg solo mit Kontrabass ganz alleine. Wie er eigene mit Fremdkompositionen verbindet, mit seinem Instrument spricht oder bei "Animal Farm" erst zum Ende hin überhaupt die Saiten benutzt: Das hat Klasse und strahlt eine ungeheure Souveränität aus. Ganz klar der sichere Höhepunkt des Wochenendes.

Mit dem Pablo Held Trio am Freitag und Three Fall am Samstag müssen die "jungen Genies" definitiv noch erwähnt werden. Ersterer ein bewanderter Pianist, letztere ein Trio bestehend aus Schlagzeug/Percussion, Tenorsaxophon und Posaune, das den wohl urbansten Klang des Festivals beisteuert. Mal entsteht der Eindruck, die Bläser spielten ihre Instrumente quasi doppelt, dann wird es tanzbar, dann schauen die Lounge Lizards um die Ecke und als nächstes findet man sich akustisch auf einer einsamen Insel. Diese Gruppe geht frischestens nach vorne, klingt modern und hat offensichtlich großen Spaß, den Abend zu beschließen. Eine ganz klare Empfehlung!

Resümée? In seiner Ausgewogenheit ist das Festival vor allem eine gute Visitenkarte für das was möglich ist in Essen. Und wenn hierzu viele nach z.B. Köln abgewanderte Musiker wieder vorbei schauen, bleibt dies auch für alle Beteiligten immer wieder etwas Besonderes, schon recht nahe am Familientreffen mit Gaststars. Aber schaut man weiter, was als nächstes auf dem Jahreskalender der Jazzfreunde steht, dann wird klar, dass in Essen mehr live passieren muss. Denn die allmonatlichen Filmabende mit zusammen geschnittenem Konzertfilmmaterial von Lutz Felgner im Kinosaal des JZE Papestraße – am 11. Februar "More Sax" mit Charlie Mariano, Bob Mintzer und Anthony Braxton – sind zwar eine wundervolle und empfehlenswerte Sache. Doch dass eine solche Veranstaltung überhaupt so weit im Vordergrund des Jazzprogramms der Folkwang-Stadt steht – das darf im Grunde nicht sein. Da fehlt die Spielwiese, da fehlt der Club. Und somit auch eine Institution die es dem Festival leichter machen würde, noch mehr Publikum anzuziehen und verdient weiter zu wachsen.

Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 1: Das FZW in Dortmund (1)

Jugend- und Kulturzentren im Ruhrgebiet im Umbruch. Werden nun aus alternativen Initiativen harte Standortfaktoren? Wie finden die Macher einen Weg zwischen Förderungswürdigkeit und modernem Anspruch, wie den zwischen Kommerz und dem einer Anlaufstelle für Subkulturen? Im ersten Teil geht es um das FZW, das 2009 vom Westen der Stadt in die City Dortmunds ziehen wird. Im Gespräch: Rüdiger Jordan.

Das FZW:

Eröffnet 1968 als Jugendfreizeitstätte mit Minigolfanlage, Kegelbahn, Milchbar und Kino. Über Punk und die Folgen bald immer mehr Anlaufstelle für lokale Bands und tourende Bands aus aller Welt, vornehmlich mit Gitarren in der Hand. Zum städtischen Träger und der AWO gesellt sich 1988 der „Verein für unabhängige Kultur“, eine Gruppierung aus vielen Musikern, Sozialarbeitern und –pädagogen, Journalisten, Künstlern, Raumplanern und Architekten. Neben den etablierten Musikreihen (Konzerte, Partys) stehen einige Workshops und außerhalb platzierte Aktionen und Veranstaltungen vom Westendsommer bis zu den Juicy Beats, viele Events, einige eher rein sozial ausgerichtete Projekte. 2008 ist dann – nach einer Phase zwischen Professionalisierung und merklichem Altern der Belegschaft – das letzte volle Jahr in der Nähe des Westbahnhofs, denn es steht für den Sommer des Jahres ein Umzug in das „U“ mitten in der Innenstadt an.

