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 Dortmunder Hannibal: „Was haben wir hier für schöne Partys gefeiert!

Der Dorstfelder Hannibal wurde geräumt Foto: Ralf Hüls Lizenz: CC BY-SA 2.0 DE


33 Jahre wohnte Rosi Schaarschmidt im Hannibal II, einem Hochhaus im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld. Im September musste sie dann innerhalb einer Stunde ihre Wohnung verlassen. Ein Zurück gab es für sie nicht.

Rosi Schaarschmidt hat gerne und lange im Hannibal gewohnt: 33 Jahre lebte die heute 67jährige in dem Anfang der 70er Jahre im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld errichteten Hochhaus im achten Stock. „Die Wohnungen“ erinnert sich Schaarschmidt, „waren etwas ganz Besonderes. Meine ging über zwei Etagen. Am Übergang der Küche zum Wohnzimmer gab es eine Theke. Was haben wir hier früher für Partys gefeiert.“ Auch die Aussicht sei schön gewesen, über Dortmund hinweg bis hinein ins beginnenden Sauerland. Und klar, das Westfalenstadion hatte man auch im Blick, vor allem abends, wenn es bei Spielen erleuchtet war.

Ihre beiden Söhne hat sie hier im Hannibal großgezogen. „Sie haben den Hannibal auch immer gemocht und einer hatte später dann hier auch seine Wohnung.“

Einer ihrer  Söhne war es auch, der ihr am 21. September sagte, dass sie aus ihrer Wohnung müsse. „Die Stadt hätte gesagt, wenn es zu einem Brand käme, seien alle Menschen im Haus in Lebensgefahr.“

Rosi Schaarschmidt

Sie hatte eine Stunde Zeit, die  Wohnung zu räumen. Nur das nötigste konnte mitgenommen werden. Rosi Schaarschmidt zog zu einem Freund in eine Gastwohnung, räumte in den ersten Tagen ihren vollen Kühlschrank aus  und gab Milch, Aufschnitt und Gemüse der Mutter ihrer Enkelin.

So wie Rosi Schaarschmidt ging es über 800 Bewohnern des Dorstfelder Hannibals. Nachdem es im Juni 2017 im Londoner Grenfell Tower zu einem Hochhausbrand mit 71 Toten gekommen war, wurden in den Wochen danach auch Hochhäuser in Deutschland verstärkt wegen des Brandschutzes kontrolliert. Beim Hannibal kamen die Feuerwehr und die Stadt Dortmund zu dem Schluss, dass nach Umbauten des Hausbesitzers der Brandschutz nicht mehr gewährleistet war. Die Fluchtwege wären im Falle eines Feuers zu Todesfallen geworden. Die Stadt reagierte schnell und räumte das Haus. Der Hannibal war nicht das erste Hochhaus in Deutschland, das wegen Brandschutzmängeln geräumt wurde. Wenige Wochen zuvor wurde ein Hochhaus im nahen Wuppertal geräumt. Beide Häuser gehören dem Berliner Immobilienunternehmen Intown. Intown – Slogan: Unser höchstes Ziel ist die Wertsteigerung von Immobilien – besitzt zahlreiche Wohnhäuser und Bürogebäude in ganz Deutschland. Es ist ein Unternehmen mit einem schlechten Ruf: Viele Immobilien, die zur Intown-Gruppe gehören, stehen leer, es gibt Streit mit Mietern wegen kaputter Stromleitungen oder ausgefallener Heizungen. Intown tritt oft als Verwalter der Wohnungen und Geschäftshäuser auf, die dann Tochterunternehmen gehören. So auch bei Hannibal in Dortmund. Der Gebäudekomplex gehört der in Zypern ansässigen Fanrouge Limited, die der ebenfalls auf Zypern residierenden KKLAW Nominees Ltd. gehört, der auch Intown gehört.

Als Rosi Schaarschmidt in den 80er Jahren in den Hannibal einzog, gehörte der noch der DoGeWo, der Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Dortmund. „Die DoGeWo war der beste Vermieter, den wir im Hannibal je hatten.“ 2004 verkaufte die DoGeWo den Hannibal. Der neue Besitzer verkalkulierte sich bei den Renovierungsarbeiten, der Gebäudekomplex wurde unter Zwangsverwaltung gestellt. Seit 2011 verwaltet Intown den Hannibal.

