Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

civIn einigen Tagen ist Weihnachten und es wird beschaulich im Lande. Wer noch ein paar passende Geschenke braucht oder aufregende Unterhaltung nach langen Familienfeiern sucht, der ist mit Computerspielen gut bedient und sollte hier weiterlesen. Mein Favorit für gesunde Aufregung mit viel Adrenalin ist derzeit „Wolfenstein: The New Order“. Das Spiel ist schon im Mai erschienen und das hat den Vorteil, dass es bereits für 30 Euro den Besitzer wechselt. Allerdings muss man 18 Jahre alt sein und das hat auch seinen Grund. Anders als die drei Vorgänger spielt „The New Order“ nicht mehr im Zweiten Weltkrieg, sondern die Geschichte um den amerikanischen Soldaten B.J. Blazkowicz beginnt 1960.

Er erwacht nach 14 Jahren Koma und die Welt wird von Nationalsozialisten regiert.Das „Regime“ ist brutal, unterdrückt die Bevölkerung und unterdrückt jede Opposition. Blazkowicz schließt sich dem Widerstand an und es beginnt der Kampf gegen die Diktatur. Bei der Jagd auf die Unterdrücker verzichten die Entwickler auf bekannte NS-Symbole, aber der historische Bezug ist immer offensichtlich. Herausgekommen ist ein spannendes Ballerspiel mit viel Abwechslung. Also genau das richtige für ruhige Feiertage und lange Winterabende. Das Beste daran – der Spieler gehört zu den Guten und räumt heftig unter den ziemlich fiesen Nazi-Schergen auf.

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Schulen in NRW und die digitale Lücke

„Lehrer machen aus den unterbelichteten IT-Verhältnissen an ihren Schulen das Bestmögliche, um ihren Schülern IT-Bildung so gut wie eben möglich zu vermitteln.“ Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE)
„Lehrer machen aus den unterbelichteten IT-Verhältnissen an ihren Schulen das Bestmögliche, um ihren Schülern IT-Bildung so gut wie eben möglich zu vermitteln.“ Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE)

Timm K. ist Geschichtslehrer an einer Gesamtschule im Ruhrgebiet. Heute steht das Thema „Bismarck und der deutsch-dänische Krieg von 1874“ auf dem Stundenplan der zehnten Klasse. Zu Beginn sollen Schüler etwas über historische Bildungsportale im Internet erfahren, um das Thema selbstständig zu recherchieren und ihre Referate vorzubereiten. Der Lehrer schafft es knapp zum Beginn der Stunde, da er vorher in einer anderen Klasse unterrichtet hat. Ein Laptop inklusive Beamer ist in einem fahrbaren Schrank untergebracht und muss erst aufgestellt werden. Bis er hochfährt vergehen einige Minuten und für den Anschluss an das Internet muss noch ein Kabel quer durch den Raum gezogen werden.

So langsam lässt sich ein Bild in Umrissen auf der Leinwand erkennen, allerdings machen die Boxen jetzt Schwierigkeiten und die Klasse mit 30 Schülern wird unruhig. Nach etwa 10 Minuten funktioniert alles, aber in den letzten Reihen ist die Projektion des lichtschwachen Beamers nur schwach erkennbar. Es vergeht noch weitere Zeit, bis die Schüler sich wieder auf das Wesentliche konzentrieren. Die Stunde verläuft im normalen Rahmen und kurz vor der Pause muss der Lehrer wieder mit dem Abbau der digitalen Geräte beginnen. So bleiben von den 45 Minuten Unterricht etwa 30 Minuten übrig. So sieht die digitale Welt an einer technisch gut ausgestatteten Schule aus.