Ruhrbarone?:
Was kommt eigentlich an die Stelle des alten FZW?

Rüdiger Jordan:

Das alte FZW wird nach der Schließung abgerissen und weicht einer Wohnbebauung. Für unsere Stammbesucher aus dem Viertel sind wir allerdings mit dem neuen Standort nicht wirklich weit entfernt. Und für alle anderen Dortmunder und Besucher von außerhalb bietet der neue Standort eine Verbesserung, da wir mit der Ritterstr. nur fünf Minuten vom Hauptbahnhof entfernt liegen.

?:
Was wird die Rolle von Rüdiger Jordan im neuen FZW sein?

Rüdiger Jordan:
Ganz steht das noch nicht fest, da viele der Prozesse, z.B. wie wir uns aufstellen noch laufen, aber mein Schwerpunkt liegt in der Fortführung der kleinen Themen, die nicht unwesentlich den guten Ruf des alten FZW prägten. Es geht um Nachwuchsförderung, musikalische Aufbauthemen, Unterstützung der Jugendszenen in ihrer Vielfalt, Vernetzung und das Einbringen der aus unserer Sicht förderungswürdigen Veranstaltungen und Reihen, die Zeichen setzen, das Profil des FZW schärfen und den Wünschen und Bedürfnissen insbesondere unserer jungen Besucherschaft entsprechen.
Das neue FZW wird mit 1300 möglichen Besuchern aufwärts ja wesentlich größer, was aber auch höhere Fixkosten bedeutet, die erst mal generiert werden müssen. Ich selbst bin vom Jugendamt der Stadt Dortmund angestellt. Wir prüfen da gerade mit Vertretern der Stadt und Vertretern der AWO als zeichnender Partner für die Gastronomie, in welcher Gesellschaftsform wir das neue FZW betreiben werden.

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Man kalkuliert ohne Gastronomie-Einnahmen?

Rüdiger Jordan:
Im alten FZW wurden die für die Bezahlung der Fixkosten (Personal, Werbung etc.) verwendet, während der Eintritt an die Künstler ging. Das klappte vor allem zu den goldenen Zeiten in den mittleren bis späten Achtzigern gut, aber dieses Konstrukt wird auch im neuen FZW Bestand haben. Und die Tatsache, dass das FZW als förderungswürdig eingestuft ist, bleibt ein weiterer sehr wichtiger Faktor.
Neben den sichtbaren Bereichen der Bandförderung, jugendrelevanten Veranstaltungsreihen, kommen Kooperationen und Unterstützung von Kulturschaffenden jeglicher Couleur, Betreuung und Förderung von Kompetenzen bei „defizitären“ Jugendlichen in Projekten, Schaffung von Ausbildungsstellen im Bereich der Gastronomie und Veranstaltungstechnik hinzu. Ein weiterer Focus auf der Arbeit des FZW wird es sein, Themen aus dem eigenen Spektrum in die Stadt hinaus zu tragen.

TEIL ZWEI zum FZW hier.

 

3 für 7 – 3 Kulturtipps für die nächsten 7 Tage

In einem Interview erzählte mir im letzten Jahr der Tänzer und Choreograph Felix Bürkle, dass in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich nach wie vor eher Schubladen denn das freie Spiel der Künste gelehrt werden. Und dem wird ja auch durchaus in den Feuilletons und Programmheften Rechnung getragen: Ein Konzert ist ein Konzert, aber eine Ausstellung ist eine Ausstellung, und ein Theaterstück ist keine Performance. Und das stimmt so natürlich nicht. Beispielhaft in dieser Woche also drei Veranstaltungshinweise, bei denen es schon auf die Augen der Betrachter ankommt.