Als Schaarschmidt und die anderen aus Hannibal raus mussten, war klar, dass sie nicht in ein paar Tagen würden in ihre Wohnungen zurückkehren können. „Uns haben sie damals gesagt, es würde mindestens zwei Monate dauern, bis das Haus wieder sicher werden würde. Der Leiter des städtischen Krisenstabs, Dortmunds Bau- und Planungsdezernent, Ludger Wilde sagte damals: „Unsere Fachleute gehen von mehreren Monaten aus, die es dauern wird, alle Arbeiten zu erledigen, damit die Gebäude wieder sicher sind.“

Zwei Monate wohnte Rosi Schaarschmidt in der Gastwohnung. Dann hielt sie es dort nicht mehr aus: „Ich hatte nur meine Kleidung dabei, aber nicht meine Möbel. Die Wohnung war kein Zuhause.“ Dazu kam, dass sie in einem anderen Stadtteil lag: „Ich war einsam, die Wohnung war am anderen Ende der Stadt.“ Schaarschmidt entschloss sich also im November, eine neue Wohnung zu suchen. „Ich habe lange gehofft, ich könnte wieder in meine Wohnung zurück, aber als sich nichts tat, Stadt und Intown sich nur noch stritten, wer an der Räumung schuld sei, habe ich mir schweren Herzens eine neue Wohnung genommen.“ Nicht nur ihre alte Wohnung, auch ihre Nachbarn vermisst Schaarschmidt heute: „Wir hatten eine gute Nachbarschaft. Die meisten wohnten hier über 20 Jahre. Wir kannten uns alle.“

Immerhin fand sie eine Wohnung in Dorstfeld, etwas teurer und auch den Umzug musste sie selbst zahlen, aber da sie auch als Rentnerin im Casino Hohenyburg arbeitet, konnte sie sich das leisten. „Viele andere können sich einen Umzug nicht leisten und nehmen das Angebot von Intown an, zu kündigen und dann sofort die Kaution zurück zu bekommen. Damit verlieren sie alle Rechte. Ich werde das nicht tun, aber viele sind in Not.“

Intown, sagt Rainer Stücker, setzt die Mieter unter Druck, Stücker ist Geschäftsführer des Mietervereins Dortmund und tut alles, um Intown zu stoppen: Bis zum 15. Februar sollen die Hannibal-Mieter ihre Wohnungen komplett räumen. Das Unternehmen lässt seit dem 1. Januar das Haus nicht mehr heizen und hat angekündigt, die Immobilie ganz aufzugeben. „Mit unsere Hilfe hat ein erster Mieter jetzt eine einstweilige Verfügung erwirkt. Er kann auch noch nach dem 15. Februar in seine Wohnung.“

Auf einer Versammlung am vergangenen Mittwoch konnte der Mieterverein weitere Hannibal-Mieter zu Klagen bewegen. Die Chancen stehen gut, dass sie auch nach Mitte Februar in ihre Wohnungen und an ihre Möbel herankönnen.

Fast 300 Hannibal-Mieter suchen noch nach einer Wohnung leben in Notunterkünften, städtischen Übergangswohnungen oder sind bei Freunden untergekommen. „Es gibt“, , sagt Stöcker,  „nicht mehr viel Leerstand in Dortmund. Eine Wohnung zu finden ist nicht mehr so einfach wie noch vor ein paar Jahren.“ Viele Hannibal-Mieter würden allein schon wegen der Kinder gerne im Stadtteil bleiben: „Die gehen in Dorstfeld zur Schule und ihre Freunde wohnen dort. Natürlich wollen sie nicht weg.“

Eine Mieter-Initiative fordert, dass die Stadt die Kosten für die Einlagerung der Wohnungen trägt. Eine trotzkistische Gruppe war bei ihrer Gründung entscheidend, Kontakte zu Journalisten und Politikern sind nicht gerne gesehen – angeblich zum Schutz der Mieter. Neonazis, im Rat und in den Bezirksvertretungen über die Partei „Die Rechte“ präsent, spielen sich lautstark als Vertreter der Mieter auf und versuchen zu punkten. Den Menschen helfen tun sie natürlich nicht.
Stöcker beobachtet mit Sorge, dass die demokratischen Parteien bislang kaum aktiv wurden: „Für die SPD gibt es traditionell keinen Unterschied zwischen Stadtverwaltung und Partei. Ist die Verwaltung vor Ort, reicht das.“ Aber viele Hannibal-Mieter hätten Fragen, welche die Verwaltung nicht beantworten könne: „Warum kann sich ein Unternehmen wie Intown erlauben, mit den Mietern zu spielen und der Staat ist machtlos? Darüber muss man politisch reden, das ist keine Aufgabe der Verwaltung.“

Mittlerweile würden sich Politiker der Grünen und der Linken um die Mieter kümmern und seien bei den Veranstaltungen vor Ort dabei.

