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Die Hindenburgstraße ist so wertvoll wie ein kaputtes Fahrrad

Die Hindenburgstraße spiegelt sich im Fenster der Neuen Synagoge Foto: R. v. Cube

Ein Teil der Ruhrbarone-Redaktion sitzt ja gar nicht im Ruhrgebiet, sondern in Mainz. Und hier ist gerade ein Streit neu aufgeflammt, um die Frage, ob man die Hindenburgstraße umbenennen soll. Diese Straße in der Mainzer Neustadt ist eine hübsche, kleine Allee, die sich insbesondere dadurch auszeichnet, dass sie weitgehend von Bomben verschont blieb, so dass sie einer der wenigen Flecken in Mainz ist, der noch den Charme der Jahrhundertwende-Architektur ausstrahlt. Der Name ist Programm. Außerdem liegt hier die eindrucksvolle Neue Mainzer Synagoge.

Der Inhalt des Streits ist rasch zusammengefasst: Die einen wollen die Straße umbenennen, weil Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannt hat und ein Monarchist und Kriegstreiber war, die anderen wollen den Namen so lassen, weil Hindenburg doch nicht so schlimm gewesen sei und weil es Geld koste, alle Personalausweise umzuschreiben. Eine Anwohnerbefragung soll ergeben haben, dass die große Mehrheit gegen eine Umbenennung ist. Es gab eine Historikerkommission, die minutiös ausgerechnet hat, zu wieviel Prozent Hindenburg ein Nazi war, und die zum Ergebnis kam, dass die Nazihaftigkeit nicht die Schwelle erreichen würde, bei der man die Straße umbenennen muss. Da waren die Konservativen erleichtert, aber jetzt haben die Linken einen neuen Vorstoß gemacht und es könnte sein, dass die Straße von einer Mehrheit aus Linken, SPD und Grünen doch noch umbenannt wird.

Ich bin als Kind in einer Straße aufgewachsen, die Friedrich-Ebert-Straße heißt. “Friedrich-Ebert-Straße” – dieser Name klingt für mich nach Kindheit, Vertrautheit und, auch wenn mir dieser Begriff sonst nicht über die Lippen kommt: nach Heimat. Dass Friedrich Ebert nicht nur eine Straße war, sondern ein berühmter Sozialdemokrat und erster Reichspräsident, erfuhr ich erst in der Schule und ich fand das sehr seltsam. Für mich war das ein Eigenname. Der Name meiner Straße. Hätte man diese in Hohenzollernstraße umbenannt, so hätte ich das sehr schrecklich gefunden. Würde ich heute noch schrecklich finden. Tatsächlich hieß die Friedrich-Ebert-Straße aber früher so. Die Apotheke hieß daher auch noch lange Hohenzollern-Apotheke und als sie in Nilpferd-Apotheke umbenannt wurde (ja, wirklich, NILPFERD!), fand ich das auch schrecklich. Mein Gefühl zu diesen Namen ist also völlig willkürlich, ich kann genauso nostalgische Emotionen für Friedrich Ebert wie für die Hohenzollern haben. Weil es dabei um die Wörter geht und nicht um die Personen.

Dass die Benennung einer Straße oder das Aufstellen eines Denkmals oder das Anlegen eines Platzes eine nennenswerte Auswirkung auf das Gedenken der Menschen habe, halte ich für eine gravierende Fehleinschätzung. Natürlich gibt es Gegenbeispiele, wenn es um wirklich bewegende und bedeutsame Gedenken gibt, etwa das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Aber das sind Ausnahmen. Irgendein Reiter auf einem Sockel, an dem man täglich vorbeigeht, wird von 95% der Menschen übersehen. Von den meisten Namensgebern der meisten Straßen wissen die meisten Menschen nicht, wer die sind oder waren. Wenn eine Straße umbenannt wird, dann beschäftigt sich ein kleiner Kreis von Personen sicherlich sehr aufrichtig und begeistert mit der Frage, wen man stattdessen ehren sollte und dann wird eine lokale Schriftstellerin oder ein Politiker oder Wohltäter gefunden, der es wirklich verdient hat. Und ein etwas größerer Kreis von Menschen liest das im Lokalteil und vielleicht gibt es auch ein Schild irgendwo. Aber bald ist das eben einfach die Berta-Reuters-Straße und das wird ein Eigenname und ab und zu kommt vielleicht jemand auf die Idee, „Berta Reuters“ zu googlen, aber das war es auch.