Die internationale Studie „International Computer Information and Literacy Study“ (ICILS) hat untersucht, wie gut Schüler mit den Neuen Medien umgehen können. Vorn liegen die Schüler aus der Tschechischen Republik, aus Kanada und Australien – die deutschen

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Frau Minister hat gesprochen: G8 muss bleiben

Sylvia Löhrmann - Bild Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen
Sylvia Löhrmann – Bild: Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen

NRW bleibt beim Turbo-Abitur mit acht Jahren. Das ist das Ergebnis des Runden Tisches der Landesregierung. Mit tiefster Überzeugung verkündete Bildungsministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) gegenüber den Medien ihre Überraschung, dass so viele Teilnehmer am Runden Tisch dem zugestimmt haben. Das Eltern, Schüler und 70 Prozent der Bürger im Lande das Turboabitur ablehnen wird von ihr ignoriert. Sie lobt lieber die tolle Kooperation mit den Verbänden bei der Bildungspolitik.

Diese Überraschung ist allerdings wenig glaubwürdig, da bereits bei der ersten Einladung zum Runden Tisch klar war, dass von den 30 anwesenden Verbänden und Initiativen nur drei für eine Rückkehr zum alten Abitur waren. Das sind zwei Elterninitiativen und die Landesschülervertretung NRW. Frau Löhrmann setzt lieber auf die Wünsche der Wirtschaft und die Interessen der Verbände. Das deckt sich nicht mit den Interessen der Allgemeinheit. Die Erziehungsgewerkschaft GEW will die Gesamtschulen voranbringen und dabei stören attraktive Gymnasien. Auch die Landesregierung setzt auf den Ausbau von Gesamt- und Gemeinschaftsschulen. Bei Philologen und einigen Elternverbänden soll das elitäre Gymnasium hochgehalten werden. Da kann der schnelle Abschluss für geförderte Schüler aus bürgerlichen Elternhäusern auch zum Alleinstellungsmerkmal werden. So wird aus einem Konstruktionsfehler eine unendliche Geschichte mit unzähligen Korrekturen. Verbesserungen und Erleichterungen soll es jetzt zumindest geben, für die Schüler an den Gymnasien im Lande – zum Beispiel bei den Hausaufgaben. Nachtsitzungen mit quadratischen Gleichungen und englischer Grammatik sollen demnächst der Vergangenheit angehören. Da drängt sich die Frage auf, warum das erst 10 Jahre nach der Einführung von G8 passiert?
Wirkliche Veränderung würde bedeuten, dass Fächer gestrichen werden, die nicht für einen qualifizierten Abschluss nötig sind. Welchen Sinn der Sportunterricht in der Oberstufe in der 10. und 11. Stunde – also nach 16 Uhr – macht, wird selbst von der redegewandten Ministerin nur schwer zu begründen sein. Warum an den Schulen immer noch bis zu drei Stunden Religion im Stundenplan auftauchen, dürfte nur die Kirchenvertreter am Runden Tisch wirklich freuen. Begründet wird das Festhalten am ungeliebten Status Quo gerne damit, dass man keine Experimente und ständige Richtungsänderungen in der Bildungspolitik will. Genau das ist eingetreten und das liegt in der Verantwortung der Politik. Es würde helfen die wirklichen Experten nach ihren Vorstellungen zu befragen und das sind Eltern, Lehrer und Schüler. Etwas ist jedenfalls sicher – die Diskussion um die Zukunft des Abiturs in NRW ist noch lange nicht am Ende.

Deutsche Annington: Eine „Heuschrecke“ will in die erste Liga

Vorstandsvorsitzender Rolf Buch: "Gleichzeitig halten wir an unserer Strategie fest: Das Wohl unserer Kunden steht im Fokus unseres Handelns“.
Vorstandsvorsitzender Rolf Buch: „Gleichzeitig halten wir an unserer Strategie fest: Das Wohl unserer Kunden steht im Fokus unseres Handelns“.

Die Deutsche Annington hat ihr Zwischenziel erreicht und ist im September in die zweite Spielklasse der deutschen Aktienwelt – den MDAX – aufgestiegen. Das Unternehmen mit Firmensitz in Bochum ist bundesweit für den schlechten Zustand seiner Wohnungen berüchtigt. In den MDAX werden nur Werte aufgenommen, die nach Marktkapitalisierung und Börsenumsatz zu den 60 größten Unternehmen hinter dem DAX zählen. In der ersten Spielklasse finden sich die 30 größten und umsatzstärksten Mitspieler wieder.

