Keine Ideen, keine Köpfe, keine Wähler

Die SPD hat die Bundestagswahl zu Recht verloren. Ihr verzweifelter Versuch, in der heißen Wahlkampfphase so zu tun, als hätte sie nicht gerade elf Jahre lang regiert,  hat beim Wähler nicht gezogen. Er hat darin einen Etikettenschwindel gesehen. Von unserem Gastautor Uwe Knüpfer

Die SPD wird nur dann wieder Boden unter ihre Füße bekommen, wenn sie glaubwürdig darstellen kann, wie sie sich Deutschlands Zukunft denkt. Das ist gar nicht so schwer. Sie muss sich nur darauf besinnen, was sie stark gemacht hat. Sie muss ihre alten Ideen wieder ernst nehmen und neue Köpfe finden, die diese Ideen glaubhaft verkörpern.

Als sie noch Arm in Arm mit dem Zeitgeist marschierte, war die SPD
–    die Partei des Aufstiegs durch Bildung,
–    die Partei der Solidarität mit den Schwächeren,
–    die Partei des Friedens
–    die Partei der Emanzipation und Partizipation.

Unter Willy Brandt hat die SPD „mehr Demokratie“ versprochen. Sie wollte „das moderne Deutschland“ schaffen und den Himmel über der Ruhr wieder blau werden lassen. Sicher, auch das waren Wahlkampfslogans, aber sie hatten einen erlebbaren Bezug zu Programm und Handlungswirklichkeit.

Wir leben heute in einem moderneren Deutschland. Wir haben „mehr Demokratie gewagt“, es gibt mehr Universitäten als vor 50 Jahren. Der Himmel über der Ruhr ist wirklich wieder blau geworden. Und der Kalte Krieg ist zu Ende, auch dank sozialdemokratischer Ost- und Friedenspolitik.

Dafür haben sich die Wähler bei der SPD in vielen Wahlen bedankt. Doch wofür sollen sie sich heute bedanken? Nach elf Jahren der SPD-Mitbeteiligung an der Bundesregierung
– wird Bildung wieder ein teures Gut, das sich nicht jeder leisten kann,
– ist in Wartezimmern und OPs erlebbar, was Karl Marx meinte, als er von Klassengesellschaft sprach,
– geht die berechtigte Angst vor Altersarmut um,
– wächst die Schere zwischen Superreichen und dem Mittelstand,
– töten und sterben deutsche Soldaten am Hindukusch, ohne dass die Welt dadurch friedlicher wird,
– sind Deutschlands Städte pleite.

Und dafür sollen sich die Wähler bei der SPD bedanken, indem sie demselben Personal erneut Vertrauen schenken, das elf Jahre lang in Verantwortung war?

An der Spitze der Partei haben Beamte Visionäre abgelöst. In weiten Teilen ist die SPD eine Partei der Funktionäre geworden. Die sehen ihre Welt vom Dienstwagen aus – während sich ihre Wähler auf verrottenden Bahnhöfen allzu oft die Füße in den Bauch stehen.

Wer Ideen hat vom Morgen, der eilt heute nicht zur SPD. Das ist einmal anders gewesen. Das kann auch wieder anders werden. Aber nur, wenn die SPD sich darauf besinnt, was sie stark gemacht hat: wenn sie sich kümmert und dabei glaubwürdig ist.

Dazu müsste sie eigentlich nur ernst nehmen und erkennbar ernst meinen, was sie in diesem Wahlkampf plakatiert hat. Sie müsste für eine Gesellschaft stehen,  

–    in der gute Kindergärten, Schulen und Universitäten das Wichtigste sind.
–    wo niemand aussortiert wird, nur weil seine Eltern kein Geld haben, sich nicht kümmern oder nicht der deutschen Sprache mächtig sind.
–    wo, wer Ideen hat und verwirklichen will – ob als Unternehmer, Arbeiter, Lehrer oder Ehrenamtler -, gefördert und belohnt wird, nicht belächelt und behindert.
–    in der das Leitbild einer sozial(demokratisch)en Marktwirtschaft der „ehrbare Kaufmann“ ist, nicht der gerissene Spekulant und flinke Analyst.
–    in der gleiches Recht für alle gilt; überall auf der Welt, und
–    in der Krieg kein Mittel der Politik ist.