Andere Namen sind natürlich bekannter. Und sei es, weil eben Straßen so heißen. Es wäre spannend gewesen, die Anwohner statt nach ihrer Meinung zum Straßennamen, danach zu fragen, was sie über Hindenburg wissen. Die Chance, dass sie überhaupt etwas über ihn wissen, sinkt vermutlich, wenn er nicht mehr in Straßennamen auftaucht. Aber verstehen Sie mich nicht falsch, das ist kein Plädoyer dafür, die Straße so zu lassen, weil es so wichtig für das Geschichtsverständnis wäre, dass sie so heißt. Ich bin dafür, den Namen so zu lassen, aber nicht, weil ich der pädagogischen Funktion eines Straßennamen derartige Bedeutung beimessen würde.

Ja, es wird schon ein wenig zum Geschichtsverständnis beitragen, wenn man in seinem täglichen Umfeld die Spuren der Vergangenheit sieht, wenn man lernt, aus welcher Zeit welche Gebäude stammen, wie man zu welcher Epoche Straßen benannt hat. Aber dass es einen messbaren Effekt auf die Haltung der Menschen hat, wie ihre Verkehrswege heißen, das halte ich für völlig übertrieben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Sympathien für Herrn Hindenburg größer sind, weil Menschen denken: Der hat sogar eine Straße, das muss einfach ein toller Hecht sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Zahl der Verharmloser der Nazizeit (oder der Monarchie, wobei die ohnehin irrelevant sein dürften) sinkt, wenn man konsequent das Stadtbild von Namen reinigt, die belastet sind.
Irgendwer wird jetzt einwerfen, dass man dann ja auch noch Adolf-Hitler-Straßen haben könnte. Aber dass man die nicht haben will, steht außer Debatte und nicht immer ist ein Extrembeispiel geeignet, daraus eine Regel abzuleiten.

Die Konservativen und die Linken liefern sich ein ideologisches Gefecht. Die Argumente der Konservativen wirken dabei auch etwas hilflos, denn die Kosten für die ganzen Umschreibungen sind sicher ärgerlich, aber nicht der Kern der Sache. Und wir kriegen in Mainz ja jetzt eine Milliarde Steuern von Biontech. Die minutiöse Bewertung des Fehlverhaltens ist auch fragwürdig. Wie soll man denn einen objektiven Wert festlegen, ab dem einer unehrenhaft geworden ist? Die Fehlannahme liegt schon darin, den Straßennamen mit solcher Bedeutung aufzuladen.

Denn die Annahme, es würde wirklich jemand mit so einem Namen „geehrt“ ist albern. Der Name hat sich vor langer Zeit von der Person gelöst und ist ein Eigenname geworden. Es gibt in der Nähe auch eine Kaiserstraße. Das ist die große Prunkstraße mit Grünstreifen in der Mitte. Der Name passt echt gut zu der Straße. Der Einfluss ihres Namens auf die Zustimmung zur Wiedereinführung der Monarchie dürfte dennoch verschwindend gering sein.

Nur weil man plausibel nachweisen kann, dass eine Sache ideologisch nicht zu befürworten ist – etwa die Monarchie oder die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler – folgt daraus nicht automatisch, dass es notwendig oder angemessen wäre, die Existenz aller Hinweise auf diese Sache zu tilgen. Das ist es, was an Ideologen so überheblich und nervend ist: Dass sie glauben, jeder, der ihre Schlüsse aus ihren Erkenntnissen nicht teilt, müsse entweder unzureichende Erkenntnisse haben oder aktiv für die gegnerische Seite stehen. Wer also die Hindenburgstraße nicht umbenennen will, habe entweder nicht erkannt, was für ein mieser Typ das war oder sei ohnehin selbst ein verkappter Nazi und bekämpfe den wichtigen Vorstoß aus diesem Grund.
Wenn Sie selbst ein verkappter Nazi sind und gehofft haben, in diesem Text Schützenhilfe für die Verteidigung Hindenburgs zu finden, liegen Sie falsch. Ich habe keinerlei Sympathien für den Herrn. Ein monarchistischer Tattergreis, der seine Berufung darin sah, junge Männer im Schützengraben taktisch ausgefuchst sterben zu lassen und, man kann es nicht oft genug wiederholen: Hitler zum Reichskanzler ernannt hat.