Damit das Unternehmen in den MDAX aufsteigen konnte, ist neben der Kapitalisierung auch ein entsprechender Anteil an Streubesitz erforderlich. Mit dem Streubesitz könnte vermutet werden, dass in Zukunft Kleinanleger die Geschicke in Bochum bestimmen. Ganz nach dem Motto: Die bösen Heuschrecken sind weg, die nur auf den schnellen Profit aus sind. Ganz so einfach ist es nicht und eine genaue Betrachtung kommt zu anderen Ergebnissen.
In der Sprache der Börsianer und vieler Medien wird Guy Hands gerne als Private Equity Legende bezeichnet. Weniger freundliche Einschätzungen sehen in ihm so etwas wie einen Anführer der Heuschrecken. Er ist der Chairman oder besser der Vorsitzende von Terra Firma Capital Partners in London. Hier findet sich auch der TFDA-Fonds, dem bisher die Deutsche Annington gehörte. Der Fonds verwaltet 2,1 Milliarden Euro und wird von 21 Investoren getragen. Das ist mit den Kriterien

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Auf Kohle gebaut – Schalke fehlt offenkundig das nötige Kleingeld

IMG_5655Mit dem Trainer Jens Keller wird Schalke nicht mehr glücklich und auch nicht erfolgreich. Noch im Mai diesen Jahres hat Horst Heldt gegenüber dem Spiegel seinen Trainer gelobt: „Jens kann jeden einzelnen Spieler besser machen, hat Ideen und weiß, wie man eine Spielphilosophie verfolgt“. Davon ist allerdings im Spiel nichts zu erkennen und das sehen inzwischen nicht nur die Fans im Stadion. Das „System Keller“ setzt auf Kontrolle, Ballbesitz und die besseren Einzelspieler. Wenn alles gut geht, ist man so gegen 80 Prozent der anderen Vereine erfolgreich. Konkurrenzfähig ist man damit im Vergleich zu Borussia Dortmund, dem FC Bayern und inzwischen auch Leverkusen nicht.

Nach der Blamage im Gladbach war der sonst durchaus eloquente Sportdirektor im Interview ziemlich durcheinander. Die Schalker Gerüchteküche geht davon aus, dass es bereits eine Vereinbarung mit Thomas Tuchel für die nächste Saison gibt. Bis dahin wird sich die Schalker Führungsspitze weiter durchmogeln, weil das nötige Kleingeld für Abfindungen und kurzfristige Notlösungen fehlt. Das Spiel gegen Gladbach ist auf doppelte Weise richtungsweisend. Es zeigt, was ein Trainer mit einem Konzept und taktischem Geschick aus einer Mannschaft herausholen kann. Bei den Fohlen waren die besten Spieler Max Kruse und Raffael. Der Brasilianer hat schon auf Schalke gespielt und hätte hier gerne einen langfristigen Vertrag bekommen. Kruse wechselte im Sommer letzten Jahres für 2,5 Millionen von Freiburg nach Gladbach – ein Schnäppchen.

Selbst bei der Vielzahl verletzter Spieler stand dem Namen nach eine vorzeigbare Mannschaft mit Bundesliganiveau auf dem Platz. Von den elf Spielern in der Anfangsformation waren immerhin sieben Nationalspieler in ihren Herkunftsländern oder sind es heute noch. Dazu kamen dann die Einwechselungen von Julian Draxler und Klaas Jan Huntelaar – mit so einem Team muss mehr als eine peinliche Vorstellung und Demontage möglich sein.