Im Essener Katakomben Theater im Rüttenscheider Girardet Center findet am kommenden Wochenende das alljährliche Festival der Jazz Offensive Essen statt. Kurz zuvor aber auch ein Stück namens "Johnnys Jihad – American Taliban", aufgeführt vom Düsseldorfer Theater der Klänge. Ein erstaunlich aktuelles und "hartes" politisches Thema also, so dass man sich schon beinahe wünscht, die Düsseldorfer seien doch gleich den ganzen Weg gegangen und hätten "Jan Jihad – Ein Taliban aus Hagen" oder ähnliches gemacht. So bleibt natürlich ein wenig Distanz gewahrt, und Amerika muss wieder mal herhalten wenn es um den Abfall eines jungen Menschen vom Pfad der Aufklärung und Emanzipation geht. Dennoch, ein guter Akzent im gegenwärtigen oft arg mutlosen, befindlichkeitsfixierten und/oder bemüht klassenkämpferischen Theaterwesen.

Ebenfalls eher unüblich ist es wenn eine Ausstellung sich mit "Flyern aus der Club- und Barkultur Essens" beschäftigt. Denn Designwahn hin oder her, im Grunde meinen Flyer ja "Lies mich – geh hin – wirf mich weg". Aber den Veranstaltern von den Netzwerken modem und ruhrpop geht es im Banditen Wie Wir ja auch teilweise um anderes. Natürlich werden Serien einzelner Designer gezeigt und Prunkstücke neben Billigexemplare gepackt, aber das "Flyerflimmern" sortiert sich schon nach den einzelnen Lokationen und lässt so einen Blick auf 15 Jahre eigenständige Sub- und Popkulturproduktion zu, also auf Programme die eben nicht nur vom Einkauf großer Namen oder dem Lancieren sicherer Partyreihen lebten. Und das auch nur für eine Woche, denn es muss halt immer weitergehen, Musik als Träger von Ideen… Et cetera.

Und noch ein Blick in Vergangenheit und Zukunft zugleich. Die sehr empfehlenswerte DASA widmet sich ja permanent der Geschichte von Arbeit und ihren Perspektiven. Einen Anreiz sich das nun endlich einmal anzusehen bietet vielleicht die wieder angesetzte Theater-Führung durch die Ausstellung. Bei dieser verdeutlichen ein im 20. Jahrhundert angesiedelter Ingenieur und eine aus dem Jahre 2026 stammende Virtual Reality Journalistin durch einfaches Rollenspiel (s. Foto), wie sich Arbeit wandeln kann und womit man so in Zukunft zu rechnen hat. Von März bis Juni immer einmal am Freitagabend und einmal am Sonntagmorgen. Aktuelle Termine? Im Anschluss.

Im Überblick:
"Johnnys Jihad" am 22. Januar um 20 Uhr in den Katakomben.
"Flyerflimmern" vom 23. bis 30. Januar ab 20 Uhr im Banditen Wie Wir.
"2026 – Wie arbeiten wir morgen?" am 25. Januar um 11 Uhr in der DASA. Februar-Termin: 22. Februar, 11 Uhr.

Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 1: Das FZW in Dortmund (2)





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Wenn solche Institutionen wie das FZW, die bis dahin so einen Inselcharakter hatten, jetzt also in die erste Liga aufsteigen, in das Visier der Gornys und Standortpolitiker geraten und Vorzeigeprojekte sein müssen: Wie bewahrt man dann die alten Tugenden?

Rüdiger Jordan:
Zur Gesellschaftsform kann ich noch nichts Definitives sagen. Dass die ökonomische Nische verloren geht und alles etwas anonym wird, das habe ich zuerst auch befürchtet. Aber der kleine Club ist mit einer 300er-Kapazität auch nicht größer als der jetzige, und selbst die große Halle hat erstaunlich viel Charakter. Wirtschaftlich gesehen muss da natürlich auch die erfolgreiche Partyreihe laufen, aber ich wäre halt gar nicht hier, auch persönlich nicht, wenn der Umzug nicht auch eine Riesenchance für junge Szenen und unterschiedlichste Gruppierungen in der Stadt und Umgebung wären.
Von den Räumlichkeiten her wiederum ist im Foyer ein offenes Café neben der Halle und dem Club vorgesehen, in denen dementsprechend auch Lesungen, Medienkunstausstellungen, etc ihren Platz finden. Da kann man sich dann auch breit aufstellen und mit den entsprechenden Szenen vernetzen und nicht nur Fließband gleich Konzert A, B, C und Party X, Y, Z veranstalten. Und auch das kommerzielle Programm soll so gefahren werden, dass es weitestgehend angemessen dem Grundprinzip des FZW entspricht. Ansonsten würde das auch nur kurze Zeit funktionieren. Wir möchten schon unseren Charakter bewahren und ein eigenständiges Profil schaffen, neben den anderen Veranstaltungsorten der Stadt.