Mein Konservatismus hat nichts mit Ideologie zu tun. Ich war auch dagegen, den Palast der Republik abzureißen. Denn das ist das Gleiche unter anderen Vorzeichen. Es hat keinen Einfluss auf die Macht der DDR in den Köpfen der Menschen, ob deren Prunkbau noch steht. Da wurde nur ein Luftschloss gesprengt. Aber das war ein eindrucksvolles Gebäude und es wäre faszinierend, durch Berlin zu laufen und diese architektonische Collage aus Zeitaltern und Stilen und historischen Gebäuden zu sehen. Dass Opfer der DDR-Diktatur sich beim Anblick des Palastes unwohl fühlen könnten, ist natürlich ein bedenkenswertes Gegenargument. Aber jeder Fleck Ostdeutschlands ist geeignet, die Erinnerung an die DDR wachzurufen und wenn eine freiere Gesellschaft diese Flecken überwuchert und sich aneignet, so müsste das der Verarbeitung doch besser tun, als Überreste auszuradieren.

Mein Konservatismus ist ein völlig irrationaler, ästhetischer, emotionaler. Ich habe keinen Respekt vor dem monarchistischen Tattergreis. Ich habe Respekt vor der Straße. Die heißt Hindenburgstraße. Natürlich haben Menschen die so genannt und können Menschen sie umbenennen. Aber es ist nicht bedeutungslos, dass sie für Menschen jetzt so heißt. Dinge haben einen Wert, einfach dadurch, dass sie da sind. Sie haben diesen Wert natürlich nicht ohne Menschen, sie haben ihn durch Menschen.

Ich mag es auch nicht, Möbel wegzuschmeißen oder gar Bücher, ich freue mich, wenn jemand die noch mitnimmt. Nicht rational, wegen Recycling, sondern einfach, weil da ein Stück Geschichte drinsteckt, weil jemand das mal hergestellt, gekauft, benutzt hat und es herzlos wäre, es ohne Not zu vernichten. Und ich mag das Unperfekte, das patchworkartig zusammengesetzte, Dinge mit Patina und Rissen, umfunktioniert, neu interpretiert, von Neuem überwuchert. Ich mag eine Stadt, in der sich die Spuren der Geschichte zu einem lebendigen Organismus überlagern, alter Prunk, zweifelhafte Brutalität, verzweifelter Wiederaufbau, längst altmodisch gewordene Postmoderne, alles fügt sich zusammen zu etwas Neuem. Ich mag es wie das architektonische Meisterwerk der Neuen Mainzer Synagoge zwischen den Gründerzeit-Häusern steht und wie sie eine lebendige Gemeinde beherbergt, während der Versager, der den Aufstieg der Nazis mitverursacht hat, nur ein toter Typ von früher ist, von dem Kinder im Geschichtsunterricht sagen: Ach, nach DEM heißt meine Straße? Ich mag das Graffiti und wie von einem uralten Fahrrad nur noch ein Rad an den Zaun gekettet übrig ist. Das ist alles nicht rational und erst recht nicht ideologisch. Es ist einfach Wertschätzung und Respekt vor denen Dingen, die ich vorfinde.
"
Der Glaube, man könnte über alles Verfügen – weil man ideologisch überlegen ist, oder auch, weil man die Kohle hat und sich den Namen eines Stadions einfach kaufen kann, in dem zuvor Generationen von Menschen leidenschaftliche Stunden verbracht haben – dieser Glaube ist einer, der keine Sekunde danach fragt, wie ein Mensch sich dabei fühlt.
Ich weiß schon, dass die Ideologen über mich lachen werden. “Hindenburg zu ehren, hält der für einen Akt der Menschlichkeit!” Aber das ist es eben nicht. Ich halte die Beibehaltung des Namens eben nicht für eine Ehrung der Person. Mir mangelt es nicht an Erkenntnis darüber, wie schlecht der Mann war. Ich ziehe aus dieser Erkenntnis nur nicht die selben Schlüsse.
Die Ideologen werden immer wieder den Kniff anwenden, einem zu unterstellen, man habe den Hintergrund nicht verstanden oder sympathisiere gar mit den Falschen. Dabei geht es in Wahrheit um die Frage, ob die aus der Erkenntnis gezogenen Schlüsse sinnvoll und angemessen sind und darum, dass die Menschen, die es betrifft, in dieser Rechnung niemals auch nur bedacht werden. Man könnte ja immer noch zum Schluss kommen, dass das andere Gut höher wiegt. Vielleicht gibt es Menschen, die bei der Nennung des Namens zusammenzucken, auch deren Gefühle sind bedeutsam. Aber wenigstens anzuerkennen, dass es für einen Menschen nicht bedeutungslos ist, wenn man einfach über das Wort verfügt, das den Ort bezeichnet, in dem er seine Heimat hat (und eine Straße bietet viel mehr Heimat als eine lächerliche “Nation”), das anzuerkennen würde Leuten gut zu Gesicht stehen, die von sich behaupten, für Gleichheit und Gerechtigkeit zu kämpfen.