Übungsleiter und Mannschaft

In den einschlägigen Foren der blau-weißen Fans werden diese Dinge seit Monaten sehr sachlich diskutiert. Es ist kein Tempo im Spiel und Kombinationen gibt es auch nicht. Wie qualifizierte Trainer ihren Mannschaften sehr schnell eine neue und attraktive Spielweise vermitteln können, zeigt gerade Roger Schmidt in Leverkusen. Das der ehemalige Salzburger ausgerechnet beim Werksklub unterschrieben hat, ist besonders unglücklich. Immerhin war sein früherer Chef der Schalker Ex-Trainer Ralf Rangnick und der hat noch Kontakt nach Gelsenkirchen. Trotz der vielen Verletzten wurde kein neuer Spieler mehr verpflichtet, obwohl viele Positionen nicht mit der nötigen Qualität für einen CL-Teilnehmer besetzt sind. Der selbst ernannte Führungsspieler Kevin Prince Boateng zeigt auf dem Platz viel zu oft durchschnittliche und oft sogar sehr schwache Leistungen. Bei dem ghanaischen Ex-Nationalspieler beschränken sich die großen Taten meist auf verbale Ankündigungen.

Die Position der beiden Außenverteidiger ist nicht mit Spielern besetzt, die internationalen Ansprüchen und dem Wunsch nach der Meisterschale entsprechen. Der rechte Verteidiger Atsuto Uchida erreicht dieses Niveau nur an seinen guten Tagen – für mehr fehlt die Konstanz. Der im letzten Jahr verpflichtete Dennis Aogo könnte das als linker Verteidiger viel eher erreichen, aber Jens Keller setzt den ehemaligen Hamburger lieber im Mittelfeld ein. Bis Ende August haben Experten und viele Schalker Fans damit gerechnet, dass sich hier noch was tut. Im Gespräch waren der Schweizer Retro Ziegler und der Freiburger Oliver Sorg – passiert ist dann bekanntermaßen nichts. Für den Torjäger Klaas Jan Huntelaar gibt es keinen Ersatz. Der Holländer ist inzwischen 31 Jahre alt und hat in jeder Spielzeit längere Auszeiten gehabt. Das wird bei der gleichbleibenden Belastung durch internationale Spiele in Zukunft nicht weniger werden. Der Ersatzstürmer Adam Szalai wurde für 8 Millionen aus Mainz geholt und nach schwachen Leistungen ein Jahr später nach Hoffenheim für 6 Millionen Euro abgegeben – finanziell und sportlich ein schlechtes Geschäft.

Die Schalker Verantwortlichen in Person von Manager Horst Heldt und Übungsleiter Jens Keller sind bei ihren Einkäufen nicht sehr erfolgreich. Auch Tranquilo Barnetta, Chinedu Obasi, Christian Clemens, Felipe Santana und Jan Kirchhoff können die Erwartungen bisher nicht erfüllen. Das der Manager die Schwächen in der Mannschaft nicht sieht, ist kaum vorstellbar.

Ohne Kohle geht gar nichts auf Schalke

Das Geld muss wirklich knapp sein. Nur so lässt sich erklären, dass es auch keine Kritik am umstrittenen russischen Sponsor Gazprom gibt. Anlässe gab es bereits vor der Ukraine-Krise mehr als genug. Der Energiekonzern ist nicht mit normalen Unternehmen vergleichbar und das ist nicht zuletzt durch die Arbeit des Journalisten Jürgen Roth bekannt, der auch den Ruhrbaronen ein Interview dazu gegeben hat.

In der letzten Saison lag Schalke 04 mit einem Etat von 80 Millionen Euro für den Kader deutlich hinter Bayern mit 140 Millionen auf dem zweiten Platz, aber auch deutlich vor Borussia Dortmund mit 68 Millionen Euro. Allein für das Antreten in der Gruppenphase der Champions League gibt es 8,6 Millionen – ohne entsprechende Leistung auf dem Platz und ohne auch nur ein einziges gewonnenes Spiel. Für einen Sieg bekommt der Verein eine Million und bei einem Unentschieden immerhin noch 0,5 Millionen. Für Unmut unter den Fans sorgte die Erhöhung der Bierpreise um immerhin 8 Prozent. Auch bei den Eintrittskarten liegen die Schalker vorn, zumindest was die Preissteigerungen betrifft. Teurer geworden sind insbesondere die Plätze in den unteren Ticketkategorien, während das obere Segment beinahe stabil geblieben ist. Hier liegt Schalke 04 im Vergleich zu den anderen Bundesligaclubs mit Abstand ganz weit vorne. In dieser Zeit haben sich die Preise für die Dauerkarten bei den Stehplätzen um 51 Prozent erhöht.

