
Ab dem 1. Januar 2027 soll der CO₂-Preis in einem neuen EU-Emissionshandel entstehen. Von einem Tag auf den anderen könnten dann die Preise für Benzin, Diesel, Gas und Heizöl stark steigen. Demokratische Politiker werden nervös, denn AfD und Linkspartei werden diese Chance nutzen.
Angela Merkel hatte immer einen untrüglichen Instinkt, wenn es um die Stimmung in der Bevölkerung ging. Nun hat sich die Altkanzlerin im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) zwar dafür ausgesprochen, an den europäischen Klimazielen und der Ausweitung des CO₂-Emissionshandels ab 2027 festzuhalten. Weil er das Tanken und Heizen für Verbraucher fossiler Brennstoffe deutlich teurer machen könnte, sei aber eine soziale Kompensation wie das Klimageld zwingend erforderlich. „Es hat bis jetzt keiner geschafft, eine vernünftige soziale Kompensation wie das Klimageld einzuführen, was für die Akzeptanz zwingend wäre. Und jetzt ist das Thema in einer erstaunlichen Weise in den Hintergrund getreten.“
SPD-Fraktionschef Matthias Miersch hatte schon zuvor die Bundesregierung zu einer „offenen Debatte“ über den europäischen Emissionshandel für Gebäude und Verkehr gedrängt. „Niemand kann derzeit voraussagen, wie teuer die Ausweitung der CO₂-Bepreisung den Sprit und das Heizen ab 2027 machen wird“, sagte Miersch im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) und mahnte: „Wir dürfen für den Klimaschutz nicht den sozialen Zusammenhalt zerstören.“
Und schon kurz nach der Veröffentlichung des Koalitionsvertrages hatte Grünen-Chef Felix Banaszak die SPD und CDU dafür kritisiert, dass kein Ausgleich zu den auf die Bürger zukommenden Belastungen geplant sei: „Damit lässt insbesondere die SPD Menschen mit kleinen Einkommen allein mit steigenden Kosten für Heizen und Autofahren. Man kann ja schon die Uhr danach stellen, wann die ersten Unions- und SPD-Politiker deshalb dann den Zertifikatehandel bei Heizen und Verkehr als Ganzes in Frage stellen. So beißt sich die Katze in den Schwanz“, sagte Banaszak im Gespräch mit der Rheinischen Post.
Die Belastung der Bürger durch den Emissionshandel könnte erheblich werden: Für eine Familie, die im Jahr 30.000 kWh Gas verbraucht und jährlich 20.000 Kilometer mit dem Auto fährt, geht es um 240 Euro im Monat, rechnete Hans Martin Esser schon Anfang Februar in einem Cicero-Beitrag vor und kam zu dem Schluss: „Es wird mutwillig Inflation entfacht und die Wettbewerbsfähigkeit ganz Europas weiter geschwächt, da kein Konkurrent im Welthandel sich derlei unterwirft. Man darf davon ausgehen, dass Indien, die USA, Japan und China sich über die Marktgewinne freuen, die die Abwanderung von europäischen Betrieben mit sich bringen werden, denn für die Industrie gelten die Regularien ja auch.“
Die Linke ist klar gegen den Emissionshandel. Ihr klimapolitischer Sprecher Lorenz Gösta Beutin sagte im Interview mit der taz: „So halte ich den Emissionshandel im Bereich Verkehr und Wärme grundsätzlich für falsch. Aber er ist leider beschlossen, auch deswegen braucht es funktionierende Ausgleichsmechanismen wie beispielsweise ein soziales Klimageld.“ Deutschland sei in einer Situation, wo von rechts massiv die Demokratie angegriffen werde. „Wir sollten dazu beitragen, dass Klimapolitik etwas ist, was die Demokratie stärkt und nicht weiter schwächt. Das kann nur eine Klimapolitik leisten, die auch sozial gerecht ist. Und daran ist die aktuelle Bundesregierung nicht interessiert.“ Die AfD hat indes klargestellt: „Keine Klimaabgaben, kein Geld für CO₂ – CO₂-Bepreisung abschaffen.“
Experten wie Manuel Frondel, Leiter des Kompetenzbereichs „Umwelt und Ressourcen“ am RWI und seit 2009 außerplanmäßiger Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum, halten nichts vom Klimageld. Frondel sagte in Capital Beat: „Statt eines Klimageldes auszuzahlen, sollten die Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung für die Senkung von Strompreiskomponenten, insbesondere der Netzentgelte, verwendet werden. Das würde Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger entlasten und gleichzeitig die Energiewende voranbringen. Denn irgendjemand muss den über 700 Milliarden Euro teuren Netzausbau finanzieren.“
Würde hingegen ein Klimageld ausgezahlt, hätten zwar die Bürger eine Entlastung, doch sie würden durch die steigenden Netzentgelte wieder zusätzlich belastet: „Linke Tasche, rechte Tasche – für Erna Normalverbraucherin ist so nichts gewonnen!“ Und die Unternehmen gingen beim Klimageld ohnehin völlig leer aus.