Stadt und Intown werden sich wahrscheinlich mehrere Jahre vor Gericht streiten, ob die Räumung im September rechtens war oder nicht. Erst wenn darüber ein letztinstanzliches Urteil gesprochen wurde, kann in weiteren Verfahren über Schadenersatzansprüche der Mieter entschieden werden. Wenn es das Unternehmen, dem zurzeit Hannibal gehört dann noch gibt.

Ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung ahnt, wie die Sache ausgehen wird: „Die gehen pleite und am Ende bleiben wir auf den Kosten sitzen. Dann steht da in ein paar Jahren ein heruntergekommenes Haus, dass wir absichern müssen. Jetzt wird schon nicht mehr geheizt, noch ein paar Jahre und man kann den Bau nur noch abreißen.“

Rosi Schaarschmidt ist traurig über die Entwicklung, aber sie ist froh, damit nichts mehr zu tun zu haben.

Sie fühlt sich wohl in ihrer neuen Wohnung und hofft, dass ihr Sohn bald auch eine neue Bleibe findet. Rosi Schaarschmidt ist immer noch dabei, wenn die Hannibal-Mieter sich treffen, demonstrieren oder es Informationsveranstaltungen des Mietervereins gibt. Ein paar Kleinigkeiten stehen noch in ihrer alten Wohnung, die will sie noch rausholen. Und dann wird sie um eine Entschädigung kämpfen. Gut 5000 Euro wollen Sie und die anderen von Intown erstreiten. Für Umzüge, Renovierungen und weil die neuen Mieten meist höher sind als es die alten waren.

„Ich will nicht, dass Intown damit, wie sie hier mit den Menschen umgegangen sind, einfach durchkommt.“

Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt

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ke
ke
6 Jahre zuvor

Mir gefallen die Hannibal-Häuser. Der verdichtete Wohnungsbau ist auch eine Chance, effizienter mit dem Flächenverbrauch und Energieverbrauch besser umzugehen. Ein gute Nachbarschaft mit sozialer Kontrolle gibt es in so großen Einheiten leider meistens nicht, so dass sie leider oft zu schnell ihre Attraktivität verlieren.

Das Schicksal der vielen Mieter und der Verlust so vieler Wohnungen ist tragisch.

Politik, Justiz und Verwaltungen müssen hier schauen, wie die Prozesse optimiert werden können, damit solche Situationen nicht entstehen bzw. wie sie für die Mieter besser gestaltet werden können. Hier zeigt sich auch wieder wie wenig Wert eine Justiz hat, die oft Jahre braucht, bis Urteile final sind.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
6 Jahre zuvor

Aber die Stadt, respektive ihr "Spitzenpersonal" aus ehemaligen und jetzigen OBs, lässt sich gerne groß feiern, wenn Investoren hier solche Klötze errichten oder halt wie Intown das jahrzehntelange Weggucken aufs langsame Dahinsiechen der Substanz ausnutzen und per Zwangsversteigerung und einem irrational hohen Kaufpreis zuschlagen. Da klatschten die Genossen, auf das hier "alles gut!" werde.

Der Dortmunder Mieterbund hat mehrfach in den letzten Jahren auf Intown als klassische Immo-Heuschrecke hingewiesen und die Stadt angemahnt, das rechtliche Instrumentarium für den Druck auf Intown anzuwenden und voll auszuschöpfen (wovon man seltenst lokal, dafür aber z.B. aus dem auch von Intown "heimgesuchten" Hannover lesen konnte: https://experimentihmezentrum.wordpress.com/2017/06/20/juni-2017-es-gibt-keine-zusammenarbeit-mit-dem-grosseigentuemer/).
Mit dem "Westfalenforum" hatte man sogar eine zweite, ehemalige Vorzeige-Immobilie mitten in der City als abschreckendes Intown-Mahnmal. Passiert ist, wie immer in Dortmund, trotz aller Warnungen: nix.

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