Die EU-Kommision hat auch schon ein Auge auf die Schalker geworfen

Es kann auf den Verein noch viel schlimmeres Unheil zukommen, als schlechte Leistungen auf dem Platz. Die Journalisten Klaus Martens und Jochen Leufgens haben in Monitor Anfang September über anstehende Ermittlungen der EU-Kommission im deutschen Profi-Fußball berichtet. Allgemein bekannt ist, dass die hoch verschuldete Stadt Gelsenkirchen im Jahr 2009 Anteile am Stadion erworben und sich an Krediten beteiligt hat. Es flossen 25,5 Millionen Euro, die zum größten Teil aus Steuergeldern stammen: „Geld, das Schalke wohl von keiner Bank mehr bekommen hätte“, heißt es dazu in der Reportage. „Hier in Brüssel hat die EU-Kommission das finanzielle Doppelpassspiel zwischen Clubs und Kommunen längst ins Visier genommen“. Die Bundesrepublik wurde schon vor zwei Jahren aufgefordert über Staatsgelder für Fußballclubs umfassend Bericht zu erstatten. Dabei geht es um den Verdacht illegaler staatlicher Beihilfen für den Profifußball. In dem Beitrag kam auch Robin van der Hout zu Wort, Rechtsanwalt für Kartell- Wettbewerbsrecht: „Wenn man berücksichtigt, dass alles, was in den letzten zehn Jahren passiert ist, grundsätzlich noch relevant ist und eine beihilferechtliche Rückforderung kommen könnte, dann glaube ich reden wir hier über einen hohen dreistelligen Millionenbetrag (…). Also sicherlich einen Betrag größer als 500 Millionen Euro.“

Im Dezember wird Jens Keller zwei Jahre Trainer auf Schalke sein. Das ihm das gelingt, daran besteht derzeit kaum ein Zweifel. Zu verdanken hat er das nicht seiner Leistung und den Erfolgen der Mannschaft – hier bestimmen einzig und allein der finanzielle Zwang und die Sturheit der Verantwortlichen über den Platz auf der Trainerbank. Ein Trauerspiel für Schalke-Fans.

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Grüne Zweifel, Runde Tische und gescheiterte Bildungsexperimente

P1010423Die Sommerferien in NRW haben begonnen und vor allem die Schüler und Lehrer an den Gymnasien sind besonders reif für die Erholung. Das verkürzte Abitur mit acht Jahren sorgt immer noch für hohe Belastungen bis in die Familien hinein. Seit der Einführung von G8 vor neun Jahren ist die Kritik nicht verstummt. Viele Eltern und Schüler waren von Anfang an gegen diese Reform des Abiturs und der Unmut im Lande hat inzwischen auch die rot-grüne Landesregierung inklusive Bildungsministerin Sylvia Löhrmann erreicht. Selbst bei der grünen Basis ist das angekommen und auf dem letzten Landesparteitag in Siegburg gab es viele kritische Stimmen.

In anderen Bundesländern ist die Rücknahme von G8 bereits beschlossene Sache. In Niedersachsen wird es im nächsten Schuljahr eine Rückkehr geben, in Hessen und Baden-Württemberg haben die Schüler die Wahl zwischen beiden Varianten. In Bayern ist ein Volksbegehren geplant und Rheinland Pfalz hat bei dem Experiment gar nicht erst mitgemacht. In NRW findet derzeit eine Abstimmung mit den Füßen statt. Die verbliebenen 13 Gymnasien im Lande mit neun Jahren Schulzeit haben steigenden Zulauf und können die Schülerzahlen kaum bewältigen.