Die Werte der Sozialdemokratie – Solidarität, Partizipation, Internationalismus und Emanzipation – sind nicht veraltet, nur verstaubt. Ihre Bedeutung ist unter einer dicken Schicht von Paragrafen, Sprachhülsen, leeren Floskeln und Fotos von Zigarre rauchenden Politikern in Brioni-Anzügen kaum mehr erkennbar. Das müsste sich ändern.

Wie soll die Welt von morgen aussehen? Was soll mit Europa geschehen? Wie können wir uns warm halten, ohne die Umwelt zu ruinieren? Und uns zügig und preiswert von A nach B bewegen? Wie sind Familien zu stärken und Gemeinden zu retten – wo das Kümmern beginnt und Demokratie ihre Wurzeln hat? Wie sehen im 21. Jahrhundert lebenswerte Städte aus? Wie gehen wir mit Menschen um, die hungern oder verfolgt und gefoltert werden, egal wo auf der Welt? Wie finden wir eine Balance zwischen individueller Freiheit und Solidarität? Zwischen Rationalismus und der Suche nach Sinn und Geborgenheit?

Wenn die SPD auf diese Fragen wieder Antworten findet, die überzeugen, wird sie auch wieder Wahlen gewinnen. Die erste Chance dazu hätte sie in NRW.

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Tagedieb
Tagedieb
14 Jahre zuvor

Dem kann ich nur zustimmen! Ob das aber so Leute wie Müntefering, Steinmeier, Wiefelspütz verstehen?
Einen schönen Tag noch,
Jürgen

blindschleiche
14 Jahre zuvor

Chapeau, Stefan!

Endlich mal ein Kommentar, der ohne wenn und aber die Situation der guten alten Tante SPD aufzeigt. Stellenweise kamen mir beim Lesen des Kommentars nostalgische Gefühle auf. Dachte an Willy wählen, mehr Demokratie wagen und so?

blindschleiche
14 Jahre zuvor

@ Stefan: Ooops! Da bitte ich um Weiterleitung meines Kompli., guter Herr Veröffentlicher. 🙂

Gerhard Schiweck
Gerhard Schiweck
14 Jahre zuvor

Wahlen werden nicht von Parteien gewonnen, sondern von Menschen!

Dennoch ein interessanter Beitrag von Uwe Knüpfer, der den Kern der sozialdemokratischen Krise zutreffend protokolliert.

Eine erneuerte SPD gewinnt aber nicht Vertrauen und Zustimmung über eine geänderte Programmatik -Papier ist bekanntlich sehr geduldig- sondern nur über tatsächlich geänderte Politik, über einen dauerhaft geänderten Politikstil und über (Politiker)Menschen, die authentisch diese Änderung sichtbar und erlebbar machen und dauerhaft in die SPD hinein wirken und dort neue Tragkraft entfalten können.

Diese authentischen Menschen sind auf den großen SPD Bühnen weder im Bund noch im Land sichtbar. Eher das Gegenteil ist der Fall, wie ja mehrfach in letzter Zeit auch bei den Ruhrbaronen nachlesbar war (vgl. Causa Kraft).

Wie fundamentalistische SPD´ler ticken ist an der Entgleisung des SPD Kämmerers Lagner aus Duisburg zu sehen. Die NRZ zitiert ihn mit ?er -Lagner- möchte keinen schwulen Außenminister?. Eine diskrimierende Äußerung, die streng genommen nur mit einer sofortigen Abwahl aus dem Amt des Kämmerers zu beantworten wäre. Auch an solchen Geschichten wird sich zeigen, ob die SPD wirklich bereit ist zu lernen.

Gut, das sind Ausreißer, die sicher nicht stellvertretend für die Marke SPD stehen, aber viel zu viele aus der SPD haben es sich eben sehr schön und bequem gemacht, sich in gut besoldeten Positionen in ihren jeweiligen Machtburgen eingericht, sprich Rathäusern, Landkreisen, Dezernaten, Staatssekretariaten, Ministererbüros, Geschäfstführerjobs und Dienstwagensesseln. Da fällt es schon etwas schwerer, sich auf Hartz IV Niveau zu geben. Das wird von den Regierten sehr wohl wahrgenommen.

Also: Eine Änderung der SPD allein bringt nichts, wenn es den Genossen nicht gelingt, sich selber zu verändern. Und das muss jeder/jede mit sich selbst zuerst ausmachen.

Die nächsten Tage schon werden zeigen, wohin es die SPD zieht. Saarland, Thüringen und Brandenburg werden die Gradmesser sein.