Frondel hat auch eine Lösung parat: „Aus volkswirtschaftlicher Perspektive“, sagt Frondel, „wäre es wünschenswert, Reaktoren zu reaktivieren, da so kostengünstig emissionsarmer Strom produziert werden kann, der teilweise den Bau neuer Erdgaskraftwerke, die eines Tages mit teurem grünem Wasserstoff betrieben werden sollen, überflüssig macht.“ Ganz entscheidend dabei sei jedoch die politische Unterstützung für solche Pläne: „Ich bin mir sicher, dass sich privatwirtschaftliche Initiativen dafür finden werden – besonders dann, wenn sich die Politik zu langen Laufzeiten für reaktivierte AKWs durchringen kann. Zur Erreichung der Treibhausgasneutralität wären sehr lange Laufzeiten jedenfalls sehr hilfreich.“
Doch ein Comeback der Kernenergie wird es nicht geben. Die SPD verhinderte, dass auch nur die Idee der Union, den Wiederbetrieb der stillgelegten Reaktoren zu prüfen, in den Koalitionsvertrag schaffte, und Der Spiegel zitiert Umweltminister Carsten Schneider (SPD): „Wir haben den Atomausstieg beschlossen. Er ist auch gesellschaftlich akzeptiert.“
Die Frage ist, wie lange das so bleibt: Auch wegen der hohen Energiepreise schreitet die Deindustrialisierung des Landes voran. Erst in der vergangenen Woche hat sich der Stahlhersteller ArcelorMittal wegen der hohen Kosten – trotz zugesicherter Milliardensubventionen – dazu entschieden, die Grünstahl-Produktion in Deutschland nicht aufzunehmen: „Die ersten neuen Elektrolichtbogenöfen“, teilte das Unternehmen in einer Presseerklärung mit, „werden in Ländern gebaut, die eine wettbewerbsfähige und planbare Stromversorgung bieten können. ArcelorMittal hat im Mai erklärt, den nächsten Elektrolichtbogenofen in Dünkirchen (Frankreich) zu bauen. Die aktuellen Strompreise in Deutschland sind sowohl im internationalen Vergleich als auch im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern hoch.“
Die hohen Strompreise könnten auch dazu führen, dass die von der Bundesregierung befürwortete KI-Gigafabrik nicht nach Deutschland kommt. Die Energiekosten machen 80 Prozent der laufenden Kosten eines solchen Rechenzentrums aus. In fast jedem europäischen Land wäre der Betrieb günstiger.
Steigende Kosten für die Verbraucher, der Verlust von Industriearbeitsplätzen bei gleichzeitiger Vernichtung von Zukunftstechnologien zeigen, dass sich Deutschland bei der Energiewende verrannt hat. Die Vorstellung, die durch die Energiewende herbeigeführten Kosten wegsubventionieren zu können, ist illusorisch. So viel Geld steht schlicht nicht zur Verfügung. Und technische Alternativen wie den Wiedereinstieg in die Kernenergie, den Bau neuer, kleiner Reaktoren, scheitern an der SPD, die sich entschlossen hat, weiter tapfer und gegen jede Realität das grüne Fähnlein zu schwenken.