In Deutschland wird viel über die Verbesserung der Schulbildung diskutiert, aber meist steht dann die Zurichtung der Schüler für Wirtschaft und Arbeitsmarkt ganz oben auf der Tagesordnung. Das jüngste Beispiel für ein Bildungsexperiment im Interesse der Gewinnmaximierung ist das verkürzte Abitur mit acht Jahren. Die Unternehmen wollten früher und schneller an die benötigten Fachkräfte kommen. Umgesetzt wurde die Verkürzung durch die politisch Verantwortlichen ohne entsprechende Vorbereitung.
In Nordrhein Westfalen wollten Anfang 2000 alle Fraktionen im Landtag die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit. Doch die Curricula wurden nicht verändert und auch die Inhalte wurden nicht angepasst. „Es gab zu dem Zeitpunkt auch keine Schulbücher auf dem Markt und auch die Lehrer waren nicht auf die Verkürzung vorbereitet. Eine solche radikale Maßnahme hätte vorbereitet werden müssen“, sagt Peter Müller, Lehrer an einem Gymnasium in Gelsenkirchen. „Erst wenn die Lehr- und Stundenpläne angepasst sind, das Unterrichtsmaterial vorliegt und die Lehrer vorbereitet sind, kann eine Verkürzung durchgeführt werden. So war es nur ein schlecht vorbereitetes Projekt“.

Wenn die politische Führung nicht mehr weiter weiß, wird das Problem gerne in Arbeitsgruppen verschoben und Diskussionsrunden ins Leben gerufen. So entzieht sich das Thema der öffentlichen Aufmerksamkeit und es entsteht der Anschein von Dynamik – es tut sich also etwas. Beliebter als die Arbeitsgruppe ist inzwischen der „Runde Tisch“, der ja schon per Definition Schranken abbaut und die gleichberechtigte Beteiligung der Bürger verspricht. Noch weitreichender ist die Kombination von „Rundem Tisch“ und Arbeitsgruppe – mehr an politischer Beteiligung geht nicht. Dabei wird gerne vergessen, dass entscheidend ist, wer an diesem Möbel platznimmt und wer die Stühle verteilt. Das kann man gut sehen am „Runden Tisch Schulzeitverkürzung“, der Anfang Mai auf Einladung der grünen Bildungsministerin Sylvia Löhrmann in der Staatskanzlei NRW stattfand. Das Ergebnis des Runden Tisches war vorher klar, denn von den 23 eingeladenen Parteien, Organisationen, Verbänden und Wissenschaftlern waren nur drei mit einer eindeutig ablehnenden Haltung geladen – die beiden Elterninitiativen gegen das verkürzte Abitur und die Landesschülervertretung. So konnte die WAZ einen Tag später verkünden: „Eltern kommen mit ihrer Forderung nicht durch“.

Die Schüler waren zum ersten Mal dabei und stuften die Veranstaltung als Imagekampagne der Landesregierung ein. „Uns freut, dass die Meinung von Schülern endlich gehört wird, da die LandesschülerInnenvertretung NRW zu den vergangenen zwei Sitzungen des Runden Tisches nicht eingeladen wurde.“, sagte Vorstandsmitglied Johannes Trulsen. Es erstaunt, dass die Betroffenen dieser Reform bisher kaum zu Wort gekommen sind. Immer gehört wurden dagegen die beiden christlichen Kirchen im Lande, obwohl sie es zusammen auf gerade mal 31 Gymnasien in eigener Trägerschaft bringen und das ist bei 513 Gymnasien in NRW nicht viel. Beide lehnen eine Rückkehr ab, aber auch sie glauben nicht an eine erfolgreiche Reform: „So wenig überzeugend 2003 der abrupte Sinneswandel der verantwortlichen Politiker von der Ablehnung des achtjährigen Abiturs zu dessen zügiger Umsetzung war, so wenig überzeugend wäre jetzt eine überstürzte Umkehr“, heißt es in einer Erklärung des evangelischen Büros in Düsseldorf. Bei den Bewahrern der aktuellen Situation hat man nicht die besseren Argumente. Es dominieren der Sachzwang und die Angst vor dem Eingestehen gemachter Fehler. In der aktuellen Diskussion stehen weniger die Wünsche der Schüler im Vordergrund, sondern es geht um die Durchsetzung bildungspolitischer Vorstellungen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat 47 000 Mitglieder in NRW und davon unterrichten 7000 an einem Gymnasium. Die Führung der Organisation ist gegen eine Rückkehr zum alten Abitur und man favorisiert die Gesamtschule. Bei der Durchsetzung stört ein für Eltern und Schüler attraktives Gymnasium. Hier sind sich die Vertreter eines kleinen Teils der Lehrerschaft mit der Landesregierung einig. Dabei sind die rot-grünen Landespolitiker gar nicht grundsätzlich gegen das Abitur mit neun Schuljahren, denn das wird es auch in Zukunft geben und zwar an den Gesamtschulen. Diese Schulform ist erwünscht und wird weiter ausgebaut – trotz sinkender Schülerzahlen wird es im nächsten Schuljahr 23 neue Gesamtschulen in NRW geben.

