Ein Prinz sieht rot

Foto: Privat

Hans Dreher inszeniert in der Bochumer Rottstraße Lessings Antikriegs-Drama PHILOTAS als intensives Kammerspiel

Ein schwarz-violetter Raum, ein paar archaische Pferdeköpfe, ein kleiner Altar und starke, eindringlich gespielte Charaktere ergeben die konzentrierte Reflektion eines sehr persönlichen inneren Konflikts ausgelöst durch einen äußeren: Krieg.

Der Königssohn Philotas wird in seiner ersten Schlacht vom gegnerischen Herrscher gefangen genommen. Dadurch wird sein Vater erpressbar, Philotas sieht sich als Verräter an seinem Volk, das Dilemma ist komplett. Was er erst später erfährt: auch der Sohn des gegnerischen Königs ist eine Geisel. Es entsteht eine klassische Pattsituation. Trotzdem fasst der heißblütige junge Prinz einen radikalen Entschluss, in der Hoffnung seinem Vater im Konflikt zur Oberhand zu verhelfen – Selbstmord.

Psychologie einer Reise: vom jammernden Verlierer zum überzeugten Selbstmörder

Lessings Trauerspiel von 1759 beschreibt facettenreich menschliches Denken und Handeln auf zwei Ebenen, die zeitloser kaum sein könnten. Zum einen geht es um die große Bühne, auf der Macht, Herrschaft, Verantwortung, Moral und Krieg ihren Schauplatz finden. Zum anderen um die Emotionen der Figuren, die in ihrer menschlichen Schwäche mit diesen Dingen umgehen müssen, die in ihrer Verwicklung in große Konflikte oder in ihrer Position als Machthaber (oder als Sohn eines solchen) von Zweifeln, Wahn, Angst, fehlgeleitetem Pflichtbewusstsein oder pulsierendem jugendlichem Übereifer getrieben sind. Es ist eine Außenansicht der Strukturen großer Politik und eine Innenansicht der persönlichen Konflikte von Menschen, die mit dieser konfrontiert sind.

Felix Lampert stellt als Philotas überzeugend die Psychologie einer Reise vom jammernden Verlierer zum entschlossenen Selbstmörder „für die größere Sache“ dar. Auf dem Weg zum Erwachsenwerden erfasst er scheinbar die ganze Bandbreite jugendlich-stürmischer Emotionen. Dem gegenüber steht der bis kurz vor dem Schluss gefasste, souveräne  König Aridäus (Martin Bretschneider) als Stimme der Vernunft sowie sein nicht ganz durchschaubarer, aber scheinbar in seiner Ehre verhaftete Feldherr Strato (Maximilian Strestik). Besonders interessant ist die Interpretation der Figur Parmenio. Der alte Krieger wird durch die Besetzung mit Dagny Dewath zur lasziven Verführerin. Die knisternde Beziehung zwischen Philotas und Parmenio pendelt im Minutentakt zwischen Freundschaft, Erotik, Misstrauen und Aufopferung und gibt dem Plot noch einen Schuss Spannung: Schließlich soll Parmenio Philotas‘ Vater überzeugen, diesen erst einen Tag später auslösen zu lassen, damit Philotas sich selbst ohne Parmenios Wissen töten kann.

Keine vordergründig-penetrante Aktualisierung

Hans Dreher verzichtet auf die bei der Inszenierung alter Stoffe oft zu fürchtende Aktualisierung mit dem Brecheisen. Der Bezug zum Heute ist auch ohne oberflächliche Pop-Analogien gegeben, die rhythmisch vorgetragene Sprache Lessings und die Gegenwartsnähe der Themen reichen vollkommen aus. Bühnenbild, Requisite und Kostüm sind minimalistisch genug gehalten, um gar nicht erst Assoziationen mit einem bestimmten Topos aufkommen zu lassen. Durch die intensive Kammerspiel-Atmosphäre können Versagensangst, Selbsthass, glühende Überzeugung und die großen ethischen Fragen ihre volle Wirkung entfalten. Das Ringen der Figuren mit ihren eigenen Vorstellungen von Ehre, vom Töten, von Machtausübung können beim Zuschauer durchaus Fragen zu Handlungsmustern in Politik, Krieg und Terrorismus des 21. Jahrhunderts aufwerfen.

Ambivalenz der Macht

Das Rottstr.5-Theater lässt sich traditionell auch für die Rahmenpräsentation seiner Stücke immer etwas Kreatives einfallen. Meistens sind es Rückbezüge zu anderen Kunstwerken aus Musik, Film, Literatur, häufig Songlyrics. Diesmal findet sich bei der Einführung zum Stück auf der Homepage eine direkte Nebeneinanderstellung von Zitaten aus dem Drama und Auszügen aus der Rede Barack Obamas bei der Annahme des Friedensnobelpreises. Nicht nur dieses Detail regt zum Nachdenken an.

„Glaubt ihr Menschen, dass man es nicht satt wird?“, schreit es aus Martin Bretschneider als Aridäus am Ende heraus. PHILOTAS ist ein Stück über das ambivalente Verhältnis des schwachen Geschöpfes Mensch zur Macht, ob nun Soldat oder Herrscher. Einerseits das Habenwollen, andererseits das Korsett, das die Freiheit des Handelns extrem einschränkt. Es geht um die Verstrickung in Konflikte, die für uns eine Nummer zu groß sind und um die drastischen Auswirkungen auf die Psyche der unvollkommenen Persönlichkeiten, die in diesen Verhältnissen nach ihrer Rolle suchen. Dieses Drama zwischen großer Politik und persönlichem Kampf mit den eigenen Entscheidungen subtil zeitgemäß und trotzdem mit genug Respekt vor dem Klassiker darzustellen, ist dem Ensemble der Rottstraße gelungen.

 

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