Doch nicht nur die wirtschaftlichen, auch die politischen Kosten könnten enorm sein. 2027 ist ein Superwahljahr: In Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein und dem Saarland stehen in dem Jahr Landtagswahlen an. Die wahrscheinliche Wut über die massiv gestiegenen Energiepreise könnte zu massiven Zugewinnen von AfD und Linken führen. Die demokratischen Parteien würden von rechts und links in die Zange genommen. Auch Proteste wie in Frankreich, als die Gelbwesten gegen eine Erhöhung von 7 Cent auf den Liter Diesel und 3 Cent auf den Liter Benzin auf die Straße gingen, wären nicht überraschend. Vor allem, wenn AfD und Linke solche Proteste – in welcher Form auch immer – unterstützen würden. Dass wahrscheinlich zur selben Zeit 2027 in mehreren europäischen Ländern gegen die durch den Emissionshandel steigenden Kosten demonstriert werden wird, erhöht den Effekt der Proteste.
Die demokratischen Parteien werden dann reagieren müssen. Die Folgen der Energiewende, das wird spätestens 2027 sichtbar, gefährden nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Demokratie. Der größte Fehler wäre, in Panik jede Klimapolitik aufzugeben. Vernünftig hingegen wäre es, endlich einen Weg zu wählen, der durch Technologieoffenheit wirtschaftliches Wachstum und günstige Energiepreise ermöglicht. Den wird es ohne Kernkraft – in welcher Form auch immer – nicht geben.
Zu dieser Erkenntnis ist mittlerweile auch Griechenland gelangt. Durch die Zahl seiner Sonnenstunden und tausende Inseln sind die Potenziale der Erneuerbaren Energien in Griechenland deutlich größer als in Deutschland, zudem hängt seine Wirtschaft nicht im selben Maß von der Industrie ab. Doch der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis erklärte vor wenigen Tagen: „Das mag für einige Zuhörer überraschend sein, denn Griechenland ist ein Land ohne Erfahrung oder Hintergrund in der Kernenergie“, sagte Mitsotakis. „Aber wenn ich mir die globalen Energieentwicklungen anschaue, sehe ich keinen Weg zur Klimaneutralität ohne Atomkraft.“
Von deutschen Politikern die Klugheit eines griechischen Premiers, dessen Wurzeln auf Kreta liegen, zu erwarten, wäre unfair. 5000 Jahre Hochkultur holt man nicht in ein paar Jahrhunderten auf. Aber die grundsätzliche Bereitschaft zu lernen wäre durchaus angemessen – vor allem, wenn es um den Schutz der Demokratie und des Wohlstands geht.
Wenn man bedenkt, dass Deutschland historisch (heute auch?) im Osten an Elbe und Saale endet, kann man die Kernkraftwerke somit eigentlich problemlos reaktivieren und neue bauen oder muss man dafür erst die östlich von Elbe und Saale, in Berlin, also irgendwo im Slawenland befindliche Bundesregierung oder was man dafür hält dazu fragen?
Ich verstehe zwei Sachen nicht.
Erstens, wie man Atomkraft für eine günstige Energiequelle halten kann. Das war Atomkraft nie, sie hat sich für Unternehmen immer nur durch massive Subventionen gerechnet – entweder ganz offene Subventionen oder dadurch, dass Kosten stillschweigend der Öffentlichkeit aufgebürdet wurden, statt sie in die Kalkulation der Kraftwerke hineinzunehmen. Beispiele für letzteres sind die Ewigkeitskosten der Endlagerung und die Risikokosten eines Unfalls. Beides konnte man in die Kostenrechnung hineinnehmen, indem man von den Unternehmen einerseits einen Fond, der auf unbegrenzte Zeit die Kosten für sichere Lagerung der Abfälle übernimmt, und andererseits eine Versicherung, die Schäden in unbegrenzter Höhe übernehmen würde, verlangt. Beides wäre nicht mehr als das, was jede andere Industrie selbstverständlich selbst bezahlen muss – Abfälle entsorgen und Risiken absichern -, aber beides war bei der Atomkraft gedeckelt. Es hätte die Wirtschaftlichkeit aller deutschen Atomreaktoren sofort zerstört. Und obwohl das auch in anderen Ländern wahrscheinlich ähnlich ist, sind neue Atomkraftwerke in Europa idR nur mit massiver Hilfe möglich. Beim britischen Hinkley Point zB wird für 35 Jahre ein Abnahmepreis garantiert, der weit über den derziet üblichen Börsenpreis liegt, und das wird eher nicht besser werden.