Die Landeselternschaft der Gymnasien ist ebenfalls gegen eine Rückkehr zu G9 und das verwundert auf den ersten Blick, denn hier spricht der organisierte Wille der gymnasialen Eltern. Der Interessenverband setzt aber weiter auf das differenzierte Schulwesen und will das Gymnasium als elitäre Bildungsanstalt erhalten. Dazu muss der besondere Stellenwert betont werden und sei es auch für den Preis enormer Belastungen bei den Schülern. Die Eltern sehen ihr Gymnasium durch sinkende Schülerzahlen und den politischen Willen der Landesregierung zur Gesamtschule bedroht.
Das Schalker Gymnasium in Gelsenkirchen gehört zu den 13 Schulen in NRW, die nach einem kurzen Zwischenspiel mit verkürzter Schulzeit wieder zu G9 zurückgekehrt sind. Die Erfahrungen mit G8 waren eindeutig. „Die Schüler hetzen durch den Stoff und kommen nicht zum eigenständigen Arbeiten“, sagt Schulleiterin Angelika Philipp. „Es ist nicht möglich, die Aufgaben differenziert auf den jeweiligen Schüler zuzuschneiden. Die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit bleibt auf der Strecke. Der Stoff wird nicht reflektiert, sondern einfach abgearbeitet“. Das Petrinum-Gymnasium in Dorsten hat die Wahlmöglichkeit zwischen G8 und G9 angeboten. Wegen mangelnder Nachfrage wird aber inzwischen nur der längere Weg zum Abitur angeboten. „Das G8 fördert die Nachhilfeindustrie und bei einigen Klassen des sechsten Jahrgangs bekommt mehr als die Hälfte der Schüler bereits professionelle Unterstützung“, kritisiert der Gymnasiallehrer Alfons Schindler. „Das ist zum Beispiel in Mathematik und in Latein der Fall“.

Der „Runde Tisch Schulzeitverkürzung“ hat neben der mehrheitlichen Ablehnung des Abiturs mit neun Jahren drei Arbeitsgruppen hervorgebracht. Die Entscheidung ist also vertagt und im Herbst wird es weitergehen. Die Bildungspolitik ist schon lange zum Spielball verschiedener Interessen und politischer Wechselspiele geworden. Es wird gerne vergessen, dass es um eine bessere Ausbildung der Schüler geht und nicht um schnelle Abschlüsse im Sinne der Wirtschaft. Dabei haben wohl nur sehr wenige Schüler etwas gegen weniger Schule. Wie man dazu kommt, wissen die Experten sehr genau und das sind Eltern, Lehrer und Schüler. Die können viel zu einer modernen Schule beitragen und das kann auch an einem „Runden Tisch“ der Landesregierung in Düsseldorf geschehen. Selbst Schule kann in einem reichen Land wie Deutschland schön sein – aber dazu läuft derzeit viel zu viel falsch.