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Bochumer
Bochumer
2 Jahre zuvor

Der Artikel bringt die Sache auf den Punkt. Die Ehrung einer Straßenbenennung ist nicht so prägend für eine Gesellschaft, als dass man sich daran krampfhaft abarbeiten müsste.

thomas.weigle
thomas.weigle
2 Jahre zuvor

Die Spuren der Geschichte finden der Autor und alle anderen an den allgegenwärtigen Denkmälern mit den Namen der in zwei Weltkriegen Gefallenen. Das ist sehr viel eindrücklicher, auch weil dort oft noch kurzeTexte zu finden sind,die den damaligen Zeitgeist dokumentieren. Von diversen Gedenkstätten und Denkmälern, die an andere Opfer erinnern gar nicht zu schreiben. Eine Hindenburgstraße braucht es dazu nicht. Eine Friedrich-Ebert-Straße oder eine gleichnahmige Grundschule oder Gymnasium,an denen ich viele Jahre verbracht habe, braucht es dagegen schon. Den korrupten Hindenburg mit Friedrich Ebert in einem Atemzug zu nennen, finde ich ziemlich daneben. Auch wenn der eine Nachfolger Friedrich Eberts war.

discipulussenecae
discipulussenecae
2 Jahre zuvor

Zur Darstellung dieses Themas muß man gar nicht bis nach Mainz fahren. In Bottrop gibt es die in Historikerkreisen berühmte 'Karl-Peters-Straße', von der kaum jemand weiß, nach welchem Rassisten und Kolonialisten sie benannt ist. Die Diskussionen um die Umbenennung dieser Straße würden das Thema exemplarisch darstellen.

Im Bochumer Ehrenfeld sind in den 90ern neben der 'Petersstraße' auch die 'Lüderitzstraße' und andere umbenannt worden. Viel interessaner war damals – soweit ich mich erinnere – welche ernsthaften Vorschläge zur Umbenennung eingebracht wurden.

Und nicht zuletzt gibt es in Bochum Freitag nachmittags den Feierabendmarkt auf dem nach einem kommunistischen Widerstandskämpfer benannten 'Springerplatz'. Die privaten Initiatoren benannten ihn nach seinem vormaligen Namen als 'Moltkemarkt', um an eine vor allem älteren Bochumern noch geläufige Bezeichnung des Marktplatzes anzuknüpfen. Damit hatten sie aber die Rechnung ohne die politisch und moralisch hellwache Bochumer Linke gemacht! Wütende Demos, Plakataktionen und endlose Artikel in den einschlägigen Internetforen gegen den "preußischen Militaristen" Helmuth von Moltke waren die Folge. Dabei wäre die sicherlich gut gemeinte Absicht, eine alte Bochum Tradition wiederzubeleben, doch ganz einfach zu rechtfertigen gewesen, hätte man das Patrozinium vom preußischen Generalfeldmarschal auf seinen Urgroßenkel Helmuth James Graf von Moltke übertragen, der im Kreisauer Kreis federführend aktiv war und von den Nazis hingerichtet wurde.

Vielleicht wäre es ja eine pragmatische und alle zufriedenstellende Lösung, das Mainzer Straßenschild um den Hinweis zu ergänzen, daß die 'Hindenburgstraße' nach dem Mathematiker und Philosophen Carl Friedrich von Hindenburg benannt wurde.
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Friedrich_Hindenburg

So, wie es in einigen Städten auch mit der 'Karl Peters-Straße' gemacht wurde: Es gab zum Glück einen ebenso unbelasteten wie verdienten Juristen gleichen Namens. Den heute kaum ein Mensch noch kennt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Peters_(Rechtswissenschaftler)

Robert Müser
Robert Müser
2 Jahre zuvor

Ich würde die Umbenennung in

„Irgendwer-hat-immer-eine-Leiche-im-Keller-liegen-Straße“

vorschlagen, alternativ wäre das System aus Amerika wie 1. Straße, 2. Straße, 3. Straße sinnvoll. Ist politisch sicherlich vollkommen korrekt und unverfänglich …

thomas.weigle
thomas.weigle
2 Jahre zuvor

In Halle/W wurde vor Jahren die Lettow-Vorbeck-Straße umbenannt. In Martin-Luther-Straße. In den 1000 Jahren hieß sie Hermann-Göring-Straße.3x Antisemiten…
In Meppen übrigens gibt es seit einiger Zeit kein Hindenburg-Stadion mehr.