Einzig eine gewisse Verlängerung der Laufzeit der bestehenden Kraftwerke hätte, soweit ohne größere Investitionen möglich, im Rahmen der Energiewende vielleicht Sinn gemacht. Aber der Käse ist jetzt auch einfach gegessen.
Und zweitens ist mir unbegreifllich, wie viele Politiker:innen, Journalist:innen etc. den Klimawandel anscheinend für etwas halten, bei dem man sich entscheiden kann, ob man sich damit beschäftigt oder nicht. Das ist reines Wunschdenken, Realitätsverweigerung. Die einzige Wahl, die man treffen kann, ist, ob wir ihn jetzt noch etwas vermindern wollen oder ob wir völlig ungebremst hineinrennen. Im letzteren Fall werden die Kosten – auch wenn wir uns wirklich nur knallhart auf die ganz realen, wirtschaftlichen Kosten beschränken, für die Leute, die keine andere Sprache verstehen – weitaus höher sein. Die Leute, die das ignorieren, und auf dies und das und noch allerlei verweisen, was aber viel wichtiger wäre als die Klimapolitik, sind nicht die Realpolitiker:innen, für die sie sich halten – sondern schlechte Pippi-Langstrumpf- Imitatoren, die denken, sie könnten sich die Welt machen, wie sie ihnen gefällt.
Hi Paule T.,
ich möchte hier gar nicht auf Dein Wirtschaftlichkeitsargument eingehen und auch nicht auf Klima und CO2-Einsparungsbedarf. Diese Debatten werden seit Jahrzehnten geführt. Einen nicht atomspezifischen Metaaspekt hätte ich aber dennoch beizutragen:
Wenn europa- und weltweit eine Renaissance der Kernenergie zu beobachten ist, zumindest ein Umdenken – sollte man dann davon ausgehen, dass all diese Länder im Gegensatz zu Deutschland nicht rechnen/denken/abwägen können? Oder sollte man doch mal schauen, wie diese Länder denn so argumentieren und ob vielleicht – Stichwort Realitätsverweigerung – die eigenen Prämissen so nicht zutreffen?
Auch Outlier können natürlich richtig liegen und es gibt sowieso immer verschiedene Wege zum Ziel. Aber – ebenfalls möglich –, sind vielleicht doch wir die Falschfahrer und nicht all die anderen.
@ Matthias, Zitat:
„Wenn europa- und weltweit eine Renaissance der Kernenergie zu beobachten ist […]“
– diese Renaissance ist aber eben nicht zu beobachten, das ist nur ein Wunschtraum. Real sieht es so aus, dass es Zuwächse bei der Atomkraft nur in sehr begrenzten Bereichen gibt, zu extrem hohen Kosten, während der Zuwachs in erneuerbaren Enegrien ein Vielfaches beträgt und sich weitaus besser rechnet:
„Die einzigen europäischen Projekte auf der Liste sind Hinkley Point C in Großbritannien (ca. 3,4 Gigawatt) und der neue Reaktor 3 im französischen Flamanville in Frankreich (ca. 1,7 Gigawatt). Es werden keineswegs »überall um uns herum« Atomkraftwerke gebaut, wie immer wieder gern behauptet.
Die real existierenden Projekte sind ökonomisch desaströs: Hinkley Point wird mit mindestens sechs Jahren Verspätung fertiggestellt werden und hat – derzeit! – ein Preisschild in Höhe von umgerechnet 54 Milliarden Euro. Der Strom aus dem Kraftwerk wird unvergleichlich teuer sein.“
Und:
„Eine »Renaissance der Atomkraft« gibt es in Wahrheit nur in einem Land der Welt: China. Das ist gut, denn jedes chinesische Kohlekraftwerk, das aufgrund alternativer Formen der Stromerzeugung abgeschaltet werden kann, ist ein Gewinn für die Menschheit. Auch China steckt allerdings nur einen winzigen Bruchteil des Geldes in Atomkraftwerke, das dort in erneuerbare Energien investiert wird. Auch in Speichertechnologie fließt in China mehr Geld als in Kernkraft.“
Quelle:
https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/atomenergie-die-renaissance-der-atomkraft-bleibt-ein-wunschtraum-kolumne-a-e77b446c-bfb2-4206-aecc-76764991f9b9
Der Artikel ist insgesamt lesenswert, und die dort genannten Fakten lassen sich ja überprüfen.