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Wie begegnet man denn genau denen, vom Konzerthaus über das domicil bis hin zu den Diskotheken, Clubs und Kneipen? Ist das Konkurrenz?

Rüdiger Jordan:
Leider sind nach dem kurzfristigen Zusammenkommen der Clubs um die Loveparade herum alle wieder schön in ihre Iso-Nischen zurück gegangen. Dabei kann gerade das FZW gut Kräfte bündeln. In den Achtzigern waren alle hungrig nach Konzerten und Parties, mittlerweile ist es eher umgekehrt und die Bands, DJs und Veranstalter suchen nach Orten, in denen sie etwas machen können. Ob der Sieger eines Bandcontests dann mal bei einem großen Act im FZW die Vorgruppe macht oder Clubs mal einen populäreren DJ ausnahmsweise bei uns auftreten lassen oder sich zusammen schließen: Das ist alles von unserer Seite her denkbar.
Die Außensicht auf Dortmund ist nämlich eine Düstere. Da sagen dann die Hamburger, Berliner oder Leipziger oft zu recht: „Wieso müsst ihr denn zwei fast identische Reihen am selben Wochentag in zwei kleinen Läden machen? Ihr macht euch ständig gegenseitig das Leben schwer!“ Da bekommt man ein mitleidiges Kopfschütteln aus diesen Städten und die fragen, was man sich da bei uns gegenseitig eigentlich permanent antut. Da passt das FZW dann auf den ersten Blick vielleicht gar nicht da rein, aber kann als Vermittler und Impulsgeber hoffentlich einiges konstruktiv nach vorne bringen.

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Abschließend: Und gemessen an den Metropolen-Ansprüchen, wie sie um die Dortmunder Pop-Akademie, die Kulturhauptstadt und im Grunde eben auch das „U“ herum formuliert werden? Wie positioniert man sich da? Wo bleibt da die Jugendarbeit?

Rüdiger Jordan:
Es entsteht in Dortmund ja gerade eine Pop School im Fritz-Henßler-Haus mit der Musikschule zusammen – um das einmal aufzugreifen, als Beispiel für viele gewachsene Initiativen der letzten 20 Jahre, die jetzt ganz woanders sein könnten, wenn sie zu ihrer Zeit entsprechend gefördert worden wären. Stattdessen kommt immer diese Idee „Wir machen jetzt mal etwas ganz Großes und setzen von oben etwas auf“. Lässt man so etwas wie die Pop School mal wachsen, ohne gleich die Megaambitionen darauf zu setzen, dann kommt da auch etwas „Vorzeigbares“ heraus. Da wäre dann eine Pop-Akademie irgendwann vielleicht genau die richtige Ergänzung für Bands, die aus Dortmund heraus wollen. Aber die Grundlagen müssen erst mal wachsen und da liegt das eigentliche Problem. Da kann dann auch der Export nicht funktionieren, wenn man mit dem zehnten und nicht mit dem ersten Schritt anfängt. Stattdessen setzen dann die üblichen Zersetzungsprozesse umso früher ein.
Der HipHopper aus der Nordstadt, der in einer Pop School auf Jazzer trifft, und was sich für ihn daraus dann entwickelt: Das ist das eigentliche an Popkultur, nicht das Vermischen von Musikstilen und auch nicht das künstliche Generieren von irgendwelchen Popprodukten. Wir müssen aus Kostengründen erfolgreich wirtschaften, aber inhaltlich steht die Jugendkulturarbeit nach wie vor an erster Stelle.

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Es folgen die Zeche Carl in Essen und das Druckluft in Oberhausen, vielleicht auch mehr.

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3 für 7 – 3 Kulturtipps für die nächsten 7 Tage

Zunächst noch einmal der Hinweis auf die exzellente Pink Slip Party der Ruhrbarone im Bochumer Mandragora für die schreibende und abbildende Zunft plus Bekannte. Und ansonsten fehlt dem Autor dieser Zeilen gerade ein wenig die Chuzpe, hier angesichts drängenderer Themen irgendwelche Witzchen zu reißen. Also hier nur der Hinweis, dass manche Veranstaltungen doch einen recht spezifisch amerikanischen und europäischen Charakter haben, aber sicher daher allein nicht zwingend wichtig und richtig für den Gang der Welt sein müssen: Diesmal geht es um Situationisten, Gefühlskälte und Techno.

"Unwille" heißt eine Ausstellung im Dortmunder Künstlerhaus, die angefangen von der kämpferischen Forderung "Ne travaillez jamais" ("Arbeite nie!") über private Verweigerungshaltungen bis hin zu Ermahnungen zum einfachen gelegentlichen Innehalten viele sogenannte "Zivilisationskrankheiten" auf unterschiedliche Art und Weise darstellt und thematisiert. Ob Andre Greif und Matthias Hennig eben jenen Slogan aufgreifen (Foto von den Künstlern), ob Eiko Grimberg von der Frau erzählt, die beschloss nie wieder aus dem Bett aufzustehen, oder ob Diana Artus Fotos um den Spruch "We have no patience for utopian thought" gruppiert, all diese und die anderen Installationen und Dokumentationen verweisen, nach einem Konzept von Francis Hunger, auf verschiedenste eher unübliche Reaktionen auf alltägliche Strukturen und Machtverhältnisse.

"Liebe und Geld" heißt es hingegen im Bochumer Schauspielhaus, und das Stück beginnt mit zwei Büromenschen aus dem Kommunikationsgewerbe, die sich nur über E-Mails näher kommen, bis die jeweiligen Vergangenheiten und aktuellen Zwänge den Zusammenstoß mit der Realität erzwingen. Aber damit beginnt erst alles… Regisseur Sebastian Hirn inszeniert nach einer Vorlage von Dennis Kelly. Man schaue nicht nur nach Kapitalismuskritik, dann könnte das beste verpasst werden an diesem Stück.

"United Respect" ist so nah dran an aktuellen Themen hier wie Toleranz zwischen Kulturen und der Loveparade, dass es so schon fast weh tut. Es geht nämlich um eine AG, die tatsächlich mit Technobeats das Verständnis zwischen Kulturen, Geschlechtern und Individuen fördern möchte. (Für Techno-Fans: Wenigstens ist Felix da Housecat dabei, aber auch Lexy & K-Paul und van Helden z.B.). Nunja, jedenfalls war dieses Wochenend-Ausfüll-Programm zunächst für die Gelsenkirchener Arena angekündigt, rutscht nun aber doch irgendwie in die Halle 3 der Messe Essen. Aber da haben sich ja auch holländische Gabber-Parties sehr lange sehr wohl gefühlt.

Im Überblick:
"Unwille" nur noch bis zum 18. Januar donnerstags bis sonntags von 16 bis 19 Uhr im Künstlerhaus Dortmund.
"Liebe und Geld" hat am 16. Januar um 19.30 Uhr Premiere in den Bochumer Kammerspielen. Weitere Termine: 18. & 24. Januar, sowie 11. & 21. Februar.
"United Respect" am 17. Januar ab 19 Uhr in der Messe Essen.

Rettet den Blätterwald (2) – Heute: SFT

In dieser Reihe geht es um die (fehlende) Sinnhaftigkeit von Printmagazinen und konkrete Beispiele, zu denen der Autor feierlich schwört sie nach Erscheinen des Artikels nie mehr zu kaufen. Nach dem Rolling Stone im ersten Teil sollte erst ein Obdachlosenmagazin folgen, das hat dann aber doch irgendwie Sinn gemacht. Also musste ein einfaches Opfer her: "SFT – Best Of Electronic Lifestyle".