Arnold Voß
Arnold Voß
14 Jahre zuvor

Die Genossinnen und Genossen werden sich erstmal nicht ändern sondern sich stattdessen gegenseitig die Köpfe einschlagen. Nach dem sie das getan haben, wird es außer demolierten Köpfen lange Zeit nichts geben, an dem man sich als Wähler eindeutig orientieren könnte.

trackback

[…] SPD IV: Keine Ideen, keine Köpfe, keine Wähler … ruhrbarone […]

Claudia
14 Jahre zuvor

Bislang habe ich mich selten angesprochen gefühlt, wenn Uwe Knüpfer berichtet, analysiert oder kommentiert hat. Zuviel Selbstdarstellung, zuviel Pathos, zuviel elitäres Gehabe (und natürlich immer die falsche politische Ausrichtung).
Aber dieser Kommentar trifft besser das, was ich denke, als ich es jemals selbst schreiben könnte. Danke dafür!

trackback
14 Jahre zuvor

Neustart!…

Fühle mich heute morgen gar nicht so schlecht, wie ich gestern abend gedacht hatte. Irgendwie ist da eine grosse Hoffnung auf einen strukturellen Neuanfang in meiner SPD.
Ich bin überzeugt davon, dass der Wehner-Spruch von 1982 (”Der W…

TomD
14 Jahre zuvor

Eine Frage, die sich mir bei dieser Analyse stellt ist, ob eine Rückkehr zu den alten sozialdemokratischen Tugenden tatsächlich ausreicht, einen Politikwechsel in Deutschland herbeizuführen. Gerhard spricht von „der Marke SPD“, damit trifft er die heutige Politiker vielleicht viel genauer, als ihm lieb ist. Wie kann man die eigene Marke wachsen lassen, ohne andere zu kanibalisieren? Die „bürgerliche Mitte“, wie das hier in Bayern so schön heisst, hat insgesamt 48.4% der Stimmen erreicht, die anderen, man liest nie „die gottlose Anarchisten“, aber das schwingt irgendwie immer mit, 45.7%. Die Frage ist, wie kann man mindestens 3% der Stimmen aus dem rechten Lager in das linke herüberziehen? Mit konservativer Wirtschaftpolitik ist es in die Hose gegangen. Konsequente Verfolgung und Stärkung der Bürgerrecht hätte auch nur maximal etwa 1.9% von den Piraten gebracht, vielleicht noch den einen oder anderen Gehard-Baum Fan, aber gereicht hätte das trotzdem nicht. Na ja, vier Jahre Zeit, darüber nachzudenken.

TomD
14 Jahre zuvor

Gerhar*t* Baum, es ist immer wieder erstaunlich, wie oft man den gleichen Fehler machen kann…

Simone
Simone
14 Jahre zuvor

Ja, teilweise Zustimmung zum Artikel.

Bleibt nur die Frage, wieso sich die Wähler (fast) ausschließlich bei der SPD „bedankt“ haben. Der Artikel spricht ja auch von RegierungsMITBeteiligung.
Wo ist die Quittung für Grün oder Schwarz???
Vielleicht hilft Logik hier nicht weiter.
Die Antworten auf die im Artikel gestellten, großen und visionären Fragen finden sich zumindest bei der CDU (auch??) nicht.

Mehr Visionen bei der SPD?? Gerechtere Welt zum Beispiel?? Gute Bildung??? Steht alles im SPD-Partei- und Wahlprogramm.
Wenn das den Wähler nicht interessiert, bleibt zumindest ein Marketing-Problem.
Oder auch: Nicht jeder, der Visionen hat, muss zum Arzt gehen, vielleicht hilft auch der Gang in eine Düsseldorfer Werbeagentur.

XiongShui
14 Jahre zuvor

@#5 Gerhard Schiweck, meiner Meinung nach steht das Langner Zitat doch für eine breite Mehrheit in der SPD. Die SPD hatte lange Zeit eine komfortable Mehrheit, um den §175 abzuschaffen und doch wurde er auf Antrag der Grünen (mit CDU- Stimmen [sic!]) abgeschafft. Damals hieß es in der SPD immer: „die Zeit ist noch nicht reif“. Dieser Mief (nicht nur auf Schwule bezogen) hängt noch immer in den Fluren der Parteizentrale, auch wenn es jetzt ein Neubau ist. Vor der SPD liegt viel Arbeit, wenn sie sich erneuern will. Ob sie das kann, ist noch sehr fraglich.

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