„Nervös“ macht mich vor allem, dass wir Politiker:innen und Publizist:innen haben, die ernsthaft lieber reine Wunschträume wie funktionierende Fusionskraftwerke als aktuelle Politik vertreten als anzuerkennen, dass erneuerbare Energie im Zusammenspiel mit Speichertechnologien und intelligenter Vebrauchssteuerung einfach der ökonomisch richtige Weg sind.
Ich kann mit dieser Liste aufwarten, Paule T.:
Länder mit Kernkraftwerken im Bau
Bangladesch, China, Indien, Russland, Türkei, Ägypten, Slowakei
Konkrete Planungen/Ausschreibungen
Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Tschechien, Ukraine, Südkorea
Small-Modular-Reactor-Pioniere und potenzielle Neulinge
UK, Frankreich, Niederlande, Kanada, Argentinien, Brasilien, Ghana, Kenia, Dänemark
Renaissance? Christian Stöcker vom Spiegel sieht das selbstverständlich nicht so.
Ihnen fällt schon auf, dass Ihre Liste bzgl. der Kraftwerke, die tatsächlich gebaut werden (und nicht im Status „Konkrete Planungen“ = „Wir haben noch nicht mal angefangen“), ziemlich schmal ist und mengenmäßig nun wirklich keine „europa- und weltweite Renaissnce“ darstellt? (Vgl. Liste aller Atomkraftwerke bei Wikipedia – da kann man sehen, wie viele in den letzten Jahren abgeschaltet wurden, wie viele geplanterweise demnächst abgeschaltet werden sollen und wie viele in Bau sind.)
Dass Sie über die Rahmenbedingungen wie die Kosten, über die Stöcker ausführlich schreibt, kein Wort verlieren?
Dass Sie ebenfalls keinen Vergleich bzgl. der Neubauten/Investitionen mit erneuerbaren Energien machen, worüber Stöcker ebenfalls ausführlich schreibt?
Mein wesentlicher Punkt zu Atomkraft war: Zu teuer. Dazu kann man bei Stöcker und in den Quellen, die er nennt, einiges lesen.
Ihr Punkt dazu war: „ich möchte hier gar nicht auf Dein Wirtschaftlichkeitsargument eingehen“.
Nun.
Noch kurz zum Begriff „Realität“ und Energiekosten, Paule T.
In unmittelbarster Form findet sich die Realität in Form der Stromrechnung. Deshalb muss ich mir hier nicht die Mühe machen, eine Energieform schön- und die andere schlechtzurechnen (denn diese Berechnungen basieren immer auf Prämissen, Perspektiven, Parametern und toten Winkeln, daher fallen sie bedarfsgerecht diametral unterschiedlich aus). Ich vergleiche stattdessen lediglich diese eine Kenngröße:
– Kernkraft-Frankreich hat einen Verbrauchertarif von 0,20 €/kWh und einen Großhandelspreis von 0,02 €/kWh.
– Im erneuerbaren Deutschland zahlen wir 0,38 €/kWh bzw. 0,09 €/kWh.
Um Deine Eingangsfrage aufzugreifen: Das wäre eine ganz simple, aber realitätsbezogene Heuristik, warum „man Atomkraft für eine günstige Energiequelle halten kann“.
(Die kategorischen Unterschiede der C02-Emissionen dieser beiden Länder – denn am Ende gehts doch ums Klima, oder nicht? – wären noch ein ganz anderes Thema.)
@ Matthias,
Zitat: „In unmittelbarster Form findet sich die Realität in Form der Stromrechnung. […] Um Deine Eingangsfrage aufzugreifen: Das wäre eine ganz simple, aber realitätsbezogene Heuristik, warum „man Atomkraft für eine günstige Energiequelle halten kann“.“
Ja, wenn man gezielt nicht auf die kompletten Kosten der Stromerzeugung schauen will und vor allem Subventionen komplett ignoriert, dann kann man das so machen. Das als Milchmädchenvorgehen zu bezeichnen, wäre aber eine Beleidigung des ökonomischen Sachverstands aller Milchmädchen.