Es geht phantastisch los: Ein Cover mit einer halb Foto realistischen, halb Computer generierten "foxy Verführerin", die eine Touch-Screen berührt. Der "Touch-Test", die "Touch Revolution". Was für die einen Trash ist, ist für die anderen halt sexy. Passend die DVD mit Dennis Hopper als Teen-Napper plus ein ähnlicher zweiter Film, und die eingelegte Silberscheibe schreit den Käufer (wohl meist Männer, ist halt so) direkt an: "Bist Du reif für Doomster?"  Man schaut sich um im Raum, wen die wohl duzen mögen, denkt "Ich kann nicht gemeint sein" und ist verdutzt. Schneller Blick auf den Rest des Covers: Navigationssysteme werden getestet, es geht um "Spezialistenfernseher" und "Die besten Filme 2009". Nun  man muss ja nicht alles kaufen, was der elektronische Lebensstil zu bieten hat.

Also rein in’s Blatt: Viele Anzeigen für Gadgets, Hardware und Software, die üblichen Großdiscounter und insgesamt gar nicht mal soo viele. Das könnte natürlich mit den redaktionell angepriesenen Produkten zusammen hängen. Es steht aber nur dreimal deutlich "Anzeige" über einer recht redaktionell anmutenden Doppelseite. Dafür bemüht man sich aber um verhältnismäßig objektiv formulierte Texte – anderes könnte ja auch zu Ungleichgewichten beim Behandeln der Anzeigenkunden führen.
Aber im Grunde ist das alles ja erwartbar und langweilig. Markennamen in Überschriften, Bezugsadressen und Preise tauchen aber schon überdimensional auf, das erinnert schon ein wenig an Katalog. Also hier und da ein Test und auch ein Interview mit James Blunt ("Warum glaubst du, polarisieren deine Person und deine Musik so extrem?" – "Das ist doch symptomatisch für unsere heutige Welt und für die Medien."). Nach dieser Dosis Mensch freut man sich doch direkt wieder auf … oh, genau, die "Touch Revolution" mit dem Bikinigirl (diesmal liegend an einem Gerät fingernd) und darüber fast 4 Zentimeter dick: "TECHNIK". Haha!

Dieses Titelthema wird denn auch stilecht über 16 Seiten ausgebreitet, die "Spezialistenfernseher" sind dann ganze drei auf immerhin vier Seiten. Navigationsgeräte, Beamer, Luxus-Handys, PC-Zubehör, Kameras und noch mehr Handys. Dazwischen ein Blick in’s "Gadget-Museum" mit Prototypen heutiger Standardwaren, mal so zur Abwechslung vom Diktat des Neuen. Zeit für Software so sachte vielleicht? Ja! Spiele, Filme, Musik. Hier dann auch offensichtlich verlagsintern importierte Interviews mit einem Trickfilmspezialisten ("Bestmögliche Animationsqualität ist meine Leidenschaft."), Angelina Jolie ("Ich liebe den Adrenalinstoß."), Thees Uhlmann ("Es ist nichts wichtiger im Leben eines Mannes, als ab und zu als Idiot bezeichnet zu werden."), einem von Manowar ("Ich habe geschworen, ehrenhaft zu sterben.") und einer von den Sugababes ("Veränderung kann auch etwas Gutes sein").

Eine geballte Dosis ganz normaler Menschen also. Es folgen: Listen. Bestenlisten. Und Herstellernachweise. Und als letztes im redaktionellen Teil tatsächlich die gute alte Kolumne mit der relativierenden Erkenntnis: "Tastschirme sind toll – aber nicht für jede Anwendung die ultimative Lösung". Klasse! Die technologische Revolution nimmt stilecht immer die Konterrevolutionäre gleich mit gefangen! Sehr ordentlich. Ab in den Papierkorb.