Helmut Junge
Helmut Junge
2 Jahre zuvor

"Die Fehlannahme liegt schon darin, den Straßennamen mit solcher Bedeutung aufzuladen."
Denke ich auch. Ich hätte nebenbei auch nicht die Zeit mich mit solch unwichtigen Nebenkriegsschauplätzen zu beschäftigen.
Und Nebenkriegsschauplätze sind das auf jeden Fall.

der, der auszog
der, der auszog
2 Jahre zuvor

@Helmut (#6)
Ich schließe mich deiner Meinung voll und ganz an.
In Münster hatten wir bis vor zehn Jahren eine ähnliche Diskussion wie derzeit in Mainz. Vor dem bischöflichen Schloss, der heutigen Uni, befindet sich einer der größten innerstädtischen Plätze Europas, der seit Ende 2012 „Schlossplatz“ heißt und vorher „Hindenburgplatz“ hieß. Für meine damaligen Kommilitonen und mich heißt der Platz bis heute immer noch Hindenburgplatz, weil wir ihn nur so kennen und er wegen seiner zentralen Lage und seiner optimalen Parkmöglichkeit mitten in der City immer ein idealer Treffpunkt für Züge durch die Altstadt ist. Einen Grund den Namen Hindenburgplatz in Frage zu stellen gab es für mich nie, weil die Namensgebung in Hindenburgplatz 1927 erfolgte, nachdem Hindenburg 1925 zum Reichspräsident gewählt wurde. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler erfolgte aber erst 1933, also einige Jahre später. Vor 1925 hieß dieser Platz übrigens „Neuplatz“, was zeigt, dass es nicht unüblich ist, öffentliche Plätze, Straßen oder Verkehrswege immer mal wieder umzubenennen, weshalb wahrscheinlich jeder gut mit einem Schlossplatz leben kann und irgendwann wird sich wahrscheinlich kaum noch wer daran erinnern, dass dieser Ort mal Hindenburgplatz hieß. Ausschlaggebend für die Umbenennung war sicherlich Hindenburgs Rolle beim Aufstieg Hitlers zum Reichskanzler. Das reicht allerdings nicht aus, Menschen als Nazis abzuqualifizieren, nur weil für sie der Hindenburgplatz auch weiterhin der Hindenburgplatz bleibt, übrigens auch nicht für die Jungs und Madels der Jungen Union Münster, die am leidenschaftlichsten für den Namenserhalt kämpften und die sich immer wieder gerne mit Leib, Seele und der preußischen Reichsflagge für die Werte und Figuren des alten Kaiserreiches stark und öffentlich lächerlich gemacht haben, wie schon Martín Niewendick vor neun Jahren auf den Ruhrbaronen zu berichten wusste. Nazi ist da das falsche Wort. Depp oder Idiot trifft es bei der JU MS entschieden besser.

Hier gehts zu Niewendick:
https://www.ruhrbarone.de/die-junge-union-muenster-und-die-reichsflagge/51212

thomas.weigle
thomas.weigle
2 Jahre zuvor

Da wir ja keinerlei Probleme mit Antisemitismus und Rechtsradikalismus/Nazismus haben, können wir uns die entsprechenden, an diese dunklen Zeiten erinnernden Bezeichnungen auf Straßenschildern ruhig leisten. Hindenburg war übrigens einer der wirkmächtigsten Herolde der sog.Dolchstoßlegende und hat dadurch wesentlich zur Zerstörung der Weimarer Demokratie beigetragen. Von der Machtübergabe an Hitler nicht zu schreiben.

Manni
Manni
2 Jahre zuvor

"dann wird eine lokale Schriftstellerin oder ein Politiker oder Wohltäter gefunden"

Das war einmal. Heute wird über die Umbenennung der Mohrenstraße (Berlin) in geschwafelt (die Bezeichnung Mohr sei diskriminierend). Gleichzeitig wehrt sich der nigerianische Besitzer des Restaurants zum Mohrenkopf in Kiel gegen die Dämonisierung seines Lokals (zum-mohrenkopf.de), dessen Name er mit Stolz betrachte.
Oder man nehme den Zwist über die Umbenennung der Offenbacher Bismarckstraße in Haftbefehlstraße, mit der Begründung, dass Bismarck Rassistznd Kolonialverbrecher sei, wohingegen Haftbefehl als echter Offenbacher Rapper die Vielfalt der Stadt repräsentiere.
Mit scheint, Sinn und Verstand sind den Umbenennen längst abhandengekommen.
Das unverzügliche Rückbenennen nach Ende einer Diktatur halte ich für Unumgänglich. Alles andere ist eitle Selbstdarstellung ohne gesellschaftlichen Nutzen.

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