Atomstrom wird in Frankreich nun mal hochsubventioniert. Natürlich ist dann der Strompreis für Verbraucher gering, dafür sind die Subventionen ja da. Das heißt aber nicht, dass Atomstrom günstig wäre, sondern nur, dass jemand anders bezahlt, nämlich der Steuerzahler.
Deswegen fordert der französische Rechnungshof (!) auch einen Stopp des Atomausbaus.
Und die Frage, ob Ewigkeits- und Risikokosten beim Stromerzeuger internalisiert werden oder auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, ist damit noch nicht einmal gestellt.
Quelle für einige meiner Aussagen:
https://www.focus.de/earth/energie/neuer-atom-boom-in-vollem-gange-frankreichs-milliarden-akw-fiasko-zeigt-wie-falsch-merz-und-weidel-liegen_id_260644887.html
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Zitat: „Deshalb muss ich mir hier nicht die Mühe machen, eine Energieform schön- und die andere schlechtzurechnen […]“
Indem Sie mit dem reinen Blick auf die Stromrechnung schlicht alle Subventionen ignorieren, rechnen sie natürlich die französische Stromerzeugung schön, und zwar auf die allerplumpeste Weise.
Dass Sie dann noch so tun, als würden andere das tun, aber Sie wären ganz objektiv, ist argumentativ schon sehr unverschämt.
Nur nebenbei weiß ich nicht, woher Sie ihre Zahlen haben. Die französischen Strompreise, die ich ergoogle, sind deutlich höher als von ihnen behauptet, nämlich bei 29,3 ct/kWh. Und sie sind in den vergangenen 10 Jahren um 74 % gestiegen.
https://strom-report.com/strompreise-europa/
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Zitat: „(Die kategorischen Unterschiede der C02-Emissionen dieser beiden Länder – denn am Ende gehts doch ums Klima, oder nicht? – wären noch ein ganz anderes Thema.)“
Ja, am Ende geht’s ums Klima. Und dabei eben um die Frage, wie man die Vermeidung von Emissionen am kostengünstigsten hinkriegt.
Dass Frankreich in den letzten Jahrzehnten mit seinem Atomstrom relativ CO2-arm produziert hat, ist ja schön fürs Klima, war aber für den französischen Staat sehr teuer. Das müssen wir ja nicht nachmachen.
In den letzten Jahrzehnten hatte Deutschland in erneuerbare Energien investiert, sozusagen eine Anschubfinanzierung geleistet, was dazu beigetragen hat, dass die Kosten für diese Energieformen jetzt drastisch gefallen sind, deutlich unter die Kosten für Atomstrom. Wir wären doch Trottel, wenn wir das jetzt nicht ausnutzen.
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Und ganz allgemein:
Noch einmal das Zitat: „In unmittelbarster Form findet sich die Realität in Form der Stromrechnung.“
Schon ganz generell ist dieser Gedanke von wirklich atemberaubender Lächerlichkeit und wirklich von keinerlei ökonomischem Verständnis getrübt.
In keinem Preis irgendeiner Ware findet sich „Realität“ in irgendwie unmittelbarer, schon gar nicht „unmittelbarster Form“, und erst recht nicht in der Stromrechnung.
Preise bilden sich vielmehr, je nach Produkt, in sehr verschiedenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Prozessen (in einem Markt, aufgrund staatlicher Planung, in einem Mischsystem …), und welche Kosten wie in Preise eingehen und welche nicht, ist ebenfalls Ergebnis verschiedenster politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen ganz verschiedener Akteure und der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen.
Das gilt erst recht für ein so stark unter politischem Einfluss stehendes Produkt wie Elektrizität.
Danke, Paule T., für die viele Mühe.
Die aufgeführten Länder — auch die, die noch nicht mal angefangen haben, zu bauen — sind dann wohl wirklich die Falschfahrer. Sicher werden vernünftigere Regierungen es Deutschland gleichtun. Wind und Sonne schicken ja keine Rechnung, müssen also zum Glück nicht subventioniert werden.
Schönes Wochenende!
@ Matthias
Ich rieche Ironie. Das ist schade, denn vernünftige Argumente wären mir lieber.
Zitat: „Die aufgeführten Länder — auch die, die noch nicht mal angefangen haben, zu bauen — sind dann wohl wirklich die Falschfahrer.“
Nun, die, die noch nicht angefangen haben zu bauen, sind, um im Bild zu bleiben, keine Falsch-, sondern logischerweise Gar-Nicht-Fahrer. Das ist ja der Punkt, den Sie geflissentlich ignorieren: Die Renaissance der Atomkraft gibt es so nicht, außer in ganz wenigen Ländern, und in anderen Ländern geht es in die entgegengesetzte Richtung.
Ich verwies schon auf die Liste von Atomkraftwerken bei Wikipedia, da kann man prima nachvollziehen, wie viele AKWs (bzw. genauer: Reaktorblöcke) gebaut bzw abgeschaltet wurden und werden.
Beispiel Frankreich (Sie nehmen Frankreich ja als Vorbild):
Aktuell ist ein Block in Inbetriebnahme, das schon genante Flamanville 3. Es ist ein finanzielles Desaster.
Das letzte Mal davor wurde 1999 eines in Betrieb genommen (Civeaux 2).
Seitdem wurden aber drei abgeschaltet (Phènix, Fessenheim 1+2).
Für die nächsten 5 Jahre (bis Ende 2030) ist nun die Abschaltung von 24 Reaktorblöcken geplant, für die nächsten zehn sogar von 50 (!).
Um diese zu ersetzen, müssten also, wenn man von zehn Jahren Bauzeit ausgeht (bei Flamanville waren es allerdings 18 Jahre), ebenfalls 50 Reaktorblöcke jetzt schon im Bau sein (oder weniger leistungsstärkere natürlich). Wenn man mal sehr großzügig annimmt, dass eine allgemeine Laufzeitverlängerung von 5 Jahren beschlossen werden könnte, müssten es immer noch 24 sein. Tatsächlich ist aber kein einziger im Bau. Und sogar geplant sind nur 14. Die zugegebenermaßen mehr Leistung pro Block haben werden, aber insgesanmt auch nicht mehr als die ersten 24 abzuschaltenden, und wie gesagt – keiner davon ist auch nur im Bau.
In welcher verdammten Fantasiewelt ist das eine „Renaissance“?
Und abschließend hält ja, wie gesagt, auch der französische Rechnungshof die Neubaupläne für eine dumme Idee.
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Zitat: „Sicher werden vernünftigere Regierungen es Deutschland gleichtun. Wind und Sonne schicken ja keine Rechnung, müssen also zum Glück nicht subventioniert werden.“
Richtig ist, dass auch erneuerbare Energien noch garantierte Abnahmepreise brauchen (Ausnahme: Wind offshore), weil der Stromhandel an der Börse dazu führen würde, dass erneuerbare Energien gerade dann kaum Erlöse erzielen würden, wenn es viel davon gibt. Die brauchen neue Atomkraftwerke aber auch: Für Hinkley Point werden umgerechnet 15 Cent/kWh garantiert – die Garantiepreise für Solar- und Windstrom liegen in Deutschland aber mit max 10 Cent darunter, zT deutlich.
MaW: Atomstrom ist teurer.
Richtig ist auch, dass jetzt Investitionen in den Netzumbau und in Speichertechnologien nötig sind. Es ist aber absehbar (bzw. hat schon begonnen), dass bei Speichertechnologien genau der gleiche Preisverfall stattfinden wird wie in den letzten Jahren bei den erneuerbaren Energien selbst.
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Quellen:
https://www.n-tv.de/politik/Rechnungshof-schlaegt-bei-Macrons-AKW-Plaenen-Alarm-article25488310.html
https://www.capital.de/wirtschaft-politik/atomkraft–der-neue-unsinn-ueber-die-kernenergie-34277894.html
https://www.iwr.de/news/neues-atomkraftwerk-hinkley-point-c-strom-kostet-zum-start-ueber-15-cent-pro-kilowattstunde-news38518
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Kernkraftwerke
Danke für die viele Mühe